Von Helmut Kerscher
KARLSRUHE – Das Bundesverfassungsgericht wird auf eine Klage der Zeugen Jehovas hin in einigen Monaten erstmals entscheiden, unter welchen Bedingungen eine Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt werden muss.

Man werde dabei in das „Herz des Staatskirchenrechts“ vorstoßen, erklärte Richter Winfried Hassemer bei der mündlichen Verhandlung des Zweiten Senats. Mit dem Status einer solchen Körperschaft sei ein „Bündel von Privilegien“ verbunden. Deshalb müsse ein Maßstab für die Voraussetzungen und für die Grenzen einer solchen Verleihung gefunden werden.

Gerichtspräsidentin Jutta Limbach fragte, wie der Staat seine Neutralität gegenüber Glaubensinhalten bewahren wolle, wenn er die „Staatsloyalität“ einer Religionsgemeinschaft prüfe.

Mit dem Fehlen dieser Loyalität wegen des Verbots für Zeugen Jehovas, an Wahlen teilzunehmen, hatte das Bundesverwaltungsgericht die Weigerung des Senats von Berlin bestätigt, der Glaubensgemeinschaft den Status zu geben. Ihr Justitiar Gajus Glockentin bestritt, dass es mehr Probleme mit Aussteigern gebe als bei anderen Religionsgemeinschaften. Das Verbot von Bluttransfusionen sei wegen der Fortschritte der Operationstechnik kein Thema mehr. Rechtsanwalt Armin Pikl sagte, seit einer weltweiten Lehränderung leisteten Zeugen Jehovas den Zivildienst. Ihr Prozessbevollmächtigter Hermann Weber warnte vor wachsender Ungleichbehandlung der Religionsgemeinschaften mit und ohne den Körperschaftsstatus. Anwalt Stephan Südhoff sah für den Berliner Senat einen Wertungswiderspruch, wenn die Zeugen Jehovas den Staat als Teil eines satanischen Systems bezeichneten und doch von ihm privilegiert werden wollten.

Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 21.09.2000