Eine Menge Leute, die ich im Internet angetroffen habe, haben die Wachtturm-Gesellschaft verlassen, weil sie in verschiedenen Lehrpunkten anderer Meinung waren. Meine Geschichte ist mehr persönlich.

Ich ging aufgrund meiner Erfahrungen als jemand, der in der Wahrheit aufgewachsen war und meiner Erfahrungen als Erwachsene.

Gibt es draußen jemanden, der dies liest und etwas damit anfangen kann? Ich hoffe, du kannst Trost aus der Erkenntnis erhalten, daß du in dem, was du durchgemacht hast, nicht alleine bist. Ich weiß, daß es so ist. Ich bin all denen sehr dankbar, die sich freundlicherweise mit mir unterhalten haben, und besonders Philia, deren Mitglieder mir geholfen haben, eine Menge über das zu lachen, was innerhalb der Organisation vor sich geht.

Ich wurde seit meinem fünften Lebensjahr in der Wahrheit erzogen, und das, woran ich mich als aufwachsendes Zeugenkind am meisten erinnere, ist, wie ungemütlich und einschränkend meine Erziehung war. Meine Mutter ist in der "Wahrheit" und mein Vater nicht, aber er stimmt mit vielem überein, was gesagt wird. Meine Mutter ist eine der intolerantesten und rigidesten Personen, die man sich vorstellen kann, und diese Art von Persönlichkeit gemischt mit dem Dogma der Wachtturm-Gesellschaft verheißt nichts Gutes.

Ich hatte KEINERLEI Freiheiten zu Hause ... nicht zu denken was ich wollte, nicht zu sagen, was ich wollte; und meine Eltern warteten immer darauf, mich wegen Fehlern herunterzumachen. Die Regeln für Kleidung und Betragen waren sehr strikt, und weil mein Vater nicht in der "Wahrheit" war, waren die Zeiten vor Kongressen immer sehr stressig. Meine Mutter ging mit zusammengekniffenem Mund durchs Haus und machte Wochen im voraus einen entschlossenen Eindruck. Ich HASSTE es, zu den Zusammenkünften im Königreichssaal gehen zu müssen, der 45 Minuten Autofahrt entfernt war ... meine Mutter ging dann keifend umher, und ich war Sonntagmorgens immer sehr nervös und aufgebracht. Erinnert sich von euch jemand daran, es mit einem entzündeten Hals oder einem verstimmten Magen versucht zu haben, so daß er zu Hause bleiben konnte? Bei den seltenen Gelegenheiten, die ich zu Hause blieb, war ich für den Tag in meinem Zimmer eingesperrt, selbst wenn ich wirklich krank war -- für die "Sünde", die Zusammenkunft verpaßt zu haben. Doch die schlimmste Zeit war, als ich mit 14 Jahren eine Mononukleose bekam ... meine Mutter SCHRIE mich an und ließ mich zu JEDER Zusammenkunft gehen, bis ich in der Mittagspause der Schule zum Arzt ging, wo sie ihm sagte, ich sei nur ein Hypochonder, bis die Bluttestergebnisse kamen. Ich war SEHR krank und mußte zwei Wochen das Bett hüten und danach noch zwei Wochen von der Schule zu Hause bleiben.

Das war, als die ersten ernsthaften Zweifel auftauchten. Ich muß nicht extra sagen, daß ich ein SEHR rebellischer Teenager war ... Mit 17 Jahren ging ich von zu Hause weg und hörte auf, zu den Zusammenkünften zu gehen. Ich hatte mein erstes Kind mit 20 und heiratete mit 21. Zwei Monate nach meiner Hochzeit fing ich wieder an, zu studieren [Anm.d.Übers.: Gemeint ist ein "Bibel"studium mit Jehovas Zeugen], und zwei Jahre später (1989) wurde ich getauft. Es war SEHR schwer für meinen Mann. Er dachte, er bekomme eine "normale" Frau, und nun entwickelte ich mich zu einer auf die Bibel schlagenden und an Türen klopfenden Frau. Keine Feiertage, NICHTS.

