LOHR (WDE) "Es war sehr interessant und lehrreich - ich werde sie weiter empfehlen." Gemeint ist die Ausstellung "Standhaft trotz Verfolgung - Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime", die noch bis Freitag im Alten Rathaus Lohr zu sehen ist. Ein neunjähriger Junge hat diese Zeilen ins ausliegende Gästebuch geschrieben.
Ganz anders sieht das der evangelisch-lutherische Dekan Michael Wehrwein aus Lohr. Er bestätigte der Main-Post gestern, dass er vor dem Hintergrund der Jehovas-Zeugen-Ausstellung den Lohrer Bürgermeister Siegfried Selinger, den städtischen Kulturamtsleiter Meinrad Amrhein sowie verschiedene Schulen angeschrieben habe. Die "katholische Seite" habe den Brief mitunterzeichnet.
Der Main-Post wollte er keinen Einblick in den Brief geben, umriss aber dessen Inhalt: In dem Schreiben "haben wir unsere Verwunderung zum Ausdruck gebracht, dass man mit einer Sekte gemeinsame Sache macht". Mit "man" meinte er die Stadt Lohr, die Jehovas Zeugen den Saal für die Ausstellung zur Verfügung stellt.
Diese Ausstellung ist laut Wehrwein "eine Imagekampagne" der Zeugen Jehovas. Der Dekan: "Damit wollen sie Stimmung für sich machen, nachdem sie den Prozess zur Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts verloren haben." Die Stadt Lohr lasse sich nun vor die Zügel einer Gruppe spannen, die menschenverachtend sei. Wehrwein nannte als Beispiel das Verbot der Bluttransfusion bei den Mitgliedern dieser Glaubensgemeinschaft. Außerdem sprach er von "einem straffen Regiment" bei Jehovas Zeugen, das mit Angst machen arbeite. Wehrwein: "Ihnen wird weisgemacht, sie bekämen keinen Platz im Himmel, wenn sie sich Blut übertragen lassen."
Hans Schönhof, Leiter der Ausstellung im Alten Rathaus, erklärte gegenüber der Main-Post: "Ich bedaure, dass die Großkirchen gegen die Zeugen Jehovas mobil machen." Der Partensteiner betonte: "Religiosität haben wir aus der Ausstellung bewusst ausgeklammert." Dass die Zeugen Jehovas unter dem NS-Regime in der Mehrheit standhaft waren, sei eine Tatsache. "Hätten sich alle Christen so gegen das Nazi-Regime verhalten wie die Zeugen Jehovas", wäre die deutsche Geschichte um ein schwarzes Kapitel ärmer, meinte Schönhof.
Dass die Zeugen Jehovas von Historikern als Opfergruppe des NS-Regimes anerkannt werden, darauf wiesen beispielsweise zwei Gedenktafeln am KZ Sachsenhausen hin. Diese Ausstellung sei bereits in 480 deutschen Städten gezeigt worden. Für heute hätten sich zwei 9. Klassen aus Gemünden dafür angemeldet, freute er sich.
Kulturamtsleiter Amrhein meinte "Diese Ausstellung ist ein zeithistorisches Dokument - dafür stehen wir." Genauso sieht das der Bürgermeister. Siegfried Selinger: "Ich denke, gerade heutzutage, wo so viele Minderheiten existieren - seien es die Christen im Sudan oder rassische Minderheiten wie im ehemaligen Jugoslawien - wo so viele Menschen verfolgt werden, müssen wir auf das Problem der Verfolgung hinweisen." Die Probleme, die die beiden christlichen Kirchen mit dieser Ausstellung der Zeugen Jehovas hätten, "können und dürfen wir nicht beurteilen", zeigte sich Selinger neutral.
Genau so wenig wolle er beurteilen, wer - religiös gesehen - auf dem richtigen Weg sei. "Wir müssen auch mit unseren Minderheiten fair umgehen", so Selinger.
Mainpost vom 14.1.2000