Von der Wachtturm-Gesellschaft erfahren die Zeugen Jehovas recht wenig über die Situation in Frankreich. Da wird nur allgemein von "Verfolgung" geredet, von "Intoleranz" und von "ungerechten" Steuerforderungen.

Kein Wunder, denn schließlich muß man vertuschen, daß man hier ganz offen gegen ein Gesetz verstoßen hat und daß das einzige, was hier "verfolgt" wird, die finanziellen Interessen der WTG sind.

Zeugen Jehovas, ihr werdet irregeführt!

von unserem Korrespondenten aus Frankreich

Ende Januar 1999 verteilten die Zeugen in Frankreich nach eigenen Angaben 12 Millionen Traktate mit dem Titel „Franzosen, ihr werdet irregeführt!". Möglicherweise liegt aber bei dem einen oder anderen Zeugen noch ein Stapel dieser „wichtigen Botschaft" zu Hause.

Netzwerk Sektenausstieg e.V. hat eine Übersetzung des Traktats und einen Kommentar dazu bereits veröffentlicht.

Die WTG hat einen handfesten Streit mit dem französischen Staat, weil sie sich weigert die Steuerschuld in Höhe von 300 Millionen Francs zu bezahlen. Da dieser Steuerbescheid rechtskräftig ist, wurden die Druckereianlagen in Louviers bereits im letzten Jahr beschlagnahmt, bevor die Gerätschaften nach Großbritannien gebracht werden konnten. Seither wird die Literatur für die französischen Zeugen im Ausland gedruckt. Kein Wunder, daß in England dringend Bethelmitarbeiter gebraucht wurden. Wie dieses Problem gelöst wurde kann man im Königreichsdienst vom Februar 99 nachlesen: „Etwa 50 Bethelmitarbeiter sind von Frankreich nach Großbritannien gezogen, um im dortigen Bethel beim Druck und Versand zu helfen ..."

Die Gesetzeslage

Der Streit mit dem französischen Staat hat eine rechtliche Grundlage, die mit der Rechtsform der WTG in Frankreich zusammenhängt. Religiöse Gemeinschaften haben verschiedene Möglichkeiten sich zu organisieren:

1. „nicht eingetragene Gemeinschaft nach dem Gesetz vom 1.Juli 1901, Art. 4"

  • Rechte: Spenden sammeln, Fonds für die Gemeinschaft, Postscheckkonto eröffnen u. Arbeitsverträge abschließen.
  • Nachteil: keine Rechtsfähigkeit, sie können weder eine Erbschaft antreten noch Partei in einem Rechtsstreit sein.

2. „eingetragene Gemeinschaft nach dem Gesetz vom 1.Juli 1901, Art. 5"

  • Eintragung: gewisse Formalitäten müssen erfüllt werden, um bei der Präfektur eingetragen zu werden. Die meisten Gemeinschaften besitzen diesen Status, auch die WTG
  • Rechte: zusätzlich zu den Rechten nicht eingetragener Gemeinschaften werden beispielsweise folgende Freiheiten gewährt: Mobilien und Immobilien zu besitzen oder zu mieten, als Partei bei Prozessen auftreten, ...
  • Nachteil: Kontrolle durch die Steuerbehörden und die Arbeitsverwaltung

3."Kultusgemeinde oder Religionsgemeinschaft nach dem Gesetz vom 9. Dezember 1905"

  • Anerkennung: wird gewährt, wenn der alleinige Zweck der Gemeinschaft in der Ausübung der Religion besteht und die Mitgliederzahlen eine bestimmte Grenze überschreiten. Wenige religiöse Bewegungen genießen diesen Status.
  • Rechte: zusätzlich zu den Rechten eingetragener Gemeinschaften nach dem Gesetz vom 1.Juli 1901, haben diese Gemeinschaften unter anderem das Recht Schenkungen oder Erbschaften anzunehmen. Dazu ist jedoch die jeweilige Genehmigung durch den Präfekt bzw. den Staatsrat einzuholen.
  • Nachteil: Finanzkontrolle durch die Registrierungsbehörde und die allgemeine Finanzkontrolle.

