Der Fall der Zeugen Jehovas

Bis vor kurzem waren die Zeugen Jehovas eine der am schnellsten wachsenden Religionen auf der Welt. Ihre herrschende Körperschaft, die Wachtturm-Gesellschaft, behauptet, dass heute fast 15,4 Millionen Menschen mit der Kirche verbunden sind (Wachtturm, 1. Jan 2002, Seite 22), und gemäß ihrem Dun-und-Bradstreet-Bericht (einem nur von Dun und Bradstreet auf Anforderung erhältlichen Kreditbericht) betrug alleine 1992 ihr Einkommen in Amerika mehr als 1,2 Milliarden Dollar. Gegründet 1879 von C.T. Russell, sind sie sehr gut wegen ihrer Rechtsstreitigkeiten wegen des Fahnegrußes und anderer behördlicher Erfordernisse bekannt.

Unter den der Wachtturm-Gesellschaft eigenen Lehren sind das Verbot von Bluttransfusionen und eine theokratische Kriegsführung genannte Lehre, die das „Lügen“ vor Gericht und sonst wo rechtfertigt. Es lassen sich nur drei Religionen ausmachen, die diese Lehre offen verkünden. Eine ist die Arische Bruderschaft, eine Gruppe der Vorherrschaft der weißen Rasse, die lehrt, es sei angebracht zu lügen, um seine Interessen zu fördern (W. Caughey, im persönlichen Gespräch, 3. Feb. 1991). Eine weitere ist die Vereinigungskirche, deren Kritiker behaupten, sie praktiziere eine ähnliche Lehre, die sie Himmlische Täuschung nennt (Levine, 1980; Elkins, 1980).

Einer der zentralen Glaubenssätze [der Vereinigungskirche] ist die Lehre von der Himmlischen Täuschung. Das Gute muss das Böse täuschen. Die Welt außerhalb Moons ist böse. Man muss lügen und so Moon helfen, an die Macht zu kommen. Dann kann es unter Moons Kontrolle gut werden. In der Bibel belog Jakob den Isaak. Gott belohnte Jakob, indem er ihn zum Vater der Nation Israel machte. (Boettcher, 1980, Seiten 343-344)

Die dritte ist die Wachtturm-Gesellschaft mit ihrer Lehre von der theokratischen Kriegsführung, nach der es angemessen ist, die Wahrheit „Leuten, die nicht berechtigt sind, sie zu hören“ vorzuenthalten, wenn das den Wachtturm-Interessen dient (Reed, 1992; Reed, 1997, Seite 129; siehe auch Franz, 1971, Seiten. 1060-1061, und Raines, 1996c). In Wachtturm-Worten müssen Zeugen „zur theokratischen Kriegsstrategie“ gegen alle möglichen Personen greifen, die eine „wolfsgleiche Einstellung“ haben, das heißt, Personen, die nicht die Wachtturm-Gesellschaft als Gottes Organisation und Haupt des Volkes Gottes akzeptieren. Alle anderen Religionen werden als böse und satanisch bezeichnet (Franz 1991; Watchtower, 1. May 1957, Seiten 285-286 und Seite 288 – dieser letzte Artikel wurde in Wachtturm-Nachdrucken zensiert).

Reed definiert die theokratische Kriegsstrategie als „Verbergen der Wahrheit vor Leuten, die nicht berechtigt sind, sie zu hören – d.h. als Lügen vor Außenstehenden, wenn es als notwendig angesehen wird“ (Reed, 1995, Seite 40). Er fügt hinzu, die Wachtturm-Gesellschaft definiere Lügen als „das Täuschen von Außenstehenden, um die Interessen der Organisation voran zu bringen. Unwahrheiten, die Gottes Feinden gegenüber geäußert werden, werden aufgrund des Kriegszustandes, der zwischen Gotte Kräften (den Zeugen Jehovas) und Satans Mächten (der übrigen Welt) besteht, nicht als Lügen betrachtet.“ Mit den Worten Kotwalls (1997, Seiten 1-2) lehrt die Wachtturm-Gesellschaft, „im Interesse ihrer Religion zu lügen und zu täuschen, wird von der Bibel gutgeheißen. Sie nennen solches Lügen theokratische Kriegsstrategie.“ Wilson sagt:

Obwohl es eine Grundüberzeugung der Zeugen Jehovas ist, dass Lügner den ewigen Tod ohne Hoffnung auf eine Auferstehung empfangen werden, wird eine Ausnahme gemacht, falls es darum geht, zu lügen oder vorzugeben, man sei jemand, der man nicht ist, wenn der Zweck ein Nutzen für die Organisation ist. Ein Beispiel für diese Art von Täuschung habe ich persönlich erfahren, als eine Freundin, die eine Zeugin ist, mich und mehrere weitere Zeugen zu sich nach Hause einlud, