Die Lehre der Wachtturm-Gesellschaft zum Thema Blut und Bluttransfusion beruht nicht nur auf einer äußert wackligen theologischen Grundlage. Sie wird auch von Erklärungen flankiert, über die man nur den Kopf schütteln kann. Eine Zusammenfassung für alle, die schon immer ihre Zweifel über dieses Thema hatten.

Blut bei den Urchristen

Die Wachtturm-Gesellschaft (im folgenden nur noch: Gesellschaft) behauptet, Christen müßten sich vom Blut enthalten und die Urchristenkirche habe dies als eine universale Vorschrift verstanden. Angesichts dessen, daß das Neue Testament dies an keiner Stelle sagt und daß an der einzigen Stelle, wo vom Essen von Blut die Rede ist, der Textzusammenhang zeigt, daß es darum ging, nicht die Juden vor den Kopf zu stoßen, ist diese Behauptung ohne ersthaften Wert.

Die Gesellschaft empfindet es als nützlich, hier auf gewisse frühchristliche Schriften hinzuweisen. Dies ist überraschend, da sie lehrt, daß direkt nach dem Tod des Apostels Johannes der große Abfall vom Glauben einsetzte, und sich konstant weigert, das Wort der Kirchenväter in irgendeiner anderen Frage als autoritativ anzunehmen. Überdies findet jeder, der diese Schriften untersucht, daß kaum in einer Frage Übereinstimmung herrschte, nicht einmal in den wesentlichen Dingen. Das ist besonders für Zeugen Jehovas bemerkenswert, die sich auf Debatten über die Dreieinigkeitslehre einlassen und diese Texte als historischen Beleg für ihre Haltung angeben, nur um dann zu erfahren, daß ihr Gegenüber andere Beweistexte findet, die das Gegenteil zeigen.

Was offensichtlich ist, ist, daß die Kirchenväter selbst in der Frage des Wesens Christi weit auseinandergehende Meinungen hatten. Wir wissen, daß die Ansichten von der des Arius, der etwa eine Haltung gleich der unsrigen einnahm, bis zu der des Athanasius rangierten, der die Lehre entwickelte, die dann die Trinitätslehre wurde, wie wir sie heute kennen. Daß man diese Männer als Autorität für den Glauben benutzt, ist wenig ehrlich, wenn die Gesellschaft argumentiert, daß sie zur abtrünnigen Christenheit gehörten. Wir stimmen jedoch damit überein, daß ihre Schriften zumindest helfen können, zu dokumentieren, wie die frühen Christen bestimmte Bibeltexte auslegten.

Wir wollen uns einmal ansehen, wie die [Wachtturm-]Gesellschaft einige frühchristliche Texte zur Unterstützung heranzieht:

Und 177 u.Z., über hundert Jahre später, als in Lyon (heute Frankreich) religiöse Feinde die Christen fälschlicherweise beschuldigten, Kinder zu essen, sagte eine Frau namens Biblis: "Wie können solche Menschen Kinder verspeisen, da es ihnen nicht einmal gestattet ist, das Blut unvernünftiger Tiere zu genießen!" (Eusebius von Cäsarea, Kirchengeschichte, herausgegeben von H. Kraft, 1967, S. 237)

Die ersten Christen aßen keinerlei Blut. Darüber schrieb Tertullian (ca. 160-230 u.Z.) in seinem Werk Apologeticum (herausgegeben von Carl Becker, 1961, S. 91, 92):

Vor Scham erröten sollte eure Verblendung vor uns Christen, da wir nicht einmal Tierblut unter die zum Genuß erlaubten Speisen rechnen und da wir von dem Fleisch auch erstickter und verendeter Tiere deshalb nichts wissen wollen, damit wir mit keinerlei Blut besudelt werden, auch nicht wenn es in ihren Eingeweiden begraben ist. Deshalb legt ihr ja, wenn ihr die Christen auf die Probe stellen wollt, ihnen auch Würste vor, die mit Tierblut gefüllt sind -- offenbar in der festen Gewißheit, daß deren Genuß bei ihnen verboten ist -, und wollt sie damit von ihrem Glauben abtrünnig machen." Minucius Felix, ein römischer Rechtsgelehrter, der um das Jahr 250 u. Z. starb, äußerte einen ähnlichen Gedanken, indem er schrieb: "Uns hingegen ist es nicht einmal gestattet, ein Menschenmorden anzusehen oder anzuhören; ja so sehr haben wir Scheu vor Menschenblut, daß wir nicht einmal das Blut eßbarer Tiere unter unseren Speisen kennen" (Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 14, 1913, Dialog Octavius, XXX, 6, S. 190).

Einsichten über die Heilige Schrift, Band 1, Seite 423

Die Blutfrage war in den frühen Jahren wohl kaum eine Zentralfrage für den christlichen Glauben. Wir finden sie nicht in einem Glaubensartikel formuliert, und die paar Quellen, die die WTG gefunden hat, dokumentieren nichts weiter als den Brauch, kein Blut zu essen, als ein Argumentgegen die weitverbreitete Anklage, Christen tränken das Blut von Kindern (wahrscheinlich hat dieser populäre Mythos seinen Ursprung in der Eucharistie oder dem Abendmahl). Es ist zu beachten, daß es für die christlichen Schreiber in keinem dieser Fälle hilfreich gewesen wäre, den Hintergrund für diese Praxis anzugeben, weil dies ihr Argument entkräftet hätte.

In der Broschüre Jehovas Zeugen und die Blutfrage (1977) finden wir dieselben Quellenangaben wie in dem Einsichten-Buch. Auf der Seite 14 gibt es auch eine Fußnote, die weitere Beweise im Überfluß anzugeben scheint:

Andere Bezugnahmen (aus dem 2. und 3. Jahrhundert), die diese Anwendung von Apostelgeschichte 15:28, 29 unterstützen, sind in folgenden Werken zu finden: "Origenes, Gegen Celsus", VIII, 29, 30 und "Kommentar zu Matthäus" XI, 12; Klemens, "Der Erzieher" II, 7 und "Teppiche" IV, 15; Klementinen: "Homiliensammlung" VII, 4, 8; "Wiedererkennungsroman" IV, 36; Justinus der Märtyrer, "Dialog" XXXIV; Cyprian, "Traktate", "An Quirinius" III, 119; "Lehren der zwölf Apostel" VI; "Apostolische Konstitutionen" VI, 12; Lucian, "Über das Lebensende des Peregrinus", Abs 5.

Was die Gesellschaft uns nicht mitteilt: das Buch Apostelgeschichte gab es in diesen frühen Jahrhunderten in mehreren Versionen. Einigen Schreibern kam der Beschluß des Apostelkonzils merkwürdig vor und sie änderten ihn ab, um ihn als richtiger erscheinen zu lassen. In den sogenannten Westlichen Texten kamen die Apostel zu einem anderen Beschluß:

(b) Die Westlichen Texte lassen 'und Erwürgtes' aus und fügen eine negative Form der Goldenen Regel in 15.20 und 29 hinzu ... Was (b) betrifft, so ist offensichtlich, daß das dreifache Verbot ... sich auf moralische Anordnungen bezieht, sich des Götzendienstes, der Unkeuschheit und des Blutvergießens (oder Mordens) zu enthalten; dem ist dann noch die Goldene Regel in negativer Form hinzugefügt. (Bruce M. Metzger, A Textual Commentary on the Greek New Testament, Seite 430-431)

Es waren die "Westlichen Texte", die von einer bedeutenden Anzahl dieser frühen christlichen Schreiber verwendet wurden, und diese Texte hatten bereits die rein rituellen Vorschriften in der ursprünglichen Beschreibung des Apostelkonzils durch Moralvorschriften ersetzt. Offensichtlich waren sich also diese späteren Abschreiber nicht des Hintergrundes des Blutverbotes bewußt, und sie hatten ihre Mühe, den Text zu verstehen. Um ihn annehmbarer zu machen, "korrigierten" sie den Text auf eine Liste von drei Moralvorschriften; Götzendienst, Unkeuschheit und Mord. Und kaum jemand wird leugnen, daß diese Vorschriften auf alle Christen Anwendung finden! Kein Wunder also, daß die frühen Christen argumentierten, das Apostelkonzil habe immer noch seine Bedeutung.

