Die Wachtturm-Gesellschaft (WTG) als die lehrmäßige Autorität für mehr als 6 Millionen Zeugen Jehovas behauptet in ihren Lehraussagen und Auslegungen, sich allein auf die Bibel als Gottes Wort zu stützen. Doch manchmal entstehen Zweifel, ob sie diesem Anspruch immer gerecht wird.

Wie steht es zum Beispiel mit ihrer Einstellung gegenüber der Aussage der Bibel in 1.Timotheus 2:5-6:

Denn einer ist Gott, und einer ist Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst als Lösegeld für alle gab, als das Zeugnis zur rechten Zeit.

Die biblische Aussage

Die Aussage von Paulus ist in einer offenen, unmissverständlichen Sprache gehalten. Die Betonung des Wortes "einer" ist im Griechischen durch die Wortstellung gegeben. Jeder unvoreingenommene und unbefangene Leser kann also erkennen:

Gott ist einzigartig, es gibt nur einen Gott (1.Kor. 8:4-6)

Christus als Mittler ist einzigartig, es gibt nur einen Mittler zwischen Gott und Menschen

Was bedeutet jedoch das griechische Wort mesites, das mit Mittler übersetzt wurde? Übereinstimmend zeigen die Wörterbücher zum Neuen Testament, dass mesites jemanden bezeichnet, der sich zwischen zwei Personen stellt, um Frieden zu stiften oder auch um einen Bund zu bestätigen oder auch als Bürge zu dienen. Deshalb wurde das Wort nicht nur in der Alltagssprache, sondern auch in der griechischen Rechtssprache gebraucht, so wie zum Beispiel das deutsche Wort Anwalt sowohl in der Rechtssprache als auch im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet werden kann.

Die genannte Wortbedeutung trifft in der Tat auf die Aussage der Schrift über Jesus Christus zu: Er stellte die Harmonie zwischen Gott und Menschen wieder her, die durch die Sünde gebrochen war. Er bildete gleichsam die Brücke über die Kluft, die Gott und Menschen trennte.

Doch mag ein Einwand erhoben werden: Gab und gibt es nicht auch andere Mittler zu Gott? Waren nicht Propheten und Priester oder auch Moses Mittler? Und sind nicht Heilige oder auch Maria, die Mutter Jesu, Mittler, die von vielen angerufen werden?

Propheten wie auch Priester waren Wortführer, sie führten ihren Auftrag oder ihre Aufgaben aus, aber sie waren keine Mittler im Sinne des Mittlertums Jesu. Moses wird zwar in der Schrift Mittler zwischen Gott und dem Volk Israel genannt aber er war dies mehr im Sinne eines Übermittlers, der Mittler oder Übermittler des Gesetzesbundes, in einer besonderen und vorbildhaften Weise. Diese Mittlerfunktion war aber nur vorläufig, weil Moses als Person kein Mittler zwischen Gott und allen Menschen sein konnte, er selbst war auf die Priesterdienste angewiesen. Auch das Gesetz, obwohl "heilig, gerecht und gut" (Röm. 7:12), vermittelte die Versöhnung nicht, sondern es verurteilte die Übertreter. Daher erwies sich daraus schon die Notwendigkeit eines künftigen geeigneten Mittlers.

Andere Personen im christlichen wie auch im außerchristlichen Bereich werden von vielen Gläubigen als Mittler angesehen. Sie alle wurden aber erst im Laufe der Menschheitsgeschichte zu Mittlern gemacht, zu Heiligen erklärt oder zu Fürsprechern hochstilisiert. Die Bibel kennt sie nicht in dieser Funktion, und sie selbst hatten zu ihren Lebzeiten nie eine solche Aussage über sich selbst gemacht. Jesus Christus ist der einzige, der von Anfing an für sich die Rolle des Mittlers, Versöhners und Erlösers in Anspruch nahm, auch wenn er das Wort mesites nicht gebrauchte. Doch was das Wort beinhaltet, wird von ihm immer wieder deutlich und nur auf seine Person bezogen.

Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich (Joh. 14:6).

