schweigendes LammDas folgende klingt einfach unglaublich. M.S. beschreibt sehr schmerzliche Erfahrungen als Kind - aber auch heftige Schikanen während und nach dem Ausstieg. Es ist wahrlich nicht typisch. Doch geschahen ähnliche Dinge in der einen oder anderen Form vielen anderen. Vielleicht nur nicht so gehäuft.

Da die Organisation der Zeugen Jehovas allerdings den Anspruch erhebt, eine "reine und makellose" Gemeinschaft zu sein, muß einfach aufgezeigt werden, was alles auch dort passieren kann.


Nun - ich habe lange überlegt, ob ich meine Geschichte veröffentlichen soll, ich habe mich dafür entschieden. Ich bin jetzt Anfang 40, habe fast täglich nachts Albträume und eine Posttraumatische Belastungsstörung mit anhaltender Belastung laut meinen Ärzten und Psychologen.

Nun zu meiner Geschichte: Meine Erinnerungen beginnen mit ca. 3 Jahren, als ich merkte, dass ich bei meiner Mutter unerwünscht war, weil ich kein Junge sondern ein Mädchen geworden bin. Meine Mutter war zu mir stets lieblos, gereizt, verletzend, gewalttätig und unberechenbar. Ging es aber um Ihre geliebte Sekte der Zeugen Jehovas, war sie sofort besser aufgelegt, ausser ich tat wieder etwas was Ihr missfiel.

In den wöchentlichen Zusammenkünften - die am Dienstag, Freitag und Sonntag stattfanden - hatte ich still zu sitzen und aufzupassen was die Schwätzer auf der Bühne so von sich gaben. War es mal nicht der Fall das ich aufmerksam aufpasste, wurde ich ins Bein gezwickt. Ich kann mich noch gut an einen Kongress in Stuttgart Killesberg erinnern; die Mittagspause war vorbei und das Programm fing wieder an und ich wurde von meiner Mutter gefragt ob ich noch auf die Toilette müsse. Ich verneinte. Das Programm lief ca. eine halbe Stunde da drückte mich ein Bedürfnis dringend zur Toilette zu müssen. Ich sagte meiner Mutter das ich dringend müsse aber das kam überhaupt nicht in Frage. Ich hielt also noch aus und fragte dann nochmal, mit der gleichen Antwort meiner Mutter. Ich muss dazu sagen ich war erst 5 Jahre alt. Es kam wie es kommen musste, ich musste mein Geschäft in die Hose machen. Als sie es merkte nahm sie mich in die Toilette mit und verprügelte mich.

Die ständige Angstmacherei vor Harmagedon, Dämonen und vor der Strafe Jehovas machte mich echt fertig. Einen besonders grossen Schock bekam ich, als sich ein 16-jähriger und bald darauf ein 20-jähriger der Sekte das Leben nahmen. Kurz darauf verschwand eine junge Zeugin mit 20 Jahren spurlos. Sie war plötzlich schwanger, hatte aber weder einen Freund noch einen Ehemann. Man nahm ihr das Kind nach der Geburt weg und sie wurde als angebliche "Verrückte" in die geschlossene Anstalt abgeschoben. Ich habe sie nie wieder gesehen. Da fragt man sich doch: wer hat sie geschwängert und wo ist das Kind abgeblieben und vor allem wo ist sie? Wer hat das alles auf dem Gewissen? Wenn man bei Sektenmitgliedern überhaupt von einem Gewissen sprechen kann. Wenn ich nach ihr fragte, sagte man mir, ich solle mich um mich selbst kümmern.

Zu meinem Tagesablauf: Um 6 Uhr aufstehen, Mittagessen, von Haus-zu-Haus gehen oder sich auf auf irgendeine Zusammenkunft vorbereiten, Hausaufgaben, Zubettgehen. Spielen alleine oder mit anderen Kindern: Fehlanzeige.

