Aber nur wenige wissen, dass der Gründer der religiösen Sekte Charles Taze Russell heisst und dass das deutsche Zentrum in Hessen liegt, genauer, im Taunusort Selters. Zwölfhundert Menschen arbeiten dort. Was glauben die 'Zeugen Jehovas' und worin unterscheiden sie sich von anderen? Das wollten wir wissen. Und so hat Andreas Sieger die 'Zeugen Jehovas' in Selters besucht.

Sprecher der 'Zeugen Jehovas': Wir unterscheiden uns von unseren Mitmenschen eigentlich in ganz, ganz wenigen Punkten. Jeder, der sein Leben auf vernünftige Weise führt und auch auf normale Weise führt, der könnte auch 'Zeuge Jehovas' sein. Und wenn man die Unterschiede sieht: Sie sind im Predigtwerk, weil, normalerweise, wer geht wie 'Jehovas Zeugen' von Tür zu Tür. Die Unterschiede bestehen in der Frage der politischen Neutralitär. Die Unterschiede bestehen in der Frage des Erkennens des allmächtigen Gottes mit seinem Namen 'Jehova'; darin, dass man eben das Wort Gottes als verbindlich betrachtet. Ich denke, da haben wir klassische Unterschiede genannt.

Susanne Scharra: Es gibt noch ein paar mehr Unterschiede zwischen den 'Zeugen Jehovas' und dem Rest der Menschheit. Es ist ihnen vieles verboten, was anderen selbverständlich ist. Sie dürfen zum Beispiel nicht ihren Geburtstag feiern. Auch Ostern und Weihnachten sind tabu. Sie dürfen nicht fluchen. Sportliche Betätigung ist verpönt. Auch Pop-Stars dürfen nicht verehrt werden. All das ist in einem strengen Moralkodex geregelt. Wer dagegen verstößt, muss vor das Rechtskomitee und zumindest sein Vergehen bereuen. Tut er es nicht, wird ihm die Gemeinschaft entzogen. Und natürlich kommt so jemand nicht ins irdische Paradies. In die Schlagzeilen geraten die 'Zeugen Jehovas' immer wieder damit, dass es ihren Mitgliedern untersagt ist, eine Bluttransfusion vornehmen zu lassen.

Sprecher der 'Zeugen Jehovas': Der Hintergrund war aber nicht die medizinische Beurteilung dieser Sache sondern ein biblischer Grundsatz, der im 1. Jahrhundert getroffen wurde, dass Personen sich des Blutes enthalten sollen.

Susanne Scharra: Natürlich steht in der Bibel nicht geschrieben, dass eine Bluttransfusion verboten ist, weil es das zu der Zeit noch gar nicht gab. Die 'Zeugen Jehovas' beziehen sich auf eine Stelle in der Apostelgeschichte, in der es heisst, dass sich Juden des Blutes enthalten sollen. Gemeint ist hier: Blut als Nahrung, und sonst nichts. Sie transportieren jahrtausende alte Anordnungen auf die heutige Zeit. Übrigens benutzen die 'Zeugen' die Heilige Schrift nicht in der Luther-Übersetzung sondern in einer eigenen 'Neue – Welt' – Übersetzung . Nach ihrer Auffassung beginnt das irdische Paradies, das Tausendjährige Friedensreich, mit der Schlacht von Harmagedon. Eigentlich sollte es 1975 schon so weit sein. Aber daraus ist bekanntlich nichts geworden. Eine genaue Jahreszahl für die Schlacht möchten die Zeugen nun nicht mehr nennen.

Sprecher der 'Zeugen Jehovas': Am liebsten hätten wir, dass Gott heute noch eingreifen würde. Aber den Zeitplan hat er festgelegt. Und da lässt er sich auch nicht ins Handwerk pfuschen. Und deshalb warten wir geduldig ab. Aber wir leben jeden Tag so, als würde Gott eingreifen, und bemühen uns und strengen uns an.

Susanne Scharra: Ein konkretes Ende der Bemühungen ist also nicht in Sicht. Die 'Zeugen', zu strenger politischer Neutralität verpflichtet, engagieren sich nicht ausserhalb ihrer Versammlungen und Missionsdienste. Allerdings widerspricht das Bild von Jesus allen modernen Bibelauslegungen, die ihn als an- und zupackenden Mann der Tat beschreiben.

Sprecher der 'Zeugen Jehovas': Jesus hielt sich aus allen politischen Dingen heraus, weil es sein Ziel war: Das Königreich, das hier auf der Erde errichtet werden würde und das die Hoffnung der Menschen erfüllen würde. Das ist genau unsere Hoffnung, weil viele Probleme, die heute bestehen sind nicht lösbar durch Menschen. Wenn wir nur an schreckliche Krankheiten denken. Wenn wir an den Hunger in der Welt denken. Wenn wir an das Problem der Umweltverschmutzung, der Kriminatität, denken, wenn wir an das Problem des Todes denken. Und alle diese Probleme sind nicht veränderbar durch Menschen. Und deshalb vertrauen wir darauf, dass Gott seine Zusage, die er in der Bibel gegeben hat, auch entsprechend einhält.

Susanne Scharra: So viele Mühen und so wenig Ertrag, weniger finanziell betrachtet als vielmehr auf die Erfüllung des Königreich Gottes hin. Ulrich Rausch, Verfasser des Buches >>DIE ZEUGEN JEHOVAS, EIN SEKTEN – REPORT<< warnt jedoch eindringlich.

Ulrich Rausch: Sie sind vielleicht deshalb gefährlicher als Scientology oder andere Gruppen, weil jeder sagt: Gut, sie sind ein bisschen 'spinnert', vielleicht ein bisschen sehr engagiert, aber das bewundert man in gewisser Weise auch, weil man das selber für die eigene Überzeugung nicht tun würde, so viel Zeit und auch so viel Beschimpfung auf sich zu nehmen, um seine Botschaft rüberzubringen.