Die WTG agiert, als ob sie eine „Kultusgemeinde nach dem Gesetz vom 9. Dezember 1905 wäre. Sie nennt sich selbst: „Association cultuelle les Temoins de Jéhovah de France". In ihrem Briefkopf weist sie ausdrücklich darauf hin, daß sie eine Kultusgemeinde nach dem Gesetz von 1905 sei. Der Sektenbericht des französischen Parlaments sagt dazu:

Einige erklären sich selbst zu Kultusgemeinden oder Religionsgemeinschaften, indem sie diesen Ausdruck in ihren Namen aufnehmen. Dies trifft zum Beispiel auf die „Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas" und die Mandarom-Sekte zu; ... Doch das bedeutet nicht, daß die Behörden sie als solche anerkennen. Überdies ziehen sie aus diesem Status keine materiellen Vorteile." (Sekten in Frankreich Nr. 2468 von 1998)

Da die WTG, wie übrigens viele andere Gemeinschaften auch, vom Staat nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt worden ist, unterliegt sie der Steuerpflicht, und wäre verpflichtet gewesen, von sich aus die fälligen Steuern zu entrichten. Die gläubigen Zeugen, die immer ordentlich ihre Steuern bezahlen, werden von der WTG auch sehr für ihre Ehrlichkeit gelobt. Wenn es allerdings um das Geld der Gesellschaft und um Millionenbeträge geht, läßt die Ehrlichkeit ziemlich nach.

Ganz zu schweigen von den Schenkungen und Erbschaften, die die WTG gemäß ihrem Status in Frankreich eigentlich gar nicht annehmen darf.

Mit anderen Worten: Man betrügt die Finanzbehörden und schreit: „Intoleranz und Verfolgung!", wenn der Betrug auffliegt.

Ein Blick in die WT-Literatur

Die Streitigkeiten mit den Finanzbehörden sind der eigentliche Grund für folgende Aussage im Königreichsdienst vom Februar 99:

In Frankreich harren die Brüder beim Predigen trotz Gegnerschaft aus.

Worin die Gegnerschaft besteht sagt sie natürlich nicht. Dafür kann man in den Zeitschriften „wunderbare und lehrreiche" Artikel über Frankreich und die Religionsfreiheit lesen:

1. Erwachet 22.11.98 S.19, Das Edikt von Nantes – Eine Toleranzurkunde?

Nachdem ausführlich die Toleranz von Heinrich IV. gelobt wird, schreibt man:

Die Lektionen aus der Vergangenheit geraten zuweilen in Vergessenheit.

Wenn man sich die Verhältnisse im 16. Jahrhundert vor Augen hält, kann man sich leicht vorstellen, wie froh die Leute damals gewesen wären, hätten sie auch nur annähernd die religiösen Freiheiten gehabt, die heute in Frankreich gewährt werden.

Es geht ja auch gar nicht um Religionsfreiheit, sondern ums Geld. Das sieht man schon daran, daß im nächsten Satz auf das Gesetz von 1905 verwiesen wird. Die WTG mag sich darüber beschweren oder darüber nachdenken, warum sie nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt wird, aber solange sie diese Anerkennung nicht hat, kann sie die daraus resultierenden Rechte nicht für sich in Anspruch nehmen.

Andererseits suchen „wahre Christen" sowieso nicht die Anerkennung der „bösen Welt". Statt dessen gehen sie demütig auf dem schmalen Weg, der zum ewigen Leben führt. Gibt es also überhaupt einen Grund sich darüber aufzuregen, daß „Jehovas Zeugen von verschiedenen französischen Behörden regelmäßig diskriminiert (werden), was ihre Freiheitsrechte betrifft"?

In der Welt habt ihr Drangsal, doch faßt Mut, ich habe die Welt besiegt! Joh. 16:33.

Sind diese Worte kein Trost für die WTG?

2. Erwachet 08.01.99 S.1-13, Die Religionsfreiheit

So kostbar sie auch ist, Freiheit ist nur relativ. Zugunsten größerer Freiheiten für alle erläßt der Staat Gesetze, die die Freiheit des einzelnen in gewissen Bereichen beschränken." „Wahre Religionsfreiheit existiert nur, wenn alle religiösen Gruppen, die das Gesetz respektieren und beachten, vom Staat gleich behandelt werden.

Erwachet! 08.01.99 S.7 u. 8

Hier ist die WTG auf dem richtigen Weg. Vielleicht würde sie ja vom französischen Staat als Religionsgemeinschaft anerkannt werden, wenn sie das Gesetz respektieren würde.

