Die Kinder sagten dann zu mir: Sind wir froh, dass wir zweimal sonntags nicht mehr in die Gottesdienste müssen und stillsitzen müssen, und sie haben diese Freiheit letztendlich sehr genossen.

Susanne Scharra: Dazu passt eine Anregung eines Hörers, der selber Arzt ist, der auch erlebt hat, wie schwierig es ist für Kinder, wenn sie in solchen Sekten gross werden und wirklich ihr ganzes Leben darauf eingerichtet ist und sie praktisch auch keinen Umgang, keinen normalen, zu eben anderen Kindern pflegen dürfen. Ein anderer Hörer fragt: Glauben Gurus eigentlich selber daran, was sie verkünden? Nehmen wir jetzt einmal Herrn Siebel. Herr Lemhöfer, glauben Sie, so jemand glaubt das, was er seinen Menschen verkündet?

Lutz Lemhöfer: Nach meinem Eindruck: Ja. Das mögen zum Teil recht narzistische Menschen sein, die ja ihre eigene Person damit auch sehr aufbauen. Aber irgend welche cleveren Geschäftemacher, die finden wir, glaube ich, eher bei den Strukturvertrieben und weniger bei den wirklichen Sekten oder Gurubewegungen.

Susanne Scharra: Die Telefone klingeln bei uns heiss. Ich habe es eben schon gesagt; es gibt unglaublich viele Fragen. Zum Beispiel: Was ist 'Unitaria'? Was ist die Freikirche? Wir können hier jetzt gar nichtv alles im einzelnen beantworten. Ich würde nur an dieser Stelle vielleicht Ihre Telefonnummer schon mal weitergeben wollen: Lutz Lemhöfer, Weltanschauungsbeauftragter der Katholischen Kirche in Frankfurt. Das ist die 069 – 1501149. Nochmal: 069 – 1501149. Sie stehen Leuten zur Verfügung, die mehr wissen wollen. Wir haben das ganze aber auch noch in unserer Info-Faxnummer aufgenommen. Die sage ich zum Schluss der Sendung, dann geht ja nichts verloren. – Herr Lemhöfer, was sind denn die ersten Anzeichen, auf die man als Angehöriger achten sollte, wenn Leute drohen, in eine Sekte irgendwie hineinzugeraten?

Lutz Lemhöfer: Wenn jemand sich sehr deutlich verändert und geheimniskrämerisch damit umgeht, warum das so ist. Das ist zwar gar nicht immer der Fall. Manche erzählen auch und werben selber sehr missionarisch für diese neue Gruppe, auch in ihrem persönlichen Umfeld. Aber wichtig ist, dass man im persönlichen Gespräch bleibt, dass man über solche Veränderungen frühzeitig mit einander redet. Frühzeitig sind Betroffene meist auch noch bereit, kritische Information von aussen wahrzunehmen. Wenn sie erst stärker in den Kult involviert sind, dann nicht mehr. Dann ist das alles entweder 'Journalistengeschwätz' oder 'die bösen Kirchen' versuchen, ihre Schäfchen mit dem Lasso festzuhalten. Dann wird kritische Information nicht mehr aufgenommen.

Susanne Scharra: Herr Stoffel, der Ausstieg ist ein schleichender Prozess. Sie haben gesagt, das hat bei Ihnen etwas länger gedauert. Sie haben auch eine Selbsthilfegruppe gegründet. War das so zu sagen Ihre Chance, da rauszukommen?

Dr. Olaf Stoffel: Ja, die Selbsthilfegruppe war der Weg, letztendlich mich innerlich zu distanzieren von der Neuapostolischen Kirche. Unsere Gruppe besteht seit vier Jahren, und da habe ich viel dazu gelernt, dass es anderen Menschen genau so ging wie mir, dass sie ähnliche Prozesse absolviert haben, das war sehr tröstlich, und letztendlich hat es dazu geführt, dass ich mich innerlich loslösen konnte, auch von diesem drohenden Gottesbild, das mir vermittelt worden ist.

Susanne Scharra: Also auch Selbsthilfegruppen können helfen, dass man den Weg findet aus der Sekte heraus. Herr Lemhöfer, auch da haben Sie sicherlich Adressen. - - Der Ausstieg aus der Sekte, wie ein Drogenentzug schwer zu schaffen. Aber es ist zu schaffen! Nachzulesen unter anderem in den Büchern von Olaf Stoffel. Das eine Heisst: ANGEKLAGT: DIE NEUAPOSTOLISCHE KIRCHE. Das andere: DER GRIFF NACH DER SEELE – WEGE AUS RELIGIÖSER ABHÄNGIGKEIT. Ihnen, Olaf Stoffel, vielen herzlichen Dank. Dank auch an Lutz Lemhöfer, Weltanschauungsbeauftragter der Katholischen Kirche, dass Sie hier mit uns diskutiert haben.

(Musik)

Das war Thema <<LEBEN HEUTE>> über den Griff nach der Seele, die Faszination von Sekten. Alle wichtigen Informationen, Adressen, Telefonnummern und Literatur zum Thema haben wir immer in unserem HR 1 – Informations – Fax zusammengestellt. Die Nummer ist069 für Frankfurt und dann 234234123411. Nochmal: 069 für Frankfurt, 234234123411. Am Mikrophon war Susanne Scharra. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Tschüss.

Quelle: Hessischer Rundfunk, HR 1, 26.6.2000