Nur wenigen Zeugen Jehovas dürfte bewusst sein, welchen Aufwand die Wachtturm-Gesellschaft treibt, um ihre Gegner mundtot zu machen und zu verhindern, dass Kritik an ihren oft zweifelhaften Machenschaften ans Licht kommt.

Besonders Autoren kritischer Bücher über die Sekte bekommen zu spüren, was es heißt, sich mit einer Organisation anzulegen, die auf der einen Seite so tut, als hätte sie mit „dieser Welt“ absolut nichts zu tun, auf der anderen Seite jedoch als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu einem Teil des Staates werden will. Hier die Erfahrungen der Autorin Sigrid Raquet.


Im August 98 veröffentlichte ich das Buch Keine Angst vor Zeugen Jehovas dann flatterte mir ein Jahr später eine Klageandrohung des "Haus-und Hofanwaltes" der WTG, Armin Pikl, ins Haus. In meinem Buch hätte ich fälschlicherweise behauptet, dass Impfen bei den Zeugen über 20 Jahre lang verboten gewesen sei; es habe nie ein Verbot gegeben, sondern „in der Literatur seiner Mandantschaft Ende der 1920er Jahre (sei) lediglich darauf hingewiesen worden, verschiedene Ärzte und Medizinprofessoren sich kritisch gegenüber staatlich verordneten Schutzimpfungen geäußert hätten.“ Ich sollte eine Unterlassungserklärung unterschreiben und 770 DM Gebühren zahlen, ansonsten drohte mir eine Klage. In den Unterlagen, auf die ich mich gestützt hatte, war Impfung als Verbrechen bezeichnet worden und als das teuflischste, was den Menschen zum Verderben aufgezwungen worden sei. das Wort „Verbot“ kam allerdings expressis verbis nicht vor. Aus diesem Grund gab mein Verlag nach und unterschrieb - ein ökonomischer Entschluss.

Einschüchterungsversuch geglückt!

Ich wusste, dass die WTG nicht die Wahrheit sagte, aber das Prozessrisiko hatten mein Mann und ich zu tragen, er ist Alleinverdiener und wir haben vier Kinder. Ich erkundigte mich bei einem Rechtsanwalt nach den Kosten: Für zwei Instanzen wären etwa 10.000DM zusammengekommen.

Ich war schon fast entschlossen auch zu unterschreiben; als dies Mitglieder unserer Sekteninitiative Ausstieg erfuhren, boten sie mir spontan finanzielle Unterstützung an, die mir ermöglichte, der WTG die Stirn zu bieten.

Ein Mitglied unserer Gruppe verfügt über ein Wachtturmarchiv, das seinesgleichen sucht und förderte eine Anzahl weiterer Artikel zutage, darunter einen, in dem dann das Wort Verbot gebraucht wurde. Allein im Goldenen Zeitalter, einer ihrer früheren Zeitschriften, sind in den Jahren zwischen 1923 und 1940 fünfundzwanzig Artikel über das Impfen erschienen. Es werden fürchterliche Anklagen gegen das Impfen erhoben: Von Impfvergewaltigung ist die Rede, eine amerikanische Ausgabe der Zeitschrift Trost widmet diesem Thema 10 Seiten, das Titelblatt trägt die Überschrift: Das Verbrechen des Impfens. In diesem Artikel wird die Zustimmung zu einer Impfung in einem Atemzug mit dem Hitlergruß genannt. Erfinder der Impfung scheint der Teufel zu sein, natürlich ist die Impfung auch verantwortlich für Geisteskrankheiten, und führt zu Syphilis, Krebs, Dämonismus, sexueller Sittenlosigkeit und vielem mehr.

Dies alles muss die Wachtturmgesellschaft kennen, und daher ist die ganze Angelegenheit nur zu durchsichtig - ein Einschüchterungsversuch, denn welche Einzelperson kann es sich leisten, gegen die finanziell so mächtige WTG einen Prozess zu riskieren?

Ich habe zunächst Herrn Pikl ein Antwortschreiben zukommen lassen und darin auf die Beweise in der Wachtturm-Literatur Bezug genommen.

Hier hinein passt auch noch folgendes Erlebnis. Die Zeugen Jehovas veranstalteten vom 31. Juli - 2. August einen ihrer Bezirkskongresse in Mannheim. Ich wollte mich informieren und ging am Samstag hin, sprach mit niemandem, sondern saß nur ruhig auf meinem Platz. In der Pause setzte sich plötzlich älterer Herr neben mich und begrüßte mich mit meinem Namen. „Wir kennen uns nicht.“ sagte ich. „Sie kennen mich nicht, aber wir kennen Sie." erwiderte er. „Wir möchten Ihnen nur sagen, dass wir wissen, dass Sie da sind und welche Absichten Sie verfolgen.“ Es ergab sich noch ein kurzer Wortwechsel, dann ging er wieder. Welchen Zweck das haben sollte? Für mich war das nur ein plumper Einschüchterungsversuch.

