Pressemitteilung der Zeugen Jehovas
Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland hat gestern beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 1997 eingelegt.

Mit diesem Urteil hatte das höchste deutsche Verwaltungsgericht unter Aufhebung zweier vorinstanzlicher Urteile eine Entscheidung der Berliner Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten aus dem Jahre 1993 bestätigt, mit der ein Antrag der Religionsgemeinschaft abgelehnt worden war, den Zeugen Jehovas durch Gewährung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts dieselben Rechte zu gewähren wie zuvor schon über 30 anderen Religionsgemeinschaften. Hiergegen hatte die Religionsgemeinschaft Klage erhoben, der vom Verwaltungsgericht Berlin im Oktober 1993 stattgegeben worden war. Das Oberverwaltungsgericht hatte diese Entscheidung 1995 bestätigt.

In dem jetzt mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht auf die Revision des Landes Berlin hin zwar festgestellt, daß die Religionsgemeinschaft alle im Grundgesetz genannten Voraussetzungen für die Verleihung von Körperschaftsrechten erfülle, und daß sie dem Staat gegenüber positiv eingestellt sei. Wegen der glau-bensmäßig bedingten Nichtteilnahme der Zeugen Jehovas an politischen Wahlen bringe die Religionsgemeinschaft jedoch "dem demokratisch verfaßten Staat nicht die für eine dauerhafte Zusammenarbeit unerläßliche Loyalität entgegen".

Nach Auffassung der Zeugen Jehovas wird mit diesem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in die durch die Verfassung geschützten Grundrechte der Freiheit ihrer Religionsausübung (Artikel 4 GG) und der Gleichbehandlung der Kirchen und Religionsgemeinschaften (Artikel 3 GG) eingegriffen. Dagegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde.

Der Staatskirchenrechtler Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Weber, Frankfurt, der die Religionsgemeinschaft vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt, legt in der Verfassungsbeschwerde dar, daß das Grundgesetz die Verleihung der Körperschaftsrechte an Religionsgemeinschaften an keiner Stelle von einer "Staatsloyalität" der antragstellenden Religionsgemeinschaft abhängig macht. Wenn die Zeugen Jehovas auf eine Teilnahme an staatlichen Wahlen verzichten, liegt darin - entgegen dem Bundesverwaltungsgericht - auch keine "Infragestellung der staatlichen Existenz" oder "Konfrontation im demokratisch-staatsbürgerlichen Bereich", sondern der Gebrauch eines auch grundrechtlich abgesicherten - demokratisch-staatsbürgerlichen Rechts. Die Versagung der Körperschaftsrechte mit dieser Begründung verletzt deshalb nicht nur die Regelungen des institutionellen Staatskirchenrechts, sondern darüber hinaus auch die Grundrechte der Zeugen Jehovas auf Gleichbehandlung mit anderen Religionsgemeinschaften und auf religiöse Vereinigungsfreiheit sowie ihr Recht auf religiöse Selbstbestimmung.

Willi K. Pohl, Sprecher der Zeugen Jehovas, erklärte: "Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet in Artikel 4 die ungestörte Religionsausübung und gemäß Artikel 3 darf niemand wegen seiner religiösen Anschauungen benachteiligt werden, wie dies jetzt geschehen ist. Diese Regelungen von Verfassungsrang hat das Bundesverwaltungsgericht nicht beachtet."

Pohl wies darauf hin, daß die Zeugen Jehovas mit ihrer Auffassung über das angefochtene Urteil nicht alleine ständen. In den Medien sei zutreffend festgestellt worden, das Bundesverwaltungsgericht habe durch sein Urteil in das Verfassungsrecht "mehr hineingelegt, als drinsteht". Gerade die Entstehungsgeschichte der die Rechte von Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften regelnden Vorschriften (Artikel 140 Grundgesetz, der auf die entsprechenden Regelungen der Weimarer Reichsverfassung verweise) und die bis in die jüngste Zeit reichende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts belegten, daß eine Bewertung der Glaubenslehren nicht dazu führen dürfe, den Religionsgemeinschaften die Wahl ihrer Rechtsform einzuschränken, sagte Pohl.

Er fügte hinzu: "Unserer Religionsgemeinschaft geht es darum, die Interessen ihrer Glaubensangehörigen angemessen zu vertreten. Das ist nach allgemeiner Auffassung in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besser möglich als in der Form des bürgerlich-rechtlichen Vereins."

In Deutschland sind Jehovas Zeugen seit 1896 tätig, damals noch als "Bibelforscher" bekannt. Zu ihrer Religionsgemeinschaft gehören in der Bundesrepublik zur Zeit über 192.000 Gläubige in über 2.000 örtlichen Gemeinden. Weltweit hat diese christliche Religion mehr als 5 Millionen Mitglieder, die in fast allen Ländern der Erde die biblische Botschaft vom Kommen des Reiches Gottes verkündigen.