Da ich den Kindergarten nicht besuchen durfte, kam ich erst mit 7 Jahren in die Schule. Dort war ich sofort der Aussenseiter, weil ich am ersten Schultag schon sagen musste, das ich Zeuge Jehovas bin. Am 3. Schultag musste ich dann das Buch "Mein Buch mit biblischen Geschichten" mitnehmen, zeigen, erklären und damals noch verkaufen. In der Schule wurde ich ebenfalls von der Sekte beobachtet - besonders auf dem Schulhof. Vor lauter Verzweiflung schloß ich mich in der grossen Pause in der Schultoillete ein. Mein Pech war, dass auf meinem Schulweg eine Menge Sektenmitglieder wohnten. Kaum Zuhause angekommen, wusste meine Mutter schon, was sich auf den kurzen Schulweg so ereignet hat.

Wenn die Sektenmitglieder mich wieder anschwärzten, schlug meine Mutter mit allem was sie fand auf mich ein, sodass ich sehr oft vor lauter Prügel zusammenbrach. Wegen der blauen Flecken schrieb sie mir dann eine Entschuldigung für den Sportunterricht. Ein paar andere Male sperrte sie mich stundenlang im Gewölbekeller unseres Hauses ein - ohne Licht. Sie verbrühte, vor lauter Wut auf mich, mit einem Topf kochenden Wasser meine Brust oder schlug mir mit einer schweren Gusspfanne mein halbes Ohr ab. Ich blutete fürchterlich.

Mit 9 Jahren setzte ich mich ans Fenster des 3.Stockes unseres Hauses und wollte springen, um mir das Leben zu nehmen. Ich erinnere mich noch als ich dort saß gingen mir alle Abscheulichkeiten durch den Sinn die meine Mutter und mein Vater mir zufügten und ich gab die Schuld dieser widerlichen Sekte. Ich überlege wie diese Mitglieder täglich gesteuert und beeinflusst werden Dinge zu tun die ein normaler Mensch niemals tun würde. Ich entschied mich nicht zu springen und den Kampf gegen die Sekte aufzunehmen.

In den Jahren darauf änderte sich nichts an meiner misslichen Lage bis zu dem Zeitpunkt an dem es noch schlimmer wurde. Meine Eltern und ich fuhren - als ich 12 Jahre alt war - in den Urlaub nach Österreich. Natürlich zu anderen Sektenmitgliedern.

Eines Morgens war ich plötzlich allein in dem alten Jagdhaus, mein Frühstück war schon hergerichtet und ich fing an zu essen. Kurz danach wurde es mir furchtbar schlecht, sodass ich in die Toilette ging, weil ich dachte ich müsse mich übergeben. In diesem Augenblick ging die Tür auf und ein Sektenmitglied kam herein und hob mich auf. Ich war in einer Situation des Halbwachseins. Ich wurde daraufhin von 5 Mitgliedern der Sekte einschliesslich meines Vaters in den After vergewaltigt. Stunden später saß ich auf meinem Bett und weinte bitterlich. Meine Haare und meine Kleidung waren mit Sperma verschmiert und mein After tat mir höllisch weh und blutete. Meine Mutter, die die ganze Zeit nicht da war, kam in mein Zimmer, ging wieder hinaus und telefonierte. Danach wurde ich ins Auto gepackt und 10 km zu einer anderen Z.J. gebracht. Dort blieb ich die nächsten 3 Wochen. Meine Eltern sah ich in dieser Zeit nicht.

Ich begann meine Eltern und die Sekte noch mehr zu hassen, als ich es sowieso schon tat. Ich wurde noch rebellischer als ich schon war. Ich fasste den Entschluss: von denen muss ich weg. Kurz danach wurde ich gezwungen mich taufen zu lassen. Es änderte nichts an meinem Entschluss die Sekte zu verlassen.

Mit 17 Jahren lernte ich meinen jetzigen Mann kennen. Ich wusste sofort das er meine grosse liebe ist. Ich konnte die Beziehung zu ihm ca. 2 Jahre geheim halten. Als es dann herauskam, riefen meine Eltern sofort 2 Älteste, die mich wieder auf den richtigen Weg bringen sollten. Sie redeten stundenlang auf mich ein aber ohne Erfolg. Meine Eltern setzten mich 3 Tage später am Neujahrstag vor die Tür. Ich ging und wusste, ich komme nie wieder zurück. Es war in diesem Moment ein so wunderbares Gefühl, obwohl ich jetzt nicht wusste wohin. Ich wollte mich dann in einer Pension verstecken. Ohne Erfolg: man wusste gleich, wo ich untergekommen war. Ich fasste den Entschluss mich selbst aus der Sekte auszuschliessen.

