In den Versammlungen der Zeugen Jehovas wurde bekannt gegeben, daß ab 1.1.2008 Der Wachtturm, die Haupt- und Lehrzeitschrift der Zeugen Jehovas, zwar weiterhin zweimal monatlich, jedoch in einer veränderten Erscheinungsweise veröffentlicht würde.

Jeweils die Ausgabe vom Ersten eines Monats soll eine Ausgabe für die Öffentlichkeit werden, die Ausgabe vom Fünfzehnten dagegen werde eine „Studienausgabe“ sein, nur für Zeugen Jehovas selbst gedacht und jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit verbreitet.

TitelblattAls Begründung wurde angeführt, daß man in den bisherigen Wachttürmen sogenannte „theokratische“ Ausdrücke, das heißt also Ausdrücke der Zeugensprache, wie Pionier usw., Außenstehenden immer wieder verständlich machen müßte. Das würde sich bei dieser Aufschlüsselung und Aufteilung des Wachtturm-Inhalts vermeiden lassen, und man könne dann den Wachtturm für die Öffentlichkeit einen ganzen Monat zusammen mit der Zeitschrift Erwachet!, die ja neuerdings auch monatlich erscheint, gemeinsam anbieten.

Mir erscheint die Begründung „dünn“, äußerst dünn und brüchig. Seit vielen Jahrzehnten erschien und erscheint Der Wachtturm, in immer mehr Sprachen und in immer größerer Auflage, und die „theokratischen“ Ausdrücke hatten bisher nie wesentlich gestört. Was könnten die wahren Gründe für die Neuregelung sein?

Da sich die Wachtturm-Gesellschaft in ihren Entscheidungsfindungen ja wie üblich großer Geheimhaltung befleißigt und ihre echten Beweggründe weder der Öffentlichkeit noch ihren eigenen Anhängern zugänglich macht – letztere sind ohnehin mit allem zufrieden, was ihnen die Organisation zu erfahren zubilligt -, kann man hier nur spekulieren.

Wie schon gesagt: die angegebenen Gründe sind zu fadenscheinig. Nach meinem Eindruck spielen nachstehende Gründe (neben anderen; so wurden zum Beispiel schon finanzielle Gründe vermutet) zumindest eine wesentliche Rolle: es gab in der Vergangenheit immer wieder Artikel im Wachtturm, vor allem auch bibelerklärende Artikel, die bei außenstehenden Lesern Verwunderung erregten, ja daß solche Leser sogar Anstoß nahmen über die seltsame und manchmal direkt abenteuerliche Art der Bibelauslegung, oder daß diese Artikel auch nur ein mitleidiges Lächeln oder Achselzucken erregten. Solche Auswirkungen kann man künftig vermeiden. Wie in Erwachet!, das ja auch schon oft Gedanken niederschrieb, die innerhalb der Zeugen in Bezug auf ihre eigene Organisation nicht geäußert oder sogar praktiziert werden dürfen, könnte man nun auch im Wachtturm für die Öffentlichkeit ein betont harmloses, tolerantes, menschenfreundliches und verständnisvolles Image pflegen. Man könnte den Eindruck anstreben: „das sind doch so nette und harmlose Leute, dem, was sie schreiben, kann man doch wirklich zustimmen, warum nur werden sie angegriffen oder auch nur kritisiert?“.

Beim „Studien“-Wachtturm‘ dagegen, der ja nur an Insider gegeben werden soll, kann man dann um so hemmungsloser seine Autoritätsansprüche formulieren und Auslegungen und Ansichten vertreten, die man in der Öffentlichkeit doch so nicht wiedergeben möchte. Die Gläubigen schlucken ja alles, was vom Sklaven kommt. Was sie bei anderen beobachten, bemängeln und kritisieren, beim eigenen Sklaven „geht das alles durch“. Und so gesehen, macht die Neuregelung wirklich Sinn.

