Ein bemerkenswerter Artikel aus DIE ZEIT, der sich auf sarkastische Weise mit dem Thema Religion und Business auseinandersetzt. Mit überraschendem Ende.

Werden Sie Guru!

von Burkhard Straßmann

Eine Geschäftsidee

Es klänge wohl zynisch, den viereinhalb Millionen Arbeitslosen in Deutschland zuzurufen: Was wollt ihr? Es gibt Tausende von Stellen! Das Geld liegt auf der Straße!

Und doch ist es nichts als die Wahrheit.

Wer familiär ungebunden ist, sich bereit erklärt, gegebenenfalls auf eine sonnige Insel umzuziehen, wer mehrere Stunden lang lächeln und glücklich wirken kann und Lust hat, viel Geld zu verdienen, der sollte umgehend sein Glück als Unternehmer in die eigenen Hände nehmen und freischaffender Guru werden.

Zunächst ein Blick auf den Markt: Die klassische und für das Umsatzziel interessanteste Klientel des freischaffenden Gurus ist eindeutig die Gruppe der Besserverdienenden, der Akademiker, der Intellektuellen. Millionen solcher Individuen warten allein in Deutschland darauf, von einem Guru angesprochen zu werden. Doch der gewöhnliche Kleinguru kann in aller Regel nur dreißig bis fünfzig "Anhänger" versorgen.

Die am Berufsbild des Gurus besonders interessierten Sektenbeauftragten der Kirchen gehen von etwa 300 solcher Kleingurus bundesweit aus. Das bedeutet, daß maximal 15 000 Besserverdienende in Deutschland von kleinen Gurus betreut werden können. Auch wenn Groß- oder Supergurus wie L. R. Hubbard (Scientology) oder Gabriele Wittek (Universelles Leben) hinzugerechnet werden, muß doch von einer eklatanten Guru-Unterversorgung gesprochen werden. Mit anderen Worten: Hier besteht eine Marktlücke.

Dazu kommt: Seit etwa zehn Jahren nimmt die Nachfrage nach Gurus überproportional zu. Hintergrund ist die weltweite Diskussion um den Weltuntergang, der allgemein für den 31. Dezember 1999 erwartet wird.

Wie bereite ich mich auf dieses bevorstehende Ereignis angemessen vor? Was kommt danach? Wie kann ich gerettet werden? Wann und wo holen mich die Ufos ab? Exakt dieser Themenkomplex ist von jeher ein Spezialgebiet der Gurus. Die Nachfrage nach freischaffenden Gurus wird mithin noch zwei Jahre lang kräftig steigen. Unter diesen Umständen müssen die Marktchancen als glänzend bezeichnet werden. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, daß gerade Frauen und eben auch berufliche Wiedereinsteigerinnen - hier erstklassige Berufsaussichten haben, wie großartige Vorbilder zeigen.

Welche Ausbildung empfiehlt sich? Einer der erfolgreichen weiblichen Gurus ist Heide Fittkau-Garthe, die aktuell in den Medien sehr präsent ist wegen eines fehlgeschlagenen Versuches, sich und ihre Klienten auf der Insel Teneriffa von Außerirdischen abholen zu lassen. Die Hamburgerin ist ausgebildete Psychologin; das kann für einen praktizierenden Guru ein Vorteil sein, ist aber keine zwingende Voraussetzung.

Ihre große Kollegin Gabriele Wittek ("das Sprachrohr Gottes") entstammt einfachen Verhältnissen und hält den Kontakt zu einem Ufo-Kommandanten namens Mairadi auch ohne akademische Weihen. Und der Schulversager David Koresh ("Messias von Waco"), der sich 1993 in Texas zusammen mit seinen 85 "Davidianern" das Leben nahm, avancierte auch als Ungelernter zum "siebten Engel der Apokalypse".

Zeugnisse, Praktika, Volontariate: können nützen, müssen aber nicht sein. Die Tätigkeit eines freischaffenden Gurus eignet sich gerade für Seiteneinsteiger und läßt sich auch eigenwilligen Karrieren aufsatteln. Ein wenig Kommunikationstraining, Meditation und Gruppendynamik in der Vita können allerdings nicht schaden. Aufenthalte in Indien und Kalifornien wirken vertrauensbildend.

Die entsprechende Begrifflichkeit - Energie, Atmaenergie, Astralwelt, innerer Heiler oder Geliebter - besorgt man sich im Laufe eines Abends aus dem Internet. Leichte Computerkenntnisse sollten darum vorliegen. Ebenso sollte der Guru-Aspirant in der Lage sein, eine einfache Jahresüberschußrechnung zu erstellen. Er sollte zumindest rudimentäre Ideen zur Steuergestaltung haben.