Die nächsten 2 Jahre wohnte ich in verschiedenen Wohnungen, die ich mir mit Putzstellen und 400 Mark Jobs im Supermarkt finanzierte. Ich hatte ja keine Ausbildung machen dürfen. In dieser Zeit gab es keinen Tag, an dem nicht irgendein Z.J. um meine Wohnung schlich - einschliesslich meines Vaters. Sie hatten auch ständig Zugang zu meiner Wohnung - wie weiss ich leider nicht. Ich merkte es an meinen Getränken: immer wenn ich sie trank war es mir nicht gut.

Die Sekte ließ nichts aus, um mir zu schaden. Ich bekam immer wieder Rechnungen, darauf stand, dass ich angeblich Waren bestellt habe von denen ich nichts wusste.

Da ich in meinen Wohnungen schutzlos der Sekte ausgeliefert war, zog ich zu meinem jetzigen Mann. Erst dann beruhigte sich die Sache langsam. Aber nur weil, wie ich jetzt weiss, sie ihren Plan änderten. Sie versuchten fortan meinen Mann zu beeinflussen. Wir heirateten 1995 im Juli. Mein Mann wurde von nun an von der Sekte und der Familie umgarnt. Die haben doch tatsächlich geglaubt, mein Mann und ich fallen auf diesen Zauber rein. Nachdem wir die Sekte abblitzen ließen ging es erst richtig los.

Ich begann mit Mitte 20 noch eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation, die ich nach 3 Jahren erfolgreich beendete. Ich fing in einem Immobilienbüro an. Nach 3 Jahren bemerkte ich Manipulationen an meinem PC und meinen Dokumenten. Ich wurde ohne Grund entlassen und bekam eine Abfindung in Höhe von 5.000 Euro, wenn ich sie nicht beim Arbeitsgericht anzeigen würde. Kurz darauf wurde auch mein Mann aus seinem langjährigen Job gemobbt und gekündigt. Danach fing das Mobbing in unserem 6-Familienhaus an in dem wir wohnten. Es wurden Unterschriften gegen uns gesammelt. Es führte dazu, dass wir gekündigt wurden. Wir zogen aus und das Dilemma ging weiter. Das Arbeitslosengeld meines Mannes blieb einen Monat aus, unsere Rechtschutzversicherung und Autoversicherung wurde gekündigt - wie wir später erfuhren mit unserer Unterschrift gefälscht. Bis heute kommen Rechnungen von Dingen die wir angeblich bestellt aber nicht bekommen haben.

Das hatte zur Folge, dass mein Mann einen Herzinfarkt hatte und ich seit Jahren arbeitsunfähhig geschrieben bin und unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung mit anhaltender Belastung leide.

Im Januar diesen Jahres habe ich eine 5-Wöchige Reha bekommen, die einen großartigen Erfolg bei mir brachte. Ich habe wieder angefangen zu kämpfen. Die Psychologin in der Reha war auch der Ansicht, dass die Sekte hinter dieser ganzen Sache steckt. Wieder Zuhause fing ich eine Therapie bei einer Traumatherapeutin an. Ich bin Anfang 40 und ich gebe nicht auf. Ich möchte das alle wissen wie es in der Sekte wirklich zugeht.

Ich konnte nur einen Bruchteil meines Lebens erzählen und es gab noch viel schlimmer Dinge, die mir hoffentlich eines Tages mit Hilfe meiner Therapeutin einfallen werden.

Ich möchte alle Opfer dazu aufrufen, sich zu outen, damit der ganze Schmutz, die sexuellen Übergriffe und die dreckige Scheinheiligkeit dieser Sekte zum Vorschein kommt. Wenn wir immer alle schweigen, wird es nie anders werden und allen kleinen Mädchen und Jungen geht es genauso dreckig wie es uns gegangen ist. Denkt dran, dass es ganz kleine OPFER gibt die jeden Tag ÜBERLEBEN müssen. Erinnert euch, wie es euch ergangen ist in der Sekte. Tut etwas und schaut nicht zu: es ist nicht aussichtslos zu kämpfen. Nur zusammen ist man stark. Last euch nicht unterkriegen.