Der Wachtturm (WT), Organ der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, herausgegeben von der Wachtturm-Gesellschaft (WTG) unter Leitung der Leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas, behandelt in seiner Ausgabe vom 01.07.2002 das Thema ‘Jehovas Herrlichkeit erstrahlt über seinem Volk’. In diesem Artikel wird auch kurz auf die Rechtfertigung der Gläubigen vor Gott eingegangen, ein Thema, das für jeden Christen von grundlegender Bedeutung ist.
Nach der Lehre der WTG gibt es unter Christen zwei Klassen, eine mit himmlischer, eine mit irdischer Zukunftshoffnung (diese ‘Klassenlehre’ soll hier nicht weiter untersucht werden). Bisher war nach WTG-Deutung diesen beiden Klassen auch eine unterschiedliche ‘Rechtfertigung’ zugeordnet worden. Doch in dem Artikel wird auf S.18 und 19 gesagt, zuerst die ‘Gesalbten’, also die mit himmlischer Hoffnung, betreffend:
In einer eindeutig sündigen Welt waren sie "gerechtgesprochen" worden auf der Grundlage ihres unerschütterlichen Glaubens an das Loskaufsopfer Christi Jesu ... Jehova hat ihnen auf der Grundlage des Loskaufsopfers Jesu ihre Sünden vergeben (Jeremia 31:31-34). Er spricht sie als "Söhne" gerecht und handelt mit ihnen so, als wären sie vollkommen.
An dieser Aussage der WTG ist nichts Neues. Doch dann wird auf S.19 bezüglich der Klasse mit irdischer Hoffnung, der ‘großen Volksmenge’ der Gefährten, gesagt:
Auch ihren Gefährten von den anderen Schafen sind die Sünden auf der Grundlage des Opfers Jesu vergeben worden, und wie Abraham sind sie durch ihren Glauben als Freunde Gottes gerechtgesprochen worden.
Sie sind gerechtgesprochen worden! Ist das etwa neu, ein neuer Lichtblitz? So schreibt z.B. der WT vom 01.11.1954, S.649-651:
Wann werden diese anderen, die treuen Menschen der alten Zeit, die vor der Zeit Christi starben, und jene von der allgemeinen Menschheit in ihren Grüften sowie diejenigen der "großen Menge" anderer Schafe, die Jehova jetzt treu dienen, gerechtgesprochen werden? Wir haben gesehen, dass das Gerechtgesprochenwerden durch Glauben nur ein Mittel ist, das dem Zwecke dient, gewisse Personen zur Mitgliedsschaft im Leibe Christi auszuerwählen, damit sie die himmlische Herrlichkeit mit ihm teilen können. Daraus folgt, dass keine Notwendigkeit besteht, allen jenen, deren Bestimmung die Erde ist, also den vorhin Erwähnten, Gerechtigkeit zuzurechnen.
Zu jenen, die zu den "anderen Schafen" gehören, kann heute gesagt werden, dass sie ein Zeichen der Vergebung empfangen ... Zusammenfassend sehen wir also, dass von Pfingsten an bis in die Gegenwart hinein nur die Glieder des "Leibes Christi" durch Glauben gerechtgesprochen werden.
In dem Buch der WTG ‘Ewiges Leben in der Freiheit der Söhne Gottes’ wird in Bezug auf die ‘irdische Klasse’ gesagt: die große Volksmenge, deren Überleben der Drangsal nicht etwa Gnade Gottes, sondern ‘Beweis für eine beachtenswerte verdienstliche Tat’ (S.369) ist, wird ‘nicht, weder jetzt noch zukünftig, gerechtfertigt oder gerechtgesprochen wie die 144000 himmlischen Miterben’ ... sie ‘benötigt daher keine Rechtfertigung durch den Glauben, auch nicht für die zugeschriebene Gerechtigkeit’ (S.387) ... sie wird vielmehr letztlich ‘aufgrund ihrer eigenen Gerechtigkeit vor dem Gott der Heiligkeit stehen’ (S.388 ), wird sich ‘würdig erweisen, durch den großen Richter, Jehova Gott, rechtfertigt zu werden’ (S.395), Jehova wird sie ‘aufgrund ihres eigenen Verdienstes ... rechtfertigen und als gerecht erklären’ (S.396).
