Lehre und Bündnisse

Vorlesungen über Glauben
(3. deutsche Auflage, 1903)

Vorlesung 1

Ueber die Lehre der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage, ursprünglich einer Klasse der Aeltesten in Kirtland, Ohio, vorgetragen.

Die Bedeutung des Wortes Glaube.

1. Da der Glaube das erste Princip einer geoffenbarten Religion und die Grundlage aller Gerechtigkeit ist, so beansprucht er natürlicherweise in einer Reihe von Vorlesungen, welche beabsichtigen die Lehre Christi dem Verstande zu entfalten, den ersten Platz.

2. Indem wir den Gegenstand des Glaubens vorlegen, so werden wir die folgende Ordnung beobachten:

3. Erstens, den Glauben selbst – was er ist;

4. Zweitens, den Gegenstand, auf welchem er beruht;

5. Und drittens, die Wirkungen, welche derselbe hervorbringt.

6. Dieser Ordnung gemäß müssen wir zuerst zeigen, was der Glaube ist.

7. Der Verfasser der Epistel an die Ebräer gibt im ersten Verse des elften Kapitels seines Briefes die folgende Erklärung des Wortes Glaube:

8. „Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht (Gewißheit) deß, das man hoffet und nicht zweifelt an dem, das man nicht siehet.“

9. Daraus lernen wir, daß der Glaube die Zuversicht ist, welche man von dem Dasein ungesehener Dinge hat, und den Beweggrund der Handlung in allen vernünftigen Wesen bildet.

10. Würden Leute sich genau selbst betrachten und ihre Gedanken und Erwägungen auf die Wirksamkeit ihrer eigenen Gemüter lenken, so würden sie sogleich entdecken, daß es der Glaube und der Glaube allein ist, welcher den Beweggrund aller ihrer Handlungen ausmacht; das ohne denselben der Geist und Körper in einem Zustande der Unthätigkeit sein würden und daß alle ihre Anstrengungen, geistiger sowohl als körperlicher Natur, aufhören würden.

11. Was wäre die Antwort, würde diese Klasse zurückgehen und über die Geschichte ihres vergangenen Lebens von dem Zeitpunkte ihrer ersten Erinnerung nachdenken, und sich fragen, welcher Beweggrund sie zur Handlung anregte, oder was ihnen in allen ihren gesetzmäßigen Beschäftigungen, Berufen und Bestrebungen, Kraft und Thätigkeit verlieh? Würde sie nicht sein, daß es die Zuversicht war, die ihr in betreff des Daseins von, von euch noch nicht gesehenen, Dingen hattet? War es nicht die Hoffnung, welche ihr, in Folge eures Glaubens an das Dasein unsichtbarer Dinge hattet, die um diese zu erlangen, euch zur Thätigkeit und Anstrengung aneiferte? Ist die Erlernung aller Kenntnis, Weisheit und Intelligenz nicht von eurem Glauben abhängig? Würdet ihr euch anstrengen, Weisheit und Intelligenz zu erlangen, wenn ihr nicht glaubtet, sie empfangen zu können? Würdet ihr jemals gesät haben, wenn ihr nicht geglaubt hättet, zu ernten? Würdet ihr jemals gepflanzt haben, wenn ihr nicht geglaubt hättet, zu sammeln? Würdet ihr jemals gebeten haben, wenn ihr nicht zu empfangen geglaubt hättet? Würdet ihr jemals gesucht haben, wenn ihr nicht geglaubt hättet, zu finden? Oder würdet ihr jemals geklopft haben, wenn ihr nicht geglaubt hättet, daß man euch aufthun würde? In einem Worte, würdet ihr irgend etwas Körperliches oder Geistiges gethan haben, wenn ihr nicht vorher Glauben gehabt hättet? Hängen nicht alle eure Bemühungen jeder Art von eurem Glauben ab? Oder, kann man nicht fragen, was habt oder besitzt ihr, was ihr nicht in Folge eures Glaubens erlangt habt? Habt ihr nicht eure Nahrung, eure Kleidung, euer Obdach wegen eures Glaubens? Denkt nach und fragt euch selbst, ob diese Dinge [3] nicht so sind. Lenkt eure Gedanken auf eure eigenen Herzen und sehet, ob der Glaube nicht der Beweggrund in allen euren Handlungen ist; und wenn er es in euch ist, ist er es nicht auch in allen anderen vernünftigen Wesen?