Schon jetzt wird zum Beispiel im Wachtturm vom 1.4.2007 in den Artikeln „Loyal zu Christus und seinem treuen Sklaven stehen“ (nach zwei Absätzen der Einleitung verschwindet Christus, und der Sklave bleibt übrig, alles dreht sich nur noch um den Sklaven) und „Sich liebevollen Hirten demütig unterordnen“ (liebevoll? Wage freie Meinungsäußerung, und du wirst die Liebe zu spüren bekommen) ein Autoritätsanspruch sondergleichen herausgestellt. Eine solche Selbstbeweihräucherung, solches Selbstlob und solcher Selbstruhm findet sich selten; Überheblichkeit, Arroganz, Anmaßung: die Worte fehlen, um dieser Geisteshaltung gerecht zu werden. Man nennt sich selbst der Verwalter der ganzen Habe Christi, aber andere, qualifizierte, kompetente und erfahrene Bibelkommentatoren werden auf Seite 23 des Wachtturm nur als eine Gruppe von Intellektuellen angesehen, die interessante Gedanken aus der Bibel erklären. Der griechische Narziss, der nach der Sage in sein eigenes Bild verliebt war, war nichts gegen den Sklaven und sein selbst geschaffenes Bild!

Was immer noch für Gründe bei der Neuregelung eine Rolle spielen mögen, dieser Grund scheint mir der wichtigste; wir werden es sehen. Natürlich kann man das unter das biblische Motto stellen: „klug wie die Schlangen, doch ohne Falsch wie die Tauben“! Doch mir scheint, diese Tauben haben ihre Federn verloren!

E.F.


Die Neuregelung hat einige Vorteile und Ziele. Neben dem „Ökonomischen“ sind für die ZJ auch nicht ökonomische Werbeziele (effizientere Manipulation und Beeinflussung) und die sachgerechte Ansprache der Zielgruppe wichtig.

Funktion und Zielgruppe der Zeitschriften

Wachtturm (Öffentlichkeit): Da wird künftig drin stehen wie tolerant, menschenfreundlich und gutmütig die Zeugen Jehovas doch sind. Wir sind die netten und freundlichen Leute. Religionsfreiheit und Menschenrechte werden betont werden. Die Einführung in den Wachtturm-Glaube wird sanft und behutsam vonstatten gehen. Es wird viel von Jesu Liebe, Aufopferung und Gerechtigkeit die Rede sein. Ist ein naher Verwandter gestorben? Die Bibel gibt uns Trost. Du musst deine Religion prüfen, wird betont. Lies die Bibel. Macht deine Religionsgemeinschaft wirklich alles richtig? Du musst es prüfen. Mach ein Bibelstudium. Du kannst dir auch mal einen biblischen Vortrag in einem Königreichssaal anhören. Dort wird du fröhlich empfangen werden. Du kannst jeder Zeit wieder gehen. Fazit: Der Interessierte wird subtil manipuliert werden.

Wachtturm (für den Zeugen Jehovas): Hier findet man dann wahrscheinlich folgendes zu lesen: Du musst die Bibel mit der Publikation lesen. Studiere den Wachtturm. Gehe drei mal in der Woche in den Königreichssaal. Willst du gerettet werden musst du dich taufen lassen. Gieb deine Freundschaften in der Welt auf. Wir sind die Wahrheit. Nur wir haben den Namen Gottes. Nur wir predigen. Nur wir… Nur wir… Geh aus ihr hinaus. Geh in die Arche. Die Zeit ist nahe. Du musst in den Predigtdienst gehen. Du musst die Versammlung reinigen. Du musst auf den Kongress. Vergiss aber nicht deinem Arbeitgeber schon früh genug Bescheid zu sagen. Dein Rock ist zu kurz. Du darfst nicht masturbieren. Das Feiern von heidnischen Festen ist für dich verboten. Das Internet ist eine Gefahr. Darf ich mich im Internet informieren? Beachte, dass in Foren auch böse Abtrünnige schreiben, die Lügen über uns erzählen. Du liebst Gott und hörst auf „fremde Stimmen“ und gehorchst nicht dem Sklaven – das geht nicht - bereue und geh in den Dienst! Sei demütig und gehorsam. Du musst mehr tun. Handle, setze es in die Tat um, verteile Wachtürme. Nimm die Speise auf. Der Tag ist nahe. Du brauchst kein Abitur. Setze dir geistige Ziele. Kritisiere nicht den Sklaven. Du bist in der Wahrheit. Alles andere ist vom Satan – dem Widersacher.

Erwachet! (für Skeptiker): Für Leute die nichts mit der Bibel anfangen können. Für Skeptiker und Atheisten. Man versucht die Evolution zu widerlegen und mit ein paar Naturbildern und „weltliche Themen“ komponiert mit pseudo-religiösen Passagen irgendwie die Leute zum Glauben an Gott zu bewegen, um dann später mit ihnen "die Bibel" - den Wachtturm- zu studieren.

(UN)-Getaufter