Betrifft: Aktenzeichen: 19/-Land Berlin./.Zeugen Jehovas, Pr-Nr.: s0-1891/97 wegen 7C 11.96, 2 BvR 1500/97 und AR 6292/99. Inhalt meines Schreibens bezieht sich jedoch nur auf den Schriftsatz des Prof. Dr. Hermann Weber vom 28. Januar 2000 (Aktenzeichen: 2 BvR 1500/97)

Sehr geehrter Herr Dr. Südhoff,

anliegendes Schreiben übersende ich Ihnen mit der Bitte um Kenntnisnahme

RA Dr. Südhoff/Frau Schütze

Friedrichstr. 78
10117 Berlin

Anlage:

Mein Schreiben in Ablichtung in der gleichen Sache vom 25.11.1999 an das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe.

Sehr geehrter Herr Dr. Südhoff,

das Begehren der Beschwerdeführerin, den Status des öffentlichen Rechts zu erlangen, muß vom Bundesverfassungsgericht aus folgenden Gründen abgelehnt werden:[1]

I. Verletzung religiöser Vereinigungsfreiheit:

Es ist ein Aberwitz, wenn Herr Prof. Dr. Hermann Weber in seinem Schriftsatz auf Seite 7/II unserer Regierung vorwirft, sie verletze die religiöse Vereinigungsfreiheit der Religionsgesellschaft der Zeugen Jehovas (Art. 4 Abs. 1, 2 GG), wenn ihr der Status des öffentlichen Rechts versagt wird. Hier muß doch dann zwangsläufig gefragt werden, wo zu welchem Zeitpunkt in Deutschland die Zeugen Jehovas nicht in der Lage gewesen wären, sich zu versammeln, nur weil der Wachtturm-Gesellschaft die öffentlich-rechtliche Körperschaft abgelehnt wurde. Zeugen Jehovas haben sich schon immer auch ohne diesen Status frei versammeln können (außer während der Nazi-Diktaturherrschaft). Damit widerspricht die Beschwerdeführerin ihrer eigenen „Selbstdarstellung der Religionsgemeinschaft“, wo sie gerade diese Vereinigungsfreiheit „zu schätzen [weiß]“:

Jehovas Zeugen wissen es sehr zu schätzen, daß die Bundesrepublik Deutschland ihren Bürgern Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit garantiert (Artikel 4 Grundgesetz)...[2]

II. Eschatologische Ausrichtung wird zu Unrecht bestritten:

Auf der Seite 8/III, Abs. 1 des Schriftsatzes spricht Herr Weber von einer „angeblich ,stark eschatologischen Ausrichtung der Beschwerdeführerin'“ (Unterstreichung von mir), so als ob diese überhaupt nicht eschatologisch orientiert sei und fügt dann noch auf Seite 8 u. 9 hinzu, die Beschwerdeführerin sei in Deutschland „bereits seit mehr als einem Jahrhundert tätig“ und hätte in dieser Zeit stets in gleicher Weise die vom Land Berlin als „eschatologisch“ bezeichneten Glaubensüberzeugungen vertreten“. Dies trifft zwar zu, es trifft aber auch zu, daß die Wachtturm-Gesellschaft niemals erwartet hätte, daß „die gegenwärtigen politischen Einrichtungen“ heute immer noch existieren. Was sollen denn dann solche Aussagen, wie sie des öfteren in Wachtturm-Veröffentlichungen geäußert wurden, wie z.B.:

Ja, in der Schlacht von Harmagedon werden alle irdischen Könige [gemeint sind die politischen Systeme mit ihren Herrschern und Politikern] durch Gottes Königreich beseitigt werden...[3]

Der Name Har-Magedon bezieht sich auf den „Ort“, an den die politischen Herrscher der Erde im Widerstand gegen Jehova und sein messianisches Königreich versammelt werden (Offenbarung 16:14, 16).[4]

Ja, das Königreich Gottes wird bald eingreifen und die gegenwärtigen politischen Einrichtungen ersetzen. Welch ein Segen! (Matthäus 24:21, 22, 36-39; 2. Petrus 3:7; Offenbarung 19:11-21).[5]

„Königreichseinheit - heute eine Realität“

Warum „Königreichseinheit“?

