Woher kommen eigentlich die schönen bunten Bilder in der Wachtturm-Literatur? Eine mittlerweile ausgestiegene Zeugin Jehovas und ehemalige "Vollzeitdienerin" hatte Gelegenheit, hinter die Kulissen des sogenannten Art Departmens der Wachtturm-Gesellschaft in Brooklyn zu blicken. Hier ihr Eindruck aus heutiger Sicht.

Es war der glücklichen Fügung verschiedener Umstände zu verdanken, dass ich im Art Department eine Einzelführung bekam. Leider bekommen mir einige Verhaltensweisen nicht. Als die Tür hinter mir zuflog und ich mit der ausgesprochen liebenswerten Schwester im Entreé des Art Departments stand, erhielt ich gleich die gnadenlose Belehrung, dass ein Normalverkündiger niemals das Art Department besuchen könne. Ausnahmslos Vollzeitdiener haben die Ehre diese heiligen Hallen zu betreten. Das hat mir schon mal nicht gefallen, ich hab’ was gegen Elitezüchtungen auf religiösem Sektor.

Das Art Department sieht wie das Büro von „Einsatz in Manhatten“ mit Walter Matthau und Michael Douglas aus. In Wahrheit leider ohne Walter Matthau und Michael Douglas. In Maustria sagen wir scherzhaft zu dieser Sendung „Einsatz in Amstetten“ (Amstetten ist für einen Kosmopoliten eine todlangweilige Arbeiterkleinstadt mit einem Hauptverkehrsknotenpunkt der Bahn, aber das ist eine andere Geschichte). Typisch amerikanisch sah diese Abteilung aus, vielleicht etwas weniger Glastrennwände, ein bisschen mehr Mauern, damit der Künstler in Ruhe seiner Arbeit nachgehen kann.

Dann kam die bittere Enttäuschung. Ich trat in das Künstlerzimmer einer mir gut vertrauten Mitarbeiterin ein. Es roch nicht nach Farben. Nur nach strenger Arbeit. Die Künstlerin war ungeschminkt, trug langes, glattes offenes Haar. Sie hatte spontane fließende Bewegungen und eine liebenswerte sanfte Stimme.

Dann traf mich ein Stich mitten ins Herz. Sie brauchte mir nichts zu erzählen. Wir sahen beide auf ein Foto, dass den ganzen kleinen Raum ausfüllte. Es war ca. 1,50 m lang und 40 cm hoch. Sie und ich hatten binnen Sekunden Tränen in den Augen. Es zeigte die wildeste, atemberaubendste, menschenleere, baumlose Landschaft, ähnlich einem Canyon von North Dakotha. Bei genauem Hinsehen nahm ich mitten in dieser unsagbar bizarren Weite eine kleines Haus wahr. Stumm zeigte sie auf das Haus. Dann sagte sie: „Hier bin ich aufgewachsen“.

Verständlich, wie sehr sie all die Jahre litt. Täglich mit Hunderten und Tausenden zu frühstücken und Abend zu essen. Sie ertrug die geballte Ladung Menschen in New York im Bethel nicht. Sie opferte ihre Fähigkeiten „für Jehova“. Keine Rede davon, einmal später mit der Arbeit anfangen zu können. Der straffe Zeitplan morgen in aller Früh zu arbeiten zu beginnen gilt gnadenlos auch für die Künstler des Art Departments.

Sie begann zu weinen und erzählte mir, wie sehr sie ihren Mann bedränge, endlich die Zelte im Bethel abzubrechen, damit sie wieder in ihre Heimat könne. Ihr Mann hätte eine hohe Position im Bethel, die im große Freude bereite. Sie jedoch ginge seelisch vor die Hunde. Immer wenn ich Lucky Luke lese und auf das letzte Bild blicke „I'm a poor lonesome Cowboy, far away from home“, denke ich in der nächsten Sekunde an diese Künstlerin.

Im nächsten Zimmer saß der Pandabärzeichner. Der, der das bunte Traktat mit dem Pandabären gezeichnet hat. Eine liebenswürdige Person ohne Ende. Aber irgendwie in Ketten gelegt. Seine Pflicht tuend und etwas Freude am grellbunten Faltblättchen mit dem Pandabären rutschte er auf seinem Sessel hin und her.

Die Führerin blätterte wild im Offenbarungsbuch und zeigte mir jene Bilder, die nicht in der größten Affenhektik gezeichnet worden sind (im Geiste habe ich Johannes vor mir, als er den Tempel ausmaß) und jene Bilder, wo einfach nur hingekleckst wurde, keine Detailzeichnungen, einfach patsch, da ist es. Damit das Buch pünktlich auf den Markt kommt.

Ich umarmte zum Abschied die Schwester und fühlte mich betäubt.

So manchen Künstler lernte ich im Laufe der Jahre kennen. Kärglich eingerichtete kleine Kammern sah ich. Da war Feuer. Da war Leben. Da kam Energie ohne Ende rüber.

Wieder einmal fällt es mir wie Schuppen von den Augen, wie sehr wir alle seelisch in diesem System der ZJ-ler malträtiert worden sind. Der eine so, der andere so. Im Art Department der ZJ-ler ließ ich die Stimmung eines Krematoriums hinter mir.

Schimpi