Carl und Barbara Pandelo taten als treue Zeugen Jehovas, was sie für richtig hielten, als ihre 12-jährige Tochter zu ihnen kam und ihnen berichtete, ihr Großvater habe sie sexuell belästigt: Sie gingen zu den Kirchenältesten.

Dreizehn Jahre später sind sie keine Zeugen mehr, ihr Fall bleibt gerichtsanhängig, und Carl Pandelo glaubt jetzt, „dass die Organisation so korrupt wie jede andere ist.“

Kritik daran, wie Zeugen Jehovas sexuellem Kindesmissbrauch behandeln

Die Fälle werden der Polizei nicht gemeldet, und viele Älteste erlauben Tätern möglicherweise, zu bleiben, sagen Kritiker.

Carl und Barbara Pandelo taten als treue Zeugen Jehovas, was sie für richtig hielten, als ihre 12-jährige Tochter zu ihnen kam und ihnen berichtete, ihr Großvater habe sie sexuell belästigt: Sie gingen zu den Kirchenältesten. Dreizehn Jahre später sind sie keine Zeugen mehr, ihr Fall bleibt gerichtsanhängig, und Carl Pandelo glaubt jetzt, „dass die Organisation so korrupt wie jede andere ist.“

Mario Moreno, beigeordneter Rechtsberater in der New Yorker Zentrale der Kirche, sagte, wenn die Politik der Kirche gegenüber Kinderschändern zum Tragen komme: „Ich kann mit unserer Politik als Elternteil, Anwalt und Ältester gut umgehen.“ William Bowen, 43, aus Marshall County, wuchs aus Zeuge auf und diente in seiner Versammlung in Draffenville fast zwei Jahrzehnte lang als Ältester, dazu kam sein Dienst für die Kirche, auch als Wachtturm-Gesellschaft bekannt, in der gesamten Umgegend und im County. Vergangenen Monat gab Bowen sein Führungsamt in der Kirche wegen einer Politik ab, von der er behauptet, sie habe „Tausenden Schaden zugefügt, sie lasse viele ohne Schutz und gebe direkten Kriminellen Zuflucht.“

Seit Bowens Rücktritt hat die Sun mit mehreren Noch- und ehemaligen Zeugen Kontakt aufgenommen, die Sorge über die Politik der Kirche gegenüber Kinderschändern empfinden, oder die sagen, sie selbst seien Opfer.

Moreno sagte, er glaube zwar an die Vorgehensweise der Kirche, er kenne aber einige Mitglieder, denen Schaden zugefügt wurde, und: „ Ich empfinde mit ihnen.“ Aber er sagte, einige Älteste befolgten die Politik nicht so, wie sie sollten, und da begännen die Probleme.

Carl Pandelo aus Hackensack, New Jersey, war natürlich schockiert, als seine Tochter im Jahre 1988 zu ihm und seiner Frau kam und ihnen erzählte, sein Vater habe sie sexuell belästigt. Was er später noch herausfinden sollte, schockierte ihn sogar noch mehr.

Damals berichtete Pandelos Tochter ihren Eltern, ihr Großvater, Clement, habe sie einmal sexuell belästigt. Sie brachten die Angelegenheit vor die Ältesten, die wiederum Clement befragten, und der legte ein Geständnis ab. Die Ältesten rieten ihm, sich der Polizei zu stellen, was er auch tat. Kurz danach wurde ihm die Gemeinschaft entzogen. Die Ältesten rieten auch Carl und seiner Frau, nicht auf einer Strafverfolgung zu bestehen, sondern den Fall mit einem Vergleich abzuschließen. Denn wenn es zu einem Prozess käme, würde das den seelischen Zustand des Mädchens noch verschlimmern. Sie stimmten zu, und 1989 wurde Clement Pandelo verurteilt, sich einer Therapie zu unterziehen. Außerdem erhielt er fünf Jahre Bewährung, so die Unterlagen des Gerichts.