Nach diesen Ausführungen wäre demnach die ‘große Volksmenge der anderen Schafe’ bis jetzt noch nicht gerechtfertigt. Also dennoch jetzt ‘ein neuer Lichtblitz’? Hören wir zuerst noch den WT vom 01.12.1985; er sagt über die ‘Gesalbten’ in dem Artikel ‘Gerechtgesprochen zum Leben’:
Da nun der Gerechtigkeit Genüge getan worden ist, ist Jehova liebevollerweise bereit, die Sünden auf dem Schuldkonto des ‘Menschen, der an Jesus glaubt’, ‘auszulöschen’ oder zu tilgen (Jesaja 44:22; Apostelgeschichte 3:19). Wenn ein solcher Mensch treu bleibt, wird Jehova nicht nur ‘seine Verfehlungen nicht anrechnen’, sondern seinem Konto wirklich Gerechtigkeit gutschreiben (2.Korinther 5:19). ...
Wer sind diejenigen, die im gegenwärtigen System der Dinge gerechtgesprochen worden sind?
144000 "Heilige"
... Die ersten, die in diesem System der Dinge vollen Nutzen aus dieser barmherzigen Vorkehrung ziehen, sind logischerweise diejenigen, die Jehova dazu erwählt hat, die gerechten "neuen Himmel" oder die Königreichsregierung unter dem König Jesus Christus zu bilden. ...
der Brief des Paulus an die Römer. Interessanterweise adressierte er diesen Brief an die "zu Heiligen Berufenen" (Römer 1:1,7). Das erklärt, warum die Lehre von der Gerechtsprechung, die von Paulus erläutert wird, in Verbindung mit den 144 000 "Heiligen" Anwendung findet. ...
Aus welchem zwingenden Grund müssen Christen, die "zu Heiligen Berufene" sind, gerechtgesprochen werden? Hier kommt der zweite Gesichtspunkt der Gerechtsprechung ins Bild, nämlich, dass Gott eine Person für würdig erklärt, als sein vollkommener menschlicher Sohn zu leben. ...
Nachdem Jehova sie gerechtgesprochen hat, ist er in der Lage, sie durch seinen Geist zu seinen geistigen "Kindern" zu zeugen. Sie werden "wiedergeboren" und als "Söhne Gottes" angenommen (S.9-11).
Dann bespricht der WT die Gerechtsprechung der Klasse mit ‘irdischer Hoffnung’ unter dem Thema ‘Gerechtgesprochen als ein Freund Gottes’:
Diese "anderen Schafe", die gegenwärtig, in der Zeit des Endes, eingesammelt werden, werden die "große Volksmenge" bilden, die der Apostel Johannes in einer Vision sah, nachdem er die 144 000 Glieder des geistigen Israel gesehen hatte (Offenbarung 7:4, 9). Er erklärte, dass die Glieder der "großen Volksmenge" ihre "langen Gewänder gewaschen und sie in dem Blut des Lammes weiß gemacht" haben (Off 7:14). Aufgrund ihres Glaubens an das vergossene Blut des Lammes wird ihnen ein Mass an Gerechtigkeit gutgeschrieben. ...
Dass die "anderen Schafe" Gottes Freunde sind und heute schon einen verhältnismäßig gerechten Stand vor ihm haben, wird auch durch Jesu Prophezeiung über das ‘Zeichen seiner Gegenwart’ deutlich, die das Gleichnis von den Schafen und Böcken einschließt. ...
Sie werden wie Abraham gerechtgesprochen als Freunde Gottes. Ihr gerechter Stand wird für sie auch Überleben bedeuten, ...
Die "große Volksmenge", die die "große Drangsal" überlebt, ist noch nicht zum Leben gerechtgesprochen worden. ...
Obwohl Jehova die Betreffenden bereits vorher als gerecht bezeichnete im Vergleich zur Menschheit im allgemeinen und sie als seine Freunde betrachtete, brauchen sie zusätzliche Hilfe, damit sie zum Leben gerechtgesprochen werden können. ...
Diejenigen, die sich Jehova gegenüber als loyal erweisen, werden unauslöschlich in das "Buch des Lebens" eingeschrieben, vollkommen an Lauterkeit und des Rechts auf ewiges Leben auf der Erde würdig. Jehova selbst wird sie dann in vollständigem Sinne gerechtsprechen (S.17-18 ).
