Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat mit seiner mündlichen Verhandlung darüber begonnen, ob die Zeugen Jehovas rechtlich den großen christlichen Kirchen gleichgestellt werden müssen.

Die Religionsgemeinschaft mit bundesweit rund 162.000 Mitgliedern will mit ihrer Verfassungsbeschwerde die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts erreichen. Sie erhielte dann steuerliche Vergünstigungen, könnte in Rundfunkräten mitwirken, Steuern von ihren Mitgliedern erheben und Beamte beschäftigen. Es ist das erste Mal, dass eine Religionsgemeinschaft vor dem Bundesverfassungsgericht versucht, die Körperschaftsrechte zu erlangen.

Körperschaftsrechte 1997 verwehrt

Die Religionsgemeinschaft wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts undd des Landes Berlin aus dem Jahr 1997, das den Zeugen Jehovas in letzter Instanz die Körperschaftsrechte verwehrt hatte. Zur Begründung hieß es, die Zeugen Jehovas lehnten die Teilnahme an staatlichen Wahlen sowie den Wehr- und Zivildienst prinzipiell ab. Da die Religionsgemeinschaft "dem demokratisch verfassten Staat nicht die für eine dauerhafte Zusammenarbeit unerlässliche Loyalität entgegenbringe", könne sie nicht verlangen, von ihm als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt zu werden.

Die Zeugen Jehovas sehen in dieser Entscheidung einen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Glaubensfreiheit und den Grundsatz der Gleichbehandlung.

Grundsatzverfahren über Verhältnis Staat-Kirche

Verfassungsrichter Winfried Hassemer sagte zu Beginn der Verhandlung, das Gericht müsse nun prüfen, "wie nah" eine Religionsgemeinschaft dem Staat stehen muss, damit ihr ein öffentlich-rechtlicher Status verliehen werden kann. Die Voraussetzungen und Grenzen müssten präzisiert werden, unter denen eine Religionsgemeinschaft die Privilegien einer "Körperschaft des öffentlichen Rechts" beanspruchen könne. Man betrete mit der Verhandlung verfassungsrechtliches Neuland.

Der Bevollmächtigte der Zeugen Jehovas, Professor Hermann Weber, machte bei der Verhandlung geltend, dass eine Religionsgemeinschaft nur mit dem Körperschaftsstatus ihr Grundrecht auf Religionsfreiheit in angemessener Weise wahrnehmen könne. Das Vereinsrecht reiche dazu nicht aus.

Der Vertreter des Landes Berlin, Rechtsanwalt Stephan Südhoff, erklärte dagegen, die Zeugen Jehovas sähen den Staat als "Werkzeug des Satans" an. Deshalb sei es widersprüchlich, vom Staat Priviliegien zu fordern.

Auf Nachfrage der Richter versicherten Vertreter der Zeugen Jehovas, sie achteten die staatliche Ordnung. So sei die frühere Ablehnung von Wehr- und Zivildienst aufgegeben worden, seit 1996 sei die Ableistung von Wehr- und Zivildienst der Gewissensentscheidung des Einzelnen überlassen. Dem Vorhalt, mit der Herausgabe des Buches "Stock und Rute" würden rigide Erziehungsmethoden propagiert, entgegnete Zeugen Jehovas-Justiziar Gajus Glockentin: "Wir verabscheuen Gewalt in der Familie." Auf die Frage, ob sie sich als Körperschaft stärker in der Gesellschaft engagieren würden, verwies Glockentin darauf, dass die Gläubigen der ZJ nach den strengen biblischen Grundsätzen lebten. Auch dies könne zur Lösung gesellschaftlicher Probleme wie etwa der Drogensucht beitragen.

Mit dem Urteil des Zweiten Senats wird noch vor Jahresende gerechnet (Az. 2 BvR 1500/97)

Quelle: ZDF vom 20.09.2000