Gestern ist mir das neueste Erwachet! in die Hände gefallen mit einem Hauptartikel über Probleme von Jugendlichen in unserer heutigen Zeit. Meine Zeit als Jugendlicher ist zwar ein Weilchen vorbei aber trotzdem amüsiere ich mich hin und wieder über die Moralvorstellungen der Zeugen Jehovas. Diesmal bin ich allerdings ein wenig erbost.

Grundsätzlich sind die Artikel in den Veröffentlichungen der Wachtturm-Gesellschaft viel zu kurz und oberflächlich, als dass man wirklich Hilfe hieraus erwarten könnte. Schnell werden die Probleme schon am Anfang mit dem Satz minimalisiert:

Ein Grund dafür ist, dass die Menschheit gerade eine Zeit durchlebt, die in der Bibel als „Abschluss des Systems der Dinge“ bezeichnet wird (Matthäus 24:3)

Gottes Königreich wird also alles verbessern. Bis dahin gibt es von der Wachtturm-Gesellschaft erstmal 3 Strategien und wenn das nicht reicht, wird auf das Buch Fragen junger Leute hingewiesen.

Zuerst erwähnt der Artikel drei Probleme:

  1. Zunehmende Vereinsamung
  2. Sexueller Druck von außen
  3. Fehlender familiärer Zusammenhalt

Neugierig hat mich zu allererst Problem Nr. 2 gemacht (Seite 4). Besonders folgende Stelle:

In Großbritannien ergab eine Studie unter 12- bis 19-Jährigen aus unterschiedlichsten Verhältnissen, dass nahezu die Hälfte der 1000 Befragten auf irgendeine Art sexuell aktiv war. Über ein Fünftel war erst 12 Jahre alt! Dazu Dr. Dylan Griffiths, der die Studie leitete: „Die Kontrollfunktion, die traditionsgemäß von der Familie, der Kirche oder von anderen Institutionen ausgeübt wurde, besteht nicht mehr, und die Leittragenden sind die jungen Menschen.“ (Seite 4-5)

Zunächst zu den Zahlen: Nahezu die Hälfte der 1.000 befragten Jugendlichen war auf irgendeine Art und Weise sexuell aktiv. Was eigentlich bedeutet, dass mehr als die Hälfte nicht sexuell aktiv war. Aber was heißt schon sexuelle Aktivität? Man denkt vielleicht an Geschlechtsverkehr, Petting etc. Aber was ist denn mit Masturbation? Haben wir es vielleicht mit fast 500 masturbierenden Jugendlichen zu tun? Wer weiß das schon? Letztlich wird im Artikel hierüber keine Auskunft gegeben. Masturbation ist zwar keine porneia (griechisch für Hurerei, Unzucht) aber ebenfalls ein sogenanntes böses Wort von dem man lieber die Hände lässt.

Was mich dann doch sehr erbost hat, war das Zitat des Britischen Psychiaters Dr. Dylan Griffiths. Was soll Kontrollfunktion bedeuten? Die Kontrollfunktion der Wachtturm-Gesellschaft über ihre Anhänger? Das Verpetzen von anderen und die darauf folgenden demütigen Verhöre mit geistlichen Führern? Als dann noch im Anschluss indirekt gesagt wurde, dass sexuelle Aktivität das Risiko für einen Selbstmordversuch erhöht, musste ich sofort nach diesem Dr. Dylan Griffiths googlen. Ein Ergebnis war, dass sexuelle Aktivität gar nicht das Hauptthema der Studie von Dr. Griffiths war. Vielmehr ging es um die Gründe für Suizid, Drogenkonsum, Mobbing und andere Problemen. Letztlich geht es um den Mix und nicht um ein einziges Problem.

