Darf ein Biologe die Evolution infrage stellen? Ausgerechnet am Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung erklärt ein Wissenschaftler die Natur als Werk eines intelligenten Designers. Jetzt kämpft das Institut um seinen guten Ruf.

Könnte man sich die Website von Wolf-Ekkehard Lönnig noch immer ansehen, stieße man nach einigen Klicks auf die Zeichnung eines Wasserschlauchs. Diese Pflanze mit lateinischem Namen Utricularia vulgaris wächst aus Moorgräben in die Höhe und hat ein trickreiches System aufgebaut, um sich zu stärken. Unter der Wasseroberfläche erbeutet das Grünzeug kleinste Wassertiere, und zwar mithilfe Tausender kleiner Bläschen. Paddelt ein Zweighornkrebschen daher – angelockt vom abgesonderten Schleim der Pflanze – und streift dabei eines der feinen Sinneshaare des Wasserschlauchs, ist es bereits verloren. Mitsamt dem Umgebungswasser wird das Beutetier in die Falle geschlürft. Zwei Millisekunden nachdem der Winzling das Sinneshärchen berührt hat, ist die Klappe wieder zu. Das Grünzeug pumpt das Wasser ab, spritzt über Drüsenschläuche Verdauungssäfte auf die Beute und verdaut sie wie ein tierischer Magen.

Das raffinierte Konstrukt muss ausgedacht worden sein. Von einem Universalgenie. Wolf-Ekkehard Lönnig glaubt das. Er ist gruppenleitender Genetiker am Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung (MPIZ). Aufgrund seiner Beobachtungen im Pflanzenreich ist er zu dem Schluss gekommen, dass hinter einer solchen Kreatur ein Schöpfer stehen muss, ein „Designer“.

Seit Darwin postulieren die Evolutionstheoretiker, dass neue Lebensformen in natürlicher Auslese entstehen: durch zufällige winzige Mutationen in den Genen, von denen die meisten keine erkennbare Wirkung haben. Und so, Schrittchen für Schrittchen, sollen aus simplen, einzelligen Organismen hoch komplexe Kreaturen entstanden sein? So wurde aus einem normalen Blatt, das einst friedlich von der Fotosynthese lebte, der komplexe Fangapparat von Utricularia vulgaris?

Lönnig glaubt das nicht und vertritt mit der Lehre vom „Intelligenten Design“ eine Ansicht, die fast jeden seiner Zunft die Haare raufen lässt. 1000 Seiten hat er voll geschrieben und über den offiziellen Server seines Instituts ins Netz gestellt. Da fand sich neben Resultaten seiner Studien und daraus gefolgerten Deutungen jede Menge harsche Kritik an der „herrschenden neodarwinistischen Abstammungslehre“.

Kaffeesatz und Horoskope

Seit einem Monat aber klickt man vergebens. Im Namen der Max-Planck-Gesellschaft würde hier pseudowissenschaftliches, kreationistisches Gedankengut verbreitet, hatten sich seine Gegner echauffiert, darunterder berühmte Ameisenforscher Bert Hölldobler. Er sah den Ruf der Max-Planck-Gesellschaft in Gefahr, wenn deren Web-Seiten dazu verwendet würden, Glaubenskonzepte zu verbreiten: "Wenn Sie das zulassen, müssen Sie auch erlauben, dass in der Astronomie Astrologie betrieben sowie Kaffeesatz lesen und Horoskope schreiben gelehrt wird."

Der Präsident der MPG, Peter Gruß, verlangte von den vier Direktoren des Kölner Instituts eine Überprüfung der wissenschaftlichen Inhalte auf Lönnigs Seiten. Daraufhin wurden die Seiten zunächst gesperrt. Lönnig genoss zwar die Unterstützung seines direkten Vorgesetzten und MPI-Direktors Heinz Saedler („Freie Meinung beflügelt die Wissenschaft“). Am Montag hat das vierköpfige Direktorium nach dreistündiger Debatte aber entschieden, dass Lönnigs Website in dieser Form „nicht akzeptabel“ sei. „Wir hätten uns“, sagt Paul Schulze-Lefert, geschäftsführender Direktor des Instituts, „lächerlich gemacht, würden wir diese Verquickung von wissenschaftlich abgesicherten Befunden und persönlicher Meinung weiterhin auf unseren Sites dulden.“ Nur eine „massiv entrümpelte“ Web-Seite von Lönnig wird in Zukunft auf dem MPG-Server zu finden sein. Die am Montag beschlossenen neuen Regeln für das Gestalten von MPIZ-Websites seien jed och keine „Lex Lönnig“. Sie gelten für alle Mitarbeiter. Unter anderem dürfen nur Publikationen, die ein peer rewiew durchlaufen haben, aufgelistet sein. Persönliche Meinungen, auch wenn sie (Schulze-Lefert) „vordergründig abstrus erscheinen“, werden explizit geduldet – müssen aber klar gekennzeichnet sein.

Der lauteste Lönnig-Kritiker ist der Kasseler Biologieprofessor Ulrich Kutschera. Er glaubt, dass Lönnigs Schriften auf der MPIZ-Homepage „der Verbreitung einer religiösen Weltanschauung“ dienten und die MPG „als Verbreitungsorgan einer pseudowissenschaftlichen Ideologie missbraucht“ wurde. Entsprechend erfreut ist er über den „klugen Entscheid“ – allerdings dürfe es nicht 15 Jahredauern, bis das Direktorium interveniere. Hätte Lönnig seine Thesen von Anfang an auf eine private Homepage gesetzt, wären weder Kutschera noch Hölldobler bei der MPG vorstellig geworden. Doch Lönnig nutzte die Seite seines Instituts, weil er seine Hypothesen als Resultat von Forschung und nicht als Produkt seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas interpretiert sehen will.

