Einige Grundprinzipien der Sozialpsychologie und Gruppendynamik:

Im Ergebnis belegen diese Studien durchgängig die Wirksamkeit von Techniken zur Verhaltensmodifikation, Gruppendruck und Autoritätsgehorsam. Diese drei Faktoren zusammen bezeichnet man in der Psychologie als den Beeinflussungsprozeß".. [Seite 99]

In totalitären Sekten wird die Ideologie als die Wahrheit", als das einzig gültige Abbild" der Realität verinnerlicht. Die Doktrin dient nicht nur dazu, ankommende Informationen zu filtern, sondern auch zur Steuerung des Denkens über die Information ... Die Gruppe hat den Anspruch, alle Antworten auf alle Probleme und Situationen bereitzuhalten. [Seite 104]

Ein weiteres Schlüsselelement der Gedankenkontrolle besteht darin, die Anhänger darauf zu trainieren, jegliche kritische Information über die Gruppe abzublocken. [Seite 105]

Wenn ein Sektenmitglied eine Information als Angriff auf den Sektenführer, die Lehre oder die Gruppe empfindet, dann geht sofort eine Mauer der Feindseligkeit hoch. Die Mitglieder werden darauf gedrillt, jede Kritik für unwahr zu halten. So werden kritische Worte zum Beispiel im voraus entkräftet als die Lügen über uns, die Satan den Menschen in den Kopf setzt" ... Paradoxerweise bestätigt Kritik an der Gruppe, daß die Weltsicht der Sekte korrekt ist. Die vermittelte Information kommt nicht an. [Seite 106]

[Gefühlskontrolle] ... der Terror des Entdecktwerdens und der Bestrafung durch die Führer. [Seite 108]

Wer sich je in einer Beichtsitzung einer Sekte wiederfindet, der sollte an folgende Warnung denken: Alles, was Sie sagen, kann und wird gegen Sie verwendet werden. Das kann bis zur Erpressung nach dem Ausstieg aus der Sekte gehen. [Seite 109]

Die wirksamste Technik zur Gefühlskontrolle ist die Erzeugung irrationaler Ängste ... Die Leute werden so konditioniert, daß sie bei dem Gedanken, die Gruppe zu verlassen, eine panische Reaktion entwickeln ... [Seite 109]

Wenn Sektenführer gegenüber der Öffentlichkeit betonen: Die Mitglieder können gehen, wann immer sie wollen; die Tür ist offen", dann tun sie so, als hätten die Mitglieder ihren freien Willen und einfach gewählt, zu bleiben. Doch in Wirklichkeit haben die Mitglieder vielleicht längst keine Wahlfreiheit mehr, weil man ihnen starke Ängste vor der Außenwelt eingeimpft hat (Milieukontrolle). Diese bewußt erzeugten Ängste machen es den Menschen psychologisch unmöglich, sich für den Ausstieg zu entscheiden, nur weil sie unglücklich sind oder etwas anderes tun möchten. [Seite 109]

Die Informationskontrolle erfaßt auch sämtliche Beziehungen. Die Mitglieder dürfen miteinander niemals über etwas sprechen, was den Führer, die Doktrin oder die Organisation kritisiert. Die Mitglieder müssen sich gegenseitig bespitzeln und unschickliche Äußerungen oder Aktivitäten der Führung melden. [Seite 110]

Insbesondere sollen die Mitglieder jeden Kontakt mit Ehemaligen oder Kritikern meiden. Diejenigen, die am meisten Informationen liefern könnten, gilt es besonders zu meiden. [Seite 110]

Die Sektenmitglieder denken natürlich, sie wüßten besser über die Vorgänge in der Gruppe Bescheid als Außenstehende, doch bei der Ausstiegsberatung konnte ich oftmals feststellen, daß sie am allerwenigsten wissen. [Seite 111]

Informationskontrolle wird in diesen Organisationen auch dadurch erreicht, daß verschiedene Ebenen von Wahrheit" geschaffen werden. Sektenideologien bestehen aus Doktrinen für die Außenwelt und Doktrinen für die Insider. Das Material für die Außenwelt ist meist ziemlich glatter Stoff für die allgemeine Öffentlichkeit und die Neulinge. Die internen Doktrinen werden erst ganz allmählich, mit fortschreitender Einbindung des Mitglieds, enthüllt. [Seite 111]

Die Doktrin ist die Wirklichkeit - In einem Milieu der Bewußtseinskontrolle ist es nicht mehr möglich, die Dogmatik der Gruppe als bloße Theorie oder als eine Möglichkeit aufzufassen, die Wirklichkeit zu deuten oder zu suchen. Die Doktrin ist die Realität. [Seite 130]