Über diese Texte lesen wir:

Von den verbliebenden Texttypen, die Westcott und Hort isolierten, ist der sogenannte Westliche Typ sowohl alt wie auch weit verbreitet ... Sein Ursprungsdatum muß äußerst früh liegen, vielleicht vor die Mitte des zweiten Jahrhunderts. Marcion, Tatian, Justin, Irenäus, Hippolyt, Tertullian und Cyprian machten alle in mehr oder minder großem Ausmaß von der westlichen Textform Gebrauch. (Bruce M. Metzger, The Text of the New Testament, 1968, NY: Oxford University Press, Seite 132)

So verwandte eine bedeutende Anzahl früher Schreiber, die die Gesellschaft aufführt, einen Text, der anzeigte, daß die Apostel über Mord - Blutvergießen - sprachen, wenn sie sagten, man solle sich des Blutes enthalten, nicht über das Essen von Blut. Es ist daher nicht überraschend, daß diese Schreiber argumentierten, die Vorschrift des Konzils sei immer noch für Christen bindend! Die Gesellschaft verdreht die Tatsachen, wenn sie sich auf Cyprian und Tertullian beruft, um ihre Auslegung des Apostelkonzils zu stützen.

Wenn also einige frühe Schreiber sagten, man solle sich des Blutes enthalten, hatte das nichts mit dem Text von Apostelgeschichte 15 zu tun, denn so weit sie wußten, ging es um das Verbot, zu morden, nicht um das Essen von Blut. Es liegt natürlich auf der Hand, daß die Praxis, kein Blut zu essen, zumindest bei einigen Urchristen auf der Verordnung von Jerusalem basierte, um keinen Ärger unter den Juden zu erregen. Aber es gibt kein ausdrückliches biblisches Verbot, sondern es ist nur eine kulturelle Entwicklung.

Viele Christen heute haben ähnliche kulturelle Verbote: einige beachten die Torah und vermeiden eine Heirat zwischen engen Verwandten, die meisten verbietendie Polygamie, sie halten den Sonntag als 'christlichen Sabbat' usw., obwohl wir darüber keine ausdrücklichen Gesetze im Neuen Testament finden. Als Zeugen Jehovas haben wir viele eigene Tabus: wir wünschen niemandem 'Viel Glück', wir sagen keine Trinksprüche, und eine Anzahl von Dingen sehen wir als "heidnisch" an, ohne wiederum dafür eine Stütze in der Bibel zu finden. In manchen Fällen sind sie nicht einmal mehr in der Literatur der Gesellschaft verboten.

Und so wie auch das Problem, Judenchristen nicht zum Straucheln zu bringen, in den Hintergrund getreten war, war der Rat aus Apostelgeschichte 15:28, 29 ausgeweitet und zu einem kulturellen Tabu gemacht worden; zu einem Gesetz, kein Blut zu essen. Die Mechanismen hinter dieser Entwicklung sind leicht zu verstehen. Wir erkennen, daß sogar in der Urchristenversammlung viele Personen Regeln und Vorschriften entwickeln wollten, die weit über das hinausgingen, was für Christen unter dem königlichen Gesetz der Liebe notwendig war. Es ist insbesondere interessant festzustellen, daß einer der Texte, auf den sich die Wachtturm-Gesellschaft beruft, Tertullians Abhandlung Über die Mäßigkeit ist. Jeder Zeuge Jehovas, der diesen extremistischen Text liest, wird damit in dem Glauben bestärkt, daß die Schriften der Kirchenväter oftmals eine Perversion und Abkehr von dem christlichen Glauben der Apostel darstellten.

Überdies zeigt die Tatsache, daß das Dekret von einer Sammlung ritueller Vorschriften in ethische Vorschriften geändert wurde, daß es als von vielen Abschreibern und frühen Christen als Gesetz nur für einen bestimmten Zeitraum verstanden wurde. Trotz der Tatsache, daß einige Christen genau denselben Fehler wie die Wachtturm-Gesellschaft machten und die Vorschrift über Blut als für immer gültig interpretierten (wie es auch Martin Luther tat), stärkt dieser Textbeweis weiter die Position, daß das Dekret erlassen wurde, um Judenchristen nicht zum Straucheln zu bringen, und nicht als ein auf ewig gültiges Gesetz.

Zusammenfassung der Beweise aus den Christlichen Schriften. Die Schriften der Kirchenväter unterstützen nur wenig die Behauptung, das Apostelkonzil habe ein auf ewig gültiges Gesetz gegen das Essen von Blut geschaffen. Man kann darüber streiten, aber die Haltung steht auf schwachen Füßen. Darüber hinaus ist, wie wir gesehen haben, eine Bluttransfusion nicht dasselbe wie das Essen von Blut. Und noch weit wichtiger, keine Meinungen der nachapostolischen Zeit können etwas an den eindeutigen Beweisen aus dem Neuen Testament selbst ändern:

Jakobus selbst sagt, diese vier Anordnungen seien erlassen worden, weil die Torah an jedem Sabbat in den jüdischen Synagogen gelesen wurde (Apostelgeschichte 15:21).

Für eine Auflistung universeller Vorschriften für Christen fehlen einige wie Mord und Diebstahl auffallend. Die vier in Apostelgeschichte 15:28, 29 aufgeführten Erfordernisse sind genau dieselben, wie sie für im alten Israel lebende Fremdlinge zwingend vorgeschrieben waren, und sie werden auch in derselben Reihenfolge genannt (3. Mose 17:1 bis 18:27).

Die Worte selbst sind nicht als Befehle ausgedrückt, worauf eine Anzahl von Griechischexperten betont hat. Diese Tatsache allein untergräbt das Argument der Gesellschaft völlig.

Später wiederholte Jakobus, daß der Brief ausgesandt würde, um Judenchristen vor dem Straucheln zu bewahren, und empfahl, daß Paulus sich aus demselben Grund an ein jüdisches Ritual hielte.

Paulus betonte in einem Brief, daß die christliche Freiheit den Christen das Recht gab, Götzen geopfertes Fleisch zu essen, eines der in Apostelgeschichte 15 ausdrücklich erwähnten Dinge. Doch auch Paulus bemerkte, um nicht schwächere Brüder zum Straucheln zu bringen, solle man davon Abstand nehmen (1. Korinther 8:1, 4, 7).

Jesus sagte, nichts, das von außen käme, würde den Körper verunreinigen, was notwendigerweise auch Fleisch mit Blut darin einschlösse (Markus 7: 15).

Die historische Perspektive in der Neuzeit

Die gegenwärtige Anwendung bestimmter Bibeltexte, besonders Apostelgeschichte 15: 28, 29, um eine Stütze für ein Blutverbot für Christen zu haben, wurde nicht von unserem Gründer, Charles Taze Russell, geteilt. In einem Kommentar zum Apostelkonzil aus Apostelgeschichte 15 sagte Russell:

Er [Jakobus] schlug des weiteren vor, ihnen nur zu schreiben, sie sollten sich vor der Verunreinigung mit Götzen hüten (Vers 29), und von Erwürgtem und Blut - denn durch das Essen dieser Dinge könnten sie ein Stolperstein für ihre judenchristlichen Brüder werden (Siehe 1. Korinther 8:4-13) - und von Hurerei

Zion's Watch Tower, 15. November 1892, Seite 1473 Reprints

So war Russell, auch wenn zu seiner Zeit noch keine Bluttransfusionen gebräuchlich waren, klar, daß er das Speiseverbot von Blut nicht einmal als für Christen bindend betrachtete.

Nach Russells Tod änderte die Gesellschaft allmählich ihre Ansicht. Der Watchtower vom 15. Dezember 1927 wies auf Seite 371 deutlich darauf hin, daß das "Blutverbot" aus 1.Mose 9:4 auf alle Menschen zutreffe. Dennoch war es, solange es nur um eine Speisevorschrift ging, keine kontroverse Frage.

Ein Schlüssel für die Herausbildung der gegenwärtigen Lehre über Blut war die Ernennung von Clayton J. Woodworth zum Herausgeber der Zeitschrift The Golden Age. Bruder Woodworth benutzte die Zeitschrift als Sprachrohr für seine außergewöhnlichen persönlichen Ansichten zu Wissenschaft und Medizin. Hier, innerhalb von Wahnvorstellungen und Paranoia, finden wir die Saat der Lehre der Gesellschaft über das Blut.

Es folgt nun ein kurzer Abriß der historischen Entwicklung in der Neuzeit:

1892

Der Watchtower erwähnt erstmals die Blutfrage. Russells Ansicht war, die Anordnung aus Apostelgeschichte 15 sei eine zeitweilige Maßnahme, um im Verlaufe des Übergangs vom jüdischen zum kirchlichen Zeitalter die Einheit zu fördern (Watchtower, 15. Januar, Seite 349-352).

1909

Bruder Russell kommentiert Apostelgeschichte, Kapitel 15, und zeigt an, daß er glaubt, das Beachten der Vorschrift "MACHE SIE NICHT ZU CHRISTEN", sondern diene dazu, den Leib aus Christen und Heiden zu bewahren (Watchtower, 15. April 1909, Reprints Seite 4374).