„Wir dachten, wir müssten ihn nie wiedersehen“, erinnert sich Barbara Pandelo. „Aber schon am folgenden Tag sahen wir ihn im Königreichssaal.“ „Er kam weiterhin und setzte sich direkt hinter uns, so als ob nichts geschehen wäre“, fügte Carl Pandelo hinzu. Clement Pandelo wurde 18 Monate später wieder als Mitglied aufgenommen. Dafür musste er Reue bekunden und sein Vergehen eingestehen; die Ältesten mussten ihn auch beurteilen, ob er wieder in die Versammlung aufgenommen werden könne.

Zu der Zeit hatten die Pandelos ihre Tochter in einer Therapie. „Die Mauer des Leugnens und Schweigens begann auf uns niederzukommen“ sagte Carl Pandelo. „Als sie über das Ausmaß des Missbrauchs zu reden begann, wurde klar, dass er sie jedes Mal belästigt hatte, wenn sie in der Obhut ihres Großvaters war, seit sie nur ein paar Jahre alt war.“ Barbara Pandelo sagte, eines der ersten Dinge, die der Therapeut fragte, war, was Clement gegenüber dem Staatsanwalt zugegeben habe. Den Pandelos war gar nicht bewusst gewesen, dass ihnen diese Information vorenthalten worden war, aber sie erlangten sie schon bald.

Als Clement Pandelo sich der Polizei stellte, erzählte er gemäß dem Untersuchungsbericht einem untersuchenden Staatsanwalt, er habe sowohl Carls und Barbaras Tochter als auch ihre Nichte sexuell belästigt. Er gab auch zu, dass er seit vier Jahrzehnten an jungen Mädchen herumgefummelt habe. Untersuchungsberichte bemerken, er sei 1986 vernommen worden, weil er an einer Nachbarin, einem Mädchen im Teenageralter herumgefummelt habe, doch die Mutter hatte es abgelehnt, auf einen Prozess zu drängen.

Die Pandelos forderten von den Ältesten Informationen über deren Untersuchung an, aber das wurde abgelehnt. „,Das ist alles vertraulich’“, sagte Barbara Pandelo. Andere begannen sich zu melden, und Clement Pandelo wurde 1994 ein zweites Mal die Gemeinschaft entzogen.

Die Pandelos strengten einen Prozess gegen Clement an, sie wollten Schadenersatz für die Therapie haben, die sie, Carl und Barbara bezahlten. Clement erhob eine später abgewiesene Gegenklage, weil es ihre Schuld gewesen sei, dass sie ihre Tochter zu ihm ins Haus hatten kommen lassen. Während der Prozess noch lief, wurde Clement im Jahre 1996 wieder in die Kirche aufgenommen. „Er kann von Haus zu Haus gehen und Dienst tun, wie er will“, sagte Carl Pandelo mit Bezug auf die Praktiken der Glaubensgemeinschaft in deren öffentlichem Dienst.

In einer beeideten Aussage im Zivilprozess sagte Anthony Valenti, ein Ältester in der Versammlung der Pandelos, er habe ihnen davon abgeraten, Klage gegen Carls Vater zu erheben, weil die Bibel dazu ermuntere, nicht gegen einen anderen Bruder vor Gericht zu gehen, so das Protokoll der eidesstattlichen Erklärung. Im Verlauf des Zivilprozesses behaupteten mehrere Zeugen Jehovas, Clement Pandelo habe sie ebenfalls sexuell belästigt, und sie befreiten die Ältesten vom Kirchenprivileg, so dass diese aussagen konnten, was man ihnen erzählt hatte, sagte Carl Pandelo. Doch die Ältesten beriefen sich auf das Kirchenprivileg und weigerten sich, eine Aussage zu machen.

Im Dezember 1999 wurde im Zivilprozess gegen Clement Pandelo das Urteil gefällt, und seinem Sohn und seiner Schwiegertochter wurden fast 1,8 Millionen Dollar plus 500.000 Dollar verschärfter Schadensersatz zugesprochen. Clements Frau, Olga Pandelo, wurde freigesprochen, und mit ihr die Versicherungsgesellschaft, die in der Lage gewesen wäre, nach dem Urteil zu zahlen.

