Mit diesem Brief möchte ich Euch davon in Kenntnis setzen, daß ich meine Verbindung mit der WTG nicht mehr aufrechterhalten will.

Wie Euch bekannt ist, habe ich schon seit mehreren Jahren keine Zusammenkunft mehr besucht oder am Predigtdienst teilgenommen. Nach sorgfältiger und gebetsvoller Untersuchung der Organisation habe ich beschlossen, daß ich nicht mit gutem Gewissen weiterhin Mitglied sein kann. Das würde mich zu einem Mittäter an der Handlungsweise der Organisation machen, die ich gelegentlich als alles andere als offen empfunden habe.

Meine Entscheidung steht fest; ich bitte darum, daß man deswegen keine Verbindung mit mir aufnimmt.

Eine Organisation, die den Anspruch erhebt, Gottes allein wahrer Kanal auf Erden zu sein, muß über jeden Vorwurf erhaben sein. Und bestimmt sollte die Führung einer solchen Organisation immer den höchsten Grad an Integrität erreichen. Leider war das mit Leuten in Führungspositionen innerhalb der Gesellschaft nicht der Fall.

Die Gesellschaft vertritt die Meinung, sie verhalte sich in Angelegenheiten weltlicher Regierungen immer neutral und habe sich immer so verhalten. Doch 1933 schrieb Joseph Rutherford, damals Präsident der Gesellschaft, eine "Erklärung" an Adolf Hitler, in der es u.a. heißt: "Genau dies ist auch unsere Stellungnahme ... Anstatt gegen die von der deutschen Regierung vertretenen Grundsätze eingestellt zu sein, treten wir vollkommen ein für diese Leitsätze, und weisen darauf hin, daß Jehova Gott durch Christus Jesus die gänzliche Verwirklichung dieser Grundsätze bringen [...] wird ..." Meiner Meinung nach kann man die Unterstützung der "vertretenen Grundsätze" des Dritten Reichs kaum als politische Neutralität bezeichnen.

Ein weiterer Punkt zur Neutralität betrifft die Brüder in Mexiko und Malawi. Die Brüder in Mexiko haben von Regierungsvertretern eine Militärkarte "gekauft", auf der es fälschlich heißt, sie hätten ihren Militärdienst abgeleistet. Gleichzeitig hat man den Brüdern in Malawi verboten, eine "Parteimitgliedskarte" zu kaufen, die in Wirklichkeit ein einfacher Ausweis der Regierung war. Daraufhin erlitten die Brüder in Malawi eine schreckliche Verfolgung. Viele wurden aufgrund dieser Doppelbödigkeit inhaftiert, geschlagen und getötet. Warum ließ die Gesellschaft das zu?

Ein weiterer unangenehmer Punkt ist die Literaturvorkehrung. Die kostenlose Abgabe auf Spendenbasis wurde in den Versammlungen dargestellt, als handle es sich um eine Vereinfachung. Ich habe jedoch erfahren, daß diese Vorkehrung nicht weltweit gilt. Die meisten Menschen auf der Welt zahlen weiterhin für die Literatur. Zweitens wurde bekannt, daß im Falle eines Prozesses in Kalifornien, der die Jimmy Swaggart Ministries betrifft, die Gesellschaft einen amicus curiae- Schriftsatz zugunsten Swaggarts verschickte. Der Staat Kalifornien entschied gegen Swaggart und bestimmte, die Einkünfte aus dem Verkauf religiöser Artikel wie Bücher, Tonbänder usw. seien nicht mehr steuerfrei. Daraufhin führte die Gesellschaft die neue Literaturvorkehrung ein.

Auch auf einem anderen Gebiet hat sich die WTG meiner Meinung nach schuldig gemacht: bei medizinischen Fragen, besonders Transplantationen und Blut. Daß die Gesellschaft hier schwankt und widersprüchlich handelt, ist von großer Tragweite, denn es ging und geht um Menschenleben.