12 Warum sagen wir „Königreichseinheit“? Nun, ist nicht das Königreich Gottes das Thema der ganzen Bibel? Sollte also das Königreich nicht ein einigender Faktor in unserem Leben sein? Es ist begeisternd, zu sehen, wie das Zeichen Jesu eintrifft, das anzeigt, daß das Königreich in dem bedeutsamen Jahr 1914 im Himmel aufgerichtet worden ist. Und Jesus sagte, wir sollten uns freuen, wenn wir die sich seither zusammenziehenden dunklen Sturmwolken von Harmagedon sehen würden. Er hat uns gesagt, daß die „Generation“ von 1914 — dem Jahr, in dem das Zeichen in Erscheinung zu treten begann — „auf keinen Fall vergehen wird, bis alle diese Dinge geschehen“ (Matthäus 24:34). Einige von dieser „Generation“ könnten bis zum Ende des Jahrhunderts leben. Aber es gibt viele Anzeichen dafür, daß das „Ende“ viel näher ist![6]

Erfüllung in ferner Zukunft?

Die meisten, die sich zu den Gesalbten[7] zählen, sind im Alter fortgeschritten. Läßt das nicht ebenfalls darauf schließen, daß das Ende nahe bevorsteht?[8]

Wenn Herr Weber nun sagt, Jehovas Zeugen hätten schon über einhundert Jahre lang die vom Land Berlin als „eschatologisch“ bezeichneten Glaubensüberzeugungen vertreten und dabei das Wort „eschatologisch“ mit einem ironischen Unterton versieht, dann vergißt er jedoch, daß das Land Berlin mit „eschatologisch“ eben genau das meint, was oben in den Wachtturm-Zitaten zu lesen ist. Genau diese Naherwartung bezüglich des „Endes“ hegte man nämlich tatsächlich schon vor über einhundert Jahren:

„In dem Buch Die Zeit ist herbeigekommen (veröffentlicht in Englisch 1889, in Deutsch 1900)[9] lesen wir auf Seite 95 folgendes:

Es ist wahr, es heißt große Dinge erwarten, wenn man behauptet, wie wir thun, daß in den kommenden sechs und zwanzig Jahren alle gegenwärtigen Regierungen gestürzt und aufgelöst sein werden; aber wir leben in einer besonderen und sonderbaren Zeit, in dem „Tage Jehovas,“ in dem sich die Dinge schnell entwickeln...Im Hinblick auf diesen starken biblischen Beweis in betreff der Zeiten der Nationen betrachten wir es als feststehende Wahrheit, daß das schließliche Ende der Reiche dieser Welt und die volle Herstellung des Königreiches Gottes am 1914 vollzogen wein wird.“[10]

Gemäß dieser „feststehenden Wahrheit“ dürften die jetzigen Staaten und Regierungen seit 1914 eigentlich gar nicht mehr bestehen. Die Beschwerdeführerin vertritt somit „seit mehr als über einem Jahrhundert in gleicher Weise die vom Land Berlin ironisch als ,eschatologisch bezeichneten Glaubensüberzeugungen“, daß „alle gegenwärtigen Regierungen gestürzt und aufgelöst werden“. Glücklicherweise ist diese Prophezeiung nicht eingetroffen, denn jetzt kann die Beschwerdeführerin hoffen, den Status des öffentlichen Rechts zu erlangen und dies ihren Anhängern hinterher als „Segen Gottes“ verkaufen. Daß aber die Prophezeiungen nicht eingetroffen sind, bedeutet nicht, daß die Wachtturm-Gesellschaft nun ihre Naherwartung in weiter Ferne gerückt hätte. Sie hat stets die gleiche Naheerwartung gehegt, und das tut sie auch heute noch:

Bedeutet unsere genauere Erklärung in bezug auf „diese Generation“, daß Harmagedon in fernerer Zukunft liegt, als wir gedacht haben? Keineswegs![11]

