Das religiöse Grundprinzip hinter dem Lügen in der Wachtturm-Gesellschaft

Die Wachtturm-Gesellschaft verwendet außer den bereits besprochenen mehrere weitere Bibelstellen, um das Lügen zu rechtfertigen. Wie Thomas kommentiert, versucht die Wachtturm-Gesellschaft, das Lügen zu rechtfertigen, indem sie anmerkt, dass...

… in der Bibel Rahab, die Hure, den König von Jeriche anlog, um die israelitischen Spione zu schützen. Die Zeugen Jehovas argumentieren, als Jericho zerstört wurde, sei Rahab verschont worden, weil sie log, um die Spione zu schützen. Die Bibel offenbart jedoch, dass Rahab verschont wurde, weil sie Israels Gott als den wahren Gott anerkannte (Josua 2:11). Gott verschonte Rahabs Leben nicht, weil sie log, sondern obwohl sie log. Die Wachtturm-Gesellschaft weist des weiteren darauf hin, dass Abraham, Isaak und David gelegentlich auch die Wahrheit verbargen. Aber das beweist allenfalls, dass selbst die besten Männer ihre Fehler hatten. Sicher kann man nicht die Fehler irgendeines Menschen (egal wie groß er vielleicht war) als Entschuldigung für Fehlverhalten benutzen. Das Gebot des Neuen Testamentes ist eindeutig: „Deshalb, da ihr jetzt die Unwahrheit abgelegt habt, REDE EIN JEDER VON EUCH MIT SEINEM NÄCHSTEN WAHRHEIT“ (Eph. 4:25). Jehovas Zeugen – sie geben es selbst zu – reden mit ihrem Nächsten nicht Wahrheit, wenn das in ihrem Interesse liegt. Wenn sie es als vorteilhaft ansehen, belügen die Zeugen Jehovas ihren Nächsten vorsätzlich! (Hervorhebung im Original, Thomas, 1972, Seite 96)

Über die Rahab-Strategie, das Lügen zu rechtfertigen, kam Robbins zu dem Schluss:

Die Bibel lobt Rahab nicht für ihr Lügen; das ist eine unzulässige Schlussfolgerung … Es wäre merkwürdig, wenn die Bibel, die das Lügen wiederholt verurteilt, jemanden für sein Lügen loben sollte. Wenn das so ist ... warum ... dann schließen, Gott lobe Rahab alleine für ihr Lügen? Ihre Prostitution war ebenso wichtig bei der Rettung der jüdischen Spione, und zu schließen, die Bibel heiße deshalb die Prostitution gut, wäre ebenso unzulässig ... Und doch legen [einige] den Gedanken nahe, Rahab und [andere] … seien angemessene Präzedenzfälle, zu lügen, wenn es notwendig ist. (1994, Seiten 1-4)

Die Einstellung, das Lügen sei gerechtfertigt, wenn es nur Personen irreführt, die „kein Recht haben, die Wahrheit zu kennen“, wurde von keiner christlichen Kirche als formelle Lehre verbreitet, und Thomas kommt zu dem Schluss, dass viele christliche Märtyrer dann ihr Leben hätten retten können...

... wenn sie nur die so genannte „theokratische Kriegsstrategie“ der Zeugen Jehovas angewandt hätten. Bei vielen von ihnen hing ihr Leben nur von der Antwort auf diese eine Frage ab: „Bist du ein Christ?“ Wenn sie mit „Ja“ zu antworten wagten, warteten schreckliche Qualen auf sie. Alles was sie in vielen Fällen zu tun hatten, war, abzustreiten, sie seien Christen, und ihr Leben wurde verschont. Aber diese großen Treuen des christlichen Glaubens ... ließen sich nicht zu Wachtturm-Tricksereien herab, um dem „Brandeisen des Tyrannen oder der blutverschmierten Mähne des Löwen“ zu entgehen Sie verloren ihr irdisches Leben für die Sache Christi, erhielten aber ewiges Leben und unvergängliche Ehre. Dies ist unser christliches Erbe, und wir haben jedes Recht, darauf stolz zu sein. (Thomas, 1972, Seiten 97-98)

In Wirklichkeit ist die Haltung der Wachtturm-Gesellschaft auch inkonsequent. Ein gutes Beispiel ereignete sich während des Zweiten Weltkrieges und betraf Zeugen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Um aus einigen Lagern freizukommen, mussten die Zeugen nur ein Papier unterschreiben, in dem sie ihre Treue zur Wachtturm-Gesellschaft widerriefen – doch die Gesellschaft wies sie an, dies nicht zu tun, und lehrte sogar noch, die Wachtturm-Gesellschaft zu verleugnen, um sich selbst zu schützen, würde ihre Hoffnung auf ewiges Leben zunichte machen. Man wies sie an, nur zu lügen, um die Wachtturm-Gesellschaft zu schützen, nicht sich selbst (Buber, 1946). Wie jedoch zu erwarten ist, erstreckt sich das Lügen der Zeugen auf andere Gebiete. Thomas berichtet von einer Erfahrung, die angeblich passierte, als er einem Zeugen eines seiner Traktate anbot, das Wachtturm-Überzeugungen kritisierte:

Dieser Zeuge Jehovas kannte mich nicht persönlich, aber er sagte, er kenne den Verfasser des Traktates persönlich. (Er log!) In der Überzeugung, ich sei jemand anders, begann er, den Schreiber zu diffamieren. Er sagte, dieser „Hochachtungsvoll“ sei von der Wachtturm-Gesellschaft im Osten rausgeschmissen worden, weil er ihr Geld gestohlen habe. (Ich bin nie Zeuge Jehovas gewesen.) Dann begann er höhnisch, mich als Idioten zu beschimpfen, und behauptete, ich müsse doch wirklich blöd sein, wenn der Traktatschreiber mich dieses Pamphlet aushändigen lassen dürfe. Als dieser Zeuge Jehovas seinem Ärger über den Schreiber Luft machte ..., zeigt ich ihm meinen Führerschein, der bewies, dass ich der fragliche Traktatschreiber war. Ich forderte von diesem lügenden Zeugen Jehovas eine Entschuldigung ... Das Wachtturm-Evangelium hatte das Denken dieses Mannes so verdreht, dass er nicht einmal mehr rot vor Scham werden, geschweige denn, sich entschuldigen konnte. Dies ist ein Beispiel für die theokratische Kriegsstrategie der Zeugen Jehovas – vorsätzliches Lügen im Interesse ihrer Religion. Dieser Zeuge Jehovas dachte, wenn er Lügen über den Autor der Anti-Zeugen-Jehovas-Traktate verbreitete, könnte er Christen davon abbringen, sie zu verteilen. Bestimmt war diesem Zeugen Jehovas bewusst, dass er log, aber das interessierte ihn nicht! Hatte ihn die Wachtturm-Gesellschaft denn nicht gelehrt, dass es bibelgemäß für Zeugen Jehovas sei, im Interesse ihrer Religion zu täuschen und zu lügen? ... Es ist bekannt, dass es die Devise böser und skrupelloser Menschen ist, dass der Zweck die Mittel heiligt. Offensichtlich hatte der Zeuge Jehovas diese Devise übernommen. (Thomas, 1972, Seiten 96-97)

Natürlich ist es schwer, zu entscheiden, ob jemand bewusst die theokratische Kriegsstrategie anwendet oder nur locker mit den Tatsachen umgeht, um einer peinlichen Situation zu entgehen. Die Situation, die Thomas berichtet, mag von beidem etwas enthalten (Raines, 1998, p. 30).