Wenn es heraus kommt, dass ein Mann im Internet Kinderpornos tauscht, sollte eigentlich der einzige Weg zur Polizei führen. So dachte auch die Zeugin Jehovas Tina B., als sie einschlägiges Material auf dem PC ihres Mannes fand.

Doch sie ging nicht zur Polizei. Statt dessen ging sie zu den Ältesten, die wiederum bei der Wachtturm-Gesellschaft in Selters Rat holten und daraufhin ihrer Glaubensschwester dringend rieten, ihren Mann nicht anzuzeigen, "denn das würde nur unnötig Schmach auf Jehovas Namen werfen".

Tina B. schrieb einen Abschiedsbrief an die Wachtturm-Gesellschaft und ist heute keine Zeugin Jehovas mehr.


An die
Wachtturm Gesellschaft
Am Steinfels, 65618 Selters
24. Oktober 2002

Sehr geehrte Älteste,

lange habe ich hin und her überlegt, ob ich diesen Brief schreiben soll, aber ich habe mich dazu entschlossen, weil ich ein Mensch bin, der nachdenkt und nicht alles so hinnimmt.

Wenn Ihr diesen Brief lest, bitte ich Euch, ihn zu Ende zu lesen.

Hiermit möchte ich Euch mitteilen, dass ich kein getaufter Zeuge Jehovas mehr sein will. Das liegt nicht etwa daran, dass ich Jehova nicht liebe oder an ihn glaube, das tue ich sehr wohl und ich glaube auch daran, dass die Bibel sein inspiriertes Wort ist. Viel mehr ist es so, dass ich sehr oft enttäuscht wurde und einige Dinge einfach nicht verstehe, denn ich kann nicht hinnehmen, dass Dinge passieren, die entgegen Jehovas Wort passieren. Versteht mich bitte nicht falsch; ich will damit nicht sagen, dass ich meinen Willen, ein Zeuge Jehovas zu sein von Menschen abhängig mache. Aber lasst mich erklären.

Wenn ich hier Dinge niederschreibe, die ich miterlebt habe, dann sind es ausschließlich Dinge, die ich entweder unmittelbar selbst mitgemacht habe oder in meiner Familie passierten.

Als ich am 9. August 1999 den damaligen Bruder Oliver B. heiratete, konnte ich nicht wissen, dass er sich so verändern würde. Schon am unmittelbaren Anfang unserer Ehe ging er fremd, nur konnte ich es zum damaligen Zeitpunkt nicht beweisen. Mehrmalige Anläufe und Versuche, ihn zur Rede zu stellen misslangen. Ich konnte also auch verstehen, dass damals die Ältesten machtlos waren. Außerdem behandelte er mich wie den letzten Dreck, so dass ich sowohl körperlich als auch seelisch großen Schaden nahm. Noch heute fange ich an zu zittern wenn ich an diese schlimme Zeit zurück denke. Bis hierhin lief zwar alles recht schrecklich für mich persönlich ab, aber wie gesagt, die Ältesten waren machtlos. Das sagten sie mir jedenfalls. Trotzdem ging ich mehrmals zu verschiedenen Ältesten und bat mehrfach um einen Hirtenbesuch. Als ich dann schier am Verzweifeln war, kam unser VA, Fritz B. zu uns. Das war das einzige Mal, dass wir, mein damaliger Mann und ich, einen “Hirtenbesuch“ bekamen. Ich schreibe das deswegen in Anführungszeichen, weil ich bis dato dachte, dass ein Hirtenbesuch vorsieht, dass 1. ZWEI Älteste die Verkündiger besuchen und 2. dass man etwas ermuntert wird, sprich etwas aus der Bibel gezeigt wird. Statt dessen weiß ich gar nicht, ob Bruder B. seine Bibel überhaupt dabei hatte, jedenfalls hat er uns ein paar Artikel aus dem Wachtturm kopiert in Bezug auf Ehekrisen. Mich hat es nicht ermuntert, denn auf unser Problem ist er nicht eingegangen.

Vorweg sei aber vielleicht noch gesagt, dass ich bis zu diesem Tag, und ich bin seit dem 14.11.1992 getauft, noch nie einen Hirtenbesuch erhalten habe, weder gemeinsam mit meinen Eltern noch allein und auch meine Eltern hatten erst in diesem Jahr ihren ersten Hirtenbesuch.