Ich bin die Tür, wenn jemand durch mich hineingeht, so wird er errettet werden... (Joh. 10:9).

Aber nicht nur das Evangelium nach Johannes betont diesen Anspruch Jesu, sondern auch die synoptischen Evangelien bestätigen Jesu Haltung in dieser Sache:

Alles ist mir übergeben worden von meinem Vater, und niemand erkennt den Sohn als nur der Vater, noch erkennt jemand den Vater als nur der Sohn und der, dem der Sohn ihn offenbaren will (Matt. 11:27).

Jeder nun, der sich vor den Menschen zu mir bekennen wird, zu dem werde auch ich mich bekennen vor meinem Vater, der in den Himmeln ist (Matt. 10:32; Luk. 12:8 ).

Das Mittlertum Jesu tritt in den Evangelien, aber auch in den Briefen von Paulus, Petrus und Johannes allenthalben hervor, auch wo das Wort Mittler nicht eigens gebraucht wird, sondern durch Sachaussagen ersetzt ist, wie zum Beispiel in Johannes 1:29, Römer 63-5, Römer 8:32, 2.Korinther 5:19-21, Philipper 2:6-11, 1.Johannes 2:1-2. Auch der Hebräerbrief ist voll von Aussagen über Jesus, den Mittler und wahren Hohenpriester, der sein eigenes Leben gab, Jesus, der Mittler des neuen Bundes, der Hebräerbrief ist vom Mittlergedanken regelrecht durchtränkt!

Das griechische Wort für alle in 1.Timotheus 2:6 betont zusätzlich noch die Reichweite des Mittleramtes Jesu: hyperpanton der Wortteil hyper, aus Wortverbindungen wie Hyperaktivität usw. gut bekannt, weist auf den universalen Charakter des Evangeliums, auf die umfassende Reichweite in bezug auf die Menschen durch das Mittleramt Jesu unzweideutig hin. Der Hinweis, dass Matthäus 20:28 und Markus 10:45 von vielen sprechen, beschränkt nicht das Werk Jesu, sondern zeigt, dass nicht alle das Gnadenangebot Gottes annehmen werden.

Dass Paulus in 1.Timotheus 2:5-6 die Wortfolge Christus Jesus wählte (die Bezeichnung als Messias vorangestellt), machte deutlich, dass Jesus von Gott kam zur Sühnung der Sünden durch seine Selbstaufgabe. Er versöhnte Gott und Menschen und brachte so Menschen mit Gott zusammen, die zuvor keine Beziehung zu ihm hatten.

Doch erinnern wir uns daran: Jesus sagte, dass er nichts von sich aus bewirke, sondern stets den Willen des Vaters tue, auch wenn er sein Leben freiwillig niederlege (Joh. 5:19; 6:38 ). Das bedeutet, dass es Gottes Wille ist, wenn Jesus für alle Menschen als Mittler zur Verfügung steht. Gott ist letztlich der Urheber des Mittlertums Jesu, auch wenn dieser alles aus freien Stücken vollendete (Joh. 10:17-18 ). Der Mensch Christus Jesus ist Mittler für alle Menschen, nicht nur für eine Klasse oder Gruppierung. Kein Mensch ist ausgenommen, niemand lebt oder hat je gelebt, der Jesus als Mittler nicht annehmen könnte. Gott will, dass alle Menschen errettet werden, alle Menschen aber bedürfen eines Mittlers, und deshalb sind auch alle Menschen in das Mittlertum Jesu eingeschlossen (1.Tim. 2:4)!

Folgerungen

Welche Folgerungen ergeben sich nun aus dem Mittlertum Jesu? Das sind nicht wenige! Zum einen wissen Christen, dass er der einzige Mittler ist und folglich alle zu ihm kommen müssen. Er ist Herr und Gesalbter (Apg. 2:36; 4:12)¸ nur durch ihn können Menschen Kinder Gottes werden (Joh. 1:12). Keine Fürbitten anderer Mittler haben die Wirkung des Mittlertums Jesu, alle Christen können und sollen zwar Fürbitte tun für andere Menschen, beten für ihren Nächsten (1.Tim. 2:1) aber das macht sie nicht zu Mittlern! Überdies würden mehrere Mittler die Menschen wieder trennen statt zu einen. Wer sich oder einen anderen als Mittler zu Gott darstellt, beschneidet das Werk Jesu. Er ist der alleinige Mittler für Sünder wie auch Mittler des neuen Bundes (Hebr. 8:6; 9:15; 12:24).

