Warum änderte die Wachtturm-Gesellschaft im Jahre 1990 ihr Literaturverteilungsprogramm und schaffte die Preisbindung für Zeitschriften und Bücher ab?

Jehovas Zeugen glauben, die leitende Körperschaft habe eine Vereinfachung" eingeführt. Nur wenige kennen den wahren Grund für die Änderung: der amerikanische Fernsehprediger Jimmy Swaggart verlor vor Gericht einen Prozeß. In einem Brief vom 21. Februar 1990 an die Versammlungen erklärte die Gesellschaft das neue Vorgehen wie folgt:

Indem wir eine Methode der Literaturverbreitung einführen, die gänzlich auf Spenden beruht, ist Jehovas Volk in der Lage, das biblische Erziehungswerk stark zu vereinfachen und sich von denen getrennt zu halten, die die Religion zu einem Geschäft machen wollen.

Allerdings hatte sich in Wirklichkeit folgendes zugetragen:

  • Anfang der 80er Jahre setzt der Bundesstaat Kalifornien die Jimmy Swaggart Ministries davon in Kenntnis, daß für seit 1974 verkaufte religiöse Bücher und Bänder Steuern zu zahlen sind. Swaggart zahlt schließlich US-$ 183.000,00, klagt aber auf Rückzahlung. Der Fall geht bis zum höchsten Bundesgericht, dem U.S. Supreme Court.
  • Im Februar 1989 U.S. entscheidet der Supreme Court, es sei ungesetzlich, wenn in Texas (und 14 weiteren Bundesstaaten) religiöse Bücher von der Umsatzsteuer ausgenommen seien. Einige Staaten hatten diesen Verkauf schon immer besteuert.
  • Im Sommer 1989 verbreitet die Wachtturm-Gesellschaft (im folgenden WTG genannt) auf US-Kongressen kostenlos" Bücher. Die Zeugen werden angewiesen, Spenden in entsprechende Kästen einzuwerfen, um so die Kosten zu decken.
  • Am 22. Juni 1989 sendet die WTG im Fall Jimmy Swaggart einen amicus curiae-Schriftsatz (Stellungnahme Außenstehender nach angelsächsischem Recht) an den U.S. Supreme Court. Auch der Nationale Rat der Kirchen und die Gesellschaft für Krishna-Bewußtsein reichen solche Schriftsätze ein.
  • Am 17. Januar 1990 entscheidet der U.S. Supreme Court gegen die Jimmy Swaggart Ministries; die Umsatzsteuer ist zu zahlen.
  • Am 9. Februar 1990 schickt die WTG einen Brief an die Versammlungen und kündigt an, die Literatur werde in den Königreichssälen nicht mehr verkauft und es werde bei der Abgabe von Haus zu Haus auch kein Preis mehr genannt.
  • Am 25. Februar 1990 wird der Brief der WTG vom 9. Februar in den gesamten Vereinigten Staaten in den Sonntagszusammenkünften vorgelesen.
  • 1. März 1990: Ab jetzt wird kein Preis mehr bei der Literaturabgabe genannt.
  • Der Watchtower vom 15. März 1990 und Awake! vom 22. März - noch vorher gedruckt - nennen immer noch 25 cents (U.S.) pro Ausgabe" und $ 5,00 (U.S.) pro Jahr". Im Watchtower vom 1. April 1990 wird kein Preis mehr genannt.
  • 11. März 1990. In den Königreichssälen in den gesamten USA wird angekündigt, daßdie Verpflegung auf den Kongressen der ZJ kostenlos, auf Spendenbasis, ausgeteilt wird.

Viele Zeugen Jehovas werden sich weigern zu glauben, daß die WTG tatsächlich einen solchen Schriftsatz im Fall Jimmy Swaggart versandte. Daher die Kopien auf den folgenden Seiten.

Die Watchtower Bible and Tract Society of New York, Inc., (Watchtower [WTG]), eine gemeinnützige religiöse Korporation, ist die Mutterorganisation von über 800.000 Zeugen Jehovas in den achtundvierzig aneinandergrenzenden Bundesstaaten, darunter mehr als 132.000 Zeugen in Kalifornien. Jeder einzelne Zeuge Jehovas ist ein tätiger Diener im Tür-zu-Tür-Dienst, der aufnahmebereiten Zuhörern die gute Botschaft von Gottes Königreich predigt und... anbietet...

... für die Zeitschriften Wachtturm und Erwachet!, 30 c für verschiedene Handzettel und US-$ 1,00 bis US-$ 3,00 für unterschiedliche Bücher, alle zu religiösen Themen. Nochmals sei gesagt, daß Literatur oft bei interessierten Menschen abgegeben wird, die nicht in der Lage sind, einen [finanziellen] Beitrag zu leisten.

Falls die Steuer, die der Bundesstaat Kalifornien erhebt und um die es bei diesem Berufungsverfahren geht, nach Auslegung des Gerichts auf die Diener der Zeugen Jehovas zuträfe, wäre dies eine eindeutige Erschwernis ihrer Tätigkeit. Angenommen, jeder der 132.000 kalifornischen Zeugen im Haus-zu-Haus-Dienst sei nach dem kalifornischen Steuerrecht ein Händler", der ein Geschäft", einen Verkauf" betreibe, wäre jeder von ihnen verpflichtet, sich vom Staat Kalifornien für das Vorrecht, materielle Güter an Einzelpersonen verkaufen" zu dürfen, einen Gewerbeschein ausstellen zu lassen. Er müßte auch eine vierteljährliche Einkommensteuererklärung seiner Einnahmen aus dem Verkauf religiöser Literatur abgeben. Und wenn die Tätigkeit der Zeugen der Besteuerung durch den Bundesstaat unterliegen, könnten auch noch weitere Behörden mit Steuerhoheit (z.B. Kreise und Gemeinden) ihre eigenen Steuern einfordern.