Die gemeinte „Kontrollfunktion“ des Dr. Griffiths ist nicht auf die sexuelle Aktivität bezogen, sondern auf die gesamte Verantwortung der Gesellschaft gegenüber dem Nachwuchs. Jugendlichen Perspektiven und Halt zu geben, Depressionen und Probleme zu erkennen, werden somit laut Dr. Griffiths zur seltenen Tätigkeit in der Gesellschaft „und die Leitragenden sind die jungen Menschen“.

Aber was sind die Strategien der Wachtturm-Gesellschaft? Hier mal die 3 Strategien:

  1. Trau dich aus deinem Schneckenhaus heraus
  2. Mache einen großen Bogen um sexuelle Beziehungen
  3. Versuche, deine Eltern zu verstehen

Auffallend ist, dass die Jugendlichen laut Wachtturm-Gesellschaft in der Bringschuld sind! Nicht die von Dr. Griffiths erwähnte Gesellschaft, die bisher die „Kontrollfunktion“ wahrgenommen hatte  wird ermuntert diese wieder auszuüben. Stattdessen wird von Elizabeth berichtet, die gegen ihre Schüchternheit angeht, denn nach Sprüche 18:1 heißt es ja:

Wer sich absondert, wird nach seinen eigenen selbstsüchtigen Verlangen trachten; gegen alle praktische Weisheit wird er losbrechen. (Seite 7)

Wie traurig so etwas zu lesen.

Aber den Jugendlichen bleibt ja noch die letzte und 3. Strategie:

Wenn du dich, so gut es geht, in deine Eltern hineindenkst und ihre Gefühle nachvollziehst, kannst du deine Probleme objektiver sehen. (Seite 9)

Es ist faszinierend wieviel Vernunft die Wachtturm-Gesellschaft von Jugendlichen erwartet, die gerade durch die Pubertät von Hormonen zunehmend überwältigt werden. Aber letztlich lesen ja die Eltern die meisten Veröffentlichungen der Wachtturm-Gesellschaft und so werden diese Erziehungsberechtigten dann sagen, dass man sie verstehen sollte und nur sie ja wüsten was das Beste für ihre Kinder sei.

Zum Schluss bekommen dann doch noch die Eltern drei Ratschläge mit auf den Weg (Kasten Seite 8-9). Der erste bezieht sich auf die Zeit. Natürlich auf die Zeit mit den Kinder die Bibel zu studieren! Zwar wird das Wort Bibel nicht direkt erwähnt, aber zum richtigen Verstehen dient das Zitat aus 5. Mose 6:6,7, nämlich ständig mit den Kindern über die Gebote Gottes und über Gott selbst zu sprechen. Und wenn das nicht hilft, dann sei so wie Jesus:

Er schloss die Kinder in seine Arme und begann sie zu segnen“ (Markus 10:13,16). Ist das nicht ein schönes Beispiel für die Eltern?

Ich fasse das mal zusammen: Zuckerbrot und Peitsche! Dass die Peitsche nicht nur das Vorhalten verbaler Gebote Gottes bedeutet, zeigt dann auch der dritte Ratschlag: Eine lenkende Hand. Es heißt:

Zu Erziehung gehört, Kinder anzuleiten und sie zu korrigieren – manchmal muss man sie vielleicht auch bestrafen. […] Kinder brauchen unbedingt eine lenkende Hand und Anleitung. Alles durchgehen zu lassen kann bittere Konsequenzen haben.

Ich hoffe, dass das nicht die falschen Eltern lesen werden!

Mein Fazit: Zwar ist nicht jeder Absatz schlecht aber auch nicht so gut, dass dieser erwähnenswert ist. Hilfe wird ein Jugendlicher nicht wirklich im Artikel finden. Letztlich können aus Sicht eines Zeugen Jehovas keine Probleme beseitigt werden, denn das kann nur Gottes Königreich.

So wird ein Zeuge Jehovas vor dem Weltuntergang lieber eine Mauer bauen und alles, was Probleme verursacht, raus werfen, statt Probleme richtig anzugehen.