Zeugen Jehovas sagen gerne, dass ihr Glaube einzig und allein auf der Bibel beruht. Als Beweis dafür wird dann gerne angeführt, dass sie als "wahre Christen" keine Kindertaufe kennen.

Vielmehr hätte sich jeder Zeuge Jehovas nach ausführlicher Prüfung für diesen Glauben entschieden und dies als Erwachsener durch die Taufe symbolisiert. Eine Erklärung, die überzeugend klingt - wenn sie nur wahr wäre.

Vor dem Bundesverfassungsgericht erklärte Gajus Glockentin, Justitiar der Zeugen Jehovas folgendes:

Ich denke, eine Besonderheit bei Jehovas Zeugen ist, dass sie die Taufe im Kindesalter nicht kennen. Wir verstehen die biblische Lehre so, dass jemand im Alter des Verständnisses, eine eigene Gewissensentscheidung und Glaubensentscheidung trifft, für sich persönlich entscheidet, welche Religion er annehmen möchte. So gibt es bei Jehovas Zeugen die Erwachsenentaufe, die die Mitgliedschaft begründet. Dieser Prozess, der dieser Taufe vorgelagert ist, eröffnet jedem, ohne irgendwelche Einflussmöglichkeiten, die Entscheidungsmöglichkeit.

Ähnlich auch der Wortlaut, den man in Pressemappe der Religionsgemeinschaft zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht im September 2000 findet:

Im Gegensatz zu der in vielen Kirchen üblichen Mitgliedschaft durch die Kindstaufe, gibt es bei Jehovas Zeugen keinen Erwerb der Mitgliedschaft von Kindern durch eine elterliche Entscheidung. Erst wenn ein Heranwachsender seine eigene Entscheidung gemäß seiner Gewissensüberzeugung hinsichtlich der gesamten Lehre der Religionsgemeinschaft getroffen hat, kann er ihr Mitglied werden.

Eigentlich eine eindeutige Aussage, die klipp und klar aussagt, dass zur Taufe erst zugelassen wird, wer selbst in der Lage ist, seine eigene Entscheidung zu treffen. Und dafür muss er/sie entweder erwachsen sein, oder zumindest als "Heranwachsender" gelten. Eine Auffassung, die sich mit dem deckt, was auch der einfache Zeuge als die "Wahrheit" kennen gelernt hat. Doch Vorsicht! Was Vertreter der Zeugen Jehovas in der Öffentlichkeit behaupten, muss durchaus nicht mit der Realität übereinstimmen. Und auch das, was der einzelne Zeuge Jehovas glaubt, muss nicht mehr mit dem identisch sein, was die Sekte tatsächlich praktiziert. Eine Erfahrung, die sich auch beim Thema Erwachsenen-Taufe wieder einmal bewahrheitet. Ein Blick hinter die Mauern des Wachtturms verrät nämlich, dass sich die Zeugen Jehovas von ihrer ursprünglichen Grundlehre der Erwachsenentaufe schon weit entfernt haben.

Im Diskussionsforum von infolink gibt es mittlerweile mehrere Teilnehmer, die keineswegs als Erwachsende oder zumindest Heranwachsende getauft wurden, sondern bereits im zarten Alter von 9 Jahren. Eine Praxis, die offensichtlich schon seit Jahren nichts Außergewöhnliches war, die sich aber heute offensichtlich noch verstärkt hat. Das besagen zumindest die Beobachtungen auf Kongressen und die Aussagen zahlreicher Zeugen Jehovas. Aussagen, die durchaus nicht auf haltlosen Vermutungen beruhen, sondern durch Zitate aus der Wachtturm-Literatur bestätigt werden, die bis in die siebziger Jahre zurück reichen:

Von den 328 Personen, die sich in St. Paul (Minnesota) taufen ließen, waren ... zwischen 11 und 30 Jahre alt.

Erwachet vom 8. Februar 1976, S. 22

Ein Kind, das gewissenhaft in Gottes Wort unterwiesen wird, wird zweifellos in der Erkenntnis und dem Verständnis so weit Fortschritte machen, dass es durch Gottes Geist veranlasst wird, sich selbst Jehova hinzugeben und darum zu bitten, getauft zu werden (1. Petr. 3:21). Um sich auf die Taufe vorzubereiten, muss es verstehen, dass es bereuen sollte, es muss sich bekehren und in ein rechtes Verhältnis zu Gott kommen (Apg. 3:19; 8:34-36). Nach der Taufe steht es nicht mehr unter dem Familienverdienst, doch wird es aufgrund seines eigenen Verdienstes als „heilig" betrachtet und ist vor Gott verantwortlich, ein Leben der Hingabe zu führen.

