Die offizielle Antwort der Zeugen Jehovas:

Lesen Sie unsere Stellungnahme

Jehovas Zeugen haben in den vergangenen Jahren wiederholt Leitartikel ihrer Zeitschrift Erwachet! dem Thema Kindesmissbrauch gewidmet, um betroffene Kinder zu schützen und ihnen und insbesondere ihren Eltern zu helfen, Gefahren frühzeitig zu erkennen und zu begegnen. Einige Beispiele:

  • Erwachet! 8. April 1999, Seite 3-11: Kinder in Not — Wer schützt sie?
  • Erwachet! 8. Oktober 1993, Seite 3-13: Unsere Kinder schützen
  • Erwachet! 8. Oktober 1991, Seite 3-11: Die Wunden des Kindesmissbrauchs heilen
  • Erwachet! 8. August 1985, Seite 3-10: Kindesmissbrauch — Man kann sein Kind schützen

Stellungnahme

Kindesmissbrauch ist für uns ein verabscheuungswürdiges Verbrechen. Das stimmt mit dem biblischen Grundsatz in Römer 12:9 überein. Die Bibel gebietet außerdem, ‚das Böse zu hassen‘, und der Kindesmissbrauch zählt bestimmt dazu.

Die Unterstellung, unsere Vorgehensweise sei dem Problem des Kindesmissbrauchs nicht angemessen, ist uns bekannt. Dieser Vorwurf trifft jedoch absolut nicht zu. Tatsächlich haben wir eine überaus wirksame Strategie, um Kindesmissbrauch in unseren örtlichen Gemeinden zu begegnen und zu gewährleisten, dass unsere Kinder geschützt sind. Diese Strategie ist in Übereinstimmung mit den Gesetzen unseres Landes.

Zu den von uns getroffenen Vorkehrungen gehört unter anderem, dass wir Eltern fortlaufend über diese Thematik aufklären. So sind seit Jahrzehnten sowohl in unserer Zeitschrift Der Wachtturm als auch in Erwachet! Artikel erschienen, die Jehovas Zeugen und auch die Öffentlichkeit auf die Wichtigkeit und die Notwendigkeit aufmerksam machten, Kinder vor Misshandlungen und Missbrauch zu schützen. Unter anderem erschien dazu im Wachtturm vom 1. Januar 1997 der Artikel unter der Überschrift „Verabscheuen wir das Böse“; im Wachtturm vom 1 Januar 1984 der Artikel „Hilfe für Opfer von Blutschande“; in der Erwachet!-Ausgabe vom 8. Oktober 1993 sind zu diesem Thema folgende Artikel enthalten: „Unsere Kinder sind in Gefahr“, „Wie können wir unsere Kinder schützen?“, „Zu Hause sexuellem Missbrauch vorbeugen“; und ferner in Erwachet! vom 8. August 1985 die Artikel „Kindesmissbrauch - der Alptraum jeder Mutter“, „Kindesmissbrauch - Wer sind die Täter“ und „Kindesmissbrauch - Man kann sein Kind schützen“. Insbesondere Älteste wurden geschult, damit sie einem Opfer die nötige seelsorgerische Hilfe und den Zuspruch zukommen lassen, den es benötigt, um über die Schwierigkeiten hinwegzukommen, die durch den Missbrauch verursacht worden sind.

Darüber hinaus halten wir es für eine sehr gute Verfahrensweise, wenn nötigenfalls die Ältesten der Gemeinde die Verantwortung übernehmen, einen Missbrauch auch anzuzeigen, sofern keine Sorgeberechtigten oder andere verantwortliche Erwachsene vorhanden sind, die die notwendigen Schritte zum Schutz des Kindes selbst ergreifen. So kann bei solchen Vorkommnissen nach den einschlägigen Gesetzen verfahren werden. Ein Verbrechen ist ein Verbrechen. Und wir erkennen an, dass für verübte Verbrechen Strafen vorgesehen sind.

