Findig war die Wachtturm-Gesellschaft ja schon immer, wenn es darum ging, ihre Ziele zu erreichen. Zum Beispiel beim Kauf eines Grundstücks zur Erweiterung ihrer Deutschland-Zentrale in Selters.

Das war ihnen anscheinend so viel Wert, dass für die Gemeinde eine komplette Sporthalle im Wert von 2,5 Millionen Euro dabei heraus sprang.

Die Frage ist nur, was der einzelne Zeuge darüber denkt, wenn er erfährt, wie mit seinen sauer verdienten Spenden umgegangen wird. Und weshalb die WTG gegen den Zeitungsverlag klagte, der den Zusammenhang zwischen Sporthalle und Gründstückskauf zur Sprache brachte.

Seit 1979 profitiert Selters im Taunus von der Wachtturm-Gesellschaft

Zahlende Zeugen erfreuen Sportler

SELTERS - Deutschlands Städte und Gemeinden leiden finanzielle Not. Allerorten werden Bäder und Bibliotheken geschlossen, Städte wie Frankfurt und Köln wollen gar U-Bahn und Kanalisation verkaufen und wieder zurückmieten, damit Bares in die Kassen kommt. Nur in Selters im Taunus sieht das anders aus. Dort wird am 1. September eine 2,5 Millionen Euro teure Sporthalle eröffnet, die im Kreis Limburg-Weilburg ihresgleichen sucht. Und dies, ohne die Gemeinde zu belasten.

Die Sporthalle durch den Kauf eines Grundstückes finanziert haben die Nachbarn vom "Steinfels": Auf 30 Hektar Grundfläche leben dort seit 1979 in der Deutschland-Zentrale der Wachtturm-Gesellschaft 1200 Zeugen Jehovas aus 37 Ländern. In einem modernen Druckzentrum stellen sie jährlich 200 Millionen Schriften in 61 Sprachen her, darunter auch ihr Zentralorgan "Der Wachtturm".

In Selters hört man kaum kritische Töne über die Bewohner des kleinen Dorfes zwischen Niederselters und Eisenbach, dessen Immobilienwert auf mehr als 100 Millionen Euro geschätzt wird.

Auch der ins 18. Amtsjahr gehende Bürgermeister Norbert Zabel (CDU), der zum wiederholten Mal ein Geschäft mit den Zeugen Jehovas eingefädelt hat, zeigt sich zufrieden über die bisherigen Beziehungen. Aber er stellt auch klar, dass seine Kommune nichts geschenkt bekommt: "Die kommen nicht einfach mal vorbei und spenden ein paar Hunderttausend. Geschäfte machen die nur, wenn sie auch einen Vorteil davon haben."

Am Anfang stand ein Spekulationsobjekt

Die Geschichte begann Mitte der 70er Jahre: Auf dem Steinfels errichtete ein Bauunternehmer aus Selters drei Blocks mit Appartement-Wohnungen. In diese sollten Damen des ältesten Gewerbes der Welt einziehen. Doch die Spekulationsträume zerplatzten, Ende der 70er Jahre war der Unternehmer pleite. Die erst wenige Jahre zuvor im Zuge der hessischen Gebietsreform gegründete Großgemeinde Selters hatte die Häuser am Hals.

Zur selben Zeit platzte das Domizil der Wachtturm-Gesellschaft inWiesbaden aus allen Nähten. Und so standen eines Tages Abgesandte im Rathaus in Niederselters und erklärten ihre Absicht, das neue "Bethel", wie sie ihre Einrichtung nennen, auf dem "Steinfels" zu errichten.

Zabels Amtsvorgänger Josef Wältermann (CDU) schlugen "durchaus zwei Herzen in der Brust", als er vor dem Gemeindeparlament erläuterte: Einerseits wäre die Gemeinde froh, die Investitionsruinen vom Hals zu haben, andererseits bereite ihm der Gedanke an die Nachbarschaft von mehreren hundert Zeugen Jehovas Bauchgrimmen. Doch man wurde sich einig und vor allem die Zusage, "nicht mehr als das bis dahin übliche Maß zu missionieren" beruhigte die Gemüter. Und weil es im Rathaus in Niederselters sehr eng geworden war, gab es zum Kaufvertrag zwei Pavillons für die Verwaltung dazu.

