Fordern Älteste eine Gegenüberstellung von Opfer und beschuldigtem Schänder im selben Raum?

"John Robert (J.R.) Brown, Leiter des Büros für Öffentlichkeitsarbeit der Zentrale in Brooklyn , weist zurück, was Bowen sagt. Brown erklärt, sie ließen den Beschuldigten nicht in Gegenwart von Eltern und drei Ältesten gegenüberstellen."

SPIEGEL ONLINE - 12. Juni 2002

"Wenn ein Zeuge Jehovas des Kindesmissbrauchs beschuldigt wird, wird von den Ältesten der Ortsversammlung erwartet, dass sie eine Untersuchung vornehmen. Zwei Älteste treffen sich getrennt mit dem Beschuldigten und den Beschuldigenden, um zu sehen, was jeder zu der Sache sagt. Wenn der Angeklagte die Beschuldigung bestreitet, mögen die Ältesten dafür sorgen, dass er und das Opfer die eigene Position in der Gegenwart des jeweils anderen wiederholen, wobei auch die Ältesten anwesend sind. Wenn der Beschuldigte die Anschuldigung bei dem Treffen immer noch bestreitet und niemand anderer die Beschuldigung erhärten kann, können die Ältesten zu dieser Zeit nichts in der Versammlung unternehmen." (Offizielle Erklärung der Watchtower Society auf www.JW-Media.org, Mai 2002)

"Jemand könnte auch das Gefühl haben, ein Verwandter oder ein Angehöriger habe etwas [mit sexuellem Missbrauch] zu tun gehabt. Man sollte allerdings die teilweise zweifelhafte Natur von „verdrängten Erinnerungen" berücksichtigen, wenn es darum geht, jemanden zu identifizieren, den man als Täter verdächtigt. Solange die Angelegenheit nicht einwandfrei bewiesen ist, sollte man in dieser Situation den Kontakt mit der Familie aufrechterhalten — zumindest durch gelegentliche Besuche oder auf brieflichem oder telefonischem Wege —, wodurch man sein Bemühen zeigt, gemäß der Bibel zu leben. (Vergleiche Epheser 6:1-3.) Was wäre, wenn sich der Betroffene zu einer Anzeige entschließt?

[In der Fußnote heißt es: Der in diesem Absatz umrissene Schritt ist möglicherweise unumgänglich, wenn die Angelegenheit in der Versammlung allgemein bekanntgeworden ist.]

Die beiden Ältesten sollten ihm dann raten, den Beschuldigten im Einklang mit dem Grundsatz aus Matthäus 18:15 selbst anzusprechen. Falls sich der Ankläger emotionell außerstande fühlt, mit dem Betreffenden ein persönliches Gespräch zu führen, kann dies telefonisch oder gegebenenfalls brieflich geschehen. Auf diese Weise kann sich der Angeklagte vor Jehova zu der Beschuldigung äußern. Vielleicht kann er sogar Beweise vorlegen, daß er den Mißbrauch nicht begangen haben kann. Es könnte auch sein, daß der Beschuldigte gesteht und es zu einer Aussöhnung kommt. Welch ein Segen das doch wäre! Wird ein Geständnis abgelegt, können die beiden Ältesten die Angelegenheiten im Einklang mit den biblischen Grundsätzen weiterverfolgen. Wird die Beschuldigung zurückgewiesen, sollten die Ältesten dem Ankläger erklären, daß rechtlich nichts weiter unternommen werden kann. Und die Versammlung wird den Beschuldigten weiterhin als unschuldig betrachten.

Gemäß der Bibel müssen zwei oder drei Zeugen vorhanden sein, damit rechtliche Schritte unternommen werden können (2. Korinther 13:1; 1. Timotheus 5:19). Selbst wenn sich mehr als eine Person an einen Mißbrauch durch dieselbe Person „erinnert", ist die Natur dieser Erinnerungen doch zu ungewiß, um ohne weitere belastende Beweise rechtliche Entscheidungen darauf zu stützen. Das bedeutet nicht, daß solche „Erinnerungen" als falsch (oder als wahr) betrachtet werden. Aber bei einem Rechtsfall muß man sich an die biblischen Grundsätze halten. ...