Jesus als Mittler für alle bedeutet aus christlicher Sicht: Das Evangelium ist für alle Menschen. Er, der für alle in den Tod ging, ist auch für alle Mittler des Heils! Wegen der Sünde gibt es keine Unmittelbarkeit des Menschen zu Gott, wir bedürfen des Mittlers Christus, er ist die Erfüllung allen Mittlertums. Wer Jesus ablehnt, hat keinen Zugang zu Gott.

Jesus ermöglichte durch sein Opfer und seine Auferstehung Erlösung und Versöhnung, ja Gemeinschaft mit Gott. Wer dies im Glauben annimmt, wird eins mit ihm (Joh. 17:23), kommt durch ihn zu Gott dem Vater (Joh. 14:6) und wird durch ihn gerechtfertigt, gerettet (Röm. 3:24). Durch Jesu Tod wurde die Gemeinschaft mit Gott wiederhergestellt und eine neue, bessere Heilsverfügung, im Vergleich zum Gesetz, in Kraft gesetzt, deren Bürge (mesites) Christus ist. Er verbürgt die Erfüllung aller Verheißungen Gottes, die in ihm zum "Ja" geworden sind (2. Kor. 1:20). Die Erlösung des Menschen besteht nicht darin, dass der Mensch sich auf das Göttliche besinnt, das heißt, durch eigene Leistungen und Werke die Erlösung erstrebt, erarbeitet, erlangt, gewinnt, sondern dass er erlöst wird!

Nochmals: Der Text aus 1.Timotheus 2:5 verbürgt die Universalität des göttlichen Heilswillens, der Mittler gehört allen, ist für alle da, seine Selbsthingabe ermöglicht allen einen Anteil an der Rettung! Das ist auch das Zentrum der Botschaft aller Apostel. Der Mittler vertritt Gott gegenüber den Menschen, er vertritt die Menschen, wenn sie ihn annehmen (Joh. 3:36), gegenüber Gott! Zusammengefasst ergibt sich also folgendes: Der Glaube ist nach dem Neuen Testament, streng und ausschließlich am Mittlergedanken ausgerichtet, und zwar in dem Sinn, dass nur in dem Mittler und durch den Mittler Christus Jesus volle Gemeinschaft mit Gott möglich ist. Dieser Glaube, diese Aussage der Schrift, diese Offenbarung hat sich nicht etwa "religionsgeschichtlich entwickelt", sie ist etwas Neues, Selbständiges, Einmaliges, eben das Zentrum des Christusglaubens! Christus brachte Gottes Gnade ans Licht (Joh. 3:17), er handelte in Gnade für die ganze Menschheit! Somit:

ein Gott, ein Mittler, eine Menschheit!

Der Mittler nach 1.Timotheus 2:5-6 aus der Sicht der WTG

Wie eingangs erwähnt, behauptet die WTG, sich ausschließlich nach der Bibel und ihren Aussagen zu richten, ja auch ihre Auslegungen von den Gesamtaussagen der Bibel leiten zu lassen. Doch werden wir sehen, dass die Tatsachen dem widersprechen, ja dass die WTG den biblischen Sinn der Aussage in diesem konkreten Fall geradezu auf den Kopf stellt.

Die klare Aussage, dass Christus der Mittler für alle Menschen ist, wird umgedeutet in die Auslegung, er sei nur Mittler für 144.000 Personen, die sogenannten "Gesalbten" der "kleinen Herde". Im Wachtturm (WT) vom 15.08.1989 unter "Fragen von Lesern" beginnt die WTG ihre Umdeutung der biblischen Worte mit folgenden Sätzen:

Um die Worte des Paulus zu erfassen, müssen wir uns zunächst darüber im klaren sein, daß es gemäß der Bibel für treue Menschen zwei Hoffnungen gibt: 1. vollkommenes Leben in einem wiederhergestellten irdischen Paradies und 2. Leben im Himmel für die 144.000 Glieder der "kleinen Herde" Christi.

