Steven Hassan über Ausstiegsberatung und Möglichkeiten, sich vor Kulten zu schützen

Wie können Sie Leute, die seit drei, fünf oder zehn Jahren in einem Kult sind, dazu bewegen auszusteigen?

Bewußtseinskontrolle teilt die Persönlichkeit einer Person und schafft eine Kultidentität, die die eigene Persönlichkeit unterdrückt. Aber die eigene Persönlichkeit ist trotzdem noch da.

Ich versuche, Zugang zur realen Persönlichkeit dieser Menschen zu finden. Ich versuche, sie dazu zu bringen, daß sie Zweifel äußern, daß sie Fragen stellen, ihre Erfahrungen mitteilen und versuche, ihnen zu helfen, sich selbst zu helfen.

Ich versuche nicht, sie zu überreden auszusteigen, ihnen irgend etwas wegzunehmen oder sie zu täuschen. Ich versuche, ihnen zu helfen, um sich weiterzuentwickeln und glücklich zu werden.

Indem ich ihnen eine Reihe von Fragen stelle, mit ihnen Artikel über die Gruppe durchlese und Videofilme anschaue, versuche ich, sie zu öffnen, um mir und ihnen selbst zu erzählen, was wirklich in der Gruppe vorgeht. Denn ich glaube, sie alle ahnen, daß irgend etwas mit der Gruppe nicht stimmt. Ein Teil der Mitglieder fühlt sich eingezwängt und sehr unglücklich und möchte glücklich sein, geschätzt werden, kreativ sein und Karriere machen.

Ich versuche, ihre Gedanken, ihre Gefühle und ihre Handlungen nachzuvollziehen und sie dazu zu bringen zu erkennen, daß es verschiedene Sichtweise gibt. Wenn Sie Kultmitglied sind, können Sie sich kein Bild davon machen, außerhalb der Gruppe glücklich zu sein. Aber einen glücklichen Menschen zu treffen, der in der Gruppe war, verhilft zu solch einem Bild. Damit kann die Phobie vor einem Ausstieg geheilt werden. Damit nehme ich im Prinzip die „Gitter“ weg und frage: „Was willst du machen?“ Und: „Glaubst du, daß es möglich ist, die Gruppe zu verlassen und glücklich zu sein?“ Und wenn sie „nein“ sagen, kann ich ihnen eine Reihe von Fragen stellen wie etwa „Glaubst du, eine andere Gruppe zu verlassen und glücklich zu sein?“ Und sie sagen: „Ja!“ Dann erkläre ich, was Phobie ist und wie andere Gruppen - nicht ihre Gruppe - diese Ängste erzeugen. Es ist ein Prozeß, sie erkennen zu lassen, daß ihre eigenen Erfahrungen ähnlich sind, wie die anderer Kultmitglieder. Sie sind gar nicht so verschieden.

Wenn Sie bei Scientology sind und Sie effektiver in Ihrem Leben sein möchten, und Sie erkennen, daß das, was Sie tun, weniger effektiv ist, gibt es keinen Grund mehr für Sie zu bleiben. Als ich Munie wurde, dachte ich, ich würde Gott folgen und die Welt verbessern, aber ich begriff, daß ich selbst in fünfzig Jahren bei den Munies die Welt nicht verbessern könnte. Im Gegenteil: Ich verschlechterte die Welt. Und in dem Moment, als mir das klar wurde, wollte ich damit nichts mehr zu tun haben. Sie sehen, als Kultmitglied hatte ich dieses Bild im Kopf, wie Jesus Christus der Welt von Gott zu erzählen, aber die Welt wollte damit nichts zu tun haben. Ich dachte, die Christen wären ein Kult, Scientology wäre ein Kult, die Kinder Gottes wären ein Kult, nur ich war nicht in einem Kult.

Wie wird Angst in einem Kult erzeugt?

Es werden immer Horrorbilder aufgebaut, die sehr nützlich sind, Ängste zu kreieren. Wenn Sie ein richtiges Drama in Ihrem Leben hatten, z.B. jemanden sterben zu sehen, ist es einfacher, Sie ängstlich zu machen. In meinem Fall war es so, daß uns Mun den Film „Der Exorzist“ zeigte, der 1974 herauskam. In diesem Film wird ein Mädchen von Satan besessen. Wir sahen den Film und danach sagte uns Mun, daß uns das gleiche passieren würde, wenn wir die Vereinigungskirche verlassen würden. Und ich glaubte ihm. Ich glaubte nicht an Satan, bevor ich zu den Munies kam. Aber nach zwei Wochen befürchtete ich, meine Familie wäre von Satan besessen.

Wie können Eltern und Freunde erkennen, daß jemand Mitglied in einem Kult ist?

Üblicherweise bemerken sie einen grundlegenden Persönlichkeitswandel. Das kann sehr verwirrend sein, weil sie manchmal zunächst positive Veränderungen erkennen können. Daß jemand, der schlampig, nachlässig und unordentlich war, gründlich und ordentlich wird, oder daß er überhaupt nicht religiös war und nun sehr religiös ist, oder daß er Drogen nahm und dann aufhört, Drogen zu nehmen. Sehr oft denken Familien, daß es eine gute Sache sei, aber sie können genauso negative Dinge bemerken: Daß jemand zu lügen anfängt, immer mehr Zeit weg ist, ohne zu sagen, wo er ist, viel Geld ausgibt, oder er kann versuchen, jeden möglichen in den Kult zu bringen. Aber man kann auch eine Sprache hören, die man von der betreffenden Person vorher nie hörte.

Wie kann ich verhindern, an einen Kult zu geraten?