Ende der 70er Jahre strömten dann Tausende von Zeugen Jehovas aus ganz Europa nach Selters, opferten ihren Jahresurlaub, bauten die bestehenden Gebäude um, zogen Neubauten hoch und pflanzten 40 000 Bäume und Büsche. Auf diese Weise entstand ein modernes Kloster, das sich fast selbst versorgt. Dazu gehören Autowerkstätten, Tischlerei und Polsterei, Kantine und Friseursalon, Schuhmacherei und Arztpraxen ebenso wie ein eigener Bauernhof. Der 65 Hektar große "Wachtturmhof" liegt zwei Kilometer entfernt und liefert Frühstückseier sowie Schweine- und Rindfleisch für die Kantine.

Die Landwirtsfamilie erhält (bei freier Kost und Logis) nur ein Taschengeld für ihre Arbeit. Wie auch die 1200 festen Mitarbeiter im "Bethel", die in 40-Quadratmeter-Appartements allein oder mit Ehepartner wohnen. Kinder leben dort nicht, "wird eine Frau schwanger, muss sie das Zentrum verlassen".

Millionen für den Bebauungsplan

Anfang der neunziger Jahre plante man eine Vergrößerung der Anlage um 17.000 Quadratmeter Fläche. Denn nach den revolutionären politischen Veränderungen sollte von Deutschland aus der zentrale Literaturversand für die meisten Nachbarländer sowie den größten Teil des ehemaligen Ostblocks erfolgen.

Die Gemeinde Selters ließ sich ihre Zustimmung zur Erweiterung des Bebauungsplanes mit vier Millionen Mark bezahlen. Bürgermeister Zabel bei der Einbringung des Haushaltes: „Es ist ein faires Geschäft, die Wachtturm-Gesellschaft an den gestiegenen Kosten für Wasserversorgung und Straßenbau zu beteiligen".

Und auch die Feuerwehr freute sich, denn sie erhielt eine große Drehleiter, schließlich waren auf dem „Steinfels" die ersten "Hochhäuser" in der Gemeinde entstanden.

An Silvester ist auf dem „Steinfels" alles dunkel

Im Leben der Gemeinde spielen die Zeugen Jehovas keine Rolle. Man sieht sie mal im Supermarkt, wo sie bei den Kassiererinnen beliebt sind, denn auch in den längsten Warteschlangen bleiben sie freundlich.

In den übrigen Läden und Kneipen treten sie selten auf und sie beteiligen sich im katholisch geprägten Selters weder am Schützenfest, noch am Erntedank, begehen weder Weihnachten noch Ostern und auch den Silvestertag feiern sie nicht. Norbert Zabel: „Da sieht man Raketen aus allen Ortsteilen hochsteigen und man hört die Leute sich zurufen. Und wenn man dann zur Wachtturm-Gesellschaft blickt, findet man dort eine große Ruhe und Stille."

In Deutschland zählen die Zeugen Jehovas um die 170.000 Anhänger, hatte Werner Rudtke, Sprecher des Präsidiums der Religionsgemeinschaft, in einem Interview mit dieser Zeitung bestätigt. Auf die Frage, was er von den Vorwürfen halte, die Zeugen Jehovas seien eine umstrittene Sekte, sagte Rudtke: „Wir können damit leben, denn bekanntlich waren auch Jesus Christus und die Apostel nicht unumstritten, zumal vieles, was sie lehrten und taten, ziemlich unpopulär war und ihnen auch Nachteile eintrug."

Rudtke weiter: „Es trifft wohl zu, dass Jehovas Zeugen, wie auch etliche andere Kulturgruppen, denen man keinen Vorwurf macht, andere Feste als Geburtstage oder Weihnachten feiern. Es trifft auch zu, dass sie sich bemühen, ehrbare Ehen zu führen und darauf bedacht sind, die Sexualmoral zu respektieren, die die Bibel empfiehlt, ohne dass diese kontrolliert werden müsste."

Spiegel spricht von psychischem Druck

Während Rudkte bestritt, dass in irgendeiner Form Druck auf die Mitglieder ausgeübt werde, zitierte der "Spiegel" aus einem internen Handbuch für Führungskräfte und behauptete, psychischer Druck, ein Spitzelsystem und ein ausgefeilter Strafenkatalog würden die „Herde" zusammenhalten. Die Mitglieder der Zeugen Jehovas müssten sich strengen Regeln unterwerfen und würden rigoros überwacht. Das Handbuch belege die straffe Aufsicht über das gesamte Leben der Jehova-Jünger.

© Lahn-Dill, Quelle: Weilburger Tagblatt, Januar 2004