1919

Clayton J. Woodwarth wird Herausgeber der Zeitschrift The Golden Age (Watchtower, 15. Februar 1952, Seite 128).

1923

Ein Artikel mit der Überschrift "Der Impfbetrug" zeigt zum ersten Mal die gegnerische Einstellung der WTG zur Impfung (Golden Age, 3. Januar, Seite 211, Absatz 35). Als Probe dieses Zitat: "Wenn schlüssig gezeigt ist, daß es soetwas wie Tollwut nicht gibt ..." (Golden Age, 22. April, Seite 455, Absatz 15).

1925

Wer häufig Blut für Transfusionen spendet, ist zu loben (Golden Age, 29. Juli, Seite 683).

1929

Impfungen werden wiederum verurteilt: "Denkende Menschen hätten lieber Pocken als eine Impfung ... Daher ist die Praktik der Impfung ein Verbrechen, ein Frevel und eine Täuschung." (Golden Age, 1. Mai, Seite 502, Absatz 40).

1931

Impfungen sind eine Verletzung des ewigen Bundes, den Gott mit Noah schloß. (Golden Age, 4. Februar, Seite 293).

1931

Die Gesellschaft räumt ein, daß es in 1. Mose 9 und bei dem "ewigen Bund" nicht wirklich um das Essen von Blut geht. "Alle vernünftig Denkenden müssen zu dem Schluß kommen, daß es nicht das Essen von Blut war, dem Gott widerstand, sondern das Blut von Tieren sollte nicht mit dem Blut von Menschen in Berührung kommen." (Golden Age, 4. Februar, Seite 294, Absatz 42).

1935

Eine Impfung ist die unmittelbare Injektion von tierischem Eiter in den Blutstrom und eine direkte Verletzung des Gesetzes Jehova Gottes. (Golden Age, 24. April 1935, Seite 465) Siebzehn Jahre lang verweigern die Zeugen nun die Pockenimpfung, bis die Gesellschaft nach dem Tod von Bruder Woodworth das Impfverbot aufhebt. Es stellt sich heraus, daß der Pockenimpfstoff nicht einmal aus Blut hergestellt wurde. Während dieser Zeit erschienen im Golden Age viele Karikaturen, die Dinge zeigen wie Haufen pockennarbiger Kinder, die durch den Impfstoff Schaden genommen haben. Andere Karikaturen bilden "Drogenärzte" ab mit Spritzen in der Hand, auf denen "Eiter" steht. Heute können wir uns kaum noch vorstellen, eine wie unglaubliche Situation sich um das Thema herum bildete. Kinder durften ohne Impfpaß nicht in die Schule, Zeugen konnten nicht in andere Länder ver- oder einreisen und Zeugen in Gefängnissen bekamen Einzelhaft.

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, ein wie schweres Problem die Pocken damals waren. Im Jahre 1921 gab es allein in den USA 100.000 Fälle von Pocken, und die Sterberate lag bei 40%. Man muß sich schon fragen, wie viele wirkliche körperliche Schäden und wie viele Tote es bei den Zeugen als Folge des Gehorsams gegenüber dem Impfverbot der Gesellschaft es gab.

1940

Bericht eines Arztes, der ein Quart von seinem Blut in einem Notfall gespendet hatte. Er wird als Held dargestellt (Consolation, 25. Dezember, Seite 19, Absatz 53).

1945

Bluttransfusionen und Blutprodukte sind offiziell als "heidnisch und gottentehrend" verboten. (Watchtower, 1. Juli 1945, Seite 198-201)

1949

Keine Einwände gegen Organtransplantationen; besprochen als "Wunder der modernen Chirurgie." (Awake!, 22. Dezember 1949 - "Ersatzteile für deinen Körper")

1951

Clayton J. Woodworth, Herausgeber von Golden Age/Consolation [Das goldene Zeitalter/Trost] bis zur Umbenennung in Erwachet! im Jahre 1946, stirbt und wird am 18. Dezember 1951 begraben (Watchtower, 15. Februar 1952, Seite 128).

1952

In einem Brief, datiert vom 15. April 1952, werden Impfungen, wie gegen Pocken, jetzt offiziell erlaubt. Viele Zeugen hatten sie schon seit etwa einem Dutzend Jahren erhalten, und die Gesellschaft hat schon gewußt, daß sie kein Blut enthielten, seit sie von einem Zeugen namens William Cetnar darüber in Kenntnis gesetzt wurde. Mankann mit Recht spekulieren, ob das Verbot erst 1952 aus Respekt von Clayton J. Woodworth aufgehoben wurde, der eine deutliche Abneigung gegen Impfstoffe hatte (Watchtower, 15. Dezember 1952, Seite 764; deutsch: Wachtturm, 15. Februar 1953, Seite 127-128).

1953

Impfungen werden nicht mehr als Essen von Blut angesehen und stehen auch nicht mehr in Verbindung mit sexuellen Beziehungen (Make Sure of All Things, Seite 48, Absatz 47).

1958

Eine "Frage von Lesern" erklärt, daß es einer gesalbten Schwester erlaubt sein solle, beim Gedächtnismahl von den Symbolen zu nehmen, wenn sie eine Bluttransfusion erhalten hatte. Begründung: Sie sei einfach unreif. (Watchtower, 1. August 1958, Seite 478; deutsch: Wachtturm, 1. Oktober 1958, Seite 606).

Die Vorschrift zu Blutseren wie Diphtherie-Antitoxin und Gammaglobulin besagt, daß es eine persönliche Entscheidung sei, sie zu nehmen. (Watchtower, 15. September 1958, Seite 575; deutsch: Wachtturm, 15. November 1958, Seite 703).

1959

Blut muß ausgegossen werden; es wäre daher verkehrt, eigenes Blut abnehmen, es lagern und später zurückführen zu lassen. (Watchtower, 15. Oktober 1959, Seite 640; deutsch: Wachtturm, 1. Mai 1960, Seite 287-288)

1961

Auf die Annahme von Blut oder verbotener Blutbestandteile folgt ein Gemeinschaftsentzug. (Watchtower, 15. Januar 1961; Seite 63-64; deutsch: Wachtturm, 15. März 1961, Seite 190-191).

Organspenden sind eine Sache des Gewissens. (Watchtower, 1. August 1961, Seite 480; deutsch: Wachtturm, 1. Dezember 1961, Seite 719).

Persönlichkeitszüge, die Impulse zu morden und Selbstmord zu begehen werden im Blut übertragen. (Watchtower, 15. September 1961, Seite 564; deutsch: Wachtturm, 1. Dezember 1961, Seite 724-725).

1963

Neue Vorschriften zu Blutseren. Die Vorschrift von 1958 wird über den Haufen geworfen. Nun wird jeder Blutbestandteil als Ernährung angesehen und verboten. Die Vorschrift trifft nicht auf Impfstoffe zu. (Watchtower, 15. Februar 1963, Seite 124; deutsch: Wachtturm, 15. Mai 1963, Seite 316).

1964

Ärzte, die Zeugen sind, dürfen Patienten, die keine Zeugen sind, Bluttransfusionen geben. (Watchtower, 15.11.1964, Seite 682; deutsch: Wachtturm, 15. Januar 1965, Seite 42-43).

1966

Bluttransfusionen als Kannibalismus bezeichnet. (Wachtturm, 1. Juli 1966, Seite 401).

1967

Organtransplantationen sind jetzt Kannibalismus. Eine weitere völlige Kehrtwendung. Von Organspenden wird deutlich abgeraten. (Watchtower, 15. November 1967, Seite 702; deutsch: Wachtturm, 15. Februar 1968, Seite 126-128).

1971

Das Herz ist nicht bloß eine Pumpe; es ist durch Nerven mit dem Gehirn verbunden und das eigentliche Organ, in dem Affekte, Beweggründe, Wünsche und Emotionen entstehen. (Watchtower, 1. März 1971, Seite 133-135; deutsch: Wachtturm, 1. Juni 1971, Seite 325-331).

1974

Weiteres neues Licht, das in Wirklichkeit altes ist, zu Blutseren. Es handelt sich wieder um eine Sache des persönlichen Gewissens, obwohl der Artikel den Gedanken anklingen läßt, das sei ganz und gar nichts Großartiges. (Watchtower, 1. Juni 1874, Seite 352; deutsch: Wachtturm, 1. September 1974, Seite 541).