Jeder in verantwortungsvoller Stellung, der sich des Kindesmissbrauchs schuldig macht, wird unweigerlich seiner Verantwortlichkeiten enthoben, Auf keinen Fall würden wir ihm wissentlich erlauben, anderswo zu dienen, weder aufgrund eines Wohnsitzwechsels noch durch Versetzung. In einem solchen Fall gilt uneingeschränkt, was u. a, im Wachtturm vom 1. Januar 1997 gesagt wird: „Zum Schutz unserer Kinder gilt: Ein Mann, von dem bekannt ist, dass er ein Kind sexuell missbraucht hat, eignet sich nicht, eine verantwortungsvolle Stellung in der Versammlung [örtlichen Gemeinde] zu bekleiden. Auch kann er nicht als Pionier [Vollzeitprediger der Zeugen Jehovas] dienen oder eine andere Form besonderen Vollzeitdienstes verrichten.“ Er ist gemäß der Bibel ungeeignet (1, Timotheus 3:2, 7-10). Diese Vorgehensweise ist zwingend erforderlich, weil uns daran liegt, biblische Maßstäbe einzuhalten und unsere Kinder zu schützen. Von jedem Einzelnen in unserer Organisation wird erwartet, die gleichen Erfordernisse einzuhalten, nämlich physisch, psychisch, moralisch und geistig rein zu sein (2. Korinther 7:1; Epheser 4:17-19; 1. Thessalonicher 2:4). Falls ein Beschuldigter nicht bereut - er also nicht zutiefst seine Tat verabscheut und er nicht fest entschlossen ist, ein solches Verhalten künftig zu unterlassen -‚ wird ihm der Verbleib in der Christenversammlung nicht gestattet.

Unsere Verfahrensweise ist nach und nach immer mehr verfeinert worden. Wir verbessern sie auch weiterhin. Wir halten unsere Vorkehrungen nicht für vollkommen. Keine menschliche Organisation kann das für sich beanspruchen. Aber wir sind davon überzeugt, dass wir bei Kindesmissbrauch einer strengen, biblisch gestützten Verfahrensweise folgen.

Es mag bedauerlicherweise Fälle gegeben haben., in denen Vorkommnisse nicht angezeigt wurden, obwohl es möglicherweise sinnvoll gewesen wäre. Oder man hätte sich einer Sache umfänglicher annehmen müssen und hat es aus irgendwelchen Gründen unterlassen. Aber die Möglichkeit, dass unsere biblische Vorgehensweise nicht immer vollkommen eingehalten wurde, ist etwas völlig anderes, als zu behaupten, wir würden Kindesmissbrauch herunterspielen oder gar verheimlichen. Unter den Religionsgemeinschaften sucht die konsequente Vorgehensweise von Jehovas Zeugen in Fällen von Kindesmissbrauch ihresgleichen.

Selters/Taunus, den 19. Juni 2002

gez. Werner Rudtke
Vizepräsident

Kurz kommentiert:

Es wird der Eindruck erweckt, es gebe eine wirksame Strategie der ZJ gegen Kindesmissbrauch in ihren eigenen Reihen. Es ist unbestritten, dass ZJ gemäß ihren Lehren jegliche Form von Kindesmissbrauch entschieden ablehnen. Insofern geht schon die Formulierung der Frage am tatsächlichen Vorwurf vorbei. Die eigentliche Frage müsste lauten: „Warum wirft man den ZJ vor, Kindesmissbrauch in ihren Reihen nicht konsequent zu begegnen?“ Der Grund dafür ist zu großen Teilen zum einen in der sogenannten „Zwei-Zeugen-Regel“ zu finden, die die interne Gerichtsbarkeit bei den ZJ bestimmt, zum anderen in den Lehren der ZJ zur Zuständigkeit „weltlicher“ Gerichte bei Streitigkeiten „unter Brüdern“.

Was lehrt die WTG?

In ihrer internen Gerichtsbarkeit sind für jede Anklage mindestens zwei Zeugen nötig.

Um eine Missetat nachzuweisen, deren jemand beschuldigt wird, müssen mindestens zwei Zeugen vorhanden sein (Johannes 8:17; Hebräer 10:28). Falls die Person die Beschuldigung zurückweist und nur unser Zeugnis vorliegt, muß die Angelegenheit Jehova überlassen werden (1. Timotheus 5:19, 24, 25). Das geschieht in dem Bewußtsein, daß vor Jehova alle Dinge „bloßgelegt“ sind und daß, wenn der Betreffende schuldig ist, seine Sünden ihn schließlich „einholen“ werden (Hebräer 4:13; 4. Mose 32:23)

Angenommen, die Person weist die Beschuldigung zurück und wir sind der einzige Belastungszeuge. Müßten wir nun mit einer Gegenklage wegen Verleumdung rechnen? Nicht wenn wir mit keinem Uneingeweihten über die Angelegenheit gesprochen haben. Es ist nicht verleumderisch, diejenigen, die die Befugnis und die Verantwortung haben, zu beaufsichtigen und Dinge richtigzustellen, über etwas zu unterrichten, was die Versammlung betrifft.Der Wachtturm, 15.08.1997

Wann ist jemand ein „Zeuge“, auf den sich eine Anklage stützen kann?

