Der Aufruf kommt jedes Jahr. Pünktlich im November, wenn sich die meisten Menschen in Deutschland auf ihr Weihnachtsgeld freuen, erscheint im Wachtturm ein Artikel, in dem deutlich auf die Möglichkeiten hingewiesen wird, wie man der WTG sein Geld vermachen kann.

Eine Alternative besteht darin, augenblicklich nicht benötigtes Geldvermögen der WTG zu überweisen, um es dann jederzeit wieder zurück zu erhalten, wenn es später vielleicht dringend benötigt wird. Eine "Vorkehrung", die schon manchen Zeugen Jehovas dazu "ermuntert" hat, sein Sparbuch zu leeren, um das Geld für die "Königreichsinteressen" zur Verfügung zu stellen.

Der ehemalige Zeuge Jehovas, Stephan E. Wolf, dazu: "Meine Schwägerin in New York hat sich in Ihrer Naivität darauf eingelassen und eine 5-stellige Summe an die WTG verliehen. Einige Jahre später änderte sich ihre persönliche Situation und sie brauchte das Geld dringend, um eine Hypothek abzuzahlen. Der Schriftwechsel läuft jetzt schon über Monate. Die WTG baut offensichtlich auf die Hemmschwelle der Zeugen, ihr Geld zurück zu fordern. Und wenn es der eine oder andere dennoch wagt, erhält er nicht einfach sein Geld zurück, sondern muß erst einen langwierigen Schriftwechsel führen, in dem nach Kräften versucht wird, ihm ein schlechtes Gewissen für sein Ansinnen einzureden."

In den Vereinigten Staaten gibt es mittlerweile schon mehrere gerichtliche Auseinandersetzungen wegen der Spendentaktik der WTG. Ausgelöst weniger durch jüngere Zeugen Jehovas (die trauen sich natürlich nicht, gegen die WTG zu klagen), sondern durch die Erben von Menschen, die ihr gesamtes Vermögen der WTG vermacht haben. Offensichtlich geht man drüben gezielt auf ältere Menschen zu und drängt sie, noch zu Lebzeiten ihren "weltlichen Besitz" der WTG zu schenken. Ein bekanntes Lockmittel ist dabei unter anderem das Versprechen einer Rente bis zum Lebensende.

Doch diese Praxis scheint nicht mehr nur auf die USA beschränkt zu sein. Auch hierzulande mehren sich Beispiele, die auf gezielte Aktionen der WTG hindeuten, einfältigen Menschen das Geld aus der Tasche zu locken. Ein offenbar ganz typisches Beispiel konnte man am 3. Dezember 1997 in der Bremer Ausgabe der Bild-Zeitung nachlesen:

Borge nie dein Geld den Zeugen Jehovas

Die fiesen Abzocker der Sekten. Sie versprechen dir das Seelenheil - und wollen nur dein Geld...

So auch die Zeugen Jehovas. Rentnerin Rosa M. (88) aus Bruchhausen-Vilsen vertraute der Sekte 80.000 Mark an. Damit sollte die Arbeit des Zeugen-Verlags "Wachtturm-Gesellschaft" unterstützt werden. In der Spenden-Vereinbarung versprachen die Zeugen: ""Die alte Dame kann das Geld zurückfordern, wenn sie es für den eigenen Gebrauch benötigt."

Davon machte Rosa M jetzt Gebrauch. "Ich brauchte es für dringend notwendige Hausreparaturen. Außerdem muß ich eine Hypothek bezahlen." Aber die Zeugen Jehovas wollen die 80.000 Mark nicht wieder rausrücken.

Christine M. (54), sie betreut die geprellte Rentnerin: "Die Sekte fährt eine reine Hinhaltetaktik. Sie wartet auf ihren Tod, könnte dann das ganze Geld für sich behalten. Weil die Erben in der Spenden-Vereinbarung ausgeschlossen wurden."

Ein Sprecher der Wachtturm-Gesellschaft: "Wir würden Rosas Geld sofort zurückgeben, aber uns liegt kein formgerechter Antrag von ihr vor."

Christine M.: "Stimmt nicht. Der erste Antrag ist schon vor einem halben Jahr bei der Gesellschaft eingegangen, im August der zweite." Jetzt klagt Rosa M. beim Amtsgericht.

Sekten-Beauftragte Annette Stolte (34): "Seit 1991 müssen Zeugen-Mitglieder die Zeitschriften der Sekte nicht mehr bezahlen. Deshalb sucht die Wachtturm-Gesellschaft jetzt dringend nach neuen Einnahmequellen. Und dabei ist ihr jedes Mittel recht."

Sven Stein