Zeugen Jehovas, die sich Bluttransfusionen verabreichen lassen, werden nicht mehr aus der Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen – das beschloss das weltweite Leitungsgremium der Zeugen bei einer geheimen Sitzung in New York.

Das Dekret der zwölf Leiter sieht vor, dass Bluttransfusionen bei Lebensgefahr kein Grund für eine Exkommunizierung sind. „Das ist der größte Rückzieher in der Geschichte der Glaubensgemeinschaft seit dem für 1975 prophezeiten Armageddon“, so die britische Times.

Das Verbot hatte außerhalb der Glaubensgemeinschaft jahrzehntelang für Empörung gesorgt: Immer wieder starben Erwachsene und Kinder, weil sie Blutübertragungen verweigerten. Erst vergangene Woche verwarf ein Zeuge aus Nottingham nach einem Mordanschlag, wenige Sekunden bevor er das Bewusstsein verlor, seinen Glauben. Wissend, dass seine Mutter einer lebensrettenden Bluttransfusion nicht zustimmen würde, sagte er den Ärzten: „Ich bin nicht länger ein Zeuge Jehovas. Ich gebe meine Zustimmung zu einer Transfusion.“

„An unserer grundsätzlichen Ablehnung einer Bluttransfusion hat sich aber nichts geändert“, betont Bernd Gsell, Sprecher der Zeugen Jehovas Österreichs. Keine Sünde ist es für einen Zeugen, wenn er ohne seine Zustimmung Blut verabreicht bekommt. Stimmt er einer Transfusion zu und bereut diesen Schritt später, gilt dies als „ernste Angelegenheit“, ein Ausschluss droht aber nicht – diese beiden Regelungen galten schon bisher. Neu ist, dass die Glaubensgemeinschaft ihre Mitglieder auch dann nicht mehr ausschließt, wenn diese eine Transfusion im Nachhinein nicht bereuen. Doch würden sich diese mit einer solchen Entscheidung selbst von ihren Glaubensgeschwistern entfremden, heißt es in einer Verlautbarung. Was das in der Praxis bedeutet, bleibt aber unklar. Die Ablehnung von Bluttransfusionen begründen die Zeugen mit der Bibelstelle „(...) dass ihr euch enthaltet vom (...) Blut“ (Apostelgeschichte 15,29) – eine höchstumstrittene Auslegung. Die Zeugen Jehovas haben in Österreich 21.000, weltweit rund sechs Millionen Mitglieder.

Autor: N. Bukovec, Quelle: Linzer Kurier (Österreich) vom 15.06.2000