Wie geht man bei den Zeugen Jehovas mit einem Betrüger um, der zu den Hauptangeklagten in einem der größten Prozesse auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalität in Deutschland verwickelt ist?

Ganz einfach, man läßt ihn weiter von Haus zu Haus gehen und vom kommenden Königreich predigen, in dem Recht und Gerechtigkeit herrschen werden.

Es war einmal eine ziemlich marode Firma in einem kleinen Ort namens Steinhagen. Die nannte sich Balsam, stellte Sportböden her und stand eigentlich kurz vor dem Konkurs. Doch sie hatte einen cleveren Finanzchef, der um Ideen nicht verlegen war. Sein Name war Klaus Schlienkamp.

Schlienkamp fälschte geschickt ein paar Papiere und holte dadurch flugs ein die dringend benötigten Millionen 'rein. Dem Chef gefiel's und auch für die Banken ging das alles in Ordnung. Schließlich handelte es sich hier um sechsstellige Beträge und damit nur um Peanuts. Außerdem engagierte sich der schlaue Geldjongleur im Devisengeschäft und machte anscheinend seine Sache außergewöhnlich gut. Auf jeden Fall wurde aus Geld, das ihm eigentlich gar nicht gehörte immer mehr Geld und bald sprach man seinen Namen in Bankerkreisen nur noch mit dem Zusatz "Wunderkind" aus.

Das ganze wäre eigentlich nur eine Meldung für die Wirtschaftspresse. Wenn es sich bei dem betreffenden Finanzchef nicht um ein Mitglied der Zeugen Jehovas handeln würde. Eine Sekte also, die ihre Gläubigen in ihrer Selbstdarstellung gerne als besonders gesetzestreue Bürger darstellt, denen nichts im Leben wichtiger ist, als "die gute Botschaft von Gottes Königreich" zu predigen. Und Horst Schlienkamp war in den Reihen der Zeugen Jehovas kein unbeschriebenes Blatt, sondern fungierte als Ältester in einer Versammlung. Er galt somit als besonders vorbildlich und genoß das unerschütterliche Vertrauen der "gewöhnlichen" Gläubigen.

Dabei wäre es wohl auch geblieben. Doch der Finanzchef und Oberprediger hatte den Bogen überspannt und bald war von einem Schaden in Milliardenhöhe die Rede. Geld, das 45 Banken gerne wiedergesehen hätten, das aber auf geheimnisvolle Weise verschwunden war.

Es kam, wie es kommen mußte. Der Finanzchef und seine Helfershelfer mußten auf die Anklagebank und man sprach vom "größten deutschen Prozeß im Bereich der Wirtschaftskriminalität". Dabei kamen auch Dinge zur Sprache, die für das Ansehen der sehr auf eine weiße Weste bedachten Sekte alles andere als vorteilhaft war. Er hätte wiederholt Reisen in die Zentrale der Zeugen Jehovas gemacht, hieß es. Und er hätte dort vermutlich große Geldmengen als Spende hinterlassen. Das Gericht ging natürlich der Sache nach. Es wandte sich an die Zentrale der Sekte am Rande des kleinen Städtchens Selters. Doch dort fand es nur "eine Mauer des Schweigens". Daher stellte es ein Rechtshilfeersuchen an die amerikanische Justiz, um zu erfahren, ob Schlienkamp bei seinen auffällig häufigen USA-Reisen offiziell Devisen eingeführt oder sonstige größere Geldbewegungen veranlaßt hatte. Denn veranlassen hätte er das ohne Probleme können. Schließlich waren praktisch alle Mitarbeiter in seiner Umgebung ebenfalls Zeugen Jehovas. Einschließlich des Finanzchefs der amerikanischen Niederlassung von Balsam, der speziell auf Schliekamps Empfehlung hin eingestellt worden war.

Ob sich die Verdächtigungen als richtig herausstellen, wird die Zukunft zeigen. Schlienkamp jedenfalls schweigt sich zu diesem Thema aus. Er hat lediglich die sowieso schon erwiesenen Betrügereien gestanden. Einstweilen ließ einer seiner engsten Vertrauten wissen, daß es keine Kungelei unter den ZeugenJehovas bei Balsam gegeben hätte. Vielmehr sei Schlienkamp von der Glaubensgemeinschaft für seine Taten zur Rechenschaft gezogen worden. Schließlich seien die Zeugen Jehovas für ihre Ehrlichkeit bekannt.

Auch Schlienkamp selbst bestätigt das: "Als Zeuge Jehovas habe ich gegen die Grundsätze der Glaubensgemeinschaft verstoßen", sagte er zum Westfalenblatt und ergänzte: "Ich habe bereits Werke der Reue getan." Was für Werke das waren, sagte er nicht. Aber sie müssen überzeugend gewesen sein. Denn trotz Milliardenbetrug ist Horst Schlienkamp nach wie vor Mitglied der Zeugen Jehovas und in Bielefeld als Prediger tätig.

Es ist eben überall dasselbe. Bei den einen reichen schon ein paar kritische Worte, um den Rausschmiß aus "Jehovas Organisation" zu rechtfertigen. Und bei den anderen genügen ein paar Peanuts als "Werke der Reue".