Anlässlich eines, wie sie es selbst nennen - "Teilerfolges" vor Gericht auf dem Weg zur Körperschaft des öffentlichen Rechts hat der Redakteur der "Schwäbische Zeitung", Roland Reck, ein Interview mit einem Konvertiten der Zeugen Jehovas geführt.

Der Konvertit (also: Neubekehrte) scheint sich noch nicht so gut mit der Historie und den Gepflogenheiten der Zeugen Jehovas auszukennen, sonst hätte er die Frage des Redakteurs: "Den Zeugen Jehovas wird vorgeworfen, dass sie mit "Abtrünnigen" sehr intolerant verfahren und sie indoktrinieren", nicht unter anderem so beantwortet: "[...] wir verstoßen auch niemanden, der einmal einen Fehler gemacht hat und diesen einsieht und bereit ist, ihn zu korrigieren. Und wer uns den Rücken kehrt, wird von uns nicht geächtet. Wir wahren die gesellschaftlichen Verpflichtungen." Als getaufter Zeuge Jehovas sollte er inzwischen die einschlägigen Textstellen des NT kennen, die von Zeugen Jehovas als Kronaussagen für das Verhalten mit "Sündern" und "Abweichlern" herangezogen werden: ""und wer diese Lehre nicht bringt, den nehmt niemals in euer Haus auf, noch entbietet ihm einen Gruß." "Ein wenig Sauerteig durchsäuert die ganze Masse... Entfernt den bösen Menschen aus eurer Mitte."

Zudem ist es interessant, dass es den Zeugen Jehovas immer wieder gelingt, aufrichtig gemeinte Interviews als Plattform für ihre Glaubensverkündung zu missbrauchen. Aussagen wie: "Wir folgen darin dem Beispiel Jesus, der sich von jedem politischen Amt fernhielt, selbst als ihn das Volk zum König machen wollte. Der christliche Grundsatz der Unvereinbarkeit von politischen und religiösen Aktivitäten wird auch von anderen Religionen anerkannt" sowie: "Und wenn jemand diesen bewussten Schritt für unseren Lebensweg macht, verpflichtet er sich auch, nach biblischem Muster zu leben. [...] Dass derjenige sich bemüht, ein ehrliches, sittlich reines Leben zu führen. Dazu gehört zum Beispiel, dass er die Ehe nicht bricht, das Leben schützt, auch sein eigenes, indem er nicht raucht und nur mäßig Alkohol trinkt", sind nicht einfach Stellungnahmen und persönliche Überzeugungen des Sprechers, sondern sind Glaubensverkündigung, und zwar nach der offiziellen Doktrin der Zeugen Jehovas.

Der Sprecher ist zudem berechtigt, die Zeit des Interviews als "Predigtdienst" zu berichten.

So gesehen, kann man das nun folgende Interview als gelungenen Coup der Zeugen Jehovas um Meinungsführerschaft in der eigenen Sache betrachten.


BIBERACH - Die Religionsgemeinschaft der "Zeugen Jehovas" hat, wie gestern berichtet, im Prozess um ihre Gleichstellung mit den beiden großen Kirchen, nämlich eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zu werden, vor dem Bundesverfassungsgericht einen Teilerfolg erzielt. Die Verfassungsrichter legten fest, dass religiöse Körperschaften nicht mit dem Staat zusammenarbeiten müssen. Matthias Bischofsberger, einer der "Ältesten" der Religionsgemeinschaft in Biberach, nahm Stellung zum Urteil.

Von unserem Redakteur Roland Reck

Reck: Herr Bischofsberger, haben Sie mit Ihren Glaubensbrüdern und -schwestern gefeiert?

Bischofsberger: Wir freuen uns natürlich, aber das Urteil ist nur ein Teilerfolg. Das Urteil macht klar, dass wir gesetztestreue Bürger sind und die demokratische Ordnung einhalten.

Reck: Das müssen Sie noch nicht einmal. Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass der Staat von Religionsgemeinschaften keine "Loyalität" verlangen darf. Aber erklären Sie doch mal, warum "Zeugen Jehovas" sich nicht an Wahlen beteiligen?

Bischofsberger: Wir folgen darin dem Beispiel Jesus, der sich von jedem politischen Amt fernhielt, selbst als ihn das Volk zum König machen wollte. Der christliche Grundsatz der Unvereinbarkeit von politischen und religiösen Aktivitäten wird auch von anderen Religionen anerkannt.

Reck: Warum wollen Sie denn überhaupt eine Körperschaft des öffentlichen Rechts werden?

Bischofsberger: Weil ein Verein als Organisationsform für eine Religionsgemeinschaft nicht so geeignet ist.

Reck: Warum?