Carl und Barbara Pandelo argumentieren, die Zeugenältesten könnten sich nicht auf das Kirchenprivileg berufen, da sie ehrenamtliche und damit unbezahlte Geistliche seien. Sie versuchen auch zu erreichen, dass der Prozess gegen Olga Pandelo wiederaufgenommen wird. Eine Anhörung ist für den 26. Februar im Berufungsgericht des Bundesstaates New Jersey vorgesehen. „Sie gewähren Kriminellen Zuflucht und gefährden damit Familien in der Nachbarschaft“, sagte Barbara Pandelo über die Kirche.

Moreno sagte, wenn ein Zeuge mit einer Anklage, sexuell missbraucht worden zu sein, zu den Ältesten gehe, sollte der erste Schritt der Ältesten der sein, die Rechtsabteilung der Kirche anzurufen. Er sagte, man würde dann drei Faktoren berücksichtigen: den Schutz des Kindes, die Befolgung des Gesetzes und die den Dienern gebotene Vertraulichkeit, wobei die letztere das geringste Gewicht hätte. Die Rechtsabteilung werde sodann die Ältesten beraten, was das Gesetz erfordere. Zweiundzwanzig Bundesstaaten, darunter Illinois und Columbia, forderten nicht, dass Geistliche sexuellen Kindesmissbrauch anzeigten. In diesen Staaten, sagte Moreno, rate die Rechtsabteilung den Ältesten generell, die Angelegenheit nicht den Strafverfolgungsbehörden zu melden.

J. R. Brown, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit für die Kirche, sagte, der Grund dafür sei, dass „wir nicht denken, dass wir als kirchliche Macht den Gesetzen Cäsars zuvoreilen sollten“, wobei er eine biblische Bezeichnung für weltliche Macht gebrauchte. „Selbst wenn weltliche Mächte es nicht fordern, haben wir uns im allgemeinen bemüht, eifriger für die Durchsetzung des Gesetzes zu sein und zu sehen, dass diesen Gesetzen gehorcht wird. Wenn Cäsar ein Gesetz hat und dies nicht im Widerspruch zu Gottes Gesetz steht, befolgen wir es.“ Brown sagte, die Kirche setze ein Übergeben einer Sache an die Strafverfolgungsbehörden nicht automatisch mit dem Schutz eines Kindes gleich, weil „die Behörden nicht immer für den Schutz sorgen, den ein Kind braucht. Wir sagen das nicht automatisch, aber leider zeigen zu viele Berichte, dass das zutrifft. Seien Sie dessen versichert, dass sie das unternehmen, was nötig ist, damit das Kind geschützt wird.“

Sowohl Brown als auch Moreno sagten, die Ältesten, die ehrenamtlich tätig und im wesentlichen ungeschulte Geistliche seien, könnten sich in der Anwendung der Richtlinien, von denen sie beide glaubten, dass sie den Schutz des Kindes an die erste Stelle setzen, irren. „Es geht darum, einen Ausgleich zwischen der Vertraulichkeit und dem Schutz des Kindes herzustellen“, sagte Brown. „Das ist nicht immer leicht. Sind Fehler gemacht worden? Sehr wahrscheinlich. Wir versuchen, darauf zu achten, dass jeder geschult darin ist, zu wissen, was getan werden muss, dass unschuldige Kinder nicht in eine Opferrolle gedrängt werden.“

Moreno stimmt mit Browns Behauptung überein, dass in der Kirche keine Untersuchung eingeleitet werde, wenn es nur einen Augenzeugen gebe und der Beschuldigte die Anklage bestreite, aber er sagte, Älteste trügen die Verantwortung dafür, auf den Beschuldigten genauer aufzupassen. Er fügte hinzu, dass einige Älteste dem Beschuldigten den Rat geben, sich nicht in verdachterregende Situationen zu begeben. Er sagte auch, wenn Mitgliedern die Gemeinschaft entzogen werde, teile man das der Versammlung mit, es würden aber keine Gründe angegeben, um die Vertraulichkeit zu wahren. Als Antwort auf die Frage, ob die Eltern eines Opfers Mitgläubigen erzählen dürften, warum jemand ausgeschlossen ist, sagte Moreno: „Das liegt ganz bei ihnen. Wir sagen ihnen das nicht, aber wie gesagt, sie entscheiden. Heißt das, sie werden ermuntert? Nein.“