Im Falle von Organtransplantationen hat die WTG ihre Haltung mehrfach geändert. Im Watchtower vom 1. August 1961 hieß es, Transplantationen seien eine Frage der persönlichen Gewissensentscheidung, es sei kein Grundsatz oder Gesetz der Bibel betroffen. Doch 1967, im Watchtower vom 15. November, wurde gesagt, Transplantationen seien für Christen verboten; dies sei Kannibalismus. In einem Watchtower aus dem September 1975 warnte die WTG davor, bei einigen, die ein Transplantat erhielten, habe auch eine "Persönlichkeitstransplantation" stattgefunden; der Empfänger habe Merkmale des Spenders angenommen. Schließlich, im Watchtower vom 15. März 1980, ging die WTG wieder auf ihren Standpunkt von 1961 zurück und sagte, Transplantationen seien eine Gewissensfrage; herausgehoben wurde das Argument: sie sind etwas anderes als Kannibalismus, weil der Spender bei der Beschaffung des benötigten Organs nicht getötet werde. Einsichten über die Heilige Schrift sagt zu Blutschuld: "In den Christlichen Griechischen Schriften wird gezeigt, daß Christen in Gottes Augen auf dreierlei Weise Blutschuld über sich bringen können: 1. durch Blutvergießen, Mord; dazu gehört die direkte oder indirekte Unterstützung einer mit Blutschuld beladenen Organisation (wie Babylon die Große [Off 17:6; 18:2, 4] oder andere Organisationen, die viel unschuldiges Blut vergossen haben [Off 16:5, 6; vgl. Jes 26:20, 21])" (Kursiv von mir). Wie viele unserer Brüder und Schwestern starben zwischen 1967 und 1980, nur weil sie glaubten, die WTG leite sie in ihren Entscheidungen?

Was das Blut angeht: Nicht das Blutverbot der Gesellschaft ist so ärgerlich, sondern die Widersprüche. Vollblut, Blutkörperchen, Blutplättchen, Plasma und andere Komponenten sind verboten, doch die Gesellschaft erlaubt Bestandteile wie Immunglobuline, Albumin und Faktor-XIII und IX-Präparate zur Behandlung von Blutern. Es ist erwähnenswert, daß viele Hundert Bluteinheiten zur Herstellung dieser Blutfraktionen benötigt werden. Um ihre Haltung zu verteidigen, hat die WTG zu folgender Analogie gegriffen (Paradies-Buch, Seite 216): "Angenommen, ein Arzt würde dir empfehlen, dich des Alkohols zu enthalten, würde das dann bedeuten, daß du lediglich keinen Alkohol mehr trinken dürftest, daß das Einspritzen von Alkohol in die Adern aber erlaubt wäre? Natürlich nicht! Und so bedeutet auch das Gebot, 'sich des Blutes zu enthalten', überhaupt kein Blut in den Körper aufzunehmen." (Kursiv von mir). Wenn jemand Alkoholiker ist, muß er sich jeglichen Alkohols enthalten, er darf nicht einmal bestimmte Hustensäfte, Mundwässer usw. verwenden, die vielleicht einen winzigen Teil Alkohol enthalten. Können Jehovas Zeugen wirklich sagen, sie enthielten sich des Blutes? Sieht man die Gabe von Blutfraktionen als Enthaltung an?

Bei zahllosen Gelegenheiten hat die WTG ihre Auslegung von Bibelstellen geändert. Dies wird oft mit einem Zitat aus Sprüche 4:18 erklärt: "Aber der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Licht, das heller und heller wird, bis es voller Tag ist." Die Bibelstelle spielt auf einen Fortschritt an, einen Weg, der immer klarer wird. Es ist nicht die Rede von einem Licht, das heller, dann dunkler und dann wieder heller wird. Man würde daher eine immer bessere Erkenntnis, ein besseres Verständnis der Bibelstelle erwarten; kein Verständnis, das sich ständig ändert, oft zum "alten Licht" zurückkehrt. Über Jehova und Christus Jesus Erkenntnis aufnehmen führt zu ewigem Leben (Johannes 17:3). Ist es vernünftig, zu erwarten, daß Jehova das ständig ändert, was er als Wahrheit offenbart? Jehova ist kein Gott "der Unordnung, sondern des Friedens."