12. Wie der Glaube der Beweggrund aller Handlungen in zeitlichen Angelegenheiten ist, so ist er es auch in geistigen, denn der Heiland sagte sehr richtig, daß, „Wer da glaubet und getauft wird, der soll selig werden.“ Mark. 16: 16.

13. Gerade wie wir durch den Glauben alle zeitlichen Segnungen empfangen, so in gleicher Weise empfangen wir auch durch denselben alle geistigen Segnungen, deren wir teilhaftig werden. Doch der Glaube in allen verständigen Wesen, ob im Himmel oder auf der Erde, ist nicht allein das Princip der Handlung, sondern auch der Macht. So sagt der Verfasser der Epistel an die Ebräer,11: 3.

14. „Durch den Glauben verstehen wir, daß die Welt zugerichtet worden sei durch Gottes Wort, also daß die Dinge, die man sieht, nicht geworden sind aus Dingen, die da erscheinen.“

15. Hieraus ersehen wir, daß der Glaube das Princip der Macht war, die in dem Busen Gottes existirte, durch welche die Welten gestaltet wurden, und daß durch dieses, in der Gottheit existirende Princip der Macht alle erschaffenen Dinge ihr Dasein haben; so daß alle Dinge im Himmel, auf der Erde oder unter der Erde, in Folge des Glaubens, wie er in IHM existirte, ihr Dasein haben.

16. Ohne das Princip des Glaubens würden die Welten nie gestaltet, noch der Mensch aus dem Staube gemacht worden sein. Es ist das Princip, durch welches Jehovah wirkt und durch welches er Macht über alle zeitlichen, sowie auch geistigen Dinge ausübt. Nähme man dieses Princip oder Attribut – denn es ist ein Attribut – von Gott weg, so würde er aufhören ein Dasein zu haben.

17. Wer kann nicht sehen, daß wenn Gott durch den Glauben die Welten gestaltete, er auch durch denselben Macht über sie ausübt und daher der Glaube das Princip der Macht ist? und wenn er das Princip der Macht ist, er es sowohl in [4] Menschen, als im Allmächtigen sein muß? Dies ist das Zeugnis aller Verfasser der heiligen Schriften und die Lehre, womit sie sich bemüht haben, die Menschheit zu unterrichten.

18. Der Erlöser, indem er die Ursache, warum seine Jünger den Teufel nicht austreiben konnten, auseinander setzte, sagte (Matth. 17: 19, 20.), daß es wegen ihres Unglaubens war: – „Denn ich sage euch: Wahrlich, so ihr Glauben habt als ein Senfkorn, so möget ihr sagen zu diesen Berge, ‚Hebe dich von hinnen dorthin‘, so wird er sich heben, und euch wird nichts unmöglich sein.“

19. Während Moroni die Urkunden seiner Väter abkürzte und zusammenstellte, erzählte er uns das Folgende über den Glauben, als ein Princip der Macht. Er sagt auf Seite 597 (Buch Mormon), daß es der Glaube Almas und Amuleks war, der die Mauern des Gefängnisses zerriß, wie es auf der 278sten Seite aufgezeichnet ist; daß es der Glaube Nephis und Lehis war, welcher verursachte, daß eine Veränderung in den Herzen der Lamaniten bewerkstelligt wurde, als sie durch den heiligen Geist und Feuer getauft wurden, wie auf der 443sten Seite zu sehen ist; und daß es durch den Glauben geschah, daß der Berg Zerin fortbewegt wurde, als der Bruder Jareds im Namen des Herrn sprach. (Seite 599.)

20. Aufs Weitere wird uns in Ebräer 11: 32–35, erzählt, daß Gideon, Barak, Simson, Jephthah, David, Samuel und die Propheten durch den Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit gewirkt, Verheißungen erlangt, der Löwen Rachen verstopft, und des Feuers Kraft ausgelöscht haben, sind des Schwerts Schärfe entronnen, sind aus der Schwachheit kräftig geworden, sind stark geworden im Streit, und haben der Fremden Heer darniedergelegt. Die Weiber haben ihre Toten von der Auferstehung wieder genommen u.s.w.

21. So auch Josua in der Gegenwart des ganzen Israel Gebot der Sonne und dem Monde stille zu stehen und es geschah. Josua 10: 12.

