Das Ende ist nah
Der säkulare Staat greift nicht mehr nach der Seele des Menschen. „Er beschützt gleichermaßen Glauben und Unglauben“, so hat der Erlanger Kirchenrechtler Christoph Link einmal in der NZ geschrieben. Der manchmal ausufernde Pluralismus ist der Preis dieser Freiheit.

Unter den Nationalsozialisten waren die Zeugen Jehovas eine verfolgte Minderheit. In den KZ trugen sie ein violettes Dreieck. Über 2000 sollen umgekommen sein.

Heute ist die Glaubensgemeinschaft eine von vielen. Sie hat nur deshalb einen größeren Bekanntheitsgrad als andere, weil die Mitglieder an häufig frequentierten Orten stehen und den Passanten ihre Zeitschrift, den Wachtturm, entgegenhalten. In Paaren missionieren sie und lächeln auch dann noch, wenn ihnen die Tür gewiesen wird.

Dies alles wäre kein Grund, die „Bibelforscher“, wie sie sich früher nannten, ins Abseits zu stellen. Sie wollen diese böse Welt nun einmal vor der Verdammnis bewahren. Die Folge: Allein im 20. Jahrhundert haben sie sechs Mal – zuletzt 1975 – den Weltuntergang prophezeit. Vielleicht hat sie das vorsichtiger werden lassen. Der Harmagedon, der Endkampf zwischen Gut und Böse, wird jetzt nicht mehr terminiert, sondern vorsichtig mit dem „Beginn der Herrschaft Jesu auf Erden“ umschrieben.

Gestern haben die Zeugen Jehovas vor dem Bundesverfassungsgericht zumindest einen Teilsieg errungen. Das Bundesverwaltungsgericht wird sich danach erneut damit auseinandersetzen müssen, ob der Endzeit-Sekte ein Körperschaftsstatus zusteht oder nicht. Dabei wird es weniger um die Drohbotschaft vom Weltuntergang gehen, sondern darum, wie man künftig mit den Mitgliedern umzuspringen gedenkt.

Wer einmal getauft wurde, so ist immer wieder zu hören, kann sich nur schwerlich dem Gruppenzwang entziehen. Kranken werden lebensnotwendige Bluttransfusionen vorenthalten, weil man sich wortklauberisch auf das göttliche Gebot an Noah beruft, wonach der Genuss von Blut verboten sei. Schlimmer noch ist, dass Menschen, welche die Gemeinschaft verlassen wollen, angeblich unter Druck gesetzt werden, was bis zum Psychoterror gehen soll. Nicht zuletzt werden Kinder zu Außenseitern in Kindergarten und Schule gestempelt.

Darüber wird sich nun noch einmal das Bundesverwaltungsricht Klarheit verschaffen müssen. Es läuft letztlich nicht nur darauf hinaus, wie tolerant eine Gesellschaft gegen andere ist, sondern wie viel Toleranz eine Glaubensgemeinschaft im Innern aufbringt.

Quelle: Nürnberger Zeitung, 20.12.2000, Autor: Raimund Kirch