Ich will an dieser Stelle nicht die Zweiklassenlehre der WTG besprechen, die in sich ja schon wieder eine äußerst strittige Auslegung ist, mit vielen Fragen und Fragezeichen. Unbestreitbar haben aber sowohl die in Offenbarung 7 erwähnten 144.000 wie auch die dort angeführte große Volksmenge, die ja nur irdische Hoffnung haben soll, in Christus ihren Erlöser gesehen und bekundet (die große Volksmenge hat ihre Gewänder gewaschen im Blut des Lammes, die 144.000 tragen in Offenbarung 14 den Namen des Lammes), demnach haben sie im Sinne der biblischen Aussage Jesus als Mittler angenommen. Es ist interessant, dass hier die Behauptung aufgestellt wird, man könne den klaren und unmissverständlichen Bibeltext nicht verstehen, wenn man nicht vorher die Zweiklassenlehre der WTG verinnerlicht und angenommen habe. Hier wird auch die Beweisführung auf den Kopf gestellt. Während man annehmen sollte, dass man ausgehend vom Bibeltext begründen müsse, wieso man zu einer anderen Deutung kommt, geht man von der Behauptung aus, dass Christus nur der Mittler für 144.000 sei, was eigentlich zu beweisen wäre, und sucht nun zu begründen, warum dies nicht anders sein könne. Die eindeutige Aussage der Bibel wird verdreht, verbogen zugunsten einer noch völlig unbewiesenen Behauptung, an der man aber aus anderen Gründen unbedingt festhalten will.

Dem Vernehmen nach soll der Verfasser der Leserfrage der damalige Präsident der WTG, Fred Franz, gewesen sein. Immerhin war er ja auch ein Leser, obwohl Leserfragen eigentlich von nicht vom Herausgeber einer Zeitung erwartet werden, und er soll Leserfragen gern benutzt haben, um seine Auslegungen zu bestimmten Fragen zu publizieren. Er soll auch sehr geschickt gewesen sein, durch viele Worte einfache Sachverhalte zu komplizieren und klare Sinndarstellungen zu verwirren, sodass manche Leser über die ‘Tiefgründigkeit’ seiner Ausführungen, denen sie nicht zu folgen vermochten, in Erstaunen oder gar Bewunderung gerieten. Auch in dieser Leserfrage kommt eine solche Fähigkeit zum Ausdruck, denn es werden jetzt lange Ausführungen gemacht darüber, dass der Begriff mesites auch ein Fachausdruck der Rechtssprache sei, was weder angezweifelt wird noch für die klare Aussage der Schrift von Bedeutung ist. Natürlich kann man Jesus auch ‘rechtlich’ als einen Vermittler zwischen dem richtenden Gott und den verurteilten Menschen sehen. Das ist hier nicht die Frage.

Auch im WT vom 01.08.1979 wurde unter der Spalte "Fragen von Lesern" bereits gesagt:

Die aus "anderen Schafen" bestehende "große Volksmenge", die heute gebildet wird, steht nicht in dem neuen Bund. Dadurch, daß sie aber mit der "kleinen Herde", mit denen, die noch in diesem Bund stehen [dem Rest der 144.000 Christen seit den Tagen Jesu], verbunden ist, fließen ihr die Segnungen aus dem neuen Bund zu.