22. Es wird uns von den Verfassern der heiligen Schrift mitgeteilt, daß alle diese Dinge durch den Glauben gethan wurden. Durch den Glauben wurden die Welten gestaltet. [5] Gott sprach, Chaos hörte und Welten ordneten sich kraft des Glaubens der in IHM war. So auch mit dem Menschen; er sprach aus Glauben, im Namen Gottes und die Sonne stand still, der Mond gehorchte, Berge bewegten sich, Gefängnisse fielen, die Rachen der Löwen wurden verstopft, das menschliche Herz verlor seine Feindschaft, Feuer seine Heftigkeit, Armeen ihre Macht, das Schwert seinen Schrecken und der Tod seine Herrschaft; und dies Alles, wegen des Glaubens, welcher in ihm war.

23. Wäre es nicht um des Glaubens willen gewesen, welcher in jenen Menschen war, so hätten sie umsonst zu der Sonne, dem Monde, den Bergen, Gefängnissen, dem menschlichen Herzen, Feuer, den Armeen, dem Schwerte oder Tode reden können!

24. So ist denn der Glaube das erste, große, regierende Princip, welches Macht, Herrschaft und Gewalt über alle Dinge hat; durch ihn haben sie ihr Dasein, durch ihn werden sie aufrecht erhalten, durch ihn werden sie verändert, oder durch ihn bleiben sie, nach dem Willen Gottes. Ohne ihn gibt es keine Macht, und ohne Macht könnte es auch weder eine Schöpfung noch ein Dasein geben!

Fragen und Antworten über die vorhergehenden Lehren.

Was ist Theologie? Es ist jene geoffenbarte Wissenschaft, welche von dem Wesen und den Eigenschaften Gottes, – seinem Verhältnis zu uns – den Fügungen seiner Vorsehung – seinem Willen, in Bezug auf unsere Handlungen – und seinen Absichten in Bezug auf unser Ende, handelt. Bucks theologisches Wörterbuch, Seite 582.

Was ist das erste Princip dieser geoffenbarten Wissenschaft? Der Glaube. Vorlesung 1: 1.

Warum ist der Glaube das erste Princip in dieser geoffenbarten Wissenschaft? Weil er die Grundlage aller Gerechtigkeit ist. „Aber ohne Glauben ist es unmöglich Gott gefallen.“ [6] Ebräer 11: 6. „Kindlein, lasset euch niemand verführen. Wer recht thut, der ist gerecht, gleichwie er (Gott) gerecht ist.“ 1. Joh. 3: 7. Vorlesung 1: 1.

Auf welche Weise sollte der Gegenstand des Glaubens dargestellt werden? Zuerst sollte gezeigt werden, was der Glaube ist. Vorlesung 1: 3. Zweitens, der Gegenstand, auf welchem er beruht. Vorlesung 1: 4. Und drittens, die Wirkungen, welche von demselben fließen. Vorlesung 1: 5.

Was ist der Glaube? „Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht deß, das man hoffet und nicht zweifelt an dem, das man nicht siehet.“ Ebräer 11: 1. Das ist, er ist die Zuversicht, welche wir von dem Dasein unsichtbarer Dinge haben, und da er die Zuversicht ist, welche wir von dem Dasein unsichtbarer Dinge haben, so muß er der Beweggrund der Handlung aller vernünftigen Wesen sein. „Durch den Glauben verstehen wir, daß die Welt durch Gottes Wort zugerichtet worden sei.“ Ebräer 11: 3. Vorlesung 1: 8, 9.

Wie kann bewiesen werden, daß der Glaube der Grund der Handlungen aller vernünftigen Wesen ist? Zuerst, durch die richtige Beobachtung der Wirkungen unserer eigenen Herzen; und zweitens, durch die deutliche Erklärung der heiligen Schrift. „Durch den Glauben hat Noah Gott geehret und die Arche zubereitet zum Heil seines Hauses, da er einen göttlichen Befehl empfing von dem, das man noch nicht sahe; durch welchen er verdammte die Welt und hat ererbet die Gerechtigkeit, die durch den Glauben kommt.“ Ebräer 11: 7.

„Durch den Glauben ward gehorsam Abraham, da er berufen ward auszugehen in das Land, das er ererben sollte; und ging aus und wußte nicht, wo er hinkäme.“ Ebräer 11: 8.

„Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande, als in einem fremden und wohnte in Hütten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung.“ Ebräer 11: 9.