III. „Gewähr der Dauer“ für alle Ewigkeit – auch ohne die Regierungen:

Auf der Seite 9 des Schriftsatzes sagt Herr Weber zwar richtig, daß gemäß dem Selbstverständnis der Zeugen Jehovas ebenso wie dem der christlichen Kirchen ihre Religionsgemeinschaft „nicht nur auf längere Dauer, sondern auf die Ewigkeit angelegt ist, da sie in der festen Erwartung lebt, alle auf der Erde geschehenden Veränderungen zu überdauern.“ Von der Mitgliederzahl und von der Dauer her mag dies auch zutreffen. Was Herr Weber nicht erwähnt, ist die Tatsache, daß die Zeugen Jehovas hoffen, „alle auf der Erde geschehenden Veränderungen“ jedoch ohne die jetzt bestehenden Regierungen zu überdauern, wie dies aus den obigen Wachtturm-Zitaten hervorgeht. Es mag zwar zutreffen, daß auch die christlichen Kirchen lt. Paul Mikat die gleichen Erwartungen haben, aber doch nur mit dem Unterschied, daß die Beschwerdeführerin diese Veränderungen „in Kürze“ oder „bald“ oder zumindest innerhalb ihres Lebenshorizontes und des ihrer Anhänger erwartet[12], also innerhalb eines Zeitraumes, der eine Erlangung des Status des öffentlichen Rechts schon allein gemäß dem Selbstverständnis der Zeugen Jehovas gar nicht erstrebenswert und daher erst recht nicht lohnenswert erscheinen lassen dürfte. Eine solche Naherwartung wird jedoch von den christlichen Kirchen nicht gehegt.

IV. Rechtliche Neustrukturierung:

Auf der Seite 10 des Schriftsatzes von Herrn Weber ist es unerheblich, ob sich die Beschwerdeführerin seit 14. Oktober 1999 als eingetragener Verein konstituiert hat oder nicht. Ihr Aufgabenbereich ist dadurch nicht größer geworden. Auch vorher hat sie überregionale gottesdienstliche Zusammenkünfte veranstaltet, Schulen durchgeführt und Literatur hergestellt. Dazu bedurfte es keiner rechtlichen Neustrukturierung. Und auch hierzu wäre sie, wie man sehen kann, auch ohne den öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus in der Lage. Mit der rechtlichen Umstrukturierung soll dem Land Berlin „ein Schnippchen geschlagen“ werden, um seinen Schriftsatz vom 12. Oktober 1999 für ungültig zu erklären.

V. Zu Seite 13ff. des Schriftsatzes von Herrn Weber bezüglich politischer Wahlen:

Was das Wählen betrifft, so beziehe ich mich auch auf mein Schreiben vom 25.11.1999 (Siehe Anlage). Herr Weber versucht hier den Vorwurf des Berliner Senats zu widerlegen, die Beschwerdeführerin nähme Einfluß auf das Wahlverhalten ihrer Anhänger. Zu diesem Zweck zitiert Herr Weber zunächst nun auf der Seite 13 seines Schriftsatzes die als Anlage 12 eingereichte Kurzdarstellung „Jehovas Zeugen und ihr Verhalten in Verbindung mit politischen Wahlen“ vom 5. August 1997. Diese Kurzdarstellung ist in der Verfassungsbeschwerde enthalten. Daraus geht hervor, Zeugen Jehovas hätten „mit dem Eintritt in die Gemeinschaft eine vorverlagerte Religions- und Gewissensentscheidung dahingehend getroffen, sich ,nicht als Teil der Welt anzusehen. Sie betrachten es infolgedessen als mit dem göttlichen Willen nicht vereinbar, an politischen Wahlen teilzunehmen.“ Wo steht denn geschrieben, daß dies mit dem göttlichen Willen nicht vereinbar ist? (Schriftbeweis nächste Seite) Diese Auffassung ist somit theologisch nicht haltbar. Das ist schon daran zu erkennen, daß kein Schriftvers aus der Bibel genannt oder zitiert wird, der diese Auffassung stützen würde. Es wird lediglich behauptet, das Teilnehmen an Wahlen entspräche nicht Gottes Willen. Das wird jedem Zeugen vor seiner Taufe so beigebracht. Wenn ein Zeuge schließlich dahingehend eine Gewissensentscheidung trifft, so ist sein Gewissen jedoch irregeführt, also fremdbestimmt. Aus der Bibel geht nirgends hervor, daß politische Wahlen nicht erlaubt wären. Das Verbot an politischen Wahlen wird in der Kurzdarstellung „Jehovas Zeugen und ihr Verhalten in Verbindung mit politischen Wahlen“ ja nur damit begründet, Jehovas Zeugen hätten sich für Gottes Königreich und die damit verbundene Regierung entschieden, weil nur diese himmlische Regierung die Lösung der heutigen Probleme bringen würde. In der „Selbstdarstellung der Religionsgemeinschaft“ wird aber auch eingeräumt:

daß Gott bis zum Kommen seines Königreiches zur Aufrecherhaltung der Ordnung unter den Menschen die Autorität von „obrigkeitlichen Gewalten“ zugelassen hat, die nach seinem Willen von seinen Anbetern anzuerkennen und zu respektieren sind (S. 41).

Christen erkennen den weltlichen Staat als von Gott angeordnete Obrigkeit an, der sie sich vorbildlich unterzuordnen haben (Römer 13:1).

Deshalb werden Jehovas Zeugen in demokratischen Staaten als Religionsgemeinschaft anerkannt, und es werden ihnen dort alle Freiheiten gewährt, die auch die anderen Bürger haben, einschließlich der Religionsfreiheit.[13]

Was spricht denn also dagegen, auch als Zeuge Jehovas eine Regierung zu wählen, die als eine „von Gott angeordnete Obrigkeit“ eine gewisse Ordnung aufrechterhält? Diese Regierung ist also „von Gott angeordnet“, wie dies auch aus Römer 13:1 hervorgeht. Rein theologisch spricht somit gemäß der Heiligen Schrift mehr für eine Teilnahme an politischen Wahlen als dagegen. Ist es nicht schließlich gerade unsere Demokratie, die im Gegensatz zur damaligen Diktatur den Zeugen Jehovas und auch anderen Religionsgemeinschaften Religions- und erst recht Versammlungsfreiheit erlaubt? Gerade die Wahl einer solchen Regierungsform gestattet es doch den Zeugen Jehovas, sich in Freiheit zu versammeln und ihren Glauben auszuleben! Macht sich denn nicht vielmehr die Beschwerdeführerin ― natürlich gemäß ihrer theologischen Auffassung ― zu einem „Teil der Welt“, wenn sie die Nähe zum Staat sucht, ein Staat von dem sie sagt, er sei „ein Teil der Welt“?

Gleichgültig, wer regiert, der Betreffende ist stets ein Teil dieser Welt, die in der Macht Satans liegt (1. Johannes 5:19).[14]

VI. „Kein Teil der Welt“ – gilt nur für die Anhänger der Wachtturm-Gesellschaft:

Den Anhängern ist es verboten, wählen zu gehen, weil sie sich dadurch zu einem „Teil der Welt“ machen, aber die Beschwerdeführerin nimmt es in Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis und ihrer theologischen Auffassung in Kauf, „ein Teil dieser Welt“ zu sein, indem sie sich gewissermaßen mit dem Staat an einem Tisch setzt und von ihm etwas verlangt, was für die Ausübung ihrer Religion nicht einmal zwingend erforderlich ist. Sie möchte die Privilegien (finanziell (!) natürlich) von einem politischen System genießen, das, wie die Wachtturm-Gesellschaft selber sagt, „in der Macht des Satans liegt“. Wenn „der Betreffende stets ein Teil dieser Welt ist, die in der Macht des Satans liegt“, dann ist es auch der Geldtopf Satans, aus dem die Beschwerdeführerin ― gemeinsam mit den anderen christlichen Kirchen, die sie als „Hure“ bezeichnet ― schöpfen will, sollte sie den Status des öffentlichen Rechts erhalten.

