Den Kirchen eins auswischen und sich selbst als einzig wahre christliche Organisation darstellen, etwas anderes kann man wohl kaum von einem Video erwarten, das die Wachtturm-Gesellschaft in Auftrag gegeben hat, um ihre Geschichte während der Nazizeit ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

Auch hier werden die bekannten Methoden angewandt, wie sie jeder Wachtturm-Leser kennt: Die dunklen Stellen der Gegner werden hervorgehoben, um sich selbst in einem um so helleren Licht erscheinen zu lassen. Dunkle Flecken in der eigenen Geschichte läßt man einfach weg. Und um dem Ganzen einen Anschein von Objektivität zu verleihen, läßt man anerkannte Wissenschaftler zu Wort kommen, verwendet dabei aber gezielt nur die Zitate, die die eigene Aussage unterstützen.

Interessant sind dabei einige bisher wenig beachtete Parallelen: Hat man schon zur Nazizeit versucht, sich mit dem System zu arrangieren, so hat man auch jetzt keine Probleme damit, bei Politikern und staatlichen Institutionen um Anerkennung zu buhlen, um den Status einer öffentlich rechtlichen Kirche zu erlangen. Während man nämlich den eigenen Gläubigen noch lehrt, sie müssen sich als wahre Christen von dieser von Satan beherrschten Welt streng getrennt halten, zitiert man in Pressemitteilungen gerne bekannte Politiker und tritt bei den bundesweiten Veranstaltungen zur Präsentation des Videos bevorzugt mit Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben auf.

Leider bekommen das jedoch die meisten Zeugen Jehovas nicht mit und sind daher nach wie vor fest davon überzeugt, die in den Wachtturm-Publikationen verkündigte Lehre sei trotz ihres ständigen Wandels nichts geringeres als "die Wahrheit".

Nachfolgend die Beurteilung des Videofilms "Standhaft trotz Verfolgung" durch Dip.-Theol. Lutz Lemhöfer, Leiter des Referats Weltanschauungsfragen am Bischöflichen Ordinariat, Bistum Limburg:

In den letzten Jahren hat die zeitgeschichtliche Forschung sich verstärkt kleineren, früher wenig beachteten Gruppen von Nazi-Opfern zugewandt. Dazu gehören auch die Zeugen Jehovas, die unter besonders scharfer Verfolgung durch den NS-Staat gelitten haben. Der Film will das Leiden und die Tapferkeit vieler Zeugen Jehovas in Gefängnis und KZ einer breiten Öffentlichkeit bekannt machen. Das gelingt ihm gut und teilweise sehr bewegend, wenn er einzelne Zeitzeugen mit ihrem Schicksal vorstellt. Im analytischen Zugriff weist der Film jedoch deutliche Schwächen auf. Wenn diese hier benannt werden, soll und darf dies dem Respekt vor den Opfern keinerlei Abbruch tun.

Die Zeugen Jehovas werden als eine durchgehend heldenhaft agierende und reagierende, völlig einheitliche und einmütige Gruppierung vorgestellt. Tatsächlich hat es Kontroversen und Richtungskämpfe gegeben, sowohl zwischen der New Yorker Führung und der deutschen Führung 1933 (Garbe, Twisselmann, siehe auch Punkt 3), als auch in einzelnen Versammlungen (Pape). Selbst im KZ gab es interne harte Auseinandersetzungen darüber, welche Arbeit als Kriegsproduktion zu verweigern sei und welche nicht; dies konnte bis zur Bezichtigung des Glaubensverrats, ja zum Gemeinschaftsentzug führen (Garbe, Buber-Neumann). Dies wird im Film nicht erwähnt.

Im Jahre 1933 kann von einem einheitlichen Widerstand keine Rede sein. Insbesondere der Leiter des Magdeburger Zweigbüros, Balzereit, versuchte durch ein vorsichtiges Arrangement die Duldung der NS-Behörden zu erreichen. Im Gegensatz zur Aussage des Films wurde in der Resolution des großen Berliner Treffens vom 25.6.1933 keineswegs nur die Neutralität der Zeugen Jehovas hervorgehoben, sondern – wörtlich – die Nähe zu den Zielen der ‚nationalen Regierung‘, sowie die Verurteilung der ‚Handelsjuden des Britisch-Amerikanischen Weltreichs‘ mit ihrer ‚Ausbeutung und Unterdrückung vieler Völker‘. Solche – freilich erfolglosen – Versuche des Arrangements mit anbiedernden Zügen haben damals viele gesellschaftliche und kirchliche Gruppen unternommen. Vorwerfbar ist weniger dieser historische Sachverhalt, sondern dessen Verschweigen im Film.

Im Gegensatz zur einheitlich heldenhaften Darstellung der Zeugen Jehovas werden die großen Kirchen ebenso einheitlich als Wegbereiter und Erfüllungsgehilfen der NS-Diktatur vorgeführt. Seien es die Kriegspredigten 1914-18, die die enttäuschten Soldaten in Hitlers Arme getrieben hätten, seien es die Geistlichen mit zum Hitlergruß erhobenem Arm, die (als Standbilder) ein Historiker-Interview illustrieren, sei es das Schweigen der offiziellen kirchlichen Autoritäten zur Reichsprogromnacht 1938: durch die Ausblendung der gleichzeitig immer massiver werdenden Konflikte zwischen dem Staat und der katholischen sowie der Bekennenden Evangelischen Kirche wird hier aus einzelnen sehr berechtigten Kritikpunkten ein stark verzerrtes Gesamtbild entwickelt. Es muß offen bleiben ob hier die zeitgenössische antikirchliche Polemik der 30er Jahre sich widerspiegelt (s. dazu auch Garbe) oder ob die Kirchen als dunkle Folie einer um so helleren Selbstdarstellung benutzt werden. Die gerade im Film vielfach und eindrucksvoll dokumentierte Tapferkeit der Zeugen Jehovas gegenüber der Diktatur hat solche Kunstgriffe dabei gar nicht nötig.

Fazit: Bei der Video-Dokumentation „Standhaft trotz Verfolgung" handelt es sich nicht um eine kritisch-analytische Arbeit, sondern um die historische Selbstdarstellung einer Gruppe – mit durchaus apologetischen Zügen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß auch Außenstehende zu Wort kommen, wenn und insofern ihre Aussagen geeignet sind, das Selbstbild der Gruppe zu stützen. Kritische Aussagen auch der hier zitierten Wissenschaftler/-innen bleiben außen vor. Dies schränkt den Wert der Dokumentation deutlich ein. Das ist um so bedauerlicher, als die Darstellung der Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas mit so vielen bewegenden Einzelheiten und Einzelschicksalen bislang nicht vorlag.

Frankfurt, 26.09.1997

Dipl.-Theol. Lutz Lemhöfer