Bibelkompatible Theorien

Es entspricht der Taktik der Anhänger von Intelligentem Design, dass sie ihren Schriften einen wissenschaftlichen Anstrich verpassen und sie im Umfeld von Forschungsinstituten präsentieren möchten. Statt Gott beim Namen zu nennen, räsonieren sie in ihren Papieren wolkig über Design. Außerdem distanzieren sie sich vordergründig von den Anhängern religiöser Schöpfungslehren. „Ich bin kein Kreationist“, sagt Lönnig, er akzeptiere „weder die sechs buchstäblichen Tage noch die 10000 Jahre“, die seit der Erschaffung der Welt durch Gott laut Kreationismus ins Land gegangen sein sollen. Kutschera und Hölldobler aber sind sich einig: Die intelligent design-Theorie ist Kreationismus unter einem wissenschaftlichen Deckmantel.

Der Trend kommt aus den USA: Dort ist der Religionsunterricht aus den Schulen verbannt. Indem sie ihre Weltanschauung angeblich objektiv, ideologiefrei und wertneutral präsentierten, haben die Kreationisten ihren Glauben durch die Hintertür des Biologielabors wieder in die Schulen gebracht. 1999 untersagte die Schulbehörde von Kansas, Evolution und Urknall in den staatlichen Leistungsprüfungen abzufragen oder auch nur zu erwähnen. Viele Sachbuchverlage meiden seither – um teure Klagen zu verhindern – das Reizwort Evolution. Und Forschern rät die amerikanische National Science Foundation, in ihren Anträgen um staatliche Zuschüsse die Begriffe sex und evolution zu vermeiden. Konservative Senatoren und Kongressangehörige stöbern in der Library of Congress nämlich mit Vorliebe in diesen 250-Zeilen-Anträgen – in der Absicht, dort auf diese „Schmuddelwörter“ zu stoßen und so Forschungsvorhaben, die das Wort der Bibel untergraben kö nnten, zu unterbinden.

Gesponsert werden die „wissenschaftlichen“ Umtriebe der Kreationisten vom Discovery Institute in Seattle, das von reichen christlichen Fundamentalisten unterhalten wird. Kutschera vermutet, dass das Discovery Institute auch das deutsche Treiben finanziert, und er befürchtet amerikanische Verhältnisse, wenn man die Fundamentalisten gewähren lasse. Tatsächlich laufen in Seattle die Fäden amerikanischer und deutscher Kreationisten zusammen. Einer der Fellows des Instituts heißt Siegfried Scherer und ist Direktor des Instituts für Mikrobiologie an der Technischen Universität München. Scherer hat hierzulande für Unruhe gesorgt, als er zusammen mit dem Koautor Reinhard Junker Evolution – ein kritisches Lehrbuch publizierte. Darin wird anstelle der naturalistischen Auffassung ein mit der Schöpfungslehre kompatibles Theoriewerk präsentiert: Statt durch einen gemeinsamen Stammbaum verbunden, sollen die Lebewesen in verschiedenen Grundtypen unabhängig vone inander entstanden sein, zum Beispiel „durch Schöpfungsakte Gottes“.

Dieses Buch ist in Deutschland nicht offiziell als Schulbuch zugelassen. Da aber in manchen Bundesländern Lehrfreiheit besteht, wird es trotzdem an einigen Schulen benutzt. 2002 erhielt es sogar den Deutschen Schulbuchpreis. Das klingt nach einer offiziellen Auszeichnung. Doch hinter dem Kuratorium, das den Preis vergibt, steckt der Verein Lernen für die Deutsche und Europäische Zukunft (LDEZ). Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, Evolutionskritik in Deutschlands Schulstuben zu tragen und Bücher auszuzeichnen, „die den Schülern Ehrfurcht vor Gott“ vermitteln. Der Präsident des Vereins kämpft für christliches Engagement, „um nicht von einem atheistischen Evolutionismus mit autoritärem Absolutheitsanspruch überrollt zu werden“ und weil es „sonst kaum jemanden in Deutschland gibt, der der amtlichen Entchristlichung unserer Schulbildung entgegen tritt“.Auf der MPG-Seite Lönnigs wurde Scherers „kritisches Lehrbuch“ in den höchsten Tönen gelobt. Auf den Kreationismus-Kritiker Kutschera dagegen ist Lönnig gar nicht gut zu sprechen. „Seit einem Jahr versucht der Mensch meine Homepage abzustellen; ich kannte ihn zuvor gar nicht.“ Lönnig fühlt sich angesichts dieser „Bücherverbrennungsmentalität“ ins „finsterste Mittelalter“ versetzt und erinnert daran, dass seine Glaubensbrüder schon in der Nazizeit verfolgt worden seien.Sind die erstaunlichen Fähigkeiten von Utricularia vulgaris auf dem Reißbrett einer unbekannten Größe entstanden? Handelt es sich, wie Lönnig sagt, um ein Beispiel für "nichtreduzierbare Komplexität" - ein Begriff, den Michael J. Behe, Biologe in Diensten des Discovery Institute, geprägt hat? Nach Kutscheras Ansicht hat kein Schöpfer bei diesem Geniestreich an der Pflanze herumgefingert. Zöge man den Einfluss übernatürlicher Kräfte in Betracht, dann "kann man die Naturwissenschaften abschreiben". Einzig biologische Laien, sagt Kutschera, fielen auf die plumpen Argumente von Lönnig herein. Der Wasserschlauch zähle, gerade wegen seiner bizarren Fresskünste, zu den Paradebeispielen - für die Kräfte der Evolution.

Quelle: Die Zeit 19/2003, Autor Urs Willmann