Die Wachtturm-Gesellschaft wird nicht müde, mit ihrer Wanderausstellung "Standhaft trotz Verfolgung" durchs Land zu ziehen. Zwar sind auf diesen angeblich "nicht religiösen" Veranstaltungen selten Besucher zu sehen, die keine Zeugen Jehovas sind, aber eine positive Pressemeldung springt meist dabei raus und auch so mancher Lokalpolitiker lässt sich in Unkenntnis der Sachlage sogar dazu hinreißen, die Eröffnungsrede zu halten.

Nicht so im pfälzischen Bad Bergzabern. Hier erschien der Bürgermeister nicht zur Eröffnungsrede, obwohl ihn die Zeugen Jehovas angekündigt hatten. Auch gab es keinen euphorischen Pressebericht aus der Feder eines Journalisten, der sich die Arbeit leicht gemacht und lediglich die Pressemitteilung der Zeugen Jehovas umformuliert hat. Statt dessen stand ein Artikel in der Rheinpfalz, aus dem man ersehen konnte, dass die dortige Redaktion noch von anderer Stelle informiert worden war.

Zeugen Jehovas – die vergessenen Opfer des NS-Regimes

BAD BERGZABERN: Umstrittene Ausstellung ab morgen im Haus des Gastes – Bürgermeister Bohrer sagt Teilnahme ab

In den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten trugen sie den “lila Winkel” an ihrer Häftlingskleidung: Etwa 2000 der schätzungsweise 25.000 bis 30.000 Zeugen Jehovas kamen im KZ ums Leben. 10.000 wurden inhaftiert, 1200 ermordet, davon 250 als Kriegsdienstverweigerer hingerichtet. Den “vergessenen Opfern des NS-Regimes” widmen die Zeugen Jehovas eine Ausstellung, die von morgen bis Montag im Haus des Gastes in Bad Bergzabern zu sehen ist.

Im Programm der Ausstellungseröffnung ist Bürgermeister Bohrer aufgeführt. Doch er hat den Veranstaltern abgesagt, nachdem er die Videodokumentation gesehen hat, die begleitend zur Ausstellung gezeigt wird. “Die Thematik der Verfolgung und der menschenverachtenden Vernichtungsmaschinerie während der NS-Diktatur ist jedoch differenzierter und umfassender zu beurteilen”, als dies in dem Video zum Ausdruck komme, begründet er seine Absage.

Die Ausstellung, die schon seit Jahren durch die Bundesrepublik wandert, hat auch andernorts zwiespältige Gefühle geweckt. Video wie Begleitheft, die von der Wachtturm-Bibel- und Traktat-Gesellschaft herausgegeben wurden, erwecken eher den Eindruck einer SeIbstdarstellung. Sie blendeten kritische Aspekte aus und, schränkten so den Wert der Dokumentation deutlich ein, urteilt der Theologe Lutz Lemhöfer, der im Bistum Limburg das Referat für Sekten- und Weltanschauungsfragen leitet. Er bedauert dies, zumal eine solche "Darstellung der Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas mit so vielen bewegenden Einzelheiten und Einzelschicksalen bislang nicht vorlag”.

In der Tat vermittelt die Ausstellung ein Bild der Zeugen Jehovas, die von 1933 an einheitlich dem NS-Regime Widerstand leisteten und wegen ihrer religiösen Überzeugung – Verweigerung der Teilnahme an Wahlen und des Kriegsdiensts, Ablehnung des “Hitlergrußes” – verfolgt wurden. So heißt es im Begleitheft: “Auf Grund ihrer Unbeugsamkeit waren sie (die Zeugen Jehovas) der Willkür der SS-Wachen und Kapos (...) besonders ausgesetzt”. Dies erweckt den Eindruck, dass andere KZ-Häftlinge wie Juden, die zu Millionen vergast, zu Tode gemartert oder an Hunger und Seuchen gestorben sind, eine vergleichsweise humane Behandlung genossen hätten.

Anbiederung an Hitler

Dass die Zeugen Jehovas offenbar von Antisemitismus nicht frei waren und sich zumindest anfänglich bei Hitler anbiederten, zeigt eine Resolution, die 5000 Delegierte einer Konferenz im Juni 1933 in Berlin-Wilmersdorf fassten und an den “sehr verehrten Herrn Reichskanzler” schickten. Darin steht, dass sich die Zeugen Jehovas, deren Führung in Brooklyn/New York sitzt, nicht an der US-amerikanischen “Greuelpropaganda” der “Geschäftsjuden und Katholiken” beteiligten. In der dreiseitigen Erklärung unterstreichen sie, dass in ihrem Verhältnis “zur nationalen Regierung des Deutschen Reiches keinerlei Gegensätze vorliegen”. Es herrsche - bezüglich ihrer rein religiösen und unpolitischen Bestrebungen – “völlige Übereinstimmung mit den gleichlautenden Zielen” der deutschen Regierung. Ausstellung und Video wollen dagegen glauben machen, dass die Zeugen Jehovas “Stellung bezogen haben, und das von Anfang an, mit einer Stimme und mit ungeheuerem Mut”.

Was Bürgermeister Bohrer mit dazu bewogen hat, seine Teilnahme an der Ausstellungseröffnung abzusagen, ist diese Tendenz zur glorifizierenden Selbstdarstellung der Zeugen Jehovas “auf Kosten anderer, vor allem der Kirchen” wenn Pfarrer, die Hand zum “Hitlergruss” erhoben, vor Soldaten stehen. Hier wird plakativ der Eindruck erweckt, als seien die Mitglieder der großen christlichen Konfessionen samt und sonders Steigbügelhalter und Unterstützer der Hitler-Diktatur gewesen.

Tatsächlich sind die Zeugen Jehovas im Dritten Reich verfolgt worden - wie viele andere Gruppen auch und viele haben ihr Leben gelassen. Doch daran, so glauben Kritiker, ist die Führung nicht unschuldig.

“Organisation produziert Märtyrer”

Als der Beschwichtigungsversuch von 1933 nicht fruchtete, forderte sie 1934 die deutschen Zeugen Jehovas auf, Hitler in einem Telegramm zu drohen. “Hören Sie auf, Jehovas Zeugen weiterhin zu verfolgen, sonst wird Gott Sie und Ihre nationale Partei vernichten.” “Diese Organisation produziert Märtyer”, sagt dazu Karl H. Geis aus Ludwigshafen, der nach über 40 Jahren Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas für den Versuch ausgeschlossen wurde, ihre apokalyptischen Endzeitprophezeiungen zu widerlegen. Er ist der Meinung, dass die Untergrundaktionen, die die Führung in den USA während der NS-Zeit anordnete und die viele deutsche Zeugen Jehovas getreulich befolgten, die Verfolgung angeheizt haben.

Quelle: RHEINPFALZ, 18.05.2001