Bischofsberger: Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts hat größere Möglichkeiten, die Interessen der Gemeinschaft zu vertreten, weil wir rechtlich anerkannt sind. Das erleichtert den Umgang mit Behörden, z.B. bei der Befreiung vom Religionsunterricht oder bei der Jugendarbeit.

Reck: Außerdem könnten Sie Kirchensteuer erheben.

Bischofsberger: Alleine das Recht zu haben - was ja noch nicht der Fall ist -, heißt noch nicht, dass wir das Recht auch in Anspruch nehmen. Kirchensteuern werden wir auf jeden Fall nicht erheben, das widerspräche unserer Überzeugung.

Reck: Den "Zeugen Jehovas" wird vorgeworfen, dass sie mit "Abtrünnigen" sehr intolerant verfahren und sie indoktrinieren.

Bischofsberger: Ich verstehe diesen Vorwurf nicht. "Zeuge Jehovas" wird man nicht durch Geburt, sondern durch einen gereiften Entschluss. Deshalb führen wir Erwachsenentaufen durch. Es ist selten, dass Jugendliche getauft werden. Und es kann auch nicht jeder kommen und sagen, dass er ein "Zeuge" werden möchte. Dem muss ein intensives Bibelstudium vorausgehen, das in vielen Gesprächen geprüft wird. Und wenn jemand diesen bewussten Schritt für unseren Lebensweg macht, verpflichtet er sich auch, nach biblischem Muster zu leben.

Reck: Was heißt das?

Bischofsberger: Dass derjenige sich bemüht, ein ehrliches, sittlich reines Leben zu führen. Dazu gehört zum Beispiel, dass er die Ehe nicht bricht, das Leben schützt, auch sein eigenes, indem er nicht raucht und nur mäßig Alkohol trinkt. Und wir können natürlich niemanden als "Zeugen" betrachten, der auf Dauer gegen diese biblischen Grundsätze verstößt. Doch wir verstoßen auch niemanden, der einmal einen Fehler gemacht hat und diesen einsieht und bereit ist, ihn zu korrigieren. Und wer uns den Rücken kehrt, wird von uns nicht geächtet. Wir wahren die gesellschaftlichen Verpflichtungen. Die Austrittsrate ist eh gering, sie bewegt sich bei etwa einem Prozent.

Reck: Ihrer Religionsgemeinschaft wird auch vorgeworfen, dass sie entgegen der gesetzlichen Bestimmungen die Prügelstrafe als probates Erziehungsmittel nach wie vor gutheißen.

Bischofsberger: Das ist absoluter Unsinn. Wir versuchen, unsere Kinder liebevoll zu erziehen und mit ihnen möglichst viel Zeit zu verbringen. Dieser Vorwurf mag aus einer Zeit stammen, in der körperliche Züchtigung generell noch akzeptiert war. Die hab" ich auch noch erfahren und stamme aus einer katholischen Familie und bin in einem katholischen Internat zur Schule gegangen.

Reck: Sie nehmen die Bibel wörtlich als das Wort Gottes. Körperliche Züchtigung schließt die Bibel nicht aus.

Bischofsberger: Die Bibel schließt tatsächlich die körperliche Züchtigung als Erziehungsmittel nicht aus. Doch das ist nicht ihr Hauptanliegen. Sie fordert die Eltern vielmehr auf, liebevoll und beispielhaft mit ihren Kindern umzugehen. Und Fundamentalismus ist nicht unser Stil.

Reck: Was haben Sie sich für das Jahr 2001 vorgenommen?

Bischofsberger: Wir sind endlich so weit, dass wir uns an die konkrete Planung unseres neuen Königreichssaals machen können. Im Frühjahr 2002 wollen wir mit dem Bau in den Wässerwiesen zwischen Biberach und Warthausen beginnen. Und natürlich wollen wir auch im kommenden Jahr möglichst viele ermuntern, die Bibel zu studieren.

Reck: Weihnachten steht vor der Tür. Warum feiern die "Zeugen Jehovas" dieses große christliche Fest nicht?

Bischofsberger: In großen Bevölkerungskreisen ist wahrscheinlich bekannt, dass der 25. Dezember nicht das Geburtsdatum von Jesus Christus ist. Die Festlegung auf diesen Tag hat andere religiöse Hintergründe. In der "New Chatholic Encyclopedia" heißt es: "Das Datum der Geburt Christi ist unbekannt. In den Evangelien wird weder der Tag noch der Monat genannt." Deshalb feierten die ersten Christen kein Weihnachten und die "Zeugen Jehovas" tun es auch nicht. Das bedeutet aber nicht, dass wir anderen nicht das Recht zugestehen Weihnachten zu feiern. So schätzen wir es umgekehrt, wenn unsere Entscheidung, nicht an Weihnachtsfeiern teilzunehmen, ebenfalls respektiert wird.

Quelle: Schwäbische Zeitung, 20.12.2000, Autor: Roland Reck