1975

Zur Bluterbehandlung mit Plasmafaktoren sagt die Gesellschaft natürlich, daß wahre Christen sich nicht so behandeln lassen und das Gebot der Bibel beherzigen, sich des Blutes zu enthalten. (Awake!, 22. Februar 1975, Seite 30; Artikel nicht in deutschen Ausgaben erschienen)

Vier Monate später eine Kehrtwendung. Die leitende Körperschaft entscheidet, daß Blutbestandteile für Bluter als Gewissenssache akzeptabel sind. Wer nun nach dem 11. Juni die Gesellschaft angerufen hat, dem wurde gesagt, daß er eine persönliche Entscheidung über die Verwendung von Faktor VIII und -IX-Präparaten treffen sollte. Diese Politik wird erst drei Jahre später offiziell, weil die leitende Körperschaft sich nicht offiziell so schnell revidieren will. Wer sich brieflich an die Gesellschaft gewandt hatte, weil er wissen wollte, ob er Faktor VIII und -IX-Präparate gebrauchen darf, wird von ihr angeschrieben. Wer angerufen hatte, mit dem konnte kein Kontakt aufgenommen werden, er starb wahrscheinlich.

Wer eine Organtransplantation oder Bluttransfusionen angenommen hat, leidet vielleicht auch an einer Übertragung von Persönlichkeitsmerkmalen. (Watchtower, 1. September 1975, Seite 519; deutsch: Wachtturm, 1. Dezember 1975, Seite 733).

1977

Bluttransfusionen werden jetzt als Organtransplantationen angesehen; Eltern muß es gestattet sein, eine Bluttransfusion für ihre Kinder zu verweigern. (Jehovah's Witnesses and the Question of Blood/Jehovas Zeugen und die Blutfrage, Seite 41).

1978

Eine nachgiebigere Haltung zu Seren. Sie sind offenbar kein Weg, "Leben zu erhalten." Blutererfahren nun offiziell, daß sie eine Behandlung mit Blutbestandteilen oder -Fraktionen annehmen dürfen; hätten sie sich an die Gesellschaft gewandt, so hätten sie das schon ein paar Jahre vorher erfahren. Wenn sie das nicht getan haben, sind sie jetzt wahrscheinlich schon tot. Zeugen dürfen an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden, wenn sie mit blutfreien Flüssigkeiten geladen ist. (Watchtower, 15. Juni 1978, Seite 30-31; deutsch: Wachtturm, 1. Oktober 1978, Seite 30-31).

1980

Weiteres neues Licht - ich meine natürlich altes Licht - über Organtransplantationen. Sie sind kein Kannibalismus mehr. (Watchtower, 15. März 1980, Seite 31; deutsch: Wachtturm, 15. Juni 1980, Seite 31).

Die Gesellschaft richtet jetzt Hunderte von KVKs oder Krankenhausverbindungskomitees ein. Listen mit wohlwollenden Ärzten werden geführt, und die Komitees bemühen sich, Ärzte aus Sozialdiensten zu umgehen, die versuchen, sich für Minderjährige einzusetzen.

1982

Die Gesellschaft führt ihre Lehre über Haupt- und Nebenbestandteile bei Blut ein. Nebenbestandteile dürfen angenommen werden, Hauptbestandteile sind verboten. Blutverdünnung wird als unzulässig aufgeführt. (Awake!, 22. Juni 1982, Seite 25; deutsch: Erwachet!, 22. September 1982, Seite 25).

1984

Knochenmark wird als Gewissenssache diskutiert, es scheint aber davon abgeraten zu werden. (Watchtower, 15. April 1984, Seite 31; nicht in deutschen Ausgaben erschienen).

Die Gesellschaft läßt still und leise die Vorstellung fallen, das buchstäbliche Herz sei für Affekte, Beweggründe, Wünsche und Emotionen verantwortlich. (Watchtower/Wachtturm, 1. September 1984, Seite 6).

1985

AIDS wird aufgegriffen, um der Haltung der Gesellschaft zu Blut Glaubwürdigkeit zu verleihen. (Watchtower/Wachtturm, 1. September 1984, Seite 6).

1988

AIDS ist zu einem weltweiten Problem geworden, das die Gesellschaft häufig als Beweis für die Richtigkeit ihrer Lehre anführt. Sie behauptet, ihre Richtlinien hätten Jehovas Zeugen vor AIDS geschützt. Sie räumt ein, daß etwa 10.000 Amerikaner mit schwerer Hämophilie infiziert worden sind. Sie erwähnt aber nicht, daß diese Personen wegen Behandlung mit Faktor VIII und -IX-Präparaten infiziert worden sind, die schon seit über zehn Jahren auf der Liste der erlaubten Blutbestandteile standen. Die Haltung der Gesellschaft hat für diese armen Freunde keinen Schutz dargestellt. (Awake!/Erwachet!, 10. August 1988, Seite 11).

1989

Die Gesellschaft scheint die Tür zur intraoperativen Eigenbluttransfusionen aufzustoßen. Sie werden zwar nicht extra genannt, doch wird unterstellt, daß Blutsammeltechniken zulässig sind. (Watchtower/Wachtturm, 1. März 1989, Seiten 30, 31).

1991

Zeugen Jehovas werden ermuntert, mögliche Antworten, die sie vielleicht vor einem Richter geben müssen, vorher einzustudieren. (Our Kingdom Ministry, März 1991).

1992

Die Gesellschaft sagt, wir sollten uns keine Sorgen machen, ob Nahrungsmittel Blut enthalten oder nicht, wenn wir keinen hinreichenden Verdacht haben, daß sie Blut enthalten. (Watchtower/Wachtturm, 15. Oktober 1992, Seite 30).

1994

Artikel über das Thema "Jugendliche, die Gott an die erste Stelle setzen". Es geht um Jugendliche, die als Folge des Blutverbotes gestorben sind. (Awake!/Erwachet!, 22.Mai 1994, Seite 3-15).

Erörterung des Rhesus-Faktor-Antiserums (aus Blutserum hergestellt). In dem Artikel heißt es: "In der vorliegenden Zeitschrift sowie der Begleitzeitschrift Der Wachtturm ist stets übereinstimmend zu dieser Frage Stellung genommen worden." (Awake!/Erwachet!, 8. Dezember 1994, Seite 27). Man beachte, daß die Gabe von Rh-Faktor-Antiserum bis 1974 verboten war und noch bis 1978 davon abgeraten wurde.

1995

Ein Zeuge darf sich unter bestimmten Umständen sein eigenes Blut zurückinfundieren lassen. Blutverdünnung durch synthetische Mittel und Sammeltechniken für autologes Blut sind annehmbar und schließen ein kurzes Lagern des Blutes außerhalb des Körpers ein. (Watchtower/Wachtturm, 1. August 1995, Seite 30).

1997

Älteste werden ermuntert, denen zu einem rechten Verständnis zu verhelfen, die eine Bluttransfusion angenommen haben. Bei Rechtskomiteeverhandlungen sollten sich Älteste daran erinnern, daß Liebe das Rückgrat des Christentums ist, und Standfestigkeit durch Barmherzigkeit abmildern. (Watchtower/Wachtturm, 15. Februar 1997, Seite 20).

Die Wachtturm-Gesellschaft erlaubt einem Zeugen Jehovas in Australien, eine neue Therapie, die die Transfusion weißer Blutkörperchen einschließt, zu erhalten. Weiße Blutkörperchen stehen immer noch auf der Liste der von der WTG verbotenen Blutbestandteile. Die Prozedur nennt sich "Autotransplantation", was mehr nach Transplantation als nach Transfusion klingt.

Die Entwicklung der Wachtturm-Blutpolitik

Um zu verstehen, wie die Einwände der Gesellschaft gegen die Transfusionsmedizin ursprünglich ersonnen und formuliertwurden, muß man sich zuerst darüber im klaren sein, daß die Menschheit nicht immer genau verstanden hat, welche Rolle das Blut bei der Erhaltung des Lebens in einem Körper spielt. Eine sehr grundlegend falsche Auffassung, die seit der Zeit von Claudius Galen im 2. Jahrhundert bis ins späte 19. Jahrhundert hinein existierte, war der Glaube, das Blut sei letzten Endes die Nahrung, auf die sich ein Körper innerlich stütze. Dieses Mißverständnis findet sich hier und da in der Literatur jener Zeit, und sogar noch später bis ins 20. Jahrhundert hinein, weil es die "falsche Vorstellung von Laien" blieb. Als Beispiel, wie diese falsche Vorstellung sogar im Denken intelligenter und gebildeter Leute in der Vergangenheit verankert war, diene ein Zitat aus dem 1898 entstandenen Roman "Krieg der Welten".

So seltsam es einem Menschen auch erscheinen mag, der ganze komplexe Verdauungstrakt, der den Großteils unseres Körpers ausmacht, existierte bei den Martianern nicht ... Sie aßen nicht, geschweige denn daß sie verdauten. Statt dessen nahmen sie frisches Blut von anderen Lebewesen und injizierten es sich in ihre Venen.

