Mein Name ist Stephan, und ich hatte schon als Kind in den siebziger Jahren ein großes Interesse an der Bibel. Für mich war sie ein Buch von besonderer Faszination und Ausstrahlung.

Leider war die Bibel, die im Regal stand, noch in Altdeutsch geschrieben und so für mich nur schwer zu lesen. Aber auch das, was ich las, konnte ich manchmal nicht verstehen.

Mehr durch Zufall entdeckte ich dann ein Buch von den Zeugen Jehovas in dem Bücherregal meiner Eltern. Meine Mutter hatte dies vor Jahren einmal geschenkt bekommen. Der Titel des Buches war "Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt" (bei den Z.J. auch später als 'blaue Bombe' bezeichnet, weil hierdurch sehr viele Menschen zur Organisation kamen). Für mich war das damals, Mitte 1978, fast wie eine Erleuchtung. Ich verschlang regelrecht die ersten Kapitel des Buches, wodurch meine Begeisterung immer mehr anstieg und schließlich bei dem Kapitel über die Zeit des Endes ab 1914 und die Zeichen der letzten Tage explodierte. Ein nie bekanntes Gefühl der vermehrten Liebe zu Gott, Jesus und seinem "angeblichen Vorhaben nach der Z.J. Lehre" ließen mich in Tränen ausbrechen. Ich hatte wirklich das Gefühl, hierdurch einen Hinweis, ja, einen Weg zu Gott gefunden zu haben.

Aber von wem wurde das Buch herausgegeben, wer war der Autor? An demselben Abend hatte ich allerdings keine Antwort mehr gefunden und legte mich zu Bett.

Am nächsten Tag, ich war mit meinem Fahrrad unterwegs, entdeckte ich eine ältere Dame, die von 4-5 Kindern umringt auf dem Bürgersteig stand. Als ich an Ihr vorbeifuhr und ein wenig neugierig herüber-schaute, was die Frau wohl den Kindern besonderes zeigte, sah ich zu meinen eigenen Schrecken, daß die Dame dasselbe Buch in den Fingern hielt, das ich gestern Abend gelesen hatte. ... Unglaublich, schoß es mir durch den Kopf. Nachdem ich die ältere Dame angesprochen hatte, und Sie mir voller Begeisterung über meinen Wissensdurst zur heiligen Schrift die Versammlungszeiten usw. mitteilte, war ich überzeugt, daß hier Gottes Hand im Spiel war. Gott wollte mich sicherlich zu sich ziehen ... über diese Frau, zu der angeblichen Christengemeinde, den Z.J. Ich war so aufgeregt, als der Tag der Versammlung näherrückte, daß ich sogar einen Tag zu früh vor dem Königreichssaal stand. Aber dann, eine Tag später, wurde mir die Türe geöffnet, ... ich war das erste Mal im Königreichssaal. Es war beeindruckend, aber auch zugleich befremdend, wie selbstverständlich man mir "dem Anschein nach" aufrichtige Freundlichkeit entgegenbrachte. Ich hatte sogar noch einen Freund mitgenommen, der allerdings nur einmal kam.

Ich hingegen war hin- und hergerissen von dem Fremden und eigenartigen Wortschatz der Menschen, ihrer adretten Kleidung und ihren merkwürdigen Liedern, die mehr an einen Marsch erinnerten als an eine Liebeslied für Christus. Aber egal, irgendwas bewog mich, wiederzukommen und in ein Heimbibelstudium einzuwilligen, der Anfang für jeden, der ein Z.J. werden will - oder auch nicht. Das Bibelstudium wird ja auch offiziell nur dazu durchgeführt, um die Bibel näher kennenzulernen, und das wollte ich doch unbedingt. Denn meine kindliche Liebe zu Gott, insbesondere zu Jesus sollte doch noch viel größer werden.

Ganz geschickt wurden dann biblische Lehren mit der Lehre der Organisation der Z.J. vermischt. Unbemerkt wurde ich immer mehr in den Gedankengängen der Z.J. geschult, ohne zu bemerken, daß das wahre Ziel war, mich zu einem der ihren zu machen, zu einem neuen "fanatischen" Verkündiger. Nach längerem Studium versuchte ich dann noch einmal auszubrechen, zog mich mit der Hilfe meiner Mutter noch einmal zurück, und brach das Studium ab.