Ich stelle hier nicht die Frage, wieso die Zahl der 144.000, die schon im ersten Jahrhundert ‘übererfüllt’ war, einen solchen ‘Rest’ für das 21. Jahrhundert überhaupt noch möglich macht, und wieso Johannes, der damals ja noch lebte, nicht das Feiern des Abendmahls einstellen ließ, da ja nach WTG-Lehre nur die 144.000 zum Empfangen von Brot und Wein berechtigt sind. Das würde hier zu weit führen. Aber hier wird die Behauptung aufgestellt, die eigentlich zu beweisen wäre, nämlich dass es Christen gibt, die nicht im neuen Bund stehen. Für sie soll Christus nicht der Mittler sein. Aber sie haben ja einen Nebenvermittler, denn wenn sie mit dem Rest der ‘kleinen Herde’ eng verbunden bleiben, dann fließen ihnen ja die Segnungen aus dem neuen Bund zu, also durch diesen ‘Überrest‘! Jesus ist nur der ‘Hauptvermittler’, nämlich für die 144.000, die anderen brauchen den Nebenvermittler; mit Christus direkt, das geht nicht! Diese Aussage, die meines Erachtens im glatten Widerspruch zu der Aussage der Schrift in 1. Timotheus 2:5-6 steht, nimmt mehr als 6 Millionen Zeugen das Recht, Christus als Vermittler anzunehmen, im neuen Bund zu stehen, am Abendmahl teilzunehmen usw.

Kein Wunder, dass die Neue-Welt-Übersetzung der WTG, die das Wichtigste ist, was Jehovas Zeugen von ihrem ‘treuen und verständigen Sklaven’ (eine auf Matthäus 24: 45-47 gegründete Bezeichnung der WTG für den Rest der 144.000) für das persönliche Studium erhalten haben, wie der WT vom 01.12.2002 auf S.17, Abs. 18 sagt, Jesus an vier Stellen als Hauptvermittler bezeichnet. Allerdings gibt sie dort nicht das Wort mesites in dieser Weise wieder, sondern das Wort archegos, das Wort erscheint in Apostelgeschichte 3:15; 5:31; Hebräer 2:10 und 12:2.

Mir ist keine Bibelübersetzung bekannt, die das Wort archegos mit Hauptvermittler wiedergeben würde, zumal ja sofort die Frage nach einem Nebenvermittler aufkommen müsste. Das Wörterbuch zum Neuen Testament von Bauer-Aland, Seite 226, ebenso Vine’s Expository Dictionary of old and new Testament words, S.88 sowie das Theologische Wörterbuch zum Neuen Testament von Gerhard Kittel, Band I, Seiten 485/486 stimmen überein darin, dass das Wort archegos wiedergegeben werden kann mit

1. Herrscher, Fürst, Oberhaupt (so in den beiden Texten der Apostelgeschichte),

2. Urheber, Begründer, Anfänger (so in den Texten des Hebräerbriefs).

Diese Wiedergaben stimmen auch völlig überein mit der zweifelsfreien Aussage der Bibel über das Mittlertum Jesu nach 1.Timotheus 2:5-6, wonach Jesus der Mittler für alle ist und es keinen Nebenvermittler gibt.

Zwar hat meines Wissens die WTG das Wort "Nebenvermittler" noch nicht gebraucht, aber so wie Jesus seinen Mittleranspruch in seinen Worten eindeutig klarstellte, ohne das Wort ‘Mittler’ zu gebrauchen, zeigt der WT vom 01.08.1979 mit seiner Aussage, dass den sogenannten "anderen Schafen" die Segnungen des neuen Bundes nur zufließen würden, wenn sie eng mit dem Überrest der kleinen Herde verbunden wären, dass hier de facto die Rolle eines ‘Nebenvermittlers’ übernommen oder einer Gruppe zugesprochen wurde.

Die Ausführungen im WT vom 15.08.1989 stellen m.E. einen klassischen, aber gewollten Zirkelschluss dar, indem das, was bewiesen werden müsste, als Behauptung zugrunde gelegt wird mit dem Ergebnis, dass die unzweideutige Aussage der Schrift über die Art und den Umfang der Mittlerrolle Jesu verbogen, verdreht, ja nichtig gemacht wird.