Für die Missetat muß es entweder zwei Zeugen geben, oder es muß ein Geständnis vorliegen. Was für Beweismaterial ist zulässig? Es muß zwei oder drei Augenzeugen geben, nicht nur Personen, die das wiedergeben, was sie gehört haben; gibt es nur einen Zeugen, kann nichts unternommen werden (5. Mose 19:15; Joh. 8:17).

Gebt acht auf Euch selbst und die ganze Herde, 19919

Was für den Außenstehenden unverständlich scheinen mag, aber die Einschaltung „weltlicher“ Gerichte kommt für die wenigsten ZJ in einem solchen Fall in Frage. Denn die WTG lehrt:

Der inspirierte Rat des Apostels Paulus lautet: „Wagt es jemand von euch, der eine Rechtssache gegen den anderen hat, vor ungerechte Menschen vor Gericht zu gehen und nicht vor die Heiligen?...“ (1. Kor. 6:1-7).

Mit diesen Worten zeigte Paulus den Korinther Christen, wie inkonsequent es ist, Streitigkeiten zwischen Christen vor weltliche Gerichte zu bringen. Die Richter waren Menschen, die sich nicht von den erhabenen Grundsätzen des Gesetzes Gottes leiten ließen und deren Gewissen nicht durch ein Studium des Wortes Gottes geschult war.…

Würden demnach Gott hingegebene Christen heute vor weltliche Gerichte gehen, wenn sich das nachteilig auf die Förderung der wahren Anbetung auswirken oder wenn die wahre Anbetung dadurch bei Außenstehenden in ein falsches Licht gerückt würde? Nein. Natürlich sind wahre Christen wie alle übrigen Menschen immer noch unvollkommen. Sie machen Fehler...

Falls sich aber ein Christ weigert, ein schweres Unrecht wiedergutzumachen, wenn er von Ältesten darauf hingewiesen wird, die in einer richterlichen Stellung in der Versammlung dienen, würde er ausgeschlossen werden…Der geschädigte Teil konnte danach entscheiden, ob er auf dem Rechtswege versuchen sollte, den Schuldigen, dem nun die Gemeinschaft entzogen worden ist, zu zwingen, die Sache in Ordnung zu bringen. Natürlich sollte der Geschädigte überlegen, ob sich der Aufwand an Zeit und Mitteln lohnt und ob die Versammlung dadurch, daß die Handlungsweise eines ihrer früheren Glieder an die Öffentlichkeit gebracht wird, nicht doch noch in Verruf kommen könnte. Falls der Christ, dem Unrecht geschehen ist, glaubt, daß keine Schmach auf Gottes Namen gebracht werde und ein gerichtliches Vorgehen unbedingt erforderlich sei, und er dies mit seinem Gewissen vereinbaren kann, wird er nicht notwendigerweise dem Geist des Rates, den der Apostel Paulus gab, zuwiderhandeln, wenn er jemand vor Gericht bringt, der nicht mehr zur Christenversammlung gehört…

Sollte aber ein Glied der Christenversammlung nicht berücksichtigen, welche Auswirkungen sein Vorgehen auf den guten Ruf der Versammlung hat, und sollte es den Rat, den Gottes Wort in dieser Beziehung gibt, außer acht lassen, so wäre es nicht „frei von Anklage“. Ein solcher Christ hätte kein „vortreffliches Zeugnis von Außenstehenden“, von Personen außerhalb der Versammlung (Tit. 1:6; 1. Tim. 3:7). Er wäre bestimmt kein Vorbild, das andere nachahmen könnten, und das würde sich auf die Vorrechte, die er in der Versammlung haben mag, auswirken.