VII. Die Einstellung zu Personen mit Regierungsgewalt ändert sich plötzlich:

Im Verlauf des langjährigen Prozesses war denn auch zu erwarten, daß die Wachtturm-Gesellschaft theologisch einen leicht abgeänderten Kurs einschlägt. Herr Weber zitiert auf der Seite 23 seines Schriftsatzes den Wachtturm v. 1. November 1997, S. 13. Auf einmal sind nicht mehr „alle Personen mit Regierungsgewalt...Handlanger Satans“. Daß es sich hier, wie auch das Land Berlin richtig in der dem Schriftsatz 28. Januar 1999 beigefügten Anlage 5 festgestellt hat, um eine „erst im Hinblick auf das vorliegende Verfahren formulierte Position“ handelt, ist vom Bundesverfassungsgericht sicherlich leicht zu durchschauen. Nach der Darstellung des Wachtturms werden also nur solche Weltmächte oder Staaten als „wilde Tiere (Daniel 7:19-21, Offenbarung 11:7) beschrieben, die „ihre Autorität mißbrauchen, das Volk unterdrücken oder diejenigen verfolgen, die Gott anbeten. „Dienen nationale Regierungen dagegen Gottes Vorsatz, indem sie in Gerechtigkeit Recht und Ordnung aufrechterhalten, betrachtet er [Gott] sie als seine ,öffentlichen Diener“. Was spricht denn also dagegen, eine Regierung zu wählen, die „Gottes Vorsatz dient“?

Physische Wahlnötigung nicht nötig, um jemanden am Wählen zu hindern. Zeugen Jehovas werden manipuliert, um an Wahlen nicht teilzunehmen:

Die „Hinderung am Wählen“ auf der Seite 15 des Schriftsatzes ist ein unrealistisches Argument, da es wohl kaum jemanden gibt, der einen Mitbürger physisch am Wählen hindert. Herr Weber versucht hier von der Tatsache abzulenken, daß aber auf jeden Fall auf das Wahlverhalten von Zeugen Jehovas Einfluß genommen wird. Dies geschieht vornehmlich durch die Wachtturm-Schriften. Ein Staat wird nicht durch Frontalangriffe unterwandert, sondern durch schrittweise Einflußnahme auf die Bürger, sei es durch Wort oder durch Schrift. Diese Einstellung zum Wählen gefährdet die Demokratie, denn wären Zeugen Jehovas in der Lage, einen Großteil der deutschen Bevölkerung zu bekehren, würde dies unsere Regierung regelrecht stürzen und eine Anarchie hervorrufen, da kaum einer noch wählen geht. Das Ergebnis wäre letztendlich ein von Menschen geführter Gottesstaat ― die Idealvorstellung der Wachtturm-Gesellschaft. Daß die Wachtturm-Gesellschaft diese Einstellung hat, zeigt sich auch anhand eines Zitates aus einem Erwachet!:

Eine neue Welt, die alle zufriedenstellt

Die kommende neue Welt wird sich zwar durch „Zusammenarbeit“ auszeichnen, aber nicht „auf politischem Gebiet“. In dieser neuen Welt wird es weder Demokratie noch irgendeine andere von Menschen erdachte politische Ideologie geben. Sie wird ihre Ziele erreichen, weil nur eine einzige Regierung herrschen wird. In einer erstaunlichen Abfolge von Schritten wird diese Weltregierung in kurzer Zeit alle Probleme beseitigen, vor denen der Mensch heute steht.[15]

Damit hätten wir einen fundamentalen Staat ― Beispiel: Siehe Iran: Die Geistlichkeit nimmt das vorweg, was im Koran prophezeit wird, nämlich das Paradies auf Erden. Und zu diesem Zweck haben die Mullahs und die Geistlichkeit einen eigenen Gottesstaat errichtet. In Analogie dazu möchte die Wachtturm-Gesellschaft einen „theokratischen Staat“ errichten. Das Resultat ist, daß die Menschenrechte in Wirklichkeit dort mit Füßen getreten werden. Das kann nicht Ziel unserer Demokratie sein. (Fundamentale) Religion in Menschenhand kann immer zu einem Folterinstrument werden ― auch auf geistigem Gebiet. Somit ist schon allein die Grundeinstellung der Zeugen Jehovas demokratiefeindlich. Einer Regierung, die alle irdischen Regierungen ersetzt, fiebern Jehovas Zeugen regelrecht entgegen:

Beachten wir zudem, daß diese himmlische Regierung sämtliche Formen der Menschenherrschaft beseitigen wird. Die Herrschaft über die Erde wird nicht mehr Menschen überlassen.[16]

Die Einstellung der Beschwerdeführerin zur Demokratie läßt sich auch noch an anderen Wachtturm-Zitaten ablesen. Bei näherem Hinsehen fällt auf, daß Zeugen Jehovas eigentlich gar keine Demokratie wünschen:

Loyale Zeugen sind nicht demokratischen Ansichten und Methoden zugeneigt. Sie sind sich der Tatsache bewußt, daß sie in einer theokratischen Organisation dienen.[17]

Regierungen verbinden sich auch oft mit irgendeiner Form von Religion, einige mehr als andere. Sie tun das, um ihrer Herrschaft eine gewisse Berechtigung, die sie sonst nicht hätte, zu verleihen — den „Segen des Himmels“.[18]

Warum möchte denn aber die Beschwerdeführerin, daß sich unsere Regierung mit ihr als Religion verbindet? Im obigen Zitat prangert sie doch genau das an!

VIII. Vergleich mit Römisch-Katholischer Kirche hinkt:

Auf der Seite 15-16 versucht Herr Weber, zur „Wählernötigung“ lt. § 108 StGB bei den Zeugen Jehovas eine Analogie zur „Nötigung“ gemäß § 240 StGB in der Römisch-Katholischen Kirche herzustellen. Dieser Vergleich hinkt jedoch insofern, als die Anwendung des § 240 StGB keine Gefährdung der Demokratie darstellt, noch verrät es etwas über die Einstellung der Römisch-Katholischen Kirche zur Demokratie. Hier ließen sich allenfalls theologische Debatten führen. Außerdem handelt es sich bei Abtreibungen nach christlicher Auffassung um einen sittlichen, ethischen Verstoß. Gläubige Christen wissen, wie Gott das ungeborene Leben betrachtet.[19] Insofern ist der Tatbestand des § 240 StGB nicht erfüllt, wenn die Römisch-Katholische Kirche als Verkündigerin des Wortes Gottes zeigt, daß sie hinter dem Wort Gottes steht, indem sie solche Vergehen sanktioniert. Ein solcher sittlicher Verstoß läßt sich jedoch, wie oben anhand der Bibel bewiesen worden ist, nicht in bezug auf politische Wahlen finden.

IX. Die Beschwerdeführerin wirft der Römisch-Katholischen Kirche die Erfüllung eines Tatbestandes vor, den sie selber erfüllt:

Wenn Herr Weber nun der katholischen Kirche eine Verletzung des § 240 StGB vorwirft, weil sie Abtreibung unter Kirchenstrafe stellt, dann muß dies erst recht der Beschwerdeführerin vorgeworfen werden, denn gerade bei Zeugen Jehovas werden sittliche Vergehen wie Abtreibung, vorehelicher Geschlechtsverkehr, Bluttransfusionen, Alkoholismus und Rauchen weit schlimmer bestraft, als in den christlichen Großkirchen. Demnach wäre ja der Tatbestand des § 240 StGB immer erfüllt. Wenn also Herr Weber „Nötigung“ im Sinne des § 240 StGB so ausgelegt, dann muß man sich fragen, welchen Grund es für die Kirchen sowie auch für andere Religionsgemeinschaften überhaupt noch gäbe, sittliche Verstöße zu sanktionieren? „Wahlnötigung“ ist dagegen kein im theologischen Sinne sittlicher, sondern ein im juristischen Sinne gesetzlicher Verstoß. Die „Nötigung“ im Sinne des § 240 StGB jedoch kann ein im theologischen Sinne sittlicher Verstoß sein, muß es aber nicht. Ein Verstoß im juristischen Sinn ist es hier aber auf jeden Fall. Aus diesem Grund hinkt der Vergleich mit der Römisch-Katholischen Kirche. Die Beschwerdeführerin hat daher den Tatbestand des § 108 StGB, nicht jedoch den des § 240 StGB erfüllt. Würde also beispielsweise unsere demokratische Regierung aus irgendwelchen politischen Gründen ein Gesetz verabschieden, das den weiblichen Bürgern Zwangsabtreibung auferlegt, dann würden die Kirchen und natürlich auch die Beschwerdeführerin gemäß ihrer biblischen Überzeugung diesem Gesetz nicht Folge leisten. Würde aber die Wahlpflicht eingeführt werden, so gäbe es für die christlichen Kirchen keine biblische Grundlage, gegen das Gesetz der Wahlpflicht zu verstoßen, denn die Wahlpflicht selbst wäre ja kein sittliches, sondern ein rein aus politischen Gründen gesetzliches Gebot, dem sich die Bürger unterordnen müssen.