Nun zur Grundausstattung. Es wurde unter Gurus viel experimentiert, auch was die Symbolkraft der Farben betrifft. Bhagwan alias Osho testete Rosarot, Frau Wittek bevorzugt Pastelltöne. Doch der moderne Guru trägt weiße Gewänder, nicht zu knapp geschnitten, und wohnt in weißen Häusern. Bevor er den wohlverdienten Sonnensitz oder "Ashram" auf den Kanarischen Inseln oder in Florida beziehen kann, sucht der Jungguru die Nähe seiner Klientel und mietet beispielsweise eine Villa in einem besseren Stadtteil seiner Heimatstadt.

Jede Guru-Karriere beginnt mit Seminaren, die wahlweise "Schamanische Musiktherapie", "Mit Engeln leben", "Reinkarnation" oder "Geistheilung" heißen. Werbung erfolgt kostengünstig und ohne Streuverluste über Flugblätter in Bio- und Esoterikläden und während sogenannter Esoterikmessen.

Darüber hinaus heute unumgänglich: das Internet. Ein Beispiel für eine gelungene Homepage liefert Guru Meher Baba ("Avatar of the Age"), den zwar schon lange die Ufos abgeholt haben, der indes immer noch lacht und predigt. Meher Baba versorgt den Suchenden mit Tageslosungen, herunterladbaren Videoclips und seinem ebenfallsabrufbaren Lieblingssong, "Begin the Beguin" von Cole Porter.

Später, wenn der Jungguru erst einmal aus dem Gröbsten heraus ist, läßt sich die Geschäftstätigkeit noch erheblich ausweiten durch Werbemittel wie die "Kosmische Welle" (regelmäßige Radiosendung des Universellen Lebens), Hotlines mit "Geistiger Hilfe für den Tag" oder die vom neuen Gott umgeschriebene Download-Bibel im Internet.

Nun die zentrale Frage: Welche Umsatzentwicklung darf erwartet werden? Der Umsatz eines Junggurus hängt noch ganz von den Nettoeinkünften seiner Anhänger ab, kann aber schon 50 000 Mark im Monat betragen. Rasch läßt sich der Umsatz durch den Verkauf von Elixieren, Büchern und Diätprogrammen steigern. Immobiliengeschäfte (mit den Immobilien der Anhänger) folgen, dann Firmengründungen. Der amerikanische Szeneguru Deepak Chopra erzielt nach zwanzigjähriger Geschäftstätigkeit einen Jahresumsatz von fünfzehn Millionen Mark.

Nicht unerwähnt bleiben darf eine Frage, die gerade von Berufsanfängern immer wieder gestellt wird: Wie stelle ich es an, ausgerechnet hyperkritischen und intelligenten Besserverdienenden klarzumachen, daß sie in einem vorigen Leben Hitler waren, daß man durch "yogisches Fliegen" Kriege und Firmenpleiten verhindern kann und daß man kurz vor dem Weltenende giftigen Pudding essen muß, um zum 8,8 Lichtjahre entfernten Stern Sirius umzuziehen?

Die Antwort lautet natürlich, daß der Guru um so überzeugender wirkt, je abstruser seine Suggestionen sind. Sind die Rituale fachgerecht inszeniert, verglüht dabei die geopferte Ratio auf dem Altar des Gurus. Den Verstandesmenschen schauert's dann so wohlig wie noch nie. Er wird dieses Erschauern "Erweckungserlebnis" nennen und als Gottergriffenheit interpretieren. (Das Erschauern wird sich zuverlässig wiederholen, wenn er dem Guru größere Teile seines Vermögens aushändigt.) Insofern sind die Aufrufe des Gurus Monika Azura Jadzinski aus Lübbecke bei Minden, das "Licht in den Zellen zu erhöhen" und "Blaupausen zur Verjüngung des Körpers zu schaffen", dem Jünger hochwillkommene Anlässe, sich mental zu kasteien.

Zum guten Schluß noch eine Warnung. Es besteht immer die Gefahr, daß der Guru selbst Opfer seiner eigenen Suggestionen und Weltuntergangsphantasien wird. Das ist unprofessionell und kontraproduktiv im Sinne der Geschäftsidee.

Nachahmenswertes Gegenbeispiel: die Zeugen Jehovas. Seit Menschengedenken verschieben sie den Weltuntergang immer wieder, um sogleich ein neues Produkt zu präsentieren.

Aktuell im Angebot: Weltuntergang 2000. Bis auf weiteres. Quelle: DIE ZEIT 22.1.1998 Nr. 5