Wachtturm vom 1.4.1977, Seite 223

Einige Kinder haben in sehr jungen Jahren die Bibelbücher auswendig gelernt, noch bevor sie lesen lernten. Im Familienstudium lernen Kinder, sich auf die Zusammenkünfte vorzubereiten, damit sie sinnvolle Kommentare geben und sich in die Theokratische Predigtdienstschule eintragen lassen können. Wenn Kinder ihre Eltern im Predigtdienst begleiten, können sie lernen, sich am Zeugnisgeben zu beteiligen, während sie auf Fortschritt bedacht sind, um ungetaufte Verkündiger zu werden. Eltern sollten schon ihren kleinen Kindern Hingabe und Taufe als Ziel vor Augen halten.

Unser Königreichsdienst Juni 1997, S.1

Eine Zehnjährige in Angola wurde gefragt, ob sie schon ein Verkündiger sei. Sie antwortete: „Jawohl.“ Führte sie irgendwelche Heimbibelstudien durch? „Natürlich!“ Wie viele denn? „Sieben“, erwiderte die Zehnjährige.

Wachtturm vom 1. November 1992, S.26

Zum Beispiel hatte der noch nicht 13-jährige Sohn eines Ältesten den aufrichtigen Wunsch, sich taufen zu lassen. ... Sie kamen zu dem Schluss, dass der Sohn, obwohl noch ziemlich jung, die Voraussetzungen für die Taufe erfüllte und so ein ordinierter Diener Jehovas werden konnte. Auf den Bahamainseln besuchte unlängst ein 10-jähriges getauftes Mädchen, … die Pionierdienstschule.

Wachtturm vom 15. März 1988, S. 14-15

(Anmerkung: Hier handelt es sich um einen klaren Fall von Kinderarbeit. Allgemeine Pioniere hatten damals (1988) monatlich 90 Stunden im Predigtdienst zu verbringen - neben den weiteren “theokratischen” Aktivitäten.)

Ebenfalls von entscheidender Bedeutung ist es, früh damit zu beginnen, einem Kind theokratische Ziele zu setzen, die das Kind auch erreichen kann. Geschieht das nicht frühzeitig und konsequent, können andere in den Sinn und das Herz des Kindes davon abweichende Ziele einpflanzen. Zu den theokratischen Zielen sollte gehören, die Bibel durchzulesen, persönlich eine Veröffentlichung der Wachtturm-Gesellschaft zu studieren, sich in die Theokratische Predigtdienstschule einschreiben zu lassen, ein Verkündiger der guten Botschaft zu werden und sich taufen zu lassen.

Wachtturm vom 1. Oktober 1994, 28

Interessanterweise werden Zeugen Jehovas heute ermuntert, Säuglinge und Kleinkinder in die christlichen Zusammenkünfte mitzubringen. Das mag zwar zugegebenermaßen manchmal gewisse Störungen verursachen und für die Eltern recht anstrengend sein. Aber christliche Eltern bemühen sich, ihre Kinder zu schulen, still zu sitzen. Mit der Zeit werden sie ‘genügend Verständnisvermögen haben zuzuhören’ und lebendgebenden Aufschluss in sich aufzunehmen (Hebräer 10:24, 25).

Wachtturm vom 15. August 1987, S.31

Wie benehmen sich zum Beispiel deine kleinen Kinder während der Zusammenkünfte von Jehovas Zeugen? Haben sie die nötige Achtung vor anderen? Wie reagieren sie, wenn sie von Erwachsenen angesprochen werden? Können sie sich beherrschen, wenn die Zusammenkunft vorüber ist, oder rennen sie im Königreichssaal umher? Wie reagierst du, wenn ein Ordner dich darauf aufmerksam machen muss, dass deine Kinder andere ablenken ... Erkennst du, dass die Saat der Respektlosigkeit und der Rüpelhaftigkeit — falls du sie jetzt entschuldigst, weil du denkst, deine Kinder seien noch „zu klein, um es besser zu wissen“ — später zu einer bitteren Ernte offener Rebellion führen kann?

Wachtturm vom 15. November 1984, S.30
Viele Eltern haben festgestellt, dass es vorteilhaft ist, die Kinder bereits im zarten Alter mit in die Zusammenkünfte zu nehmen, wo Gottes Wort besprochen wird. Es ist nicht gut, sich mit ihnen in einen Nebenraum zu setzen oder mit ihnen in den hinteren Teil des Saales zu gehen (außer aus gutem Grund für kurze Zeit). Man sollte ihnen statt dessen beibringen, dass sie in den Zusammenkünften ruhig und respektvoll sitzen bleiben und aus den guten Dingen, die besprochen werden, Nutzen ziehen.Wachtturm vom 1. April 1982, S.16

