Professor Christoph Link zum Karlsruher Urteil:
"Sonst steht eines Tages Scientology auf der Matte"

Der Erlanger Kirchenrechter Christoph Link hat 1997 ein Gutachten erstellt, das davon abriet, den Zeugen Jehovas jene Privilegien einzuräumen, die auch Kirchen und weitere 30 Religionsgemeinschaften haben. Wie bewertet er die Entscheidung?

NZ: Karlsruhe hat das Bundesverwaltungsgerichtsurteil aufgehoben, das den Zeugen Jehovas den Körperschaftsstatus aberkannte. Wie denken Sie über die jetzige Entscheidung?

LINK: Das Bundesverfassungsgericht hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben, aber die Sache zurückverwiesen mit dem Argument, dass das Verbot einer Teilnahme an Wahlen für die Mitglieder allein nicht ausreicht. Diese Auffassung des Bundesverfassungsgerichts teile ich.

NZ: Aber ist apolitisches Verhalten nicht das eine und die Ansicht, der Staat sei „Bestandteil der Welt des Satans“, wie es bei den Zeugen Jehovas heißt, etwas ganz anderes?

LINK: Die Zeugen Jehovas haben sich ja in diesem Verfahren mehrfach und in vielem gewandelt. Wer Zivildienst leistet, wird nicht mehr mit Ausschluss bedroht, auch die Polemik wurde eingestellt. Meine Bedenken zielten auch nicht darauf ab, sondern auf den Umgang etwa mit sozialstaatlichen Grundlagen wie Unfallversicherung oder Arbeitsschutz. Eine Änderung ist nach meinen Recherchen nicht erfolgt. Dann geht es noch um die Fragen Kindererziehung und Verweigerung von Bluttransfusionen...

NZ: ... werden das die Knackpunkte des künftigen Verfahrens sein?

LINK: Das Problem liegt natürlich darin, dass das Bundesverwaltungsgericht ein Revisionsgericht ist, das selbst keine Tatsachenerhebungen macht. Es müsste also dann nochmals zurückverwiesen werden. Wie das jetzt verfahrensmäßig weiter geht, weiß ich nicht.

NZ: Und kann es dann sein, dass Sie nochmals als Gutachter in Aktion treten werden?

LINK: Nicht dass ich wüßte. Ich habe ja meine Recherchen dargelegt und ich glaube nicht, dass noch viel anderes rauskäme.

NZ: Die Karlsruher Richter haben erstmals festgelegt, dass eine religiöse Körperschaft nicht unbedingt mit dem Staat zusammenarbeiten muss. Kann dann nicht auch – sagen wir – islamischen Fundamentalisten ein Kirchenstatus gewährt werden?

LINK: Mit dem Begriff Kirchenstatus muss man vorsichtig sein. Der Körperschaftsstatus, um den es hier geht, steht ja auch anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften offen. Aber natürlich muss eine Kooperationsbereitschaft mit dem Staat da sein, wenn man von dem Kirchensteuerrecht Gebrauch macht und Religionsunterricht erteilen will. Das Bundesverfassungsgericht hat klar gemacht, dass sich das Engagement nicht gegen den demokratischen Staat richten darf. Man hat dafür zwar ein Indiz, das Verbots des Wählens, aber das reicht noch nicht aus. Schließlich gibt es in der Verfassung ja auch keinen Zwang zum Wählen.

NZ: Und was ist mit den Islamisten?

LINK: Zunächst einmal ist da das Problem, dass sie gar keine klar definierten Mitgliedschaften oder Organisation haben, die erforderlich sind, gegenüber dem Staat vertretungsberechtigt zu sein. Übrigens sind 95 Prozent der Muslime keine Fundamentalisten und den 95 Prozent wünsche ich von Herzen, dass sie es schaffen, Religionsunterricht geben zu können und folglich die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts erlangen.

NZ: Es geht also nicht um den Glauben sondern um das Verhalten. Was ist, wenn Eltern zum Beispiel eine Bluttransfusion für ihr schwer verletztes Kind verweigern, ist das nicht unterlassene Hilfeleistung?

LINK: Das ist es mit Sicherheit. Bisher mussten in solchen Fällen immer Vormundschaftsgerichte einspringen und die haben dann anstelle der Eltern entschieden.

NZ: Könnten Sie sich zum Schluss als Prophet betätigen und sagen, wie das Verfahren endet?

LINK: Sie wissen doch: Vor Gericht und auf Hoher See ist man in Gottes Hand. Im Ernst: Wichtig ist mir, dass die Kriterien in Karlsruhe ziemlich streng formuliert worden sind. Sonst steht eines Tages Scientology auf der Matte und will die Anerkennung.

Quelle: Nürnberger Zeitung, 20.12.2000