Während die WTG lange Artikel veröffentlicht und für sich selbst Religionsfreiheit beansprucht, ist sie innerhalb ihrer Organisation nicht so tolerant. Zeugen Jehovas, die kritische Bemerkungen machen, oder gar eine offizielle Lehre ablehnen, werden von der Gemeinschaft ausgeschlossen. In diesem Fall ist von Toleranz, Gewissens- oder Religionsfreiheit nicht mehr die Rede. Da die WTG allein die „wahre Lehre" vertritt, bedeutet Rebellion gegen die Organisation dasselbe wie Rebellion gegen Gott. Der ehemalige „Bruder" oder die ehemalige „Schwester" werden geächtet, als geistig tot bezeichnet und behandelt als ob sie bereits gestorben wären. Wenn sie nicht bereuen haben sie den ewigen Tod verdient. Auch von nahen Familienangehörigen wird erwartet, daß sie den Kontakt mit Ausgeschlossenen auf das Notwendigste beschränken.

Natürlich steht es jeder religiösen Gruppe frei, derart mit ihren Anhängern umzugehen. Es ist jedoch nicht verwunderlich, wenn ein demokratischer Staat sich weigert, unter diesen Umständen eine besondere Anerkennung zu gewähren.

Intoleranz ist dann gegeben, wenn eine Gruppe verfolgt wird, wenn spezielle Gesetze auf sie abzielen, wenn sie ausgegrenzt verboten oder sonstwie am Ausleben ihres Glaubens gehindert wird.

Erwachet! 08.01.99 S.11

Diese Definition der WTG zeigt deutlich, daß sie nicht von einzelnen Menschen spricht, wenn sie von Religionsfreiheit fordert.

Die Bibel verheißt, daß die Menschheit bald in der reinen Anbetung des allein wahren Gottes vereint sein wird. Diese Einheit wird echte weltweite Brüderlichkeit, geprägt von gegenseitiger Achtung, mit sich bringen.

Erwachet! 08.01.99 S.12

Unter der „reinen Anbetung" versteht die WTG sich selbst. Man stelle sich eine Welt vor, die von einer Organisation beherrscht wird, die dem einzelnen so viel Freiheit läßt wie die WTG:

Jeder kann sich auswählen ob er heute Kartoffeln und morgen Reis ißt, oder umgekehrt. Ob die liebe Ehefrau ein rotes oder ein blaues Kleid tragen will steht ihr frei. Es kann auch jede Familie selbst entscheiden ob das Familienbibelstudium am Montag oder am Samstag stattfinden soll.

Die Toleranz hört jedoch schnell auf:

Als Beschäftigter in einer Spielhölle, einer Klinik für Abtreibungen oder in einem Bordell würde er sich eindeutig an einer unbiblischen Tätigkeit mitschuldig machen. Selbst wenn seine Aufgabe lediglich darin bestünde, den Fußboden zu reinigen oder das Telefon zu bedienen, würde er etwas unterstützen, was in Gottes Wort verurteilt wird.

Jemand würde an den Werken und Sünden Babylons der Großen teilhaben, wenn er bei einer Religion, die die falsche Anbetung vertritt fest angestellt wäre. Auch als Gärtner, Hausmeister, Handwerker oder Buchhalter würde dieser Arbeitnehmer durch seine Tätigkeit eine Anbetung fördern, die der wahren Religion widerspricht. Jemand, der sehen würde, daß dieser Arbeitnehmer die Kirche verschönert, Reparaturen daran ausführt oder in irgendeiner Form den Interessen dieser Religion dient, würde ihn logischerweise auch mit ihr in Verbindung bringen."

Dies ist kein Zitat aus einer längst vergangenen Zeit, sondern ganz aktuell im WT vom 15.04.99 S. 28 nachzulesen.

3. EW 22.12.98 S.12-15, Vom Kriegshelden zum Soldaten Christi

In letzter Zeit bedient sich die WTG immer öfter der Lebensbeschreibungen von Zeugen Jehovas, um irgend etwas zum Ausdruck zu bringen, was sie selbst nicht so offen äußern kann.

