Die christliche Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas hat weltweit rund sechs Millionen Anhänger. In Deutschland gehören ihr rund 165.000 Mitglieder an, davon sind ca. 2000 hauptamtliche Mitarbeiter der Organisation. Die deutsche Zentrale ist in Selters im Taunus. Die internationale Gemeinschaft hat ihren Sitz in New York.

Die Zeugen Jehovas wurden Ende des 19. Jahrhunderts als eine Verlagsgesellschaft der Bibelforscher von dem Amerikaner Charles Taze Russell gegründet. In Deutschland wirken sie seit 1903. Unter dem Naziregime wurden sie verfolgt, in der DDR waren sie wegen „imperialistischer Agententätigkeit“ verboten.

Grundlagen

Jehova ist das biblische Wort für Gott – in neueren Bibelausgaben meist mit Jahwe wiedergegeben.

Grundlage der Lehre der Zeugen Jehovas ist der aus der Bibel abgeleitete „Plan Gottes mit der Menschheit“. Als „wahre Christen“ müssen sie Zeugnis für Gott ablegen und die Botschaft von seinem Königreich predigen. Weil sie Politik und Religion für unvereinbar halten, nehmen sie nicht an Wahlen teil. Zu ihren Tugenden gehört unter anderem der Gehorsam.

Keine Seele ohne Körper

Anders als die großen christlichen Religionen glauben die Zeugen Jehovas nicht, dass die Seele des Menschen nach seinem Tod weiter lebt. Er habe keine, sondern sei die Seele selbst. Den Weltuntergang haben die Zeugen Jehovas mehrfach angekündigt.

Gegen eine Abqualifizierung als totalitäre Sekte wenden die Zeugen Jehovas ein, sie seien keine Abspaltung von einer Kirche, was das Wort „Sekte“ ursprünglich bedeutet. Außerdem hätten sie keinen religiösen Führer außer Jesus Christus. Überdies lebten die Mitglieder freiwillig nach den Regeln der Gemeinschaft.

Auch das Ausmaß der „religiösen Tätigkeiten“, etwa bei der Missionierung und Verteilung der Publikation „Wachtturm“, würden die Mitglieder eigenverantwortlich festlegen.

Körperschaft und Kirche

Seit Jahrzehnten kämpfen die Zeugen Jehovas um den Status „Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Religionsgemeinschaften, die diesen Status haben, dürfen Kirchensteuern erheben, haben Sitz und Stimme in Rundfunkräten, können Beamte beschäftigen und kommen in den Genuss von Steuerprivilegien.

Zuletzt hatte das Bundesverwaltungsgericht den Zeugen Jehovas 1997 die Anerkennung als eine solche Körperschaft verwehrt. Begründung: Das „Verbot der Wahlteilnahme“ für Mitglieder der Zeugen Jehovas stehe im „Widerspruch zum Demokratieprinzip“.

Nun urteilte das Verfassungsgericht, dieses Argument reiche nicht für eine Ablehnung. Denn die Zeugen Jehovas seien keine reale Gefahr für die Demokratie, ihre Bestrebungen seien „apolitisch“ und richteten sich auf ein Leben jenseits des politischen Gemeinwesens. Die Richter bekräftigten jedoch, dass nur „rechtstreue“ Religionsgemeinschaften Anspruch auf den Status hätten. Auf diese Rechtstreue müssten die Zeugen Jehovas nun von den unteren Gerichten geprüft werden.

Erfolg für Zeugen Jehovas

Die Religionsgemeinschaft ist der Gleichstellung mit den großen Kirchen einen Schritt näher gekommen. Das Bundesverfassungsgericht hob am Dienstag ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf, das den Zeugen Jehovas den privilegierten Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verweigert hatte. Die Religionsgemeinschaft hatte dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Das religiöse Verbot, an politischen Wahlen teilzunehmen, darf nach Ansicht des Verfassungsgerichts nicht allein Grund für die Verweigerung dieses Privilegs sein.

Die rechtliche Auseinandersetzung ist damit jedoch nicht ausgestanden. Das Verwaltungsgericht muss nun in einem neuen Verfahren prüfen, ob von den Zeugen Jehovas empfohlenen Erziehungspraktiken das Kindeswohl beeinträchtigen und ob austrittswillige Mitglieder zwangsweise in der Gemeinschaft festgehalten werden.

Quelle: Focus, 21.12.2000