Da Bewußtseinskontrolle darauf beruht, im Individuum eine neue Identität zu schaffen, erfordert die Sektendogmatik stets, daß jemand seinem eigenen Selbst mißtraut. Die Doktrin wird dann zum Masterprogramm" für alles Denken, Fühlen und Handeln. Da sie die perfekte und absolute WAHRHEIT ist, wird jeder Fehler in ihr lediglich als Reflex auf die Unvollkommenheit des Gläubigen ausgelegt. Man bringt ihm bei, daß er sich an das vorgeschriebene Rezept halten muß, auch wenn er es eigentlich nicht richtig versteht. Gleichzeitig hält man ihn dazu an, härter zu arbeiten und fester zu glauben, damit er die Wahrheit besser verstehen lernt. [Seite 130]

Die Doktrin kann keine andere Gruppe als berechtigt (gut, fromm, real) anerkennen, da dies ihr Wahrheitsmonopol in Frage stellen würde. Sie läßt keinen Raum für Deutungen und Abweichungen. Liefert die Doktrin einmal keine unmittelbare Antwort, so muß das Mitglied einen Führer fragen. Hat dieser auch keine Antwort parat, dann kann er die Frage immer noch als unwichtig abtun. [Seiten 130, 131]

Manche Gruppen erzeugen in ihren Anhängern einen regelrechten Verfolgungswahn. Sie reden ihnen ein, sie würden ständig von Geistwesen beobachtet, die von ihnen Besitz ergriffen, sobald sie einmal Gedanken oder Gefühle abweichend von der Auffassung der Sekte hegten. [Seite 131]

Elitementalität - Den Mitgliedern wird das Gefühl vermittelt, einem Elitekorps der Menschheit anzugehören. Dieses Gefühl, etwas Besonderes zu sein, mit einer Avantgarde überzeugter Gläubiger an entscheidenden Schritten in der Menschheitsgeschichte teilzuhaben, erzeugt eine starke emotionale Bindung und erhält die Motivation zu Aufopferung und harter Arbeit aufrecht. [Seite 131]

Paradoxerweise blicken Sektenanhänger auf jeden herab, der in einer anderen Sekte ist. Sie sind schnell mit abfälligen Feststellungen wie: Diese Leute sind in einer Sekte" oder Sie sind diejenigen, die man einer Gehirnwäsche unterzogen hat". Sie sind nicht fähig, aus ihrer eigenen Perspektive herauszutreten und sich selbst objektiv zu betrachten. [Seite 132]

Dieses Gefühl, einer auserwählten Elite mit einer vorherbestimmten Aufgabe anzugehören, bringt allerdings auch eine schwere Bürde der Verantwortung mit sich. Man macht den Mitgliedern klar, daß sie die gesamte Menschheit im Stich ließen, wenn sie ihre Pflichten nicht in vollem Umfang erfüllten. [Seite 132]

Der Wille der Gruppe steht über dem Willen des einzelnen - In allen totalitären Sekten muß sich das Individuum der Gruppe unterwerfen. Das übergreifende Ziel" muß der Mittelpunkt sein, das individuelle Ziel" wird ihm untergeordnet. In einer totalitären Sekte ist es grundsätzlich falsch, an sich selbst oder auch nur eigenständig zu denken. Zuerst kommt die Gruppe. Absoluter Gehorsam gegenüber Vorgesetzten ist eines der allgemeingültigsten Kennzeichen von Sekten. Individualität ist schlecht, Konformität ist gut. [Seiten 132, 133]

Glückseligkeit durch gute Leistungen - Einer der verlockendsten Aspekte am Leben in der Sekte ist das Gemeinschaftsgefühl, das es fördert. Am Anfang scheint es, als sei die Liebe hier bedingungslos und grenzenlos, und die neuen Mitglieder sind überwältigt von all der Anerkennung und der Zuwendung, die sie bekommen. Aber schon nach wenigen Monaten, wenn sie fester in die Gruppe eingebunden sind, werden Lob und Aufmerksamkeit entzogen und auf Neuangeworbene gerichtet. Das Mitglied muß lernen, daß die Liebe nicht bedingungslos, sondern von guten Leistungen abhängig ist. [Seite 134]