Vom ersten Tag an hatte ich einen Kampf mit der "Wahrheit". Ich bin eine ausgesprochen gebildete Frau. Ich arbeite (was mich wie einen entzündeten Daumen von den anderen "Schwestern" abhob), und ich lebte in einem geteilten Haus. Aber ich dachte, das sollte so sein ... und unterbewußt denke ich, ich wollte immer noch meine Eltern zufriedenzustellen. Die Dinge zwischen uns waren immer auf wackeligem Boden, und damit, daß ich keine Zeugin war, war niemandem geholfen.

Die Gesellschaft spricht viel von "Liebe unter den Brüdern" als einem der Zeichen, die einen Christen ausmachen, aber ehrlich gesagt, ich sah nicht viel davon. In JEDER der vier oder fünf Versammlungen, in denen ich war. Was ich sah, waren eine Menge Konkurrenzkampf unter den Schwestern und LÄCHERLICHE Vorschriften über Kleidung, Makeup usw. Bei manchen Ältesten war das schon fast ein Zwang, wenn die Frauen in der Organisation manchmal fast zu Sündenböcken gemacht wurden. Der Himmel stehe euch bei, wenn ihr Schwestern seid und einen schweren Fehler begeht. Was mich auch verrückt machte, war die Aufmerksamkeit, die man den Stunden im Dienst und dem Versammlungsbesuch schenkte. Offenbar zählten die Leute in der Versammlung mit, wie viele Zusammenkünfte jemand versäumte, und wenn sie meinten, es würden zu viele, wurde man als schlechte Gesellschaft "bezeichnet gehalten". Man sagte nichts öffentlich und auch niemandem offen ins Gesicht, dafür sorgte dann schon bald die Gerüchteküche.

Der Zusammenbruch kam für mich mit der Geburt meiner Zwillingssöhne im September 1994 und dem Anfang vom Ende meiner Ehe. Ich ging in meiner großen Not mehrfach zu den Ältesten, damit sie mir halfen, aber es wurde mir nur gesagt, ich solle "weiter meine Last tragen". Im Grunde genommen würde ich brüsk und ohne jede Hilfe oder Ermunterung abgewiesen. Ich fand, wenn man nicht eine "Schwester Pionierin" oder ein "Bruder Ältester" ist und alle Angehörigen und Kinder wie die Roboter für die Gesellschaft handeln, wird man als Problem oder persona non grata angesehen.

Ich habe die Gemeinschaft verlassen ... keine großen Ankündigungen ... ich bin einfach nicht mehr hingegangen. Aber ich dachte IMMER NOCH, das sei Gottes Organisation und sie habe in allem RECHT. Ich schrieb Kent eines Tages sogar einen häßlichen Brief auf seine E-Mailseite im Net. (Ich wußte von den Netsites über Jehovas Zeugen von meinem Vater, der mir spaßeshalber sagte, ich würde dort ja doch nie nachsehen.)

Dann traf ich auf Jan und Kirsten und begann, mit Herz und Verstand zuzuhören. Was die Websites für mich getan haben, ist, mir ein für allemal die Löcher und Widersprüche in den Wachtturm-Lehren zu ZEIGEN. Ich möchte jeden, der Zweifel an der Organisation und ihren Lehren hat, ermuntern, sich GENAU anzusehen, was da gelehrt wird, und zu hören, was Leute wie Kent, Jan und Kirsten zu sagen haben. Philia war einfach mein Rettungsanker. Ich sage oft nicht viel, aber ich lese ALLES, und das läßt mich nachdenken.

Ich denke, eine ganze Menge Leute, die die Wachtturm-Gesellschaft verlassen, gehen nur physisch, aber sich seelisch freizumachen, ist etwas anderes. Die seelische Schuld und Qual kann überwältigend sein. Diese Websites und Gruppen wie Philia helfen einem, die Dinge für einen selbst zu klären, und befreien sowohl geistig wie seelisch aus dem langen Schatten des Wachtturms. Und dafür bin ich sehr dankbar.