Zeugen Jehovas sind nach ihrer eigenen Aussage kein Teil der Welt. Alle kriegerischen Auseinandersetzungen sind ihnen zuwider. Sie verabscheuen militärische Gewalt aus ganzen Herzen. Man höre und staune was die WTG über zwei komplette Seiten ihren treuen Anhängern bietet:

Heftige Kämpfe waren im Gange. Ein Panzer meiner Einheit geriet unter Beschuß, und drei meiner Kameraden kamen dabei um. Danach riß eine Mine eine Kette von meinem Panzer weg, wodurch er manövrierunfähig wurde. Entschlossen, unsere Position nicht aufzugeben, kämpften wir einige Stunden lang weiter.

Das Maschinengewehr in der einen Hand und die französische Fahne in der anderen, nutzte ich eine Kampfpause, um zusammen mit einem Widerstandskämpfer der freifranzösischen Truppe zu Fuß weiter nach vorn durchzudringen. Völlig erschöpft und rußgeschwärzt, pflanzte ich die Fahne am Eingang der Basilika auf...

Erwachet! 22.12.98 S.12

Dazu wird ein Bild veröffentlicht, das die Hochzeit des Helden in Anwesenheit eines bekannten französischen Generals zeigt.

Die insgesamt vier Seiten des Artikels behandeln auf der Hälfte des Raumes die Militärzeit des Zeugen.

Die patriotische, kriegsverherrlichende Beschreibung des ehemaligen französischen Soldaten steht im starken Kontrast zu einem fast zeitgleich erschienenen Bericht eines anderen französischen Zeugen, der in der deutschen Armee diente:

Der zweite Weltkrieg war in vollem Gange; er richtete ein unbeschreibliches Blutbad an und verursachte ungeheure Verzweiflung. ... Ich war überzeugt davon, daß der Gott, der dies (das Polarlicht) gemacht hatte, nicht für den Wahnsinn in Verbindung mit Kriegen verantwortlich sein konnte.

Der Wachtturm, 01.01.99 S.21

Eine ähnliche Vorgehensweise des Anbiederns gab es auch in der Zeit der Hitlerregierung in Deutschland. Der damalige Bevollmächtigte der WTG, Hans Dollinger versuchte verzweifelt die Gunst der deutschen Regierung zu erlangen. Er schrieb am 05.01.1935 einen Brief „An den Führer und Reichskanzler, Herrn Adolf Hitler, persönlich". Nachdem er die damalige Problematik dargestellt hatte, legt er seine eigene Person mit auf die Waagschale:

Ich bin Frontkämpfer, habe u. a. das Eiserne Kreuz 1.Klasse, bin 5mal verwundet (darunter zwei Kopfschüsse) und einmal gasvergiftet. Ich bin nicht vorbestraft und war stets stolz darauf, daß ich Deutscher bin.

Er bittet um Beendigung der Christenverfolgungen und schließt „Mit deutschem Gruß!"

Natürlich kann man die Situation der Zeugen in der Nazizeit nicht mit den Problemen der WTG im heutigen Frankreich vergleichen. Trotzdem hat mich die oben zitierte Lebensbeschreibung an den Brief von Hans Dollinger erinnert:

Die WTG versucht sich ins rechte Licht zu setzen. Man möchte Eindruck machen bei Leuten, die in Frankreich etwas zu sagen haben.

Irreführung

Die WTG ruft laut nach Religionsfreiheit und Toleranz, während sie ihren eigenen Anhängern keine Toleranz entgegenbringt. Sie beschwert sich über Willkür in einem demokratischen Staat, während sie selbst ein totalitäres System aufgebaut hat.

Die WTG weigert sich ihre Steuerschuld zu zahlen, während sie ihre Anhänger als „Musterbürger" lobt, die ehrlich die Steuern bezahlen.

Die WTG buhlt um die Gunst von verschiedenen Regierung, weil sie die materiellen Vorteile einer staatlichen Anerkennung erlangen möchte. Andererseits lehrt sie ihre Anhänger erhebliche persönliche Opfer zu bringen um „kein Teil der Welt" zu sein.

Die WTG beschäftigt Juristen, Journalisten und andere, um ihre Interessen durchzusetzen. Die Interessen des einzelnen Zeugen werden vernachlässigt, er soll nur abwarten, bis Gott die Dinge richtigstellt.

Toleranz und Gewissensfreiheit? Ja!

Dann aber auch für jeden einzelnen Zeugen Jehovas!