Betrachtungen zu "Der Wachtturm" vom 15. Juli 2008
Die leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas warnt ihre Gläubigen immer wieder einmal, sich nicht von jedem „Wind der Lehre“ herumtreiben zu lassen, und führt dabei Epheser 4:14 an: „...damit wir nicht mehr Unmündige seien, die wie von Wellen umhergeworfen und von jedem Wind der Lehre hierhin und dorthin getrieben werden durch das Trugspiel von Menschen, durch List im Ersinnen von Irrtum“ (nach Neue-Welt-Übersetzung). Das klingt gut; aber sind die Zeugen Mündige in der Beurteilung der Lehren, die ihnen - auch von ihrer eigenen Organisation, dem „treuen und verständigen Sklaven“ - dargeboten werden?

Wer die Veröffentlichungen dieses Sklaven verfolgt, kann solches kaum bejahen. Immer wieder wird in Schriften, in Büchern, Zeitschriften, Tagestexten usw. auf die notwendige Abhängigkeit der Zeugen von diesem Sklaven und auf seine Lehrautorität hingewiesen. Hierin stellt er sich der Bibel gleich; denn in Unser Königreichsdienst vom Juli 2008 betont er erneut in dem Artikel „Als Familie aufs Überleben hinarbeiten“:

Auch für uns geht kein Weg daran vorbei, daß wir bei allem, was die Bibel oder der treue Sklave sagt, ,zum Gehorchen bereit' sind (Jak. 3:17).

Die Zeugen sind also auf den Wind aus Brooklyn festgelegt, eine heilige Pflicht, wie der Tagestext vom 1. Mai 2008 betonte. Gibt es von dort auch Wind, „Trugspiel von Menschen, List im Ersinnen von Irrtum?“ Der Wachtturm vom 15. Juli 2008 gibt hier wieder einmal ein treffliches Beispiel. In seinem 4. Studienartikel, „Du weißt nicht, wo es Erfolg haben wird“, werden 3 Gleichnisse Jesu besprochen, drei seiner Königreichsgleichnisse, nämlich die vom Senfkorn, vom Sauerteig und vom Schleppnetz.

Das „helle Licht“, das der Sklave bisher seinen Abhängigen und Unmündigen übermittelte, ist noch gar nicht so alt.

Das Gleichnis vom Senfkorn

In dem vom Sklaven als Speise zur rechten Zeit im Jahre 1981 herausgegebenen Buch „Dein Königreich komme“ wird über dieses Gleichnis in Kapitel 11, Seiten 100-101, unter der Zwischenüberschrift „Ein Scheinkönigreich“ als Erläuterung zu Markus 4:30-32 gesagt:

Ein erstaunliches Wachstum - gewiß weit größer als das Wachstum der „kleinen Herde“ von 144000 Königreichserben... Es handelt sich vielmehr um das Wachstum eines großen falschen „Baumes“ der Christenheit, und zwar in Form eines Abfalls von der Versammlung, die Jesus gepflanzt hat ... Er rühmt sich, weltweit über 900 000 000 Anhänger zu haben ... Diese „Vögel“ nisten in den Zweigen des „Baumes“, den vielen hundert Religionsgemeinschaften. Sie stellen den abtrünnigen „Menschen der Gesetzlosigkeit“ dar, die Geistlichkeit der Christenheit...

Das Gleichnis vom Sauerteig

An gleicher Stelle wurde über das Gleichnis vom Sauerteig gemäß Matthäus 13:31-33 und Lukas 13:19-21 folgendes ausgesagt:

In übertragenem Sinne gebraucht, hat Sauerteig in der Bibel immer eine negative Bedeutung. ... Das stellt die allmähliche Durchsetzung der Christenversammlung mit falschen, babylonischen Lehren und Bräuchen dar, was zur Entstehung eines gewaltigen Scheinkönigreiches, der Christenheit, führte...

Ich kann mich noch gut erinnern, mit welcher Intensität die Annahme dieser Lehren damals durchgesetzt wurde, denn immerhin gab es noch Menschen, die sagten: „Jesus sagte: das Königreich ist gleich...; der Sklave sagt jedoch: das Scheinkönigreich ist gleich ... Wem soll man glauben?“

Doch da der Sklave sich schon in seiner Autorität der Bibel gleichstellt, ist es kein Wunder, daß er sich auch anmaßt, festzulegen, was Jesus meinte, selbst wenn dieser das genaue Gegenteil davon sagte. Und so wurde diese Lehre, die der Sklave allein erkannt hatte und die nicht einmal Babylon die Große besaß, angenommen, ja als göttliches Licht angesehen.

Das Gleichnis vom Schleppnetz

In der gleichen Veröffentlichung auf Seite 103 wurde das Gleichnis vom Schleppnetz gemäß Matthäus 13:47-49 besprochen. Darin wird über das Schleppnetz erklärt:

Es veranschaulicht die Organisationen hier auf der Erde, die sich zu den Nachfolgern Jesu Christi zählen - die wahren und die falschen. In dem Buch „Der größte Mensch, der je lebte“, ein von der Wachtturmorganisation im Jahre 1991 herausgegebenes Buch über Jesus und sein Leben, wird im vorletzten Absatz zu Kapitel 43 die gleiche Deutung hinsichtlich des Schleppnetzes gegeben nämlich, ...das alle Organisationen hier auf der Erde darstellt, die behaupten, christlich zu sein...