In der Tat empfinden Sektenanhänger in Situationen der Entbehrung (z.B. Sammelaktionen bei klirrender Kälte oder brütender Hitze) oder Verfolgung (Verhaftung wegen Gesetzesverstößen oder gerichtliche Verfahren gegen sie) ein außerordentlich tiefes Gefühl der Kameradschaft und des gemeinsamen Märtyrertums. Da die einzig echte Bindung jedoch die zum Führer ist, wird beim näheren Hinsehen deutlich, daß diese Bande in Wirklichkeit sehr oberflächlich und manchmal sogar nur eingebildet sind. [Seiten 134, 135]

Schwierigkeiten werden stets dem Mitglied angelastet. Sie entstehen durch seinen zu schwachen Glauben, sein mangelndes Verständnis, seine schlechten Vorfahren", bösen Geister usw. Das Mitglied fühlt sich permanent schuldig, daß es den Erwartungen nicht gerecht wird ... In allen totalitären Sekten, die ich kenne, ist die Angst ein zentraler Motivationsfaktor. [Seite 135]

Viele Gruppen lehren, daß die Apokalypse unmittelbar bevorsteht. Manche beanspruchen für sich, den Weltuntergang abzuwenden, während andere nur glauben, daß sie ihn überleben werden ... Die Zukunft ist für das Sektenmitglied die Zeit der Belohnung, weil die große Wende eingetreten ist ... [Seiten 136, 137]

Für viele Gruppen steht der Zeitpunkt der Apokalypse fest: meist ist er auf 2 bis 5 Jahre in die Zukunft verlagert - gerade so weit entfernt, um nicht schon bald diskreditiert zu werden, aber auch noch nahe genug, um emotionalen Druck auszuüben. Diese Prophezeiungen sind oft durch die Eigenschaft charakterisiert, immer mehr in den Hintergrund zu treten, je näher der große Tag rückt. In anderen Gruppen glaubt man so lange an den Zeitplan, bis er sich wirklich nicht bewahrheitet. [Seite 137]

Gewöhnlich gibt das Sektenoberhaupt dann einfach einen neuen Zeitplan heraus, der das große Ereignis um ein paar Jahre verschiebt. Wenn er dies ein paarmal getan hat, mögen einige langjährige Mitglieder zynisch werden. Aber bis dahin gibt es schon wieder genügend neue Mitglieder, die nicht wissen, daß der Sektenführer den Zeitpunkt schon mehrmals verschoben hat. [Seite 137]

In einer totalitären Sekte gibt es niemals einen legitimen Grund, auszusteigen ... Den Mitgliedern wird sehr gründlich eingetrichtert, daß ihr Ausstieg schreckliche Folgen für sie, ihre Familie und/oder die gesamte Menschheit hätte. [Seiten 137, 138]

Auch wenn Sektenanhänger oft sagen: Zeige mir einen Weg, der besser ist als meiner, und ich werde austreten", läßt man ihnen gar nicht die Zeit oder das geistige Werkzeug, um diese Aussage vor sich selbst zu beweisen. Sie sitzen fest in einem psychologischen Gefängnis. [Seite 138]

Ich hatte einige Fälle, wo die Sektenführer nicht auf Geld aus" waren, aber offensichtlich süchtig nach persönlicher Macht. Viele extreme Bibelsekten haben Führer, die kein auffälliges Luxusleben führen und die Gott und die Bibel als Autoritäten über sich anzuerkennen scheinen. Aber sie benutzen ihre Interpretation der Bibel und des Willens Gottes dazu, Menschen zu manipulieren und zu beherrschen. [Seiten 178, 179]

Stellt sich die Lehre einer Gruppe nach außen anders dar als nach innen? [Seite 179]

Zur Täuschung zählen glattes Lügen, Auslassen wichtiger Informationen oder ihre absichtliche Verzerrung. Die meisten Sektenwerber würden leugnen, überhaupt jemanden anwerben zu wollen. [Seite 180]

In Sekten wird sehr viel Zeit mit Gruppenaktivitäten verbracht. Für das Privatleben oder für Freunde und Familie wird dem Mitglied nur ein Minimum an Zeit zugestanden. Auch bleibt wenig Zeit, einmal etwas anderes zu lesen als die Sektenlektüre oder etwas anderes zu erlernen als die Sektenpraktiken Natürlich geben sich dieSektenanhänger die größte Mühe, dem Außenstehenden glaubhaft zu machen, daß sie ein ganz normales" Leben führen. Doch wenn man Sektenmitglieder einmal in längere Diskussionen verwickelt, wird deutlich, daß die meisten jeglichen Bezug dazu verloren haben. [Seite 184]