Unser Familienleben drehte sich stets um Königreichsinteressen. Diese Interessen allem voranzustellen war nicht einfach. ... Jedes Kind wurde von den ersten Lebenstagen an in die christlichen Zusammenkünfte und zu den Kongressen mitgenommen. Nur Krankheit oder ein anderer Notfall konnte uns davon abhalten, anwesend zu sein. Außerdem begleiteten uns unsere Kinder schon im zarten Alter im christlichen Predigtdienst. Als die Kinder etwa 10 Jahre alt waren, lösten sie ihre ersten Aufgaben in der Theokratischen Predigtdienstschule. ... Im Alter zwischen 10 und 12 Jahren begannen sie auch alle damit, sich regelmäßig am Predigtdienst zu beteiligen. Sie kannten keinen anderen Lebensweg. ... Als die Kinder noch ganz klein waren, also in der Zeit, in der ein Kind alles, was man ihm beibringt, wie ein Schwamm aufsaugt, las Clara [die Mutter] ihnen jeden Abend eine biblische Geschichte vor und betete mit einem jeden. Sie machte guten Gebrauch von den Büchern ... Wir verwendeten auch die von Jehovas Zeugen veröffentlichten Tonband- und Videokassetten, als diese erhältlich waren.

Wachtturm vom 1. Oktober 1996, S. 28

Ebenfalls von entscheidender Bedeutung ist es, früh damit zu beginnen, einem Kind theokratische Ziele zu setzen, die das Kind auch erreichen kann. Geschieht das nicht frühzeitig und konsequent, können andere in den Sinn und das Herz des Kindes davon abweichende Ziele einpflanzen. Zu den theokratischen Zielen sollte gehören, die Bibel durchzulesen, persönlich eine Veröffentlichung der Wachtturm-Gesellschaft zu studieren, sich in die Theokratische Predigtdienstschule einschreiben zu lassen, ein Verkündiger der guten Botschaft zu werden und sich taufen zu lassen.

Wachtturm vom 1. Oktober 1994, 28

Die dreizehnjährige Susana hatte Krebs im Endstadium, wusste aber nicht, dass sie nur noch 10 Tage zu leben hatte, als sie ihren letzten Kongress der Zeugen Jehovas besuchte. Nicht einmal Krebs konnte sie davon zurückhalten, sich ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen: getauft zu werden und ein Zeuge Jehovas und Jünger Jesu Christi zu sein. ... Es stimmt, man kann die Hingabe an Gott nicht rückgängig machen. (Vergleiche Prediger 5:4.) Jemand, der sich Gott hingibt, übernimmt eine ernste Verantwortung. Er oder sie ist verpflichtet, ‘Jehovas würdig zu wandeln, um ihm völlig zu gefallen’ (Kolosser 1:10). Wer sich eine schwere Verfehlung zuschulden kommen lässt, riskiert sogar, aus der Christenversammlung ausgeschlossen zu werden (1. Korinther 5:11-13). ... Vielleicht vermeidet man den förmlichen Ausschluss aus der Versammlung, dem Gericht Jehovas kann man jedoch nicht entgehen.

Erwachet vom 22. März 1990, S. 25, 27

Wer den Wachtturm aufmerksam liest, kann also nur zu einer Schlussfolgerung kommen: Zeugen-Jehovas-Eltern werden mit ziemlich eindeutigen Worten dazu aufgefordert, ihre Kinder so früh wie möglich auf Wachtturm-Kurs zu bringen. Das fängt schon bei den Kleinkindern an, die so zu dressieren sind, dass sie während der mehrstündigen Versammlungen still sitzen bleiben und keinen Mucks von sich geben. Später heißt es dann, möglichst viele Bibelverse auswendig zu lernen und die Eltern beim Predigtdienst von Haus zu Haus zu begleiten (Kinderarbeit!). Und wenn das gründlich konditionierte Kind dann Jehova und vor allen Dingen seinen Eltern eine Freude machen will, dann spricht auch nichts dagegen, es schon im Grundschulalter zu taufen.

Das Zynische an der Sache ist, dass die PR-Abteilung der Zeugen Jehovas nicht müde wird, diese Taufe als eine "vorverlagerte Gewissensentscheidung" erwachsener Menschen zu titulieren, mit der ein Zeuge Jehovas schon im voraus ganz wesentliche Lebensentscheidungen trifft. Die Entscheidung nicht zu wählen, zum Beispiel. Oder die Entscheidung, notfalls wegen Blutverlustes zu sterben, anstatt einer lebensrettenden Transfusion zuzustimmen.

Das Ganze gipfelt dann in der Behauptung, jeder einzelne Zeuge Jehovas würde sich aufgrund seiner ganz persönlichen Gewissensentscheidung nicht an politischen Wahlen beteiligen. Und er würde notfalls auch sein Leben aufs Spiel setzen, weil ihn sein ganz persönliches Gewissen dazu treibt.

Und das, auch wenn diese Entscheidung in einem Alter getroffen wurde, in dem andere Kinder gerade mal das kleine Einmaleins verstanden haben.

Stephan E. Wolf mit Unterstützung von Christoph Stolzenberger