Was ist, wenn der Beschuldigte — obwohl er die Missetat bestreitet — tatsächlich schuldig ist? Kommt er sozusagen ungestraft davon? Ganz gewiß nicht! Die Frage der Schuld oder Unschuld ist bei Jehova in besten Händen. „Die Sünden einiger Menschen sind öffentlich kund und führen direkt zum Gericht, bei anderen Menschen aber werden die Sünden später ebenfalls kund" (1. Timotheus 5:24; Römer 12:19; 14:12). Im Bibelbuch Sprüche heißt es: „Die Erwartung der Gerechten ist Freude, aber selbst die Hoffnung der Bösen wird zugrunde gehen." „Wenn ein böser Mensch stirbt, geht seine Hoffnung zugrunde" (Sprüche 10:28; 11:7). Jehova Gott und Jesus Christus werden schließlich ein für allemal ein gerechtes Urteil fällen (1. Korinther 4:5)." (Zitate aus dem Wachtturm, 1. November 1995, Seiten 28-29)

"Es ist völlig normal, zornig zu sein, wenn man mißbraucht wurde. Trotzdem können die Familienbande stark sein, und du möchtest den Kontakt zu deinen Eltern nicht gänzlich abbrechen. Möglicherweise ziehst du sogar eine Versöhnung in Betracht. Doch viel hängt von den Umständen ab. Manchmal sind Opfer geneigt, ihren Eltern vorbehaltlos zu verzeihen — nicht die Mißhandlung an sich, aber sie wehren sich dagegen, von Groll verzehrt oder von Angst beherrscht zu werden. Um eine emotionale Konfrontation zu vermeiden, sind einige damit zufrieden, sich ‘in ihrem Herzen auszusprechen’, und lassen es dabei bewenden (Psalm 4:4). Du magst jedoch zu dem Schluß kommen, die Dinge könnten nur geklärt werden, indem du deine Eltern mit dem Mißbrauch konfrontierst — persönlich, telefonisch oder brieflich. (Vergleiche Matthäus 18:15.) Wenn dem so ist, solltest du dich bereits ausreichend erholt haben — oder zumindest genügend Unterstützung haben —, um einem eventuellen Gefühlsausbruch standhalten zu können. Da durch eine lautstarke Auseinandersetzung nur wenig erreicht wird, versuche, bestimmt, doch ruhig zu sein (Sprüche 29:11). Du könntest sagen, 1. was geschehen ist, 2. wie es sich auf dich ausgewirkt hat und 3. was du jetzt von ihnen erwartest (zum Beispiel eine Entschuldigung, die Begleichung von Arztrechnungen oder Verhaltensänderungen). Auf jeden Fall können dadurch, daß du die Sache zur Sprache bringst, irgendwelche zurückgebliebenen Gefühle der Machtlosigkeit zerstreut werden. Und es könnte der Weg für ein besseres Verhältnis zu deinen Eltern geebnet werden.

Zum Beispiel mag dein Vater den Mißbrauch zugeben und tiefe Reue zum Ausdruck bringen. Er mag auch echte Anstrengungen unternommen haben, sich zu ändern, vielleicht durch eine Behandlung für Alkoholabhängige oder durch ein Studium der Bibel. Deine Mutter bittet dich womöglich um Vergebung, weil sie dich nicht beschützt hat. Manchmal kann es zu einer völligen Aussöhnung kommen. Wundere dich jedoch nicht, wenn du dich bezüglich deiner Eltern immer noch im Zwiespalt befindest und es vorziehst, nicht vorschnell ein enges Verhältnis zu ihnen zu haben. Zumindest kannst du eventuell den normalen Familienkontakt wiederaufnehmen. Andererseits könnte das Gespräch bei dem Sexualtäter und bei anderen Familienangehörigen Ablehnung und verbale Übergriffe auslösen. Noch schlimmer wäre es, wenn du herausfändest, daß er für dich immer noch eine Bedrohung darstellt. Vergebung mag dann unangebracht sein und ein enges Verhältnis unmöglich. (Vergleiche Psalm 139:21.) Wie dem auch sei, es kann lange dauern, bis deine verletzten Gefühle nachlassen. Du magst dich wiederholt daran erinnern müssen, daß Gott letzten Endes Recht spricht." (Zitate aus Erwachet!, 8. Oktober 1991, Seiten 10-11)

"Im Jahre 1988 handelte ein entsetztes Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch – von ihrer Geburt an als Zeugin Jehovas aufgewachsen – so, wie die Ältesten ihr angeblich Anweisung erteilten, und stellte sich ihrem Schänder: ihrem Vater. Mit dieser Anweisung erschütterten diese Ältesten Leben, Glauben und Familie von Vicki Boer, früher einer frommen Zeugin, und sollten dafür zur Rechenschaft gezogen werden, argumentierte Boers Anwalt am Montag. „Sie war fast wie eine Schildkröte ohne Panzer“, erzählte Charles Mark Richterin Anne Molloy von einem Gericht in Ontario während der einen Tag dauernden Schlussplädoyers in dem Zivilprozess, der schon über zwei Wochen dauert. "Ihr Leben war um die Kirche herum aufgebaut, und weil dies so gehandhabt wurde, ist ihr Leben ein einziges Durcheinander."