Seien Sie nicht arrogant. Denken Sie nicht, es könnte Ihnen nie passieren. Das war das Problem, das ich hatte. Als ich merkte, daß die Munies mich angelogen hatten, sprachen sie mein Ego an. Sie sagten: „Was ist los, Steve? Hast du Angst?“ Ich wollte nichts davon wissen, daß ich Angst hatte, weil ich dann in der Nacht schreiend davon hätte laufen sollen, aber ich tat es nicht, weil ich stark sein wollte.

Wenn Sie Kontakt mit einer Gruppe haben, sollten Sie viele Fragen stellen, aber nehmen Sie nicht an, daß die Antworten korrekt sind. Überprüfen Sie die Antworten, falls es möglich ist. Achten Sie auf die Unterschiede zwischen dem, was sie behaupten und dem, was sie tatsächlich machen. Möglicherweise sagen sie, daß sie den Armen und Heimatlosen helfen wollen, aber wenn Sie genau hinschauen, tun sie das nicht. Oder sie sagen, daß sie an der Wahrheit interessiert wären, aber sie lügen. Meiner Meinung nach verliert jede Gruppe, die lügt, ihre Glaubwürdigkeit. Als mir klar wurde, daß mich die Munies angelogen hatten, war mein Fehler, die einzelnen zu beschuldigen und nicht auf die gesamte Gruppe zu schauen.

Wenn Sie an einem Vortrag oder sonstigem interessiert sind, sollten Sie mit einem Freund gehen, und wenn die Gruppe versucht, Sie von Ihrem Freund zu trennen, sollte es ein Warnsignal sein, und Sie sollten sofort gehen. Mit jeder Gruppe, die versucht, Sie von Ihrer Familie und Freunden zu isolieren, ist etwas nicht in Ordnung. Und wenn Sie Fragen stellen, sollten Sie sichergehen, daß sie direkt beantwortet werden. Wenn Sie fragen: „An was glauben Sie?“ und sie sagen: „Oh, kann ich Ihnen nicht sagen, das müssen Sie selbst erfahren!“, sollte das ein großes Warnsignal sein! Oder auch, wenn es ihnen zu komplex ist, es zu erklären, sollten Sie sofort gehen, weil irgend etwas nicht stimmt. Fragen Sie, ob es irgendwelche Neben-, Tarn- und Unterorganisationen gibt und wer der Meister ist und welche Vergangenheit er hat.

Es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt: Wenn man sagt, es stimme etwas mit Ihnen nicht, sollten Sie gehen. Sie fragen z.B. „Ist es wahr, daß Hubbard eine kriminelle Vergangenheit hat?“ oder so etwas, und die Antwort darauf ist: „Bist du jemals verdächtigt worden?“ - anstatt die Frage zu beantworten! Denn nicht Sie stehen zur Diskussion, die Gruppe steht zur Diskussion! Sie muß Beweise bringen, denn sie macht Versprechungen. Sie sagt, daß sie etwas hat, das besser ist als alles anderes, sie behauptet, daß sie etwas sehr Wertvolles hat, in das Sie Ihre Zeit, Ihre Energie und Ihr Geld stecken sollen. Also muß sie beweisen, wie gut sie ist. Es ist nicht Ihre Aufgabe, das zu widerlegen. Und wenn die Gruppen sagen: „Oh nein! Das müssen wir nicht beweisen“, sage ich, daß es mindestens 3.000 Gruppen gibt, die behaupten, den wahren und großen Meister aller Zeiten zu haben. Wenn einer von ihnen tatsächlich der große Meister wäre, würde die Wahrscheinlichkeit 1:3.000 betragen, an den wahren Meister beim ersten Versuch geraten. Also sollten Sie sagen: „Es gibt all die anderen Leute, die ähnliches versprechen, deshalb müssen Sie mir belegen, wie sehr Ihr Führer über den anderen steht!“

Es ist auch interessant, auf die Mitglieder zu schauen, die schon 10, 15 oder 20 Jahre lang dabei sind. Schauen Sie, wie sie leben! Denn normalerweise sind die Versprechen, Geld zu haben, Macht zu haben und alles Mögliche machen zu können. Der Anspruch ist auch, auf jede Frage eine Antwort zu haben, aber sie haben keine Antwort. Wenn Sie die von ihnen gestellten Fragen und die Antworten dazu akzeptieren, gibt es Ihnen die Illusion, daß man auf jede Frage eine Antwort hat. Aber wenn Sie einmal darüber nachdenken, was sie sagen, bemerken Sie alle möglichen Widersprüche.

Wenn Sie wissen, daß Sie durch schwere Zeiten gehen - damit meine ich eine stressige Zeit, wenn jemand gestorben ist, Sie krank sind oder eine Beziehung gebrochen ist, Sie in eine fremde Stadt ziehen oder etwas ähnliches - seien Sie nicht so stolz zu glauben, daß Ihnen so etwas nicht passieren könnte. Halten Sie sich an Ihre Familie und Freunde, und nehmen Sie ihre Unterstützung und ihren Rat an. Sie sollten sich von einer Gruppe nicht unter Zeitdruck setzen lassen, denn wahre Freunde geben sich Zeit, sich zu entwickeln.

Es ist schön, verschiedene Sichtweisen kennenzulernen und offen dafür zu sein, aber man sollte sich im klaren darüber sein, daß sehr intelligente Leute Opfer solcher Gruppen wurden.

Ich sage auch jungen Leuten immer, nicht ihre ganze Lebensgeschichte jemandem zu erzählen, den sie gerade kennengelernt haben, denn damit geben sie ihm die nötigen Voraussetzungen, sie zu manipulieren, sofern er ein solches Motiv hat. Aber die Hauptsache ist es, ein guter, kritischer Konsument zu sein und nicht gleich das erstbeste Produkt zu kaufen, das von einem hübschen Mädchen angeboten wird.