Die Art dieses Vorgehens erinnert mich an die Worte Jesu an die Pharisäer in Matthäus 23:13: "... ihr verschließt das Reich der Himmel vor den Menschen, denn ihr geht nicht hinein, und die, die hineingehen wollen, lasst ihr (auch) nicht hineingehen". Den einfachen und gläubigen Zeugen Jehovas wird Jesus als Mittler zugunsten eines Nebenvermittlers genommen, sie sind nicht im neuen Bund. Es trifft auf sie weder Römer 8:1 (keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind) noch Römer 8:33-34 zu (wer wird gegen Gottes Auserwählte Anklage erheben?). Für sie gibt es nur das 'Arbeite! Predige! Vielleicht wirst Du errettet, wenn Du ausharrst bis ans Ende!'. Über ihnen schwebt die beständige Frage: "Tue ich auch genug? Bin ich würdig?" Sie haben keinen Anteil am Brot und Wein des Abendmahls. Sie praktizieren Werkgerechtigkeit, nicht die Gerechtigkeit, die aus Glauben kommt, durch Gnade (Röm. 3:22; Eph. 2:8-10). Zwar hatte die WTG nicht immer diese Auffassung. Sie ändert ihre Lehren ja öfter, wann immer sie es für notwendig erachtet, "neues Licht" zu erhalten, womit in aller Regel Lehränderungen verbunden sind. Das Wort klingt besser als das Eingeständnis von Irrtümern. Aber sie beansprucht trotzdem volle Lehrautorität und die Unterwürfigkeit seitens der Zeugen, obwohl sie für sich selbst stets ein Hintertürchen bereit hält. Bezeichnend ist dazu eine Äußerung im WT vom 01.12.2002, S.17, in den Absätzen 17-18:

... Was zeigt uns das? Daß unser privates Bibellesen nicht genügt. Durch seinen Geist gebraucht Jehova die Klasse des treuen und verständigen Sklaven, um uns zu helfen, sein Wort zur rechten Zeit zu verstehen. ... Die Sklavenklasse wird zwar als ‘treu und verständig’ bezeichnet, Jesus sagt aber nicht, sie sei unfehlbar ... Trotz bester Absichten kann es vorkommen, daß sie Fehler machen oder etwas mißverstehen .... doch ihr Beweggrund ist rein, und Jehova gebraucht sie...

Was soll man dazu sagen?

"Ihr Beweggrund ist rein, und Jehova gebraucht sie...". Soll das heißen, dass Jehova sie gebraucht, weil ihr Beweggrund rein ist? Muss man nicht unterstellen, dass auch die Beweggründe anderer rein sind, auch jene von ehemaligen Zeugen, denen immer wieder nur unreine, schlechte Beweggründe unterstellt werden? Wie steht es mit den Beweggründen anderer Gemeinschaften? Paulus anerkannte sogar die Aufrichtigkeit seiner Gegner (Röm. 10:2). Sollte man nicht nach Matthäus 7:12 überhaupt erst einmal anderen aufrichtige und reine Beweggründe zuschreiben?

Die WTG räumt Irrtumsmöglichkeiten ein, diese zu bestreiten wäre angesichts ihrer Geschichte mehr als unverfroren, es wäre einfach dumm. Aber sie weigert sich, für ihre Gläubigen die Konsequenzen dazu zuzulassen. Wenn Irrtum möglich ist, dann muss man auch erlauben, Aussagen zu prüfen, zu hinterfragen, zu kritisieren oder auch abzulehnen. Doch dies ist Jehovas Zeugen nicht erlaubt, denn das wäre Rebellion, Abtrünnigkeit! Man nimmt für sich selbst das Recht des Irrtums in Anspruch, erklärt, nicht inspiriert zu sein, verlangt aber, dass man von Seiten der Gläubigen angesehen und behandelt wird, als wäre man irrtumslos inspiriert. Wenn der "Sklave" seine Lehre ändert, müssen alle sofort folgen, ob sie überzeugt sind oder nicht. Wer bereits vorher zu einer entsprechenden Erkenntnis gekommen war, musste schweigen und das Falsche weiter vertreten, bis der "Sklave" den Zeitpunkt des Wechsels für gekommen hielt, sonst würde der Betreffende ja der Organisation Gottes vorauseilen, und das wäre Widerstand gegen die "von Jehova gegebene Ordnung". Das ist die Verfahrensweise der WTG.

Der Christ fragt sich daher: Wer ist mein Mittler? Christus oder die Wachtturm-Gesellschaft? Dies zu entscheiden, ist ausschließlich Sache des persönlichen Glaubens jedes Christen.