Wie zu erwarten, ist das Einkommen aus der gelegentlichen Abgabe von Zeitschriften und Broschüren zu je 25 c oder 30 c - oder aus Büchern für US-$ 1,00 - nicht hoch; besonders wenn berücksichtigt wird, daß jeder freiwillige Diener der Zeugen Jehovas im Dienst noch eigene Aufwendungen wie Zeit, Benzin, Kfz-Versicherung usw. hat. Die WTG möchte dem Gericht darlegen, daß die überwiegende Mehrheit der Zeugen Jehovas, wenn nicht alle,...

... Verluste machen, wenn ihre Tätigkeiten nur vom finanziellen Standpunkt aus betrachtet werden. Aber dieser Verlust" wird wegen des größeren Gewinns und der Befriedigung, daß man Gottes Willen gehorcht und anderen eine lebensrettende Botschaft überbringt, gerne und begeistert getragen.

Es ist schon oft gesagt worden, daß der einzige Unterschied einer Predigt in einer Broschüre und der von der Kanzel herab in der Art und Weise der Darstellung besteht. Wenn Jehovas Zeugen in ihrem Predigtwerk religiöse Literatur verwenden, erreichen sie mit dieser Methode einfach mehr Menschen mit der guten Botschaft vom Königreich. Ein Traktat oder eine Broschüre, die bei einer interessierten Person zurückgelassen wurde, gibt dieser die Möglichkeit, die eigene Bibel zu Rate zu ziehen und intensiver über die Botschaft nachzudenken.

Der Erste Verfassungszusatz garantiert die Rede-, Presse- und Religionsfreiheit. Niemand hat je vorgeschlagen, eine Steuer (welcher Art auch immer) auf die überkommene Darlegung oder Aufnahme einer religiösen Predigt...

Obwohl der Kläger im Fall Follett sein Leben mit dem eingenommenen Geld bestritt; er katte keine weiteren Einkünfte [...] Die WTG kennt keine Zeugen, die dazu heute in der Lage sind. Die Kosten der [Literatur-]Abgabe, darunter die aufgewendete Zeit und die Fahrt zum Einsatzort, übersteigen erheblich die geringen Zuwendungen, die ein Diener der Zeugen Jehovas erhält. So verbringt beispielsweise der durchschnittliche Zeuge in Kalifornien 9,9 Stunden pro Monat im Dienst und läßt während dieser Zeit 6,1 Zeitschriften und 0,3 Bücher bei interessierten Personen zurück. Selbst unter der Annahme, daß er dabei jedesmal den entsprechenden Betrag erhält, würde er insgesamt im Durchschnitt US-$ 1,85 pro Monat aus seiner Tätigkeit erzielen.

... von der Kanzel herab zu erheben, selbst wenn die Zuhörer dabei zu einer Kollekte aufgerufen werden. Es besteht kein grundsätzlicher Unterschied zwischen einer Besteuerung des Überbringers oder Empfängers einer gedruckten Predigt und einer Besteuerung des Überbringers oder Empfängers einer gesprochenen Predigt. Wenn das zweite den Garantien des Ersten Verfassungszusatzes widerspricht, auf welcher Grundlage kann dann das erste gutgeheißen werden?

Schlußfolgerung

Die WTG stimmt mit dem nachfolgenden Gerichtsentscheid überein - daß die Verbreitung des Evangeliums, entweder durch die 'uralte' Methode oder durch neue Techniken, von der Klausel im Ersten Verfassungszusatz geschützt wird, die die freie Ausübung dieses Rechts garantiert. Jimmy Swaggart Ministries gegen Board of Euqalization, [...]. Die WTG stimmt jedoch nicht mit der Preisgabe des folgenden Grundsatzes im Fall Murdock durch das kalifornische Gericht überein:

Die bloße Tatsache, daß die religiöse Literatur durch die umherziehenden Verkündiger verkauft" statt gespendet" wird, macht die Evangelisation noch nicht zu einem Gewerbe. Wäre es dies, so würden die Kollektenteller in einer Kirche den Gottesdienst zu einem Gewerbe machen. An die verfassungsmäßigen Rechte derer, die ihre Glaubensansichten durch das gesprochene oder geschriebene Wort verbreiten, dürfen nicht die Maßstäbe angelegt werden, die für Bucheinzel- und großhändler gelten ... Hier eine Grenze zwischen rein kommerziellen und religiösen Tätigkeiten zu ziehen, wird manchmal zu einem schwierigen Problem.

[...] Trotz der gelegentlichen Probleme, kommerzielle von religiösen Aktivitäten zu trennen, besteht dieser Unterschied, und er ist zu beachten. Wo es um Religiöses geht, wie beim Dienst von Jehovas...

... Zeugen, sollten die Verpflichtungen der Einzelhändler (Buchführung, vierteljährliche Berichte über Gewinne, Zusammenfassung und Zahlen [diverser Steuern]) nicht das Recht erschweren, kostenlos eine Predigt, gedruckt oder in anderer Form, zu halten oder zu hören.

Hochachtungsvoll ...