Schluß:

Manches müßte noch gesagt werden. Ähnliche Aussagen, wie sie oben in den Wachtturm-Zitaten angeführt wurden, finden sich noch in zahlreichen anderen Wachtturm-Veröffentlichungen. Aber bis zum 20. September bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich hoffe, daß dieses Schreiben für Sie noch verwertbares Material liefert.

Dieses Schreiben geht ab sofort per Fax, aber auch auf dem Postweg an Sie zu.

mit freundlichen Grüßen

Bruder Frank

Anmerkungen:
[1] Siehe auch mein Schreiben vom 25.11.1999.
[2] Seite 49.
[3] Die Prophezeiung Daniels — Achte darauf!, hersg. von der Wachtturm-Gesellschaft im Sommer 1999, Kapitel 16, S. 285, Unterthema: „Das Ende der sich bekämpfenden Könige naht“.
[4] Der Wachtturm, 15. März 1990, S. 6.
[5] Ebd., 1. Februar 1992, S. 6.
[6] Der Wachtturm 1.6.1984, S. 18-19 Hier macht Der Wachtturm glauben, das Ende käme noch vor der Jahrhundertwende.
[7] Die sogenannten „Gesalbten“ soll es nur unter Zeugen Jehovas geben, wobei ihre Zahl von 144.000 buchstäblich aufgefaßt wird. Sie haben im Durchschnitt ein Alter von 70 Jahren. Die meisten davon sollen sich bereits im Himmel befinden. Gegenwärtig sollen es etwas nur um die 8.000 „Gesalbte“ auf der Erde geben (Fußnote von mir).
[8] Der Wachtturm 15.8.1997, S. 15, Abs. 12
[9] Veröffentlicht von der Wachtturm-Gesellschaft (Fußnote von mir).
[10] Zitiert nach Raymond Franz, ehemaliges Mitglied der leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas, in Der Gewissenskonflikt, S. 155, Claudius Verlag München 1988
[11] Der Wachtturm, 1.11.1995, S. 20. (1995 wurde die Lehre von „diese Generation“ aus Matthäus 24:34, die seit 1914 am leben ist und die auch das Ende (Harmagedon) miterleben sollte, fallengelassen. In Matthäus 24:34 heißt es: „Wahrlich, ich sage euch, daß diese Generation auf keinen Fall vergehen wird, bis alle diese Dinge geschehen.“ (Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift, hersg. von der Wachtturm-Gesellschaft) Das beweist, daß die Beschwerdeführerin eine solche Naherwartung schon immer gehegt hat.
[12] Siehe hierzu auch das Zitat zur Anmerkung Nr. 5, S. 2 dieses Schreibens.
[13] Der Wachtturm, 1.4.1985, S. 28.
[14] Unterredungen anhand von Schriften, hrsg. von der Wachtturm-Gesellschaft 1990.
[15] Erwachet! Vom 2.10.1992, S. 5
[16] Der Wachtturm, 15.4.1998, S. 13
[17] Der Wachtturm, 15.8.1984, S. 26.
[18] Erwachet!, 8.8.1990, S. 7
[19] „Und das Wort Jehovas begann an mich zu ergehen und lautete: „Bevor ich dich im Mutterleib bildete, kannte ich dich, und bevor du dann aus dem Mutterschoß hervorkamst, heiligte ich dich“ - Jeremia 1:4-5 (Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift, hrsg. von der Wachtturm-Gesellschaft).