H.G. Wells phantastische Spekulation, wie eine hochentwickelte Rasse sich am Leben erhalten könnte, spiegelt dasselbe völlige Mißverständnis wider, das es eben im Hinblick darauf gab, welche Rolle das Blut bei der Ernährung des Körpers spielt. Wenn man das Blut in diesem Licht sieht, dann wird vollkommen verständlich, warum die Gesellschaft aufgrund biblischer Argumente die Praxis der Bluttransfusion abzulehnen pflegt. Wenn nämlich das Blut letztlich das Nahrungsmittel darstellt, das unseren Körper erhält, dann stellt die Annahme von Blut von einer anderen Person in einem sehr realen Sinne ein "Essen" von Blut eines anderen Geschöpfes dar. Die Verbindung zwischen dem Essen von Blut und einer Bluttransfusion wurde erstmals in der Ausgabe des Watchtower vom 1. Juli 1945, Seiten 200, 201, hergestellt, wo es hieß:
Unter den barbarischen und wilden, unzivilisierten Nationen wir den Skyten, Tartaren, wüstenbewohnenden Arabern, Skandinaviern usw. die sich hauptsächlich von Tierblut ernährten, gab es einige, die sogar das Blut ihrer Feinde tranken, nachdem sie ihre Schädel zu Trinkbechern gemacht hatten. Es ist recht interessant, daß bei unserem Nachschlagen in verschiedenen Werken zum Thema Blut der folgende damit zusammenhängende Punkt in der Encyclopedia Americana, revidierte Ausgabe von 1929, Seite 113, Spalte 1 ans Licht kam:

Bluttransfusionen gehen bis auf die alten Ägypter zurück. Der erste überlieferte Fall ist der von Papst Innozenz VIII im Jahre 1492. Die Operation kostete drei junge Menschen das Leben, das Leben des Pontifex wurde nicht gerettet. Große Fortschritte in Forschung und Praxis der Transfusion bei Tieren wurden nach Harveys Entdeckung des Blutkreislaufs Mitte des 17. Jahrhunderts gemacht. Ärzte in Deutschland, England und Frankreich waren nach der Entdeckung besonders auf dem Gebiete der Bluttransfusionen tätig. Sie argumentierten, da das Blut das Hauptmittel sei, durch das sich ein Körper ernähre, seien Transfusionen schneller und eine Abkürzung, einen mangelernährten Körper mit Nahrung zu versorgen, als daß er Speise zu sich nehme, die nach mehreren Veränderungen zu Blut wird. So dachte man sich eine Transfusion nicht nur als eine Behandlung, sondern auch als Jungbrunnen.



Man sollte festhalten, daß das Zitat aus der Encyclopedia Americana von 1929, das im Watchtower wiedergegeben wurde, dieses Material nicht als den gegenwärtigen Stand der Medizin wiedergab, sondern als die Meinung der Forscher des 17. Jahrhunderts. Sicherlich war 1945 bekannt, daß dieser Standpunkt falsch war. Warum diese Tatsache übersehen wurde, ist heute (1998) schwer zu sagen, doch es spielt zweifellos die Tatsache dabei eine Rolle, daß es um die Erkenntnisse von Personen geht, die sich ihre Vorstellungen und persönlichen Ansichten viele Jahre vor 1945 gebildet hatten. In den folgenden fünf Jahren wurde dieser Fehler noch weiter verschlimmert, als die Gesellschaft gebieterisch zu lehren begann, es gebe keinen physischen Unterschied zwischen der Transfusion eines Blutproduktes und dem Essen von Vollblut.

Bis 1950 hatte sich diese Ansicht bis zu dem Punkt verfestigt, an dem die Gesellschaft beides einfach als "Übertragung" von Blut bezeichnete. Dieser Standpunkt war in Erklärungen wie derjenigen kristallklar, die im Watchtower vom 1. Juli 1951 auf Seite 415 erschien:
Ein Patient im Krankenhaus kann oral, durch die Nase oder durch die Venen ernährt werden. Wenn ihm intravenös eine Zuckerlösung gegeben wird, nennt man das intravenöse Ernährung. So erkennt die eigene Terminologie in einem Krankenhaus den Prozeß, jemandem durch seine Venen Nährstoffe zu geben, als Ernährung an. Wer daher jemandem eine Bluttransfusion verabreicht, ernährt den Patienten durch die Venen, und der Patient, der die Nahrung erhält, ißt quasi durch seine Venen.

Aus diesen Feststellungen wird klar, daß nach der Ansicht der Gesellschaft, Blut sei ein 'Nährstoff' und eine Transfusion sei eine 'intravenöse Ernährung', auch kein materieller Unterschied zu der Verabreichung von Dextran bestand. Zehn Jahre später mühte sich die Gesellschaft noch immer mit derselben falschen Vorstellung ab. So versuchte die Wachtturm-Ausgabe vom 1. Dezember 1961, Seite 718-719, diesem Standpunkt mit einer leicht geänderten Erklärung Gewicht zu verleihen:
Es ist nicht von Bedeutung, ob das Blut in den Körper durch die Venen statt durch den Mund aufgenommen wird. Auch ist die Behauptung, die einige erheben, daß dies nicht dasselbe sei wie eine intravenöse Ernährung, nicht von Belang. Tatsache ist, daß es nährt oder den Körper am Leben erhält. In Übereinstimmung damit ist eine Erklärung von Dr. Med. George W. Crile, A. M., der in seinem Buch Hemorrhage and Transfusion (Blutungen und Transfusion) einen Brief von Denis, dem französischen Arzt und Pionier auf dem Gebiet der Bluttransfusion, anführt und sagt: "Wenn eine Transfusion gemacht wird, ist das nichts anderes, als wenn man sich auf einem kürzeren Weg als gewöhnlich Nahrung zuführt, das heißt, man läßt den Venen schon fertiges Blut zukommen, statt Nahrung aufzunehmen, aus der erst nach mehreren Umwandlungen Blut entsteht."

Hier erkennen wir, wie dieselbe falsche Vorstellung vom Blut wiederholt wird: daß Nahrung in Blut verwandelt wird und daß Blut das sei, was den Körper eigentlich ernähre. Ein praktisch identisches Zitat erschien auf der Seite 14 der Broschüre Blut, Medizin und das Gesetz Gottes (1961). Doch was die Gesellschaft bei beiden Zitaten nicht zu sagen für nötig hielt: Das Buch Hemorrhage and Transfusion: An Experimental and Clinical Research war 1909 veröffentlicht worden und konnte auch bei bestem Wohlwollen noch 52 Jahre später nicht als maßgeblicher medizinischer Text angesehen werden. Des weiteren informierte die Gesellschaft niemanden, daß Jean Baptiste Denys seine Forschungen im 16. Jahrhundert angestellt hatte und im Jahre 1961 schon seit 257 Jahren tot war. Noch beunruhigender als diese beiden Versäumnisse ist jedoch die Art und Weise, in der dieses Zitat vorsätzlich den falschen Eindruck erweckt, der vorgestellte Standpunkt hätte die Unterstützung der neueren medizinischen Autorität Georg W. Crile selbst. Dies wird an der Studienfrage zu diesem Absatz selbst erkennbar:

Was zeigt, daß die Bluttransfusion einer "Ernährung" mit Blut gleichkommt?

Im folgenden das komplette Zitat aus dem Originalwerk, wie es in Kapitel VII, "Eine kurze Geschichte der Transfusion", erscheint:
Im selben Jahr schrieb Denys de Montpellier über Experimente, die er mit Tieren angestellt hatte. Er folgte damit Lowers Methode in ganz allgemeinen, außer daß er nicht genügend Blut vom Spender entnahm, um seinen Tod zu verursachen. Er versuchte auch Transfusionen von drei Kälbern auf drei Hunde, die sich jedesmal als erfolgreich erwiesen. In einem Brief an M. de Montpellier beschreibt er zwei Transfusionen, die er bei Patienten durchführte. Seine Vorstellung war: "Wenn man Transfusionen vornimmt, kann man nur das Vorbild der Natur nachahmen, die, um den Fötus im Uterus der Mutter zu ernähren, ständig Blut von der Mutter in den Körper des Kindes durch die Nabelschnurvene transfundiert. Bluttransfusionen vorzunehmen, ist also nichts anderes als eine Ernährung auf einem kürzeren Weg als gewöhnlich -- das heißt, man bringt Blut in die Venen, statt Nahrung aufzunehmen, die sowieso nach mehreren Verwandlungen zu Blut wird." (Hemorrhage and Transfusion: An Experimental and Clinical Research, Seiten 153, 154)

Wenn man das Zitat im richtigen Textzusammenhang sieht, wird klar, daß Crile einfach eine historische Erzählung über die Zwischenfälle, die Unkenntnis und die Fehler liefert, die frühen Forschern auf diesem Gebiet unterliefen, und wohl nicht ernstlich mit dem schon komischen Stand an Unkenntnis übereinstimmt, die er in einem (1909) 252 Jahre altem Forschungsbericht vorfand. Überdies hätte niemand im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte selbst 1909, geschweige denn 1961, ernsthaft Denys' eigenem Grund für diese Feststellung geglaubt -- daß das Blut der Mutter ständig in den Körper des Kindes transfundiert werde. (Es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, daß heute die Beziehung Mutter/Fötus benutzt wird, um bestimmte Blutbestandteile zu verbieten.