Ein sehr deutliches Anzeichen dafür, daß jemand einer Gruppe angehört, die ihre Mitglieder geistig manipuliert, ist die mangelnde Fähigkeit, selbständig Entscheidungen zu treffen. Auch wenn Sektenmitglieder gegenüber Außenstehenden stets behaupten, unabhängig zu sein, zeigt ein Blick hinter die Kulissen, daß sie wichtige Entscheidungen nicht treffen können, ohne zuerst ihre übergeordneten Mitglieder um Erlaubnis zu fragen. [Seite 184]

Das dritte Kriterium ist die Freiheit der Mitglieder, die Gruppe wieder zu verlassen. Einfach formuliert, sitzen Mitglieder totalitärer Sekten in einem psychischen Gefängnis. Wie oben erläutert, pflanzen totalitäre Sekten ihren Mitgliedern panische Ängste davor ein, was passieren würde, wenn sie der Gruppe jemals den Rücken kehrten. [Seite 186]

Eine häufig gestellte Frage ist, ob alle totalitären Sekten gleichermaßen gefährlich sind. Die Antwort ist ein schlichtes Nein, wie eine vernünftige Betrachtung der verschiedenen Gruppen zeigt. Beispielsweise sind nicht alle Gruppen so destruktiv wie "People's Temple" oder so extrem wie die terroristischen Politsekten im Nahen Osten. Auch ist nicht jede Gruppe so trügerisch, vereinnahmend und gefährlich für das Individuum, seine Familie und die Gesellschaft wie die Mun-Organisation ... Gelegentlich werde ich auch gefragt, ob sich totalitäre Sekten im Laufe der Zeit wesentlich verändern können. Die Antwort ist ja. Es gibt Gruppen, die ursprünglich mit sehr guten Absichten begonnen haben, aber damit enden, daß sie ihre Anhänger seelisch manipulieren und die Öffentlichkeit täuschen. [Seite 187]

Die ausschlaggebende Frage ist, ob sich jemand die Zeit genommen hat, mit ehemaligen Mitgliedern zu sprechen und kritische Literatur zu lesen, um sich selbst eine Meinung über die Gruppe zu bilden. Der Sektenanhänger sagt vielleicht noch, daß er dazu bereit wäre. Doch wenn ihn seine Familie dann beim Wort nimmt, macht er fast immer einen Rückzieher. Wenn nicht, dann ist bereits der erste Schritt aus der Gruppe heraus getan. [Seite 195]

Rationale Diskussionen helfen einfach nicht mehr, wenn jemand unter Bewußtseinskontrolle steht. [Seite 237]

Schicken Sie keine unerbetenen Presseartikel ... Solche Informationen schaden mehr, als sie nützen. [Seite 246]

Jedes Sektenmitglied ist darauf programmiert, sämtliche negativen" Gedanken über den Sektenführer, die Lehre oder die Organisation abzublocken, und ist ferner indoktriniert zu glauben, seine Gruppe sei allen anderen überlegen und vollkommen anders. [Seite 272]

Die Ausgestoßenen - Ich habe etliche Leute kennengelernt, die aus ihren Gruppen ausgestoßen wurden, weil sie sich angeblich gegen die Autorität sträubten und zu viele Fragen stellten ... Die "Ausgestoßenen" sind von allen Ehemaligen am schlimmsten dran. Im Fall von religiösen Sekten fühlen sie sich nicht nur von der Gruppe, sondern von Gott selbst zurückgewiesen ... Diese Menschen, mit all ihren Ängsten vor der Welt außerhalb der Sekte, werden ausgesetzt an einem Ort, den sie als totale Finsternis empfinden. Vielen Ausgestoßenen erscheint Selbstmord als eine echte Alternative zu ihrem Leid. [Seite 280]

Es ist wichtig, daß Ehemalige ihren Schmerz annehmen und sich mit ihm auseinandersetzen. Sie müssen die nötige Trauerphase durchmachen. Was dabei offenbar am meisten hilft, ist, den Leuten zu zeigen, daß sich durchaus auch Positives aus ihrer Mitgliedschaft ergeben hat und daß sie durch diese Erfahrung viel stärker geworden sind. [Seite 283]

Die mystische Manipulation kann in diesen Sekten eine ganz besondere Qualität annehmen, da die Führer zu Mittelsmännern Gottes werden. Die gottzentrierten Grundsätze können zwingend vorgebracht und exklusiv beansprucht werden, so daß die Sekte und ihre Glaubensideen zum einzig wahren Heilsweg werden. [Seite 317]