Anerkennung als "Körperschaft des Öffentlichen Rechts" gefordert
Das Bundesverfassungsgericht (BVG) prüft anhand einer Klage der Zeugen Jehovas das Verhältnis von Kirche und Staat.

Bei der Verhandlung in Karlsruhe stritten die Religionsgemeinschaft und der Berliner Senat darüber, ob den Zeugen Jehovas dieselben Rechte zuerkannt werden müssen, wie etwa den beiden großen Kirchen. Voraussetzung dafür ist die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie war den Zeugen Jehovas 1990 vom Berliner Senat und dann 1997 vom Bundesverwaltungsgericht versagt worden. Zur Begründung hieß es, die Religionsgemeinschaft sei dem Staat gegenüber nicht "loyal", weil sie ihren Mitgliedern angeblich die Teilnahme an staatlichen Wahlen verbieten.

Dem BVG-Richter Winfried Hassemer zufolge muss das Gericht nun prüfen, "wie nah" eine Religionsgemeinschaft dem Staat stehen muss, damit ihr ein öffentlich-rechtlicher Status verliehen werden kann.

Dem Gericht zufolge geht es dabei vor allem um die Frage, ob der Staat wegen des grundgesetzlich verankerten Neutralitätsgebotes an eine religiöse Körperschaft des öffentlichen Rechts weniger strenge Anforderungen zu stellen hat, als an andere Körperschaften, wie etwa politische Parteien, weil der Staat ansonsten in Glaubensfragen eindringe. Laut Hassemer betritt das Gericht mit diesen Fragen "verfassungsrechtliches Neuland". Ein Verkündungstermin steht noch nicht fest.

Mit dem öffentlich-rechtlichen Status sind eine Reihe von Privilegien verbunden. Die Zeugen Jehovas könnten dann ebenso wie die Katholische oder die Evangelische Kirche bei ihren rund 160.000 Mitgliedern Steuern erheben. Sie hätte Anspruch auf Sitz und Stimme in Rundfunkräten, könnte Beamte beschäftigen und käme in den Genuss einer Vielzahl von Vergünstigungen, wie etwa bei der Steuerpflicht.

Der Rechtsvertreter des Berliner Senates, Stephan Südhoff, warf den Zeugen Jehovas vor, den Staat "rigoros" abzulehnen. Den Mitgliedern sei die Teilnahme an staatlichen Wahlen verboten, ihre individuelle Entscheidungsfreiheit werde eingeengt und wegen des Verbots von Bluttransfusionen hätten sie ihren Kindern gegenüber eine "lebensverachtende Maxime".

Die Rechstvertreter der Zeugen Jehovas, Gajus Glockentin und der Staatsrechtler Hermann Weber aus Frankfurt am Main, wiesen diese Vorwürfe zurück. Weber sagte, alle Kirchen würden Gesetzestreue unter den Vorbehalt des Gewissens stellen. Nicht wählen zu gehen sei zudem kein Rechtsverstoß.

Quelle: Freie Presse Online vom 20.09.2000