Die aus einer solchen Deutung sich aufdrängende Schlußfolgerung, daß sich ja im ganzen Netz gute und schlechte Fische befinden, die erst von den Engeln „aussortiert“ würden, das hieße aber, daß sich eben auch in allen christlichen Kirchen und Gemeinschaften gute (und auch schlechte) Fische befänden, wurde ausdrücklich, expressis verbis, nie gezogen. Doch scheint das dem Sklaven inzwischen „aufgegangen“ zu sein, wie die Neudeutung im Wachtturm vom 15. Juli 2008 vermuten läßt.

Diese Deutungen als Speise zur rechten Zeit, die der Sklave 1981 und auch 1991 verteilte, ist also keineswegs alt; möglicherweise liegt sie noch „unverdaut in den geistigen Magen“ vieler Zeugen, und nicht wenigen hat diese Speise auch Magendrücken verursacht; aber ach ja, der Gehorsam! Es ist halt doch die Wahrheit! Jedenfalls bis zum Wachtturm vom 15.07.2008.

Der Wachtturm vom 15. Juli 2008

Auf den Seiten 17 -- 21 wird geschrieben über

das Gleichnis vom Senfkorn:

Das ist ein anschauliches Bild vom Wachstum des „Königreiches Gottes“, wie es von Pfingsten 33 u.Z. an zu beobachten war, als sich die Königreichsbotschaft schnell ausbreitete ... Mit dem Wachstum der Christenversammlung fing es ganz klein an ... Eines Tages werden die Untertanen des Königreiches Gottes die ganze Erde bevölkern. ... Sie [die Vögel] veranschaulichen vielmehr aufrichtige Menschen, die in der Christenversammlung Schutz suchen...

das Gleichnis vom Sauerteig:

... Auch wenn ein Sinnbild an einer Stelle in der Heiligen Schrift für etwas Negatives steht, kann dasselbe Bild an anderer Stelle eine positive Bedeutung haben ... Er [Jesus] sprach einfach von der normalen Vorgehensweise bei der Brotherstellung. ... Wirklich ein sehr einfaches Bild für den unsichtbaren Vorgang geistigen Wachstums. ...So ähnlich hat sich das Königreichspredigtwerk, der Auslöser des geistigen Wachstums, so weit ausgedehnt, daß die gute Botschaft jetzt bis „zum entferntesten Teil der Erde“ gepredigt wird...

das Gleichnis vom Schleppnetz:

... Mit dem Schleppnetz, einem Symbol für das Königreichspredigtwerk, werden Fische von jeder Art zusammengebracht. ...Buchstäblich Millionen von symbolischen Fischen aus dem Menschenmeer sind in unserer Zeit von der Versammlung Jehovas angezogen worden. ... in Gefäße gesammelt werden - ein Sinnbild für die Versammlungen ... dringend erforderlich, daß sie sich in die mit Gefäßen vergleichbaren Versammlungen einsammeln lassen...

Absatz 20 faßt zusammen:

Wie das winzige Senfkorn zu einem „Baum“ heranwächst, sind die Königreichsinteressen hier auf der Erde enorm gewachsen. ... Wie bei dem verborgenen Sauerteig ... seine Kraft durchdringt alles. ... Manche sind wie unbrauchbare Fische...

Man möchte hier manchmal „Hört! Hört!“ rufen. Kein Wort von dem früheren, ganz andersartigen Verständnis. Der Mantel des Schweigens und Vergessens ist bei Jehovas Zeugen groß; und wenn der Sklave nichts erwähnt, dann ist das auch schon Richtschnur für Älteste und Verkündiger. Sorgfältige und verantwortungsbewußte Bibelauslegung oder Auslegung nach dem Würfelprinzip: was brauchen wir denn gerade? Wind der Lehre? Wer wird denn so herumgeweht und herumgewirbelt wie die bedauernswerten Zeugen? Hätten sie noch letztes Jahr die neuen Argumente vorgetragen, man hätte ihnen Abtrünnigengedankengut unterstellt; doch wenn Abtrünnigengedankengut vom Sklaven kommt, dann ist das eben etwas ganz Anderes. Wind der Lehre? Sie sind im Kreis geweht worden, aber in Amerika sind Windwirbel ja etwas Bekanntes. Und jetzt sind sie wieder da, wo Babylon die Große schon lange ist. Es ist seltsam, daß der Gott derer von Brooklyn ihnen immer wieder Irrlicht schickt (oder gar der Gott der Bibel nach 2. Thessalonicher 2:10-12 ?), während er der abtrünnigen Christenheit in vielen Dingen schon die genaue Erkenntnis gewährt hat. Man darf mit Fug und Recht annehmen, daß es noch windig werden wird in den Stuben von Brooklyn; der Wind der Lehre hat seit Januar in den Spezialausgaben des Wachtturm - Ausgabe nur für Zeugen - gerade erst einmal zu blasen angefangen. Aber ich kann gut verstehen, warum der Sklave diese Änderungen und Irrtumsberichtigungen nicht gern in die Wachtturmausgaben für die Öffentlichkeit einsetzen möchte. Man will sich doch nicht mehr blamieren „als mit aller Gewalt und im besten Falle zu vermeiden ist“ Ist dieser letzte Satz unklar? Ich bitte um Nachsicht, ich war so lange dem Wind aus B. ausgesetzt!