Vor einiger Zeit gab es eine bedeutende Änderung. Die achtzig Jahre (maximale Dauer einer Generation) von 1914 bis 1994 waren abgelaufen. Jetzt gibt es wieder "neues Licht" darüber, was Jesus mit dem Wort Generation aus Matthäus 24:34 meinte. Es bezieht sich nicht mehr auf die Generation seit 1914, wie man es Millionen Zeugen Jehovas gelehrt hat. Jetzt meint es Leute, "die zwar das Zeichen der Gegenwart Christi sehen, aber nicht von ihren verkehrten Wegen umkehren." (Wachtturm, 1. November 1995, Seite 19-20). Offenbar entkräftet dieses neue Verständnis die frühere Lehre, daß die Zeit seit 1914 (Inthronisation Jesu) bis zur Drangsal noch zu unseren Lebzeiten auf den Höhepunkt zusteuert. Theoretisch könnte diese Generation noch jahrelang so weitergehen. Damit will ich nicht unterstellen, daß sich Jehovas Zeitplan dieser Ereignisse geändert hat. Ich will nur zeigen, wie töricht es ist, Jehova auf unser begrenztes Verständnis seines Wortes einzuengen.

Damit im Zusammenhang ist der Klappentext auf Seite 4 von Erwachet! geändert worden. Früher lautete er:

Vor allem aber stärkt diese Zeitschrift das Vertrauen zum Schöpfer, der verheißen hat, noch zu Lebzeiten der Generation, die die Ereignisse des Jahres 1914 erlebt hat, eine neue Ordnung zu schaffen, in der Frieden und Sicherheit herrschen werden.

(Hier wird eine 'Verheißung des Schöpfers' unterstellt). Ab dem 8. November 1995 heißt es:

Vor allem aber stärkt diese Zeitschrift das Vertrauen in die vom Schöpfer verheißene neue Welt, in der Frieden und Sicherheit herrschen werden und die binnen kurzem das gegenwärtige böse und gesetzlose System der Dinge ablösen wird.

Hat sich die Verheißung des Schöpfers geändert? Ich bin sicher, Ihr sagt alle 'Nein'. Liegt das Problem vielleicht beim Boten statt bei der Botschaft? Wachtturm vom 1. Juli 1972, Seite 389:

Hat Jehova denn einen Propheten, der ihnen hilft, der sie vor Gefahren warnt und der Künftiges verkündigt? Diese Fragen können bejaht werden. Wer ist dieser Prophet? ... Dieser "Prophet" war kein einzelner Mensch, sondern eine Körperschaft von Männern und Frauen. Es war die kleine Gruppe der Fußstapfennachfolger Jesu Christi, die damals als Internationale Bibelforscher bekannt waren. Heute sind sie als christliche Zeugen Jehovas bekannt ... Natürlich ist es leicht, zu sagen, diese Gruppe handle als ein "Prophet" Gottes. Es ist etwas anderes, das zu beweisen.

Zu behaupten, ein "Prophet" zu sein und im Namen Jehovas zu sprechen, bringt ernste Implikationen mit sich. Man muß vorsichtig sein und niemals irreführen oder den Eindruck erwecken, die eigenen Überzeugungen, Gefühle oder Aussagen kämen von Jehova. Wenn Jehova die Sache untersucht und findet, daß der angebliche Prophet ein falscher Prophet ist, wird ihn ein schweres Gericht treffen. "Der Prophet jedoch, der sich anmaßt, in meinem Namen ein Wort zu reden, das zu reden ich ihm nicht geboten habe, oder der im Namen anderer Götter redet, dieser Prophet soll sterben. Und falls du in deinem Herzen sagen solltest: 'Wie werden wir das Wort erkennen, das Jehova nicht geredet hat?' - wenn der Prophet im Namen Jehovas redet, und das Wort trifft nicht ein oder bewahrheitet sich nicht, so ist dieses das Wort, das Jehova nicht geredet hat. Mit Vermessenheit hat der Prophet es geredet. Du sollst vor ihm nicht erschrecken." - 5.Mose18:20-22 (Kursiv von mir).

Mit freundlichem Gruß

Regina Kolesa