Kurze Zeit nach besagtem “Hirtenbesuch“ wurden wir dann zu einem Gespräch mit zwei Ältesten in den Königreichssaal eingeladen, allerdings kann ich mich zeitlich nicht mehr erinnern, ob das schon zu dem Zeitpunkt war als ich etwas Ungeheuerliches über meinen damaligen Mann rausbekommen hatte. Was das war, erzähle ich gleich, zuvor sei noch erwähnt, dass dieses Gespräch im Königreichssaal zwar von Seiten der Ältesten sehr lieb gemeint war, jedoch bei meinem Mann nichts ausrichtete, denn auf dem Weg nach Hause sagte er mir gleich, dass er sich eh an nichts von dem was sie erzählt hatten, halten würde.

Dann, eines Tages Anfang 2001 bekam ich durch einen Zufall raus, dass mein damaliger Mann Kinderpornos aus dem Internet holte, damit handelte und sie auch für seine eigene Befriedigung nutzte. Ich war aufgelöst, als ich das mitbekam. Ich fand die Bilder auf seinem PC, es waren über 200(!) an diesem Tag. Natürlich wendete ich mich sofort an die Ältesten, an Fritz B., und weil er zuerst nicht erreichbar war, rief ich auch Roland M. und Bernd S. an. Roland M. erklärte mir dann sofort am Telefon, wie ich diese Bilder auf Diskette ziehe, zumindest ein paar, und sie ihm mitbringen könnte, denn schließlich müsse er sich das anschauen, bevor er darüber urteilen könnte. An diesem Tag rief ich sofort meine Mutter an, die mir in dieser Zeit eine große Stütze war, und bat sie in meine Wohnung zu kommen. Sie kam und guckte sich ein paar dieser Bilder an und zeigte die gleiche Reaktion wie ich - Fassungslosigkeit und Tränen. Auch wenn ich diese Zeilen jetzt schreibe, zittere ich und weine, weil ich nicht fassen kann, dass ein Mensch so etwas tun kann. Schlimm genug wie gedemütigt ich mich fühlte, aber so etwas Kindern anzutun, das ist so grausam. Ich brachte also Roland M. die Diskette mit und stellte meinen Mann noch am gleichen Abend zur Rede. Sein einziger Kommentar dazu war, ich solle mich nicht so anstellen, die Kinder würden das gerne machen. Die Kinder die auf den Bildern zu sehen waren, waren übrigens so im Durchschnitt 5-7 Jahre alt.

Am nächsten Morgen, es war ein Samstag, klingelten dann unangemeldet Bernd S. und Roland M. an der Tür und wollten mit ihm reden. Er gab sofort alles zu und auch zu ihnen sagte er, er fände das nicht schlimm.

Die Ältesten wussten nicht so recht mit der Situation umzugehen, weil sie so einen Fall noch nicht hatten und fragten die Ältesten aus Selters um Rat. Instinktiv wollte ich sofort zur Polizei gehen, wovon mich die Ältesten jedoch abhielten, weil ich abwarten sollte, was Selters dazu sagt. Ich wartete also und bekam dann die Order nicht zur Polizei zu gehen, denn das würde nur unnötig Schmach auf Jehovas Namen werfen. Und auch Oliver könne man nichts anhaben, denn er hatte ja alles zugegeben und man müsse abwarten. Ich hatte aber ein schlechtes Gewissen, denn, wie ich anfangs erwähnte, ich bin ein Mensch, der sich Gedanken macht und nicht ganz weltfremd ist.

Der Handel mit Kinderpornos ist gesetzlich verboten und wird daher strafrechtlich verfolgt.

Daher wunderte ich mich über die Entscheidung der Ältesten in Selters, denn Zeugen Jehovas sind doch im Allgemeinen dafür bekannt, dass sie so gesetzestreu sind. Ich bin also entgegen dem Rat der Ältesten zur Polizei gegangen, allerdings ohne mir vorher noch eine Kopie zu ziehen, und mein Pech war, dass mein Mann den PC aus der Wohnung verbrachte. Wohin weiß ich bis heute nicht. Als ich Roland M. um die Diskette bat, gab er sie mir nicht. Jetzt frage ich Euch: Oliver B. wäre heute noch ein getaufter Zeuge Jehovas, wäre nicht irgendwann rausgekommen, dass er fremdging. Es ist allgemein bekannt, dass sich Bilder anzusehen nur der erste Schritt ist und irgendwann will man es dann in die Tat umsetzen. Hätte sich Oliver an irgendeinem Kind vergriffen und ein Gericht hätte ihn verurteilt, hätte das nicht ungleich mehr Schmach auf Jehovas Namen geworfen? Noch dazu hätten sich einige wegen Mitwissenheit verantworten müssen, unter anderem ich.