Selbst wenn wir das Element der Unaufrichtigkeit, das sich in der Behandlung des Themas zu zeigen begann, unberücksichtigt lassen, stehen wir immer noch vor einem eindeutigen Beispiel für ein massives Mißverständnis der Grundlagen der Biologie seitens der Gesellschaft. Denn es wäre absurd, wenn jemand selbst nur mit High School-Bildung behaupten würde, der Körper würde direkt durch das Blut ernährt. Das Blut transportiert Nährstoffe zu den Zellen des Körpers. Das geschieht durch das Plasma und die darin gelösten Stoffe. Jede Zelle im Körper eines Menschen wird einzeln für sich ernährt - durch den direkten Kontakt mit dem Blutstrom. Das Verdauungssystem schließt die Nahrung, die man ißt, auf und macht daraus lösliche Stoffe, die in das Plasma diffundieren können, nämlich Aminosäuren, einfache Zuckerarten, Fettsäuren, Spurenelemente (Vitamine und Mineralien) und Wasser. Das Plasma, das selbst hauptsächlich aus Wasser besteht, funktioniert ganz einfach als Transportmittel, analog zu der Art und Weise, in der die Hände ein Transportmittel sind, die die Nahrung zum Mund führen. Man beißt sich nicht die Finger ab und schluckt sie beim Essen hinunter. So verschlingen die einzelnen Zellen im Körper nicht das Blut, wenn es vorbeiströmt. Das war sicher in den 1950er und den frühen 60er Jahren bekannt. Dennoch spiegelten die Aussagen der Gesellschaft zum Blut während dieser Zeit alle diese falsche Vorstellung wider. Die Ausgabe von 1953 des Buches "Make Sure Of All Things" gab auf der Seite 47 die folgende Definition einer Bluttransfusion:
Die Übertragung von Blut aus den Venen oder Arterien einer Person auf eine andere. Wie bei der intravenösen Ernährung handelt es sich um ein Essen von Blut. Ein unbiblischer Brauch.

Doch schließlich begann die Organisation zu erkennen, daß diese Sichtweise ein schlimmer Fehler war. In der nächsten Erklärung wurde der Versuch unternommen, das Problem anzusprechen, indem man eine mehr auf dem aktuellen Stand befindliche Darstellung dafür gab, warum man glaubte, eine Transfusion stelle ein "Essen" von Blut dar. Sie erschien in der Watchtower-Ausgabe vom 1. Dezember 1967, Seite 720 [deutsch: Wachtturm, 1. April 1968, Seite 209], einen Monat, nachdem das neue Verständnis, das Organtransplantationen verbot, eingeführt wurde:
Zur Verteidigung der Bluttransfusion wird ferner angeführt, daß das, was transfundiert werde, lediglich ein Vehikel sei, um dem menschlichen Körper direkt Nahrung zuzuführen, und daß sich der Körper nicht von dem Vehikel selbst ernähre. Wir fragen daher: Wird das Blut, das als Vehikel dient, nachdem es transfundiert worden ist und es seinen Sauerstoff und die Nährstoffe an das Körpergewebe abgegeben hat, dem Patienten wieder entzogen und dem Blutspender wieder transfundiert? Das wäre ziemlich kompliziert oder unmöglich, besonders in Fällen, in denen der Blutspender oder die Blutspender unbekannt sind oder wenn es sich um Blut von Leichen handelt. Der transfundierte, als Vehikel dienende Stoff bleibt daher im Körper des Patienten. Was geschieht dann? Im Laufe der Jahre, in denen sich der menschliche Körper völlig erneuert, macht sich der Körper des Patienten dieses als Vehikel dienende Blut zunutze oder er verbraucht es, ein Vorgang, der ja auch bei jeder Transplantation zu beobachten ist. Inwiefern wäre das im wesentlichen etwas anderes als sich von dem transfundierten Blut ernähren? Die Ergebnisse sind die gleichen: Der Körper des Patienten ernährt sich von dem transfundierten Stoff.

Man beachte, daß die Gesellschaft hier zwei Fliegen mit einer Klappe schlug, als sie gleichzeitig ihre Einwände gegen Organtransplantationen wie auch Bluttransfusionen darlegte und dabei für beides exakt dieselbe Erklärung gab. Gespendete Organe, die über Transplantationen in den Körper gehen, wie auch gespendetes Blut, das durch Transfusionen in den Körper gelangt, werden aus im Prinzip demselben Grund so angesehen, als seien sie "gegessen" worden. Obwohl diese Erklärung vom medizinischen Standpunkt aus vernünftiger war, war sie in einer 'realen Welt' ungereimt, weil der beschriebene Prozeß der Stoffwechselaufspaltung und der zellulären Erneuerung mit unserem Blut wie auch mit unseren Organen geschieht. Wenn dieser Prozeß, wie die Gesellschaft behauptet, tatsächlich ein "Essen" darstellt, dann ist jedermann schuldig, denn nach der eigenen Auslegung der Bibel durch die Gesellschaft ist es gleichfalls eine Übertretung, das eigene Blut zu essen, wie das eines anderen. Daher verurteilte diese Erklärung tatsächlich jedermann auf dem gesamten Planeten. Mit der Kehrtwendung beim Verbot von Organtransplantationen mußte diese Erklärung fallengelassen werden. Dies war auch der letzte Versuch, eine Erklärung vorzubringen, die eine Bluttransfusion direkt einem Essen von Blut gleichsetzte. Damit ist zu sehen, daß die Gesellschaft begann, sich einige schwere Probleme zu bereiten, wenn sie den ursprünglichen Standpunkt aus den späten 60er Jahren beibehalten wollte. Erinnern wir uns daran, daß die falsche Vorstellung vom Blut, das eigentlich ein Nährstoff sein sollte, der grundlegende Eckpunkt der Ablehnung der Transfusionsmedizin war, wie es die Wachtturm-Ausgabe vom 15. November 1958, Seite 703, deutlich zeigt:
Jedes Mal, da in der Schrift ein Verbot gegen den Blutgenuß erwähnt wird, geschieht es in Verbindung mit dem Genuß des Blutes als Speise, und somit interessieren wir uns für dessen Verbot als Nährstoff.

Doch das Blut an sich ist kein Nährstoff, und deshalb ernährt eine Bluttransfusion auch nicht den Körper, es ist auch nicht dazu geschaffen worden und wird dem Patienten nicht gegeben, weil er Nahrung braucht. Dies ist eine Tatsache, die die Gesellschaft allmählich schweigend einzuräumen gezwungen war.

Mit der zweite Erklärung überlappend, aber diese schließlich überdauernd, schuf eine dritte Erklärung eine Analogie zwischen Blut und anderen Substanzen. Ein Beispiel: Bestimmte Substanzen haben dieselbe Wirkung auf den Körper, egal ob sie durch den Mund eingenommen oder injiziert werden; ein Verbot, eine Substanz durch den Mund einzunehmen, würde auch auf die Injektion zutreffen. Dieser Grundsatz sollte angeblich auch auf Blut zutreffen. Diese Analogie taucht bereits in der Publikation Die Wahrheit, die zum ewigen Leben führt aus dem Jahre 1968 auf, wie auch neueren Datums im Jahre 1989 in der Publikation Unterredungen anhand der Schriften. In beiden Büchern war die Substanz in der Analogie der Alkohol. In der Broschüre Jehovas Zeugen und die Blutfrage wurde auf Seite 18 dieselbe Argumentationslinie benutzt, diesmal mit Antibiotika:
Ärzte wissen, daß jemand sowohl durch den Mund als auch intravenös ernährt werden kann. Bestimmte Arzneimittel können auf verschiedenen Wegen verabreicht werden. Einige Antibiotika zum Beispiel können oral in Tablettenform eingenommen werden; sie können aber auch in die Muskeln oder in den Blutkreislauf (intravenös) eingespritzt werden. Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine gewisse antibiotische Tablette eingenommen, darauf hätte sich eine gefährliche allergische Reaktion gezeigt und man hätte Ihnen daher geraten, sich in Zukunft dieser Droge zu enthalten. Wäre es vernünftig, anzunehmen, der Arzt hätte mit seiner Warnung gemeint, Sie sollten das Mittel nicht mehr in Tablettenform einnehmen, könnten es sich aber gefahrlos in den Blutkreislauf injizieren lassen? Wohl kaum! Es käme nicht auf die Form der Verabreichung an, sondern darauf, daß Sie dieses Antibiotikum überhaupt nicht zu sich nehmen dürften. Genauso verhält es sich mit der Entscheidung, daß sich Christen des Blutes enthalten müssen: Sie bezieht sich auf die Aufnahme von Blut in den Körper, ganz gleich, ob diese durch den Mund oder direkt in den Blutkreislauf erfolgt.