Die Kirchenältesten Brian Cairns, Steve Brown und John Didur, sowie die Watchtower and Bible Tract Society of Canada, hätten Boer niemals zwingen dürfen, sich wegen des Missbrauchs ihrem Vater gegenüberzustellen, sagte Mark. Statt dessen hätten sie den Missbrauch der Kinderhilfsgesellschaft melden und Boer ermutigen sollen, so schnell wie möglich eine Beratungsstelle aufzusuchen. "Wenn das geschehen wäre, hätte keine von diesen Konfrontationen stattgefunden." Es war in Übereinstimmung mit den Grundsätzen ihres Glaubens, dass die Ältesten in Shelburne, Ontario, beschlossen, Boer zu zwingen, sich ihrem Vater Gower Palmer zu stellen, obwohl klar war, dass die Vorstellung eines solchen Treffens für sie widerwärtig war, sagte Mark. „Die Schilderungen … sind die einer Person am Rande des Selbstmordes. Das ist das Ausmaß, in dem ihr das Angst macht." ...

Anstatt sofort die Kinderhilfsgesellschaft zu benachrichtigen und Boer zu erlauben, eine Beratung außerhalb der Kirche aufzusuchen, musste sie gemäß biblischen Grundsätzen 1988 ihrem Vater gegenübertreten und ihn seine angebliche Sünde bereuen lassen, wird in der Klage geltend gemacht. ... Jeder, der sich gegen die strengsten Grundsätze der Religion auflehnt, findet sich ausgeschlossen, oft in einem solchen Maße, dass er von der eigenen Familie geächtet wird." (Canadian Press, 23. September 2002)

"Damals 19, ging sie [Vicki Boer] zu den örtlichen Ältesten Cairns und Brown, und die wiederum baten Didur um Rat, einen Ältesten der amerikanischen Wachtturm-Dependance, sagte sie. Die Männer ließen sie ihre Geschichte immer aufs Neue wiederholen, sagte sie, dann bestanden sie darauf, dass sie nicht zu den Behörden ginge, sondern dass sie stattdessen in Gegenwart von Cairns und Brown ihrem Vater gegenüberträte und ihm die Möglichkeit zu bereuen gäbe. "Ich habe ihnen gesagt, dass ich das nicht kann", weinte sie gestern. "Sie sagten, ich müsste." Bei zwei Gegenüberstellungen bei ihm zu Hause beschuldigte Boers Vater sie, zu übertreiben, sagte sie. Er gab unsittliches Verhalten zu, entschuldigte sich bei ihr und war einverstanden, Extratätigkeiten für die Wachtturm-Gesellschaft zu erledigen, sagte sie. Dann erklärten die Ältesten die Sache für beendet. "Sie sagten, ihrer Meinung nach habe ihr Vater Reue gezeigt, er sei ein veränderter Mensch", sagte sie. Sie sagten, wenn sie zur Jugendbehörde ginge, käme es zu einer Untersuchung gegen ihre Familie, der Vater würde seine Arbeit verlieren und ihre Mutter stünde mittellos da, sagte sie." (Globe and Mail Canadian, 10. September 2002)

"Aber anstatt die Jugendhilfegesellschaft zu informieren und Boer zu gestatten, eine Beratung außerhalb der Kirche aufzusuchen, wurde sie gezwungen, ihrem Vater gegenüberzutreten und ihm eine Chance zu geben, seine angeblichen „Sünden“ zu bereuen, wurde dem Gericht gesagt. Sie [die Kirchenältesten] weigerten sich angeblich auch, sie einen Psychologen aufsuchen zu lassen, und warnten sie, das würde zu einer Untersuchung führen und könne ihren Vater seinen Job und ihre Mutter die einzige Quelle finanzieller Unterstützung kosten." (Canadian Press, 10. September 2002)