Als ich diese Dinge mitbekam, habe ich mir sofort eine Wohnung gesucht und bin ausgezogen, auch entgegen dem Rat der Bibel, das gebe ich zu, aber ich konnte nicht länger mit einem Menschen zusammen leben, der mich kaputt macht, mir die Kraft raubt und es nicht einsieht, geschweige denn bereut.

Als ich auszog, bat ich mehrmals um Hirtenbesuche, bekam jedoch nicht einen einzigen.

Einige Monate nachdem ich mich wieder etwas gefangen hatte, lernte ich andere Brüder und Schwestern kennen, die mich auch besuchten und die ich mit in die Versammlung nahmen. Waren es Brüder, waren wir mit meinen Eltern zusammen oder auch mit meinen Brüdern. Es tat mir sehr gut, wieder etwas ermuntert zu werden und auf andere Gedanken zu kommen. Im August 2001 fuhr ich dann zu Brüdern nach Österreich ein paar Tage in Urlaub. Auch das tat mir gut. Ein Bruder zeigte Interesse an meiner Person und wir schrieben uns einige E-Mails, außerdem war er einmal bei meinen Eltern. Ich empfand das nicht als schlimm, denn so ein enger Kontakt konnte schon allein deshalb nicht gleich entstehen, da er über 600 km von mir entfernt wohnte. Nach dem Buchstudium sprachen mich dann zwei Älteste an, ob ich schon geschieden sei und warum ich Kontakt zu ledigen Brüdern habe. Ich sagte ihnen wahrheitsgemäß, dass ich noch nicht geschieden sei, ich aber nicht verstehe, dass ich keinen Kontakt zu anderen ledigen Brüdern haben dürfe. Darauf sagten sie mir, dass ich es unterlassen sollte jeglichen Kontakt, zu egal welchen ledigen Brüdern zu haben. Begründet haben sie das auf einen Wachtturm aus dem Jahre 1967, den sie mir AUSZUGSWEISE kopierten.

Als ich mir den Wachtturm selbst raussuchte, sah ich, dass es völlig aus dem Zusammenhang gerissen war, denn es ging dort um einen Bruder, der keinen biblischen Scheidungsgrund hatte, aber eine neue Freundin hatte. Also hatte ich weiterhin schriftlichen Kontakt zu dem Bruder und ein weiteres Mal kam er zu meinen Eltern. Ein paar Wochen später, den Kontakt zu dem Bruder hatte ich aus anderen Gründen schon eingestellt, nahmen mich wieder Bernd Sb. und Helmut S. in der Versammlung beiseite und gingen mit mir in den Keller um mich noch einmal darauf hinzuweisen, dass ich keinen Kontakt zu anderen Brüdern haben dürfe. Wieder verwiesen sie auf besagten Wachtturm-Artikel. Diesmal bat ich sie, mir das was sie mir zu sagen hatten anhand der Bibel zu begründen, worauf Bruder S. laut wurde und mich anschrie, sie bräuchten mir das nicht aus der Bibel zeigen, denn der Wachtturm-Artikel würde mir zeigen, was ich falsch mache. Hierzu möchte ich noch sagen, dass auch in diesem Artikel keine Bibelstelle angegeben wurde. Bruder Sb. versuchte Bruder S. dann einigermaßen zu beruhigen. Auch an dieser Stelle bat ich erneut um einen Hirtenbesuch, denn ich bedauerte es sehr, dass in der ganzen Zeit in der es mir so schlecht ging und ich kaum Kraft hatte, die Zusammenkünfte zu besuchen, so dass ich kaum noch in der Versammlung war, ich keinen Anruf geschweige denn einen Hirtenbesuch bekam Die einzige Schwester, außer meiner Familie, die sich um mich kümmerte, war Christiane L. Wahrscheinlich brauche ich nicht erwähnen, dass ich auch auf diesen Wunsch hin keinen Hirtenbesuch oder Ermunterung bekam.

