Wie weit geht hierzulande die Religionsfreiheit? Darf man jemandem ein Glaubensgespräch aufzwingen, obwohl dieser überhaupt nicht daran interessiert ist?

Diese Fragen standen im Hintergrund eines Amtsgerichtsprozesses, in dessen Verlauf eine Zeugin Jehovas wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 400 DM verurteilt wurde.


Zeugin Jehovas drohte Ex-Mitglied mit Dämonen

Gericht erkannte auf Nötigung: 400 Mark Geldstrafe für die Vernichtungsprophezeihungen

Wenn jemand im 20. Jahrhundert mit der Vernichtung durch Dämonen droht, hat das allenfalls Unterhaltungswert. Nicht so für Gudrun L. (37), eine Ex-Zeugin Jehovas.

"Sie wirkte, als wenn sie eine Morddrohung bekommen hätte", bestätigten ihre Freunde Regina F.(29) und Günter L.(56) im gestrigen Prozeß gegen das Sektenmitglied Brigitte B.(50).

Die Angeklagte hatte am 27. März 1996 zusmmen mit ihrer Glaubensschwester bei Gudrun L. geschellt, wollte sie zum Abendmahl einladen. "Kein Interesse", entgegenete ihnen die 37jährige, die gerade aus der Tür kam, um für ihren Besuch Mineralwasser zu holen. Als sie dennoch mit "Gottes Wort" und religiösen Fragen konfrontiert wurde, hielt Gudrun L. den beiden vor, daß sie die Bibel verdrehen und den Menschen Angst machen würden. Eine Erfahrung, die die in der Aufklärungsarbeit über Sekten engagierte Dortmunderin am eigenen Leibe erfahren hatte. Sie war als Kind in der Organisation aufgewachsen.

Just an jenem Tag hatte die Presse zudem einen ihrer Informationsabende über die Seelenfänger angekündigt, wie sie die beiden Sektenmitglieder wissen ließ. "Was dann folgte, war einfach nur noch kurios", sagt Günter L., der die wüsten Vernichtungsprophezeihungen sogar im Wohnzimmer mitverfolgen konnte. Da sei von Feuer, Schwefel und finsteren Mächten die Rede gewesen, die sie nicht überleben würde. Gudrun L.: "Als alle Bitten zu gehen nichts nutzten hab' ich mehrfach Hausverbot erteilt." Selbst mit der Polizei habe sie den beiden gedroht. Doch die hätten sich weiterhin auf ihre Religionsfreiheit berufen.

Voller Sanftmut mustert Brigitte B. derweil die 37jährige, erwidert ihr schließlich, sie seien doch nach spätestens fünf Minuten wieder weg gewesen. "Wir gehen von Haus zu Haus, zu allen Menschen", wiegelt auch ihre damalige Begleiterin ab. Und "Wir sollen auch friedlich sein mit unseren Feinden." Man habe sich daher alsbald mit "Jehova wird es schon richten" verabschiedet.

Strafrichterin Sybille Ophoven hat Verständnis dafür, daß ein solches Erlebnis ein ehemaliges Sektenmitglied in Panik versetzen kann. Sie verurteilte die der Nötigung angeklagte Hausfrau zu 400 Mark Geldstrafe. Der Verteidiger hatte indes auf Freispruch plädiert.

Quelle: WAZ vom 12.12.1996