Bei Substanzen wie Alkohol und bestimmten Antibiotika macht es keinen Unterschied, wie sie verabreicht werden, da das Endergebnis -- die Aufnahme in den Körper -- dasselbe ist. Würde dir ein Arzt verbieten, Alkohol zu trinken, dürftest du ihn natürlich auch nicht in deinen Blutstrom injizieren, weil er dieselbe unerwünschte Wirkung hätte. Bedeutet dies aber, daß du jetzt auch kein Mundwasser benutzen oder Hustensaft einnehmen darfst, oder Alkohol nicht mehr als Antiseptikum oder als Aftershave nehmen darfst? Natürlich nicht. Schon die ganze Vorstellung ist absurd, da entweder das Endergebnis nicht dasselbe ist oder der Nutzen das Risiko bei weitem aufwiegt. Ist im Falle von Blut das Endergebnis einer Transfusion dasselbe, als hättest du Blut gegessen?

Ein lebensfähiges Blutprodukt wie beispielsweise gepackte rote Blutkörperchen lebt; es ist ein lebendes Gewebe. Das ist der ganze Grund, warum Blutprodukte typischerweise eine begrenzte Lagerfähigkeit haben. Wenn sie nicht mehr lebensfähig sind, kann man sie nicht mehr verwenden. Wenn man sie ißt, tötet der Verdauungsvorgang dieses lebende Gewebe ab. Transfundiertes Blut jedoch behält seine Form und nimmt seine von Gott vorgesehen Funktion im Körper des Empfängers wieder auf. Im Grunde genommen ist eine Bluttransfusion also eine Organtransplantation. Selbst in der Broschüre Jehovas Zeugen und die Blutfrage wird dies auf der Seite 41 anerkannt:
Daher lehnen manche Personen ungeachtet ihrer religiösen Überzeugung Bluttransfusionen einfach deswegen ab, weil es sich dabei im Grunde genommen um eine Organverpflanzung handelt und bestenfalls nur eine teilweise Verträglichkeit mit dem eigenen Blut besteht.

Es besteht also ein grundlegender Unterschied zwischen dem Essen von Blut als Speise und einer Tranfusion. Es ist derselbe Unterschied wie zwischen dem Essen einer Niere eines anderen Menschen und dem Empfangen als Transplantat. Die beiden Handlungen sind radikal unterschiedlich, eine Tatsache, die die Gesellschaft jetzt anerkennt. Es gab also keinen Grund für den Vergleich einer Transplantation lebenden Gewebes -- in einer Weise, die mit dem Zweck übereinstimmt, für den es geschaffen wurde -- mit dem Einnehmen einer Substanz, die einfach vom Körper absorbiert wird, egal wie sie verabreicht wird. Das Lächerliche an der Analogie, zu der die Gesellschaft greift, wird leicht an einem Vergleich sichtbar:
Wie verhält es sich zum Beispiel mit jemandem, dem der Arzt dringend geraten hat, sich des Alkohols zu enthalten? Würde er den Rat befolgen, wenn er zwar aufhören würde, Alkohol zu trinken, ihn sich aber statt dessen direkt in die Venen spritzen würde? (Unterredungen anhand der Schriften, Seite 779)

Wie verhält es sich zum Beispiel mit jemandem, dem der Arzt dringend geraten hat, sich vom Fleisch zu enthalten? Würde er den Rat befolgen, wenn er zwar aufhören würde, Fleisch zu essen, aber eine Nierentransplantation annähme?

Es gibt ganz eindeutig keinen Zusammenhang zwischen dem Essen und Verdauen von Nahrung und der Transplantation von lebendem Gewebe. Die Alkohol/Antibiotikum-kontra-Blut-Analogie ist nicht mehr als ein Scheinbeweis. Das klingt vielleicht etwas harsch, aber man muß sich vor Augen halten, daß eine Analogie nur ein Sprachbegriff ist, eine Art und Weise, eine Aussage durch das Ziehen eines Vergleichs zu machen. Eine Analogie kann man wie jede andere Redetechnik dazu benutzen, alles mögliche zu sagen, egal ob es richtig oder falsch ist. Typischerweise nehmen falsche Analogien ihren Anfang bei falschen Vergleichen. Man kann das an den Analogien der Gesellschaft sehen, wo alles davon abhängt, daß der Leser die Gleichsetzung zwischen der Transplantation eines lebenden Gewebes wie Blut mit der Injektion einer Substanz wie Alkohol akzeptiert. Die Schlüssigkeit einer jeden Analogie liegt nicht in der Analogie selbst, sondern in dem Beweis, daß der zu ziehende Vergleich tatsächlich stimmt, was normalerweise an erster Stelle zu klären wäre.

Das Jahr 1980 brachte eine Kehrtwendung in der Vorschrift der Gesellschaft aus dem Jahre 1967 zur Frage von Organtransplantationen. Nun waren sie wieder eine Sache des Gewissens des einzelnen und damit erlaubt. Damit stand die Bluttransfusion auf schwächeren Füßen als zuvor. Man darf nicht vergessen, daß im Jahre 1967 Organtransplantationen aus genau demselben Grund verurteilt wurden wie Bluttransfusionen. Nun wurde diese Begründung offiziell zurückgenommen. Nachdem öffentlich gesagt wurde, die Aufnahme eines gespendeten Organs in den Körper durch eine Transplantation müsse im Prinzip nicht als ein Essen betrachtet werden, konnte die Gesellschaft ja an diesem Punkt nicht gut wieder auf die Erklärung zurückfallen, die sie gerade verworfen hatte, und sagen, gespendetes Blut über eine Transfusion in den Körper aufzunehmen heiße, es zu essen; besonders nachdem sie gerade einmal drei Jahre zuvor eingeräumt hatte, eine Bluttransfusion sei "im wesentlichen eine Organtransplantation."

Unserer Sicht nach war dies der Punkt, an dem die Gesellschaft in bezug auf Bluttransfusionen völlig im Abseits stand. Sie konnte, ohne sich zu wiedersprechen, nicht mehr behaupten, eine Bluttransfusion sei selbst dem Grundsatz nach ein Essen von Blut, und deshalb war die Verbindung zum biblischen Verbot, Blut zu essen, unreparabel zerrissen. Die Gesellschaft gab nicht auf, doch von diesem Punkt an stellte man jede Verbindung zwischen Bluttransfusionen und dem Essen von Blut nur noch in der nebelhaftesten und weitschweifigsten Weise her.

In der Broschüre Wie kann Blut dein Leben retten? (1990) wurde auf der Seite 6 wiederum der Versuch unternommen, eine Verbindung zwischen dem Essen von Blut und Transfusionen herzustellen, indem man einen Anatomieprofesser aus dem 17. Jahrhundert namens Thomas Bartholin anführte, der glaubte, die zwei Dinge seinen einander ähnlich:
Ähnlich verhält es sich mit der Aufnahme von Fremdblut aus einer aufgeschnittenen Vene, sei es nun durch den Mund oder durch Transfusionsinstrumente. Die Urheber dieser Operation haben das göttliche Gesetz gegen sich, das das Essen von Blut verbietet.