„Durch den Glauben verließ Moses Aegypten und fürchtete nicht des Königs Grimm; denn er hielt sich an den, den er nicht sahe, als sähe er ihn.“ Ebräer 11: 27. Vorlesung 1: 10 und 11. [7]

Ist nicht der Glaube der Beweggrund der Handlungen in geistigen sowohl, als auch in zeitlichen Dingen? Ja. Wie wird es bewiesen? „Ohne Glauben ist es unmöglich Gott gefallen.“ Ebräer 11: 6. „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden.“ Mark. 16: 16. „Derhalben muß die Gerechtigkeit durch den Glauben kommen, auf daß sie sei aus Gnaden und die Verheißung fest bleibe allem Samen; nicht allein dem, der unter dem Gesetz ist, sondern auch dem, der des Glaubens Abrahams ist, welcher ist unser Aller Vater.“ Römer 4: 16. Vorlesung 1: 12, 13.

Ist der Glaube noch etwas Anderes, außer ein Grund der Handlung? Ja.

Was ist er? Er ist auch das Princip der Macht. Vorlesung 1: 13.

Wie wird es bewiesen? Erstens ist er das Princip der Macht Gottes sowohl als im Menschen. „Durch den Glauben verstehen wir, daß die Welt zugerichtet worden sei durch Gottes Wort, also daß die Dinge, die man sieht, nicht geworden sind aus Dingen, die da erscheinen.“ Ebräer 11: 3. Vorlesung 1: 14, 15, 16. Zweitens ist er auch das Princip der Macht im Menschen. Alma und Amulek werden aus dem Gefängnisse befreit. Buch Mormon Seite 278. Nephi und Lehi mit den Lamaniten werden durch den Geist getauft. Seite 443. Der Berg Zerin wird durch den Glauben des Bruders Jareds fortbewegt. Seite 599. „Da redete Josua mit dem Herrn des Tages, da der Herr die Amoriter übergab vor den Kindern Israels und sprach vor gegenwärtigem Israel, ‚Sonne, stehe still zu Gibeon, und Mond, im Thal Ajalon‘! Da stand die Sonne und der Mond stille, bis daß sich das Volk an seinen Feinden rächete. Ist dies nicht geschrieben in Buch der Frommen? Also stand die Sonne mitten am Himmel und verzog unterzugehen, beinahe einen ganzen Tag.“ Josua 10: 12, 13. „Da traten zu ihm seine Jünger besonders und sprachen, ‚Warum konnten wir ihn nicht austreiben‘? Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen, ‚Um eures Unglaubens willen; denn ich sage euch, Wahrlich, so ihr Glauben habt als ein Senfkorn, so möget ihr sagen zu diesem Berge, ‚Hebe dich von hinnen dorthin; so wird er [8] sich heben und euch wird nichts unmöglich sein‘.“ Matth. 17: 19–20. „Und was soll ich mehr sagen? Die Zeit würde mir zu kurz, wenn ich erzählen sollte von Gideon, Barak und Simson, und Jephthah, David und Samuel und den Propheten; welche durch den Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit gewirket, die Verheißung erlanget, der Löwen Rachen verstopfet, des Feuers Kraft ausgelöschet haben, sind des Schwerts Schärfe entronnen, sind stark geworden im Streit, haben der Fremden Heer darniedergelegt. Weiber haben ihre Todten von der Auferstehung wieder genommen; Andere aber sind zerschlagen, und haben keine Erlösung angenommen, auf daß sie die Auferstehung, die besser ist, erlangten.“ Ebräer 11: 32–35. Vorlesung 1: 16–22.

Wie sollte der Glaube in seinem ausgedehntesten Sinne erklärt werden? Er ist das erste, große regierende Princip, welches Macht, Herrschaft und Gewalt über alle Dinge hat. Vorlesung 1: 24.

Wie kann man es noch deutlicher auseinandersetzen, daß der Glaube, das erste, große, regierende Princip ist, welches Macht, Herrschaft und Gewalt über alle Dinge hat? Durch ihn haben sie ihr Dasein, durch ihn werden sie erhalten, durch ihn werden sie verändert oder durch ihn bleiben sie nach dem Willen Gottes; und ohne ihn gibt es keine Macht, und ohne Macht könnte weder eine Schöpfung noch ein Dasein sein. Vorlesung 1: 24.