CESNUR bezeichnet sich als "Zentrum für das Studium neuer Religionen". Eine harmlose Beschreibung, deren wahre Bedeutung erst klar wird, wenn man einen Blick auf die Homepage dieser in Turin ansässigen Organisation wirft.

Dort findet man nämlich so ziemlich alle Namen, die in der internationalen Sektenszene von Bedeutung sind. Die Zeugen Jehovas eingeschlossen. Daß dies kein Zufall ist, zeigt das Programm einer Konferenz, zum der neben Wachtturm-PR-Chef James N. Pellechia auch die Wachhturm Anwälte Carolyn R. WAH aus Patterson (dem neuen Führungssitz der WTG) und Alain Garay aus Paris anreisen werden.

Alain Garay spielt offensichtlich eine bedeutende Rolle, wenn es um die Vertretung der Interessen der Wachtturm-Gesellschaft [kurz: WTG] in Europa geht. Er wird beispielsweise in der Pressemitteilung der WTG zum Thema Bulgarien erwähnt. Antwältin Wah ist besonders Zeugen Jehovas in den USA bekannt, die in Rechtsstreitigkeiten über das Sorgerecht verwickelt sind (eine Aufgabe für die die WTG in Deutschland Anwalt Pikl auserkoren hat). Auch Jerry Bergman, der sich in den USA für die Aufklärung über die WTG verdient gemacht hat, wurde bereits in gerichtliche Auseinandersetzungen verwickelt, in denen Wah die Gegenseite vertrat.

Interessant ist noch ein weiterer Zusammenhang: Als amerikanische Vertretung gibt CESNUR ein Institute for the Study of American Religion in Santa Barbara/Kalifornien an. Die angegebene eMail-Adresse verweist auf J. Gordon Melton, eine Person, die in den USA für ihre erklärte Pro-Sekten-Haltung bekannt ist. Zum Beispiel hielt Melton die Zeugen Jehovas für völlig harmlos und erklärte sogar, daß man die für ihren Massenmord in Jonestown bekannte Sekte nicht als solche bezeichnen könne.

Auch war Melton der Autor, der einen Verriß des Buches Blood on the Altar von David A. Reed in einem amerikanischen Newsletter für Buchhändler veröffentlichte. Gleichzeitig ist er Autor von erklärten Pro-Sekten-Büchern wie "Children of God/The Family", "The Church of Scientology" und "Ramtha's School of Ancient Wisdom".

Auch im Programm der bereits zwölften internationalen Konferenz von CESNUR ist Gorden zu finden. Sie findet vom 10.-12. Sptember 1998 in Turin statt und trägt den Titel:  "Religiöse und geistige Minderheiten auf dem Weg ins 21. Jahrhundert".

Ein Blick auf das Programm verrät schnell, wofür CESNUR eintritt. Da wird zum Beispiel über die Mission von Baha'i berichtet, die Internationalisierung der japanischen Sekte Soka Gakkai, die Celestial Church of Christ, Ramtha's Schule Alter Weisheit, Transzendentale Meditation, die Damanhur-Bewegung und die starke Expansion der Sekten im baltischen Raum. Doch auch die Strategien von Anti-Sekten-Organisationen werden analysiert. Einen besonders breiten Raum nehmen jedoch die Themen rund um Esoterik und New-Age ein.

Ein kompletter Themenkomplex ist auch den Mormonen gewidmet, in deren "Hauptstadt" Salt Lake City es praktischerweise gleich eine CESNUR-Vertretung gibt.

Unter dem Stichwort Zeugen Jehovas werden gleich drei Themen angekündigt: Unter dem Titel "Jehovas Zeugen: Soziologische und rechtliche Perspektiven" geht es um Zeugen Jehovas im Litauen des 20. Jahrunderts. Der bereits erwähnte Rechtsanwalt Alain Garay aus Paris spricht über "Die Bulgarischen Zeugen Jehovas und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte." Das Thema von Rechtsanwältin Carolyn R. Wah lautet "Jehovas Zeugen. Muster und Trends im Verhältnis zu den öffentlichen Autoritäten". Dazu wird die Anwesenheit von James N. Pellechia von der WTG in Brooklyn, USA und Gajus Glockentin von der WTG in Selters, Deutschland angekündigt.

Bei CESNUR handelt es sich um eine international operierende Organsiation, die sich besonders den Interessen kleiner religiöser Bewegungen verschrieben hat. Dabei betont man den wissenschaftlichen Anspruch und sieht sich als Netzwerk unabhängiger Organisationen von Wissenschaftlern in unterschiedlichen Ländern, die sich mit Untersuchungen über die Entwicklung eines neuen religiösen Bewußtseins beschäftigen. Die auch schon als "Kartell der Sekten" bezeichnete Organisation wurde 1988 gegründet und bestand damals vorwiegend aus katholischen Wissenschaftlern. CESNUR International mit Sitz in Turin, Italien, wird vorwiegend von öffentlichen Geldern finanziert und sieht sich als politisch und religiös neutral.

Wer die auf der Website von CESNUR veröffentlichten Berichte ansieht, kann sich aber nicht dem Eindruck erwehren, daß es mit dieser Neutralität nicht allzu weit her ist. Die angebotenen Dokumente sind ausnahmslos im Interesse der jeweiligen Sekten geschrieben. Pauschale Kritik wird jedoch an den Medien und an Sektenberatungsstellen geübt. Auch die offizielle deutsche Position zu Scientology wird verurteilt. Dahingegen wird der Zusammenbruch des amerikanischen Cult Awareness Networks (das von Scientology zu Tode geklagt wurde und heute ironischerweise selbst zu Scientology gehört) positiv bewertet. Auch wird geleugnet, daß es bei Sekten Dinge wie Gehirnwäsche und massive Einflußnahme auf die Persönlichkeit, die persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten und die Entscheidungsfreiheit der Mitglieder gäbe.