Die Gesellschaft unternahm nicht einmal den Versuch zu erklären, warum die beiden Dinge ähnlich waren; sie stützte sich voll und ganz auf das Zitat Bartholins. Da sie jedoch selbst ganz offenbar dreißig Jahre zuvor die Rolle, die Blut spielt, mißverstanden hatte, warum sollten wir da die Gedanken eines Mannes akzeptieren, der vor über 300 Jahren lebte. Bartholin hatte bei seiner Argumentation offensichtlich die gleiche falsche Vorstellung von der Rolle des Blutes im Körper wie sein Zeitgenosse Denys (und in dieser Hinsicht wie jeder andere im 17. Jahrhundert). In Bartholins Tagen waren Blutegel und Abführmittel die Allheilmittel für alles mögliche, und die Anwendung einer Narkose bei einem Patienten erforderte es, auf seinen Kopf eine Metallschale zu setzen und mit einem Hammer darauf zu schlagen. Er starb 184 Jahre, bevor das Thema der Urzeugung geklärt war, und 92 Jahre, bevor der Sauerstoff entdeckt wurde. Vielleicht war er ein guter Mensch, aber genaue Beobachtungen in medizinischen Dingen benötigen nun einmal das genaue Wissen über die Zusammenhänge.

Schließlich hörte man ganz mit Erklärungen auf. In dem größten Artikel zum Thema Blut aus neuerer Zeit, "Das wirkliche Leben schätzen", der in der Wachtturm-Ausgabe vom 15. Januar 1995 erschien, wurde überhaupt kein Versuch mehr unternommen, zu erklären, warum eine Bluttransfusion dasselbe wie das Essen von Blut sei. Um mit dem völligen Fehlen auch nur eines Zipfelchens an Beweisen zu Rande zu kommen, das in irgendeiner Weise diese Vorstellung untermauern würde, hat die Gesellschaft dabei Zuflucht gesucht, Bibelstellen auszuschmücken, d.h. die relevanten Texte in einer Weise umzuformulieren, daß ihr Aussagebereich erheblich vergrößert wird. Die üblichste dieser Umformulierungen in den Publikationen spricht vom "Verbot des Schöpfers, Blut anzunehmen, um das Leben zu erhalten." Bei diesem Ansatz gibt es jedoch eine Anzahl von Problemen.

Zuallererst würde ein derart drakonisch formuliertes Gesetz Jehovas jegliche Verwendung von Blut verbieten. Das kann aber unmöglich mit der gegenwärtigen Haltung der Gesellschaft in Einklang gebracht werden, die einige Blutbestandteile erlaubt und andere verbietet.

Das offensichtlichste Problem bei diesem Ansatz ist jedoch, daß sich NIRGENDWO in der Bibel ein in solchen Worten ausgedrücktes Gebot Jehovas finden läßt. Nirgendwo in der Bibel wird ein Unterschied im Hinblick auf die Beweggründe gemacht, die jemand, der Blut ißt, vielleicht hat. Es spielte keine Rolle, ob damit Leben erhalten wurdeoder nicht, und deshalb ging es nicht um das 'Erhalten des Lebens'. In gleicher Weise ist das Ersetzen des Wortes 'essen' durch den Begriff 'Leben erhalten' völlig bedeutungslos und sogar ein Ablenkungsmanöver, weil es nirgends in der Bibel auch nur einen Hinweis gibt, daß Blut in einer anderen Weise als durch Essen in den Körper gelangte. Und deswegen ist auch der erweiterte Aspekt des 'Annehmens' (z.B. eine Gewebetransplantation) nicht das Thema. Die Tatsachen zeigen, daß die Transfusion eines Blutproduktes nicht dasselbe ist wie ein Essen von Blut.

Das Umformulieren der Bibel erweckt den Eindruck, als sage sie etwas aus, was sie in Wirklichkeit nicht aussagt. Man muß sich schon fragen, warum eigentlich die Bibelstellen umformuliert werden müssen. Will man versuchen, einen Punkt zu beweisen, der mit Vernunft und Logik nicht bewiesen werden kann? Man muß doch vernünftigerweise annehmen, daß Jehova Gott, der Schöpfer der Sprache selbst, dazu in der Lage ist, seinen Willen klar und eindeutig gegenüber seinen Dienern in einer Weise auszudrücken in der Lage ist, die es unnötig macht, daß spätere Generationen etwas hinzufügen, neuinterpretieren und umformulieren müssen.

Angesichts der abschätzigen Weise der Argumentation, die verwendet wurde, um das Verbot von Bluttransfusionen aufrechtzuerhalten, muß man sich wirklich fragen, warum die Gesellschaft so verbissen an der Ansicht festhält, Transfusionen seien in Wirklichkeit eine Ernährung mit Blut. Ich kann nicht anfangen, alle Gründe zu erklären, aber der hervorstechendste ist wohl, daß für die Gesellschaft eine moralische Notwendigkeit dazu besteht.

Wenn man die Frage von einem rein rechtlichen Standpunkt aus betrachtet, ist keine große Einsicht nötig, um zu erkennen, daß es ein viel vernünftigerer Ansatz ist, wenn man beweist, daß eine bestimmte Handlungsweise verboten sein soll, indem man zeigt, daß sie nichtin den Bereich dessen fällt, was ein Gesetz ausdrücklich nennt, als wenn man das Gesetz dehnt, um eine Handlungsweise durch das Gesetz abzudecken, die außerhalb seiner Grenzen fällt, indem man willkürlich behauptet, das Gesetz hätte/sollte/könnte mehr gemeint haben, als das, was es ausdrücklich benennt. Selbst wenn das vom rechtlichen Standpunkt her zulässig wäre, darf man nicht vergessen, daß wir es mit einer religiösen und nicht mit einer rechtlichen Frage zu tun haben. Für einen religiösen Standpunkt, der sich auf die Bibel stützt, gibt es ein paar eindeutige Präzedenzfälle, die den Ansatz ausschließen, "das Gesetz so zu dehnen, daß es zu einer Situation paßt". Die Gesellschaft hat immer die moralische Notwendigkeit anerkannt, eine eindeutige Verbindung herzustellen, die die medizinische Prozedur einer Transfusion innerhalb der klaren Grenzen dessen setzt, was in der Bibel ausdrücklich verboten wird, nämlich Blut zu essen. Das war in knappen Worten vor über 40 Jahren gesagt worden:
Es ist sein Gesetz, das wir in dieser Blutfrage zu erfüllen suchen, und nachdem wir seinem Erfordernis nachgekommen sind, Tiere ausbluten zu lassen: Ist das nicht genug? Wir müssen nicht unsinnig werden und wie die Pharisäer herumstreiten, und Lasten anhäufen, die über die Forderungen des göttlichen Gesetzes hinausgehen. -- Matth. 23:4 (Watchtower, 1. Juli 1951, Seite 415)

Es heißt entschieden, die "Sünde der Pharisäer" im vollsten Wortsinne zu begehen, wenn man das annimmt, worüber sie im einzelnen spekuliert und Mutmaßungen im Hinblick darauf angestellt haben, was das Verbot, Blut zu essen, im Kontext der Medizin des 20. Jahrhunderts bedeuten mag, und es zu erhöhen, so daß es ein absoluter Maßstab für andere wird, den sie anzunehmen und dem sie zu glauben haben.

Daher sollte es offensichtlich sein, daß die Notwendigkeit, eine Verbindung zwischen Transfusion und dem ursprünglichen Verbot herzustellen, so lange Thema bleibt und bleiben wird, wie die Annahme eines Blutproduktes ein Vergehen bleibt, das einen Gemeinschaftsentzug zur Folge hat. Das ist jedoch genau das Problem, vor dem die Gesellschaft jetzt steht. Wenn heutzutage jemand die ursprüngliche Voraussetzung annehmen soll, sollte es nicht zu viel sein, sie zu bitten, diese Voraussetzung in einer logischen Erklärung zu rechtfertigen. Wie kann jemand erwarten, daß Eltern diese Art von Entscheidungen für die Gesundheitsvorsorge ihrer Kinder treffen, wenn die zugrundeliegenden Prinzipien nicht angemessen erklärt werden können?

In dieser Hinsicht ist zu sehen, daß trotz eines 53-jährigen Versuchs niemals eine anschauliche Erklärung gegeben wurde. Heute reduziert sich die Gesellschaft darauf, die Bibel umzuformulieren und als Beweis für ihre Behauptung falsche Vorstellungen vom Blut zu verwenden, die auf die 1600er Jahre zurückgehen. Die Tatsache, daß die Gesellschaft nicht aus auch nur einer modernen Quelle zitieren kann, ist weiter symptomatisch für das Problem, vor dem sie heute steht -- ein Problem, das darin besteht, daß die Begründung, warum Bluttransfusionen als bibelwidrig erklärt wurden, in erster Linie auf einer falschen Voraussetzung beruht. Kein Arzt (einschließlich Ärzten, die Zeugen sind) wird sich melden und diesen Standpunkt unterstützen. Aus diesem Grund versucht die Gesellschaft heute nicht einmal mehr, zu erklären, warum Transfusionen unter das Verbot fallen, kein Blut zu essen, weil es unmöglich geworden ist, weiter auf der ursprünglichen falschen Voraussetzung zu beharren.