Er stimmte mit Bowens Vorwurf überein, man sage es einer Versammlung auch nicht, wenn sich ein Pädophiler der Herde angeschlossen habe. Er sagte aber, aufgrund der Kirchenstruktur habe solch ein Mitglied, wenn männlich, weniger Vorrechte in der Versammlung und könne keine führende Rolle übernehmen. Und das würde die Mitglieder darauf aufmerksam machen, „dass es ihm offensichtlich an geistiger Reife fehle.“ Moreno sagte, er glaube, einige Kritiker der Kirche in diesem Thema hätten berechtigte Sorgen, aber die meisten „haben ein Problem mit dem Stolz“ und „wollen, dass sich die Organisation für sie ändere. Wir tun das, von dem wir glauben, dass die Bibel es sagt, und wir ändern uns für niemanden.“ Er sagte auch, er denke, man „hacke auf der Kirche herum“, und fügte hinzu, er wäre bereit, die Politik der Kirche gegen jede andere zu verteidigen.

Die Kritiker der Kirche glauben, dass es die Kirche ist, nicht die Kinder, die diese Politik schützen soll. Mike Terry, ein Therapeut und ehemaliger Ältester in Arkansas, sagte, es gebe viele Parallelen zwischen sexuellem Missbrauch und geistigem Missbrauch. Er sagte, er sehe schon seit Jahren in seiner Tätigkeit, in deren Zentrum die Behandlung von Sexualtätern steht, eine unverhältnismäßig hohe Zahl an Sexualtätern und Missbrauchsopfern, die Zeugen sind.

Bob Smith, ehemaliger Ältester im Nordosten des Landes, sagte, ein Teil des Problems sei, dass die Opfer, gewöhnlich weiblich, vor drei Älteste gehen müssen, und das seien immer Männer. „Es ist eine Widerholung derselben Art von Missbrauch“, sagte er. Smith sagte, sowohl seine Frau und seine Tochter blieben Zeugen, und darum habe er darum gebeten, dass sein Wohnort nicht genannt werde. „Ich versuche, die Tatsache zu verstehen, dass meine Frau den Trost, der aus ihrem Glauben kommt, mag“, sagte er. „Sie respektiert, dass ich ein paar Änderungen vorgenommen habe. Wir reden darüber, und sie hat, wie viele andere Zeugen, im Stillen manche Zweifel. Aber wenn ihr jemand Fragen wie diese stellt, sagt sie immer: ‚Wohin sollen wir sonst gehen’?“

Steve Hassan, der das Resource Center For Freedom of Mind betreibt und mehrere Bücher über Gedankenkontrolle und sektiererische Organisationen geschrieben hat, sagte, er habe mehrere Patienten gesehen, ehemalige Zeugen, die missbraucht worden waren, „die die Stimme erhoben und ausgeschlossen wurden.“ Er sagte, die Zeugen kontrollierten den Informationsfluß zu ihren Mitgliedern, indem sie forderten, dass Mitglieder nichts lesen oder sich ansehen, das mit den Lehren der Kirche nicht übereinstimme. Würde die Kirche den Mitgliedern erlauben, solche Informationen ohne Furcht vor Bestrafung zu betrachten, „würde sie weniger wie eine destruktive Sekte auszusehen beginnen, und mehr wie eine gutwillige Religionsgemeinschaft. Judentum und Christentum gründen sich auf den freien Willen.“ Er sagte, wenn er mit einem ehemaligen Zeugen spreche, beschreibe er die Faktoren, die in einer Sektenorganisation eine Rolle spielen, und ausnahmslos komme die Antwort: „Das ist der Wachtturm.“

Quelle: Pacucah Sun, Kentucky, USA, 28.01.2001, Autor: C. D. Bradley