"Drei Jahre nach dem Ende des Missbrauchens erzählte Boer ihrer Mutter die Geschichte, und die Kirchenältesten in ihrer Versammlung in Shelburne, Ontario, etwa 100 km nordwestlich von Toronto, wurden benachrichtigt. Aber anstatt die Jugendhilfegesellschaft zu informieren und Boer zu gestatten, eine Beratung außerhalb der Kirche aufzusuchen, wurde sie gezwungen, ihrem Vater gegenüberzutreten und ihm eine Chance zu geben, seine angeblichen „Sünden“ zu bereuen, wurde dem Gericht gesagt. Bei diesem Zusammentreffen, so sagte sie aus, bestand ihre Mutter darauf, der Missbrauch sei Vergangenheit und man habe ihn bereits behandelt. Die Ältesten stimmten zu und sagten, der Vater "zeige wirklich Anzeichen geistiger Reue", sagte sie. Sie weigerten sich angeblich auch, sie einen Psychologen aufsuchen zu lassen, und warnten sie, das würde zu einer Untersuchung führen und könne ihren Vater seinen Job und ihre Mutter die einzige Quelle finanzieller Unterstützung kosten. "Sie sagten, das hätte Konsequenzen", sagte sie aus. "Mein Vater würde seinen Job verlieren, man würde Untersuchungen über die Familie anstellen, und meine Mutter wäre mittellos."" (Canadian Press, 9. September 2002)

"Aber anstatt sofort die Jugendhilfegesellschaft zu informieren und Boer zu gestatten, eine Beratung außerhalb der Kirche aufzusuchen, wurde sie gezwungen, gemäß biblischen Grundsätzen ihrem Vater gegenüberzutreten und ihm zu erlauben, seine angeblichen „Sünden“ zu bereuen, hieß es in der Klageschrift." (Canadian Press, 12. September 2002)

"John Saunders, damals Forscher in der kanadischen Wachtturm-Zentrale in Georgetown, Ont., erzählte dem Gericht, er habe in einer Denkschrift empfohlen, dass in Fällen sexuellen Missbrauchs das Opfer und der Täter nicht gegenübergestellt werden sollten. „Ich schrieb eine Anmerkung hinein, dass Älteste Missbrauchsopfer nicht zwingen sollten, sich ihren Schändern zu stellen, da diese Art Konfrontation möglicherweise seelischen Schaden verursachen kann“, sagte Saunders aus. Die Empfehlung war nicht in einer Anweisung von Juli 1988 aus dem Büro in Georgetown enthalten, wo es hieß, die Ältesten sollten das Gesetz der jeweiligen Provinz befolgen in Fällen von sexuellem Missbrauch sofort die Behörden benachrichtigen." (Canadian Press, 12. September 2002)

"Aber anstatt sofort die Jugendhilfegesellschaft zu informieren und Boer zu gestatten, eine Beratung außerhalb der Kirche aufzusuchen, wurde sie 1988 gezwungen, gemäß biblischen Grundsätzen ihrem Vater gegenüberzutreten und ihm zu erlauben, seine angeblichen „Sünden“ zu bereuen, hieß es in der Klageschrift. Doch keiner der Beklagten - weder die Ältesten Steve Brown, Brian Cairns und John Didur, noch die Watchtower and Bible Tract Society of Canada - hätten sie zu etwas gezwungen,. was sie nicht wollte, sagte Stevenson. "Ich stelle mir vor, in einer katholischen Kirche in den Beichtstuhl zu gehen, kann sehr traumatisch sein, wenn man an die Beichte denkt, die jemand ablegen muss", erzählte Stevenson der Bezirksrichterin Anne Molloy. "Aber letztendlich ist das eine Frage des Glaubens und der religiösen Grundsätze, und wenn jemand in Übereinstimmung mit diesem Glauben oder den Grundsätzen handelt, dann bitte."

Zwei Wochen lang hat Molloy einen Crashkurs im Verhalten der Zeugen erhalten, während Boer mit der Kirche abrechnet, die über 20 Jahre lang ihr Leben geformt hat. Als sie das am Montag mit Boers Anwalt Charles Mark während seines Schlussplädoyers tat, stritt Molloy mit Stevenson während seiner Schlussausführungen, indem sie mögliche Szenarien darstellte und die Einzelheiten des bürgerlichen Rechts debattierte, wie es sich auf die Handlung einer Religionsgemeinschaft ausweirkt. Wenn es sich um eine extreme religiöse Handlung handelt, zum Beispiel bei einem Rabbi, der jemanden zur Scheidung drängt, fragte sie an einem Punkt laut, stellt der Rat dann Fahrlässigkeit seitens des Rabbis dar? "Das wäre ein unvernünftiges Eindringen in die Amtshandlungen einer Kirche", erwiderte Stevenson. "Die Gerichte in den Vereinigten Staaten haben gesagt, man könne die Geistlichkeit nicht wegen Fehlverhaltens verklagen." Weil sie einzig als geistliche Berater fungierten, fuhr er fort, haben Funktionäre einer Religionsgemeinschaft wie Priester, Rabbis oder Kirchenälteste nicht die Pflicht, auf ihre Versammlungsmitglieder aufzupassen." (Canadian Press, 24. September 2002)