Der Wachtturm, 15.02.1974

Alles, was Schmach und Schande auf ZJ bringen könnte, hat somit vor weltlichen Gerichten nichts zu suchen. Ein ZJ, der sich anders entscheidet, würde zwar nicht gleich mit einem Gemeinschaftsentzug gemaßregelt, er würde allerdings „bezeichnet“, gemieden. Und wohin können sich ZJ dann in Rechtsstreitigkeiten mit Glaubensgefährten wenden?

Welche Einrichtung erfüllt heute richterliche Funktionen unter Gottes Volk? Jehova hat Älteste eingesetzt, die in der Lage sind, als Richter und Ratgeber zu dienen.

Der Wachtturm, 01.06.1977

So schließt sich der Teufelskreis. Doch es geht noch weiter: Was nämlich, wenn man sich erst als Erwachsener traut, die Ältesten zu informieren?

Wenn sich ein Glied der Versammlung an die Ältesten wendet, weil ihm plötzliche Gedanken oder „verdrängte Erinnerungen“ daran kommen, als Kind mißbraucht worden zu sein, werden normalerweise zwei der Ältesten beauftragt, Hilfe zu leisten… Die Namen aller Mißbrauchstäter, an die sich der Betreffende „erinnert“, sollten streng vertraulich bleiben…

Was wäre, wenn sich der Betroffene zu einer Anzeige entschließt? Die beiden Ältesten sollten ihm dann raten, den Beschuldigten im Einklang mit dem Grundsatz aus Matthäus 18:15 selbst anzusprechen. Falls sich der Ankläger emotionell außerstande fühlt, mit dem Betreffenden ein persönliches Gespräch zu führen, kann dies telefonisch oder gegebenenfalls brieflich geschehen. Auf diese Weise kann sich der Angeklagte vor Jehova zu der Beschuldigung äußern. Vielleicht kann er sogar Beweise vorlegen, daß er den Mißbrauch nicht begangen haben kann. Es könnte auch sein, daß der Beschuldigte gesteht und es zu einer Aussöhnung kommt. Welch ein Segen das doch wäre! Wird ein Geständnis abgelegt, können die beiden Ältesten die Angelegenheiten im Einklang mit den biblischen Grundsätzen weiterverfolgen.

Wird die Beschuldigung zurückgewiesen, sollten die Ältesten dem Ankläger erklären, daß rechtlich nichts weiter unternommen werden kann. Und die Versammlung wird den Beschuldigten weiterhin als unschuldig betrachten. Gemäß der Bibel müssen zwei oder drei Zeugen vorhanden sein, damit rechtliche Schritte unternommen werden können (2. Korinther 13:1; 1. Timotheus 5:19). Selbst wenn sich mehr als eine Person an einen Mißbrauch durch dieselbe Person „erinnert“, ist die Natur dieser Erinnerungen doch zu ungewiß, um ohne weitere belastende Beweise rechtliche Entscheidungen darauf zu stützen. Das bedeutet nicht, daß solche „Erinnerungen“ als falsch (oder als wahr) betrachtet werden. Aber bei einem Rechtsfall muß man sich an die biblischen Grundsätze halten.

Der Wachtturm, 01.11.1995

Was kann Erwachsenen helfen, über die Folgen eines Missbrauchs im Kindesalter hinwegzukommen?

Es mutet nach Betrachtung des oben genannten nahezu zynisch an, wenn ihnen der Rat gegeben wird:

Der „treue und verständige Sklave“ hat Informationen veröffentlicht, die helfen sollen, sich mit den geistigen und emotionellen Verletzungen auseinanderzusetzen, die Kindesmißbrauch bewirkt (Matthäus 24:45-47). Wie die Erfahrung zeigt, ist es für den Leidenden eine Hilfe, wenn er auf die ‘Kraft im Herrn und die Macht seiner Stärke’ vertrauen kann und die „vollständige Waffenrüstung Gottes“ anlegt (Epheser 6:10-17). Zu dieser Waffenrüstung gehört auch die biblische „Wahrheit“, die Satan als den größten Feind bloßstellt und die die Finsternis erhellt, in der er und seine Helfershelfer ihr Unwesen treiben (Johannes 3:19)… Die geistige Waffenrüstung schließt auch die ‘gute Botschaft des Friedens’ ein. Über die Vorsätze Jehovas zu sprechen stärkt sowohl den, der redet, als auch jeden, der zuhört.

Der Wachtturm, 01.11.1995