Allerdings hatte sich zwischenzeitlich zur Tochter eines angehenden Ältesten eine tiefe Freundschaft entwickelt, aus der dann Liebe wurde. Hierdurch ist der Kontakt zur Organisation nie ganz abgebrochen, und ein unangenehmens Erlebnis etwas später bestätigte für mich erneut, daß die Welt da draußen nur schlecht und verkommen sei. Also ging ich wieder in den Königreichssaal und studierte im Sinne der Z.J. erneut die Bibel anhand der Bücher und Zeitschriften der Z.J. Aber da ... Mein offizielles Zurückkehren in die Versammlung wurde nicht von allen gutgeheißen. Ich erlebte das erste Mal, daß es auch hier so etwas wie Neid, Mißgunst und Gleichgültigkeit gepaart mit Abneigung gab.

Aber mein Blick war zu der Zeit durch die Liebe zu der Tochter des angehenden Ältesten getrübt, und außerdem sind wir ja alle unvollkommen. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, dachte ich mir ... ich dachte, du mußt positives Denken entwickeln. Nun ja, ich hatte dann vor, mich im nächsten Jahr, nämlich 1983, sowohl taufen zu lassen, als auch den Bund für die Ehe zu schließen, denn ich kannte die Tochter des ang. Ältesten nun schon Jahre, und wir wollten auch irgendwie wann mal ganz zusammen sein, auch sexuell.

Allerdings war es noch gut ein 3/4 Jahr bis zur Taufe und fast noch ein Jahr bis zur Hochzeit. Da ich noch nicht getauft war, durfte ich dann plötzlich nicht mehr im Saal neben meiner Zukünftigen sitzen. Ich erinnere mich noch, wie ein Bruder später weinend zu den Ältesten ging, er hätte gesehen, wie meine zukünftige Frau auf meinen Schoß gesessen hätte, und wir Händchen hielten. Hiernach ermahnte man uns eindringlich, wobei man mir durch mein "schlimmes" Verhalten vorhielt, daß ich daran Schuld sein könnte, daß der Vater meiner Frau kein Ältester werden wird, wenn das nochmals vorkommt. Nach 3-4 Monaten erkannte man aber, daß sowohl meine Frau als auch ich an dieser Situation fast zerbrachen, und man erlaubte uns dann die Verlobung, obwohl ich noch nicht getauft war (meine Frau war schon seid 1975 getauft).

Endlich kam ein wenig Entspannung auf.

Einige Jahre vergingen dann auch ganz im Sinne der Organisation. Wir beide waren felsenfest in der sogenannten Wahrheit, ja, wir erwägten sogar den Vollzeitdienst für Jehova. Hin und wieder hörte man schon mal von großen Vergehungen der Brüder und Schwestern, überhaupt war das Tuscheln übereinander ein gern geübter Freizeitsport.

Geschäftlich arbeitete ich inzwischen mit meinem Schwiegervater zusammen, der mittlerweile als Ältester glänzen durfte. So gegen Ende der 80er Jahre, Anfang der 90ern, kamen die ersten Zweifel, genährt durch das unchristliche private Verhalten meines Schwiegervaters, dessen Lügerei und seinen unehrlichen vertragsbrüchigen Machenschaften. Ich spürte auch immer mehr die Kälte in der Versammlung, und daß Anspruch und Wirklichkeit sehr weit auseinanderlagen. Hinzu bekamen wir Nachwuchs, etwas, wofür wir meist nur Verachtung der Brüder und Schwestern erhielten. Das zweite Kind ließ dann auch nicht mehr lange auf sich warten, und nun kamen verständlicherweise die ersten Unregelmäßigkeiten im Dienst und den Versammlungsbesuchen auf. Jetzt bekamen wir die wahre Liebe der Z.J. zu spüren. Kalte Schultern, Spott und Gleichgültigkeit mit Vorwürfen gepaart. Hilfe ... daran war nicht zu denken. Wer sich die Probleme (Kinder) selbst anschafft, muß damit auch selbst fertig werden.

