Der Zweite Senat hob am Dienstag ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf, das der Religionsgemeinschaft den Status einer "Körperschaft des öffentlichen Rechts" verweigert hatte.

Eine Körperschaft genießt zahlreiche Vergünstigungen, darunter auch das Recht zum Kirchensteuereinzug. Die Karlsruher Richter befanden nun, das religiöse Verbot an staatlichen Wahlen teilzunehmen, reiche nicht für eine Ablehnung des Status aus.

Nun geht der Streit vor dem Bundesverwaltungsgericht in eine neue Runde. Die Richter der Vorinstanz müssen prüfen, ob die rigiden Erziehungspraktiken der Zeugen Jehovas das Wohl der Kinder beeinträchtigt "oder austrittswillige Mitglieder zwangsweise oder mit vom Grundgesetz missbilligten Mitteln" in der Gemeinschaft festgehalten werden, heißt es in der Begründung. Denn das Kindeswohl stehe unter staatlichem Schutz.

Zugleich legten die Verfassungsrichter erstmals grundsätzlich fest, dass religiöse Körperschaften nicht mit dem Staat zusammenarbeiten müssen. Durch die Anerkennung solle die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Gemeinschaften gesichert werden, so dass sie frei von staatlicher Bevormundung agieren könnten. "Sie nehmen keine Staatsaufgaben wahr, sind nicht in die Staatsorganisation eingebunden und unterliegen keiner staatlichen Aufsicht."

Das Bundesverwaltungsgericht hatte von "wechselseitiger Zugewandtheit und Kooperation" zwischen Staat und Kirche gesprochen. Den noch aus der Weimarer Verfassung stammenden Status einer Körperschaft haben neben den beiden großen Kirchen rund 30 Religionsgemeinschaften.

Werner Rudtke, Präsidiumssprecher der Zeugen Jehovas, wies die gegen die Gemeinschaft erhobenen Vorwürfe zurück. "Wir unternehmen alles, um den Kindern eine gute Erziehung angedeihen zu lassen." Nach den Worten von Wolf-Dietrich Patermann von der Berliner Senatsverwaltung muss nun in einem neuen Verfahren genau geprüft werden, ob die Zeugen Jehovas die Voraussetzungen für eine Zulassung als Körperschaft erfüllen. Der Zweite Senat verwarf das Hauptargument der Vorinstanz, die Zeugen Jehovas brächten wegen ihrer Wahlabstinenz gegenüber dem Staat nicht die erforderliche Loyalität auf. Die Religionsgemeinschaft sei keine reale Gefahr für die Demokratie, ihre Bestrebungen seien "apolitisch" und richteten sich auf ein Leben jenseits des politischen Gemeinwesens. Die Zeugen Jehovas betrachten den Staat als "Bestandteil der Welt Satans".

Auch dem Einwand, sie seien nicht - wie im Grundgesetz gefordert - "auf Dauer" angelegt, weil sie ja auf den Weltuntergang hinlebten, schoben die Richter beiseite. Der religiös neutrale Staat dürfe solche Vorstellungen nicht beim Wort nehmen. Zudem habe der bereits einige Male datierte Untergang bisher nicht stattgefunden. Die Richter bekräftigten jedoch, dass nur "rechtstreue" Religionsgemeinschaften Anspruch auf den Status hätten. Dazu gehöre die Beachtung der fundamentalen Verfassungsprinzipien - wogegen etwa das Hinwirken auf eine "theokratische Herrschaftsordnung" (eine Art religiös legitimierte Staatsgewalt) verstoßen würde. Dies bedeute allerdings nicht, dass Religionsgemeinschaften intern demokratisch organisiert sein müssten. Ob eine Religionsgemeinschaft "der Körperschaftsstatus zu versagen ist, richtet sich nicht nach ihrem Glauben, sondern nach ihrem Verhalten". (Az.: 2 BvR 1500/97 v. 19. Dezember 2000).

Quelle: Volksblatt Würzburg, 20.12.2000, Autor: DPA