In der Zwischenzeit interessierte sich ein Bruder aus dem Bethel für mich. Ich sagte ihm, dass ich nicht möchte, dass wir uns treffen, aber einen lockeren Briefkontakt könnten wir haben, denn ich hatte nicht vor, in nächster Zeit wieder zu heiraten. Dieser Bruder rief dann bei unserem VA, Bruder B. an und erkundigte sich über mich. Bruder B. sagte ihm, dass ich eine vorbildliche Schwester sei und die gesamte Familie eine sehr theokratisch gesinnte Familie. Er forderte ihn auf, doch einmal in die Versammlung zu kommen und bedauerte dabei noch die Tatsache, dass er den darauf folgenden Sonntag nicht anwesend sei, sonst hätte der Bruder ihn ja auch gleich mal besuchen kommen können. Ich reagierte darauf sehr unterschiedlich. Einerseits wollte ich nicht, dass es wieder Ärger gibt, andererseits dachte ich mir, wenn Bruder B. als VA vorschlägt, er solle mich besuchen kommen, ist es doch nicht verkehrt. Wir trafen uns also mit meinen Eltern und es wurde ein sehr schöner Sonntag. Auch Briefkontakt führten wir weiterhin. Bald darauf wurde ich von besagtem VA Bruder B. ANGERUFEN (wieder mal kein Besuch) und mir wurde gesagt, dass ich den Kontakt sofort abzubrechen habe. Auch bei dieser Gelegenheit sprach ich das Thema Hirtenbesuch an, worauf Bruder B. laut wurde und meinte, ich hätte ja mal was sagen können. Als ich ihm sagte, dass ich das bereits mehrfach und an verschiedenen Stellen bei verschiedenen Ältesten getan habe, beruhigte er sich schnell wieder und versprach mir, sich nun selbst darum zu kümmern, dass ich so schnell wie möglich ermuntert werde und einen Hirtenbesuch bekomme.

Das war im Dezember 2001. Ich brauche wohl nicht erwähnen, dass NIE etwas passiert ist. Weder hat mich jemand zwecks Termin angesprochen, noch ist jemand zu mir gekommen.

Im Mai diesen Jahres bin ich dann in die Versammlung E. gewechselt, weil ich in H. Arbeit gefunden habe. Was mich traurig gemacht hat, war die Tatsache, dass mich kein Ältester persönlich verabschiedet hat außer Bruder M.. Eher hatte ich das Gefühl, als lästiges Problem endlich weg zu sein.

Seit Juli wohne ich nicht mehr im Versammlungsgebiet E. und war seitdem auch nicht mehr in der Versammlung, teils weil ich einfach keine Kraft hatte und mich sammeln musste, teils weil ich mit der Verlogenheit der Ältesten einfach nicht klar komme. Einerseits stehen sie auf der Bühne und erzählen seit Jahren, wie toll die Hirtenbesuche sind und andererseits sieht es in der Realität ganz anders aus. Sicher weiß ich, dass alle unvollkommen sind, aber es tut weh, nur gemaßregelt zu werden und nicht einmal ermuntert. Die letzten Wochen hat es mir mehr gebracht, einfach in der Bibel zu lesen und an Jehova zu denken, ich hatte ein schlechtes Gewissen und konnte nicht mehr richtig beten, weil ich nicht mehr in die Versammlung ging, aber in der Versammlung W. hat mein Verhältnis zu Jehova sehr gelitten und ich habe mich mehr als einmal gefragt, ob das die Wahrheit ist.

Es sind so viele Dinge vorgefallen, und ich weiß noch nicht mal ob Ihr den Brief bis hierhin genau gelesen habt. Ich wollte Euch nicht belästigen, aber ich finde, Ihr solltet einige Dinge auch aus meiner Sichtweise sehen.

Es war auch für meine Eltern schlimm, das mit anzusehen, vor allem da vor einigen Jahren mein jüngerer Bruder auch Probleme mit den Ältesten hatte, denn er hatte keine “Lust“ mehr, was wahrscheinlich an der Pubertät lag und er ging über fünf Monate immer und immer wieder zu den Ältesten und bat um ein Gespräch, bis er dann nach fünf Monaten sagte, es reicht ihm, die Ältesten hätten sowieso kein Interesse an ihm und er sich als ungetaufter Verkündiger streichen ließ. Über diese fünf Monate hat meine Mutter alle Versuche aufgeschrieben. Auch sie konnte es nicht verstehen, aber sie ist ganz anders als ich. Sie glaubt eher blind und meint, das sei die Wahrheit, egal was passiert.

Vielleicht hätte ich Euch diesen Brief schon viel früher schreiben müssen, immer hatte ich das Gefühl, dass der Saalbau, der seit über fünf Jahren geplant ist, wichtiger ist, als sich um die Schafe zu kümmern. Nur gibt es so viele Ausschlüsse und Zurechtweisungen, dass bald kein Saal mehr benötigt wird. Erst jetzt hatte ich die Kraft den Brief zu schreiben und es ist mittlerweile 3:10 Uhr nachts. Jetzt habe ich mich wieder einigermaßen gefangen und es geht mir besser als in der Versammlung W. Für mich steht fest, dass ich nie wieder in diese Versammlung zurück kehren werde!!

Ich hoffe auf baldige Antwort!!

Mit freundlichem Gruß

TINA B.