Wir mußten uns Beispiele anhören, wie Superbrüder/Schwestern mit 4 oder mehr Kindern nie unregelmäßig wurden und alles alleine schafften, ja, sogar noch in machen Monaten Hilfspionier machten. Man machte auch keinen Hehl daraus, das soziales Engagement ganz unüblich ist für Z.J.! Erst mal die weltlichen Verwandten. Seltsam nur, daß die "Weltlichkeit" der Verwandtschaft plötzlich keine Rolle mehr spielte. Wo waren nur die ganzen Mütter, Väter, Brüder und Schwestern, die Jesus hundertfach versprach, wenn wir für ihn alles aufgeben würden?! Konnte es vielleicht sein, fragten wir uns, daß Jesus gar nichts mit den Z.J. zu schaffen hatte? Uns lief ein SCHAUER über den Rücken.

Zwischenzeitlich kapselten sich auch die Eltern meiner Frau von uns ab. Dies paßte nicht in Ihr Weltbild. Sie wollten auf keine Fälle mit Problemen belastet werden. Und mit Kindern bzw. Baby&acutes, die nur schreien und nur Arbeit machen ... nein, dann doch lieber Predigtdienst (den kann man ja auch am Monatsende berichten ... Gummipunkte sammeln für das Paradies).

Aber auch geschäftlich mußte ich schwere Rückschläge einstecken. Mein Schwiegervater nutzte seine starke Position in der Versammlung aus. Er unterschlug z.B. eine hohe Geldsumme, die seiner Tochter (meiner Frau) zustand, und durch seine starke und unsere jämmerliche Position - von der Seite der aktiven Z.J. betrachtet - hatten wir keine Chance, dagegen anzutreten. Mann hatte uns einfach keinen Glauben mehr geschenkt, wir waren in den Augen der Z.J. eh schon so gut wie abgefallen. Nur so einfach konnten w i r uns das nicht machen. Nächte ohne Schlaf und Selbstvorwürfe, ob wir vielleicht doch vom Satan beeinflußt waren, kamen in uns hoch. Nach einiger Zeit entschloß ich mich dazu, die gesamte "Wahrheit" (so bezeichnen sich die Z.J. selbst) nochmals zu überprüfen. Diesmal allerdings nicht einseitig sondern von beiden Seiten. Nach mehreren gescheiterten Anlaufversuchen, wir hatten nämlich Angst davor, das zu lesen, erwarb ich das Buch "Der Gewissenskonflikt", ein Buch eines ehemaligen Mitgliedes der leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas.

Hiernach lasen wir noch andere Publikationen, die aber alle genau das bestätigten, was wir schon längere Zeit vermutet hatten.

Die ganze Organisation der Zeugen Jehovas hat nur sehr wenig mit Gott und Christus zu tun. Überwiegend werden nur Halbwahrheiten vermittelt, die leider zuerst einmal den Anschein vermitteln, es handelt sich um die ganze Wahrheit. Wir mußten leider auch schmerzlich erkennen, daß es dort keine echte Liebe gab, es gab Sympathien in kleinen Gruppen untereinander, also die, die es besonders gut miteinander konnten, aber alle anderen waren allein, denn sie durften ja keine "weltlichen Freunde" haben. Es gab keine soziale Bande, keine Seelsorger, keine Luft mehr zum atmen. Die ganze Lehre kippte beim Hinterfragen wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Was zurück blieb, war tiefe Enttäuschung über verlorene Jahre und wegen vielen falschen Handlungen gegenüber Menschen, die man aufgrund der Doktrin der Gesellschaft als richtig empfunden hatte. Mitte 1992 besuchten meine Frau und ich zum letzten Mal die Versammlung der Zeugen Jehovas. Leider sind die Jahre der aktiven Zeit bei den Z.J. an uns nicht spurlos vorüber gegangen. Die Wunden, die uns beigefügt wurden, heilen nur schlecht. Zu tief war ich im Herzen mit der "Wahrheit" verbunden. Auch heute noch ist dieses Loch nicht ganz geschlossen. Obwohl wir vieles unternommen haben, um einen erneuten Anschluß an andere Christen verschiedenster Richtungen zu finden, ist die kindliche Liebe zu Gott und zu Christus erloschen geblieben. Diese Liebe, die mich damals dazu veranlaßt hatte, den Kontakt mit den Zeugen Jehovas zu suchen, wird wohl für immer verloren sein. Deshalb schrieb ich diese Seiten, um Dich oder auch Dich vor diesen Dingen zu warnen, denn eine Heilung ist manchmal nicht mehr möglich.