Was also nun? Zuerst nur ein Zeichen der Vergebung, dann eine Gerechtsprechung durch eigenen Verdienst, aber künftig, dann plötzlich eine Gerechtsprechung, aber noch nicht ‘zum Leben’, und jetzt laut WT vom 01.07.2002 gerechtgesprochen worden aus Glauben?
Ist hier etwa dem Verfasser ein ‘Ausrutscher’ passiert, hat er nicht beachtet, was alles schon in der Vergangenheit über die ‘anderen Schafe’ geschrieben worden ist? Wohl kaum, denn die Leitende Körperschaft, die ja jeden WT vor der Veröffentlichung prüft, müßte das gemerkt haben.
Doch haben wir einen Hinweis im WT vom 01.07.2002 noch nicht berücksichtigt; es heißt dort: ‘wie Abraham sind sie durch ihren Glauben als Freunde Gottes gerechtgesprochen worden’. Wie wurde denn Abraham nach der Lehre der WTG ‘gerechtfertigt’? Der WT vom 01.12.1985 sagt dazu. unter dem Titel ‘Wie Abraham gerechtgesprochen wurde’:
Abraham wurde aufgrund seines Glaubens gerechtgesprochen, aber als ein Freund Jehovas, nicht als ein Sohn mit dem Recht auf vollkommenes menschliches Leben.
Dass Männern und Frauen des Glaubens vor Christus relative Gerechtigkeit gutgeschrieben wurde, war eine Andeutung der echten oder wirklichen Gerechtigkeit und Vollkommenheit, die mit dem ewigen Leben verbunden ist, das sie als Teil von Gottes neuer Erde erlangen können.
In Anbetracht ihrer Lebensaussichten kann man sagen, dass ihre Namen in ein Gedenkbuch eingeschrieben worden sind. (Vergleiche Maleachi 3:16; 2. Mose 32:32, 33.) Es enthält die Namen derjenigen, die von Jehova als "Gerechte" betrachtet werden, die ihren Glauben durch gerechte Werke bewiesen haben und dafür in Frage kommen, ewiges Leben auf der Erde zu erhalten.
Diese Namen sind jedoch noch nicht in Jehovas "Buch des Lebens" eingeschrieben (Offenbarung 20:15).
Wenn solche treuen Männer und Frauen der Vergangenheit in der ‘Auferstehung der Gerechten’ auf der Erde wiederkommen werden, werden sie zweifellos glaubensvoll Jehovas Vorkehrung zum Leben durch Christi Loskaufsopfer annehmen (Apostelgeschichte 24:15). Dadurch werden sie ein Teil der "anderen Schafe" Jesu werden - zusammen mit der "großen Volksmenge", die die "große Drangsal" überlebt haben wird (Johannes 10:16; Offenbarung 7:9, 14). Auf diese Weise bleiben ihre Namen in Jehovas Gedenkbuch erhalten. (S.15-16).
Also haben die ‘anderen Schafe nur eine ‘relative’ Gerechtigkeit. Der Schein (des WT vom 01.07.2002) trügt; für einen außenstehenden und bibelkundigen Leser ist es selbstverständlich, dass jemand, den Gott aufgrund des Glaubens an das Blut Jesu Christi rechtfertigt, auch Leben zuspricht, denn es gibt keine Verurteilung für die, die in Christus Jesus sind, schreibt Paulus (Römer 8:1)! Für die, die in Christus Jesus sind, nicht nur für eine Gruppe davon. Aber das meint der WT nicht. Diese anderen Schafe sind nicht wirklich gerechtfertigt aus Glauben. Sie müssen sich ihre wirkliche Rechtfertigung erst noch in der Zukunft ‘verdienen’. Der WT ist für einen uninformierten Leser irreführend. In Wirklichkeit: ‘Alles wie gehabt’. 6 Millionen Menschen wird die wirkliche Rechtfertigung aus Glauben wie auch die Sohnschaft durch Jesus Christus abgesprochen. Bleibt nur die Frage: Wenn sie doch keine Söhne und Töchter, sondern nur Freunde Gottes sind, wann werden sie endlich beginnen, das Gebet des Herrn, ‘Unser Vater im Himmel’ korrekterweise umzuformulieren in ‘Unser Freund im Himmel’?