Doch nicht nur mir geht es so, sondern auch anderen Mitgliedern unserer Initiative - mit Frau Nora Herzog hatten Sie ja schon einmal Kontakt, ihre Tochter ist Zeugin Jehovas. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die WTG Kritiker bei Veranstaltungen allein durch die Anwesenheit ihres Anwaltes einschüchtern möchte, so geschehen auf einem Seminar der Konrad-Adenauer-Stiftung im Juni d.J. in Neustadt/Weinstrasse unter dem Thema "Beratung im Sektenbereich; Anspruch und Wirklichkeit". Erwartet worden war die Möglichkeit, sich über diese Problematik austauschen zu können, doch dann sah man sich plötzlich mit Mitgliedern des Scientology- Geheimdienstes, aktiven Zeugen sowie dem sattsam bekannten Herrn Pikl konfrontiert. Zudem war auch die Teilnehmerliste frei zugänglich. Welche Gefühle dies unter den ehemaligen Sektenopfern auslöste, kann man sich wohl leicht vorstellen.

Den offenen Brief, den einige Seminarteilnehmer an verschiedene Stellen richteten, lege ich Ihnen ebenso bei wie Kopien aus Wachtturmzeitschriften, die meine Angaben belegen. Dies sind nur einige wenige aus einer Vielzahl mir vorliegender Unterlagen.

Von Gruppierungen wie Scientology ist man mittlerweile gewohnt, dass Kritiker mit Prozessen überzogen oder auf andere Weise eingeschüchtert werden. Die Wachtturm-Gesellschaft wusste bisher eher den Ruf der Harmlosigkeit zu verbreiten. Doch so harmlos ist sie eben nicht, wie diese Vorfälle zeigen, die problemlos durch viele andere ergänzt werden könnten. Der einzelne kann sich nicht wehren, sondern benötigt Unterstützung. Deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn Sie diese Praktiken der Wachtturmgesellschaft publik machen könnten, zumal Sie ja selbst schon entsprechende Erfahrungen mit dieser „einzig wahren Religion“ gemacht haben.


Schreiben von Sigrid Raquet an Wachtturm-Rechtsanwalt Armin Pikl

Armin Pikl

Rechtsanwalt

Postfach 1106

per Fax: 02663/917505

Ihr Schreiben vom 21.07.99; 06GW/99 - mein Fax vom 03.08.99

Sehr geehrter Herr Pikl,

ich möchte darauf hinweisen, daß ich es nicht als gentlemanlike empfinde, wenn Sie eine Frist von nur 1 1/2 Wochen setzen, zumal in der Urlaubszeit; tatsächlich waren wir erst einige wenige Tage aus dem Urlaub wieder zurück. Selbstverständlich habe ich die Aussage in meinem Buch nicht ohne entsprechende Unterlagen gemacht, dennoch ist natürlich in einem solchen Fall eine juristische Beratung wichtig.

Vielleicht haben Sie einige wichtige Dinge einfach übersehen. Ein Verbot liegt nicht nur dann vor, wenn das Wort „Verbot" enthalten ist. Andernfalls enthielte das Strafgesetzbuch keine Verbote, denn auch dort wird das Wort Verbot nicht verwendet. Zwar haben Sie Literatur der 20er Jahre zitiert, jedoch wohl nicht gründlich genug recherchiert, denn von Seiten der Gesellschaft sind den 30er Jahren deutliche Aussagen gemacht worden sind. Exemplarisch seien hier nur zwei genannt: The Golden Age, Apr. 24, 1935, und Consolation, May 31, 1939, Diese und eine große Anzahl ähnlicher Artikel stehen sicherlich auch Ihnen zur Verfügung.

Es hätte natürlich noch die Möglichkeit bestanden dies z.B. unter Hinweis auf den Autoritätsanspruch der Gesellschaft - entsprechende Zitate erspare ich mir hier; Sie können jedoch sicher sein, daß sie mir vorliegen. - näher zu erläutern. Ich hätte auch zusätzlich Aussagen von Edmund Gruss und anderen zitieren können, die von gefälschten Impfbescheinigungen und „Impfnarben“, die durch Säure entstanden, berichten. Hilfreich wäre in diesem Zusammenhang sicherlich auch die Aussage von William Cetnar gewesen, der im Auftrag der Wachtturmgesellschaft Anfragen zu der Impffrage zu beantworten hatte. Ich nehme doch an, daß diese Ihnen bekannt sind.

Durch Ihre Literatur, meine jahrelangen weltweiten Kontakte mit ehemaligen Zeugen, von denen etliche mir freundschaftlich verbunden sind, sowie die Arbeit in einer Selbsthilfegruppe und nicht zuletzt meine Erfahrungen mit aktiven Zeugen habe ich genügend Einsichten in die Materie gewinnen können und erfahre auch jetzt große Unterstützung

So machen Sie vielleicht unfreiwillig noch Werbung für mein Buch. In Erwartung Ihrer Rückäußerung verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen


Jehovas Zeugen ./. Sigrid Raquet

Keine Angst vor Zeugen Jehovas - Argumente für das nächste Gespräch

Sehr geehrte Frau Raquet,

hiermit zeige ich an, daß mich sowohl die Wachtturm Bibel- und Traktat Gesellschaft, Deutscher Zweig, e.V., Am Steinfels, 65618 Selters/Taunus, als auch die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland, Grünauer Str. 104, 12557 Berlin, mit der anwaltlichen Vertretung beauftragt haben. Entsprechende Vollmachten liegen an.

In oben erwähntem Buch, dessen Autorin Sie sind, stellen Sie eine Tatsachenbehauptung auf, die unwahr ist. Es handelt sich dabei um folgende Behauptung auf Seite 37:

„Über zwanzig Jahre lang war z.B. Impfung bei Jehovas Zeugen verboten.“

Diese Behauptung ist unwahr. Es hat nie ein Verbot von Impfungen gegeben. Vielmehr wurde in der Literatur meiner Mandantschaft Ende der 1920er Jahre lediglich darauf hingewiesen, daß verschiedene Ärzte und Medizinprofessoren sich kritisch gegenüber staatlich verordneten Schutzimpfungen geäußert hatten.

Eine offizielle Lehrmeinung erschien in der Zeitschrift Der Wachtturm vom 15. Februar 1953 unter „Fragen von Lesern“. Diese Zeitschrift wird von meiner Mandantschaft herausgegeben, um alle Zeugen Jehovas in religiöser Hinsicht anzuleiten. Auf die Frage „Verletzt eine Impfung das Gesetz Gottes, das verbietet, Blut in unser Körpersystem aufzunehmen?“ wurde auszugsweise gesagt:

„In der Impfangelegenheit muß der einzelne selbst Entscheidungen treffen, wenn er diesem Problem gegenübersteht.“

Deshalb entbehrt die Behauptung in Ihrem Buch jeglicher Grundlage.

Durch die Veröffentlichung dieser unwahren Tatsachenbehauptung haben Sie das Persönlichkeitsrecht meiner Mandantschaft verletzt. Diese Verletzung kann nur dadurch beseitigt werden, daß Sie die beigefügte strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung unterzeichnen.

Namens und mit Vollmacht meiner Mandantschaft habe ich Sie aufzufordern, durch Unterzeichnung der beigefügten Verpflichtungserklärung rechtsverbindlich zu erklären, daß Sie es unterlassen, die beanstandete Äußerung in Zukunft nochmals zu äußern. Für Ihre Rückäußerung habe ich mir den

04.08.1999

vorgemerkt. Sollte eine entsprechende Erklärung bis zu diesem Zeitpunkt nicht bei mir eingegangen sein, werde ich die Ansprüche meiner Mandantschaft ohne weitere Ankündigung gerichtlich geltend machen.

Außerdem haben Sie als Schadensverursacher die meiner Mandantschaft durch meine Veranlassung entstandenen Kosten zu tragen. Diese beziffere ich wie folgt:

Wert: 10.001,-- DM
7,5/10 Gebühr gemäß §§ 11, 118 I 1 BRAGO 446,30 DM
3/10 Erhöhungsgebühr gemäß § 6 BRAGO 178,50 DM
Auslagenpauschale gemäß § 26 BRAGO 40,00 DM
16% Mwst. 106,37 DM
Gesamtbetrag 771,17 DM

Im übrigen möchte ich Sie darauf hinweisen, daß in Ihrem Buch eine Vielzahl weiterer Falschdarstellungen und Verleumdungen enthalten sind. Da diese lediglich als Meinungsäußerungen einzuordnen sind, wird darauf verzichtet, diese Punkte anwaltlich zu rügen. Ihr Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung wird dadurch gewahrt. Wo Falschdarstellungen und unwahre Ausführungen als Tatsachenbehauptungen formuliert sind, muß meine Mandantschaft allerdings darauf bestehen, daß diese in Zukunft nicht weiter geäußert werden.

Mit freundlichen Grüßen


Verpflichtungserklärung

1. Frau Sigrid Raquet verpflichtet sich hiermit gegenüber der Wachtturm Bibel- und Traktat Gesellschaft, Deutscher Zweig, e.V., Am Steinfels, 65618 Selters/Taunus und gegenüber der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland, Grünauer Str. 104, 12557 Berlin, es bei Vermeidung einer Konventionalstrafe in Höhe von je DM 10.100,- für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter Ausschluß des Fortsetzungszusammenhangs zu unterlassen, folgende Behauptung aufzustellen und/ oder zu verbreiten bzw. verbreiten zu lassen, wie dies in ihrem Buch Keine Angst vor Zeugen Jehovas - Argumente für das nächste Gespräch geschehen ist:

„über zwanzig Jahre war z.B. Impfung bei den Zeugen Jehovas verboten“

2. Frau Sigrid Raquet verpflichtet sich ferner, die der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland und der Wachtturm Bibel- und Traktat Gesellschaft, Deutscher Zweig, e.V. durch die Inanspruchnahme des Herrn Rechtsanwalt Armin Pikl entstandenen Kosten aus einem Gegenstandswert von DM 10.001,- zu erstatten.

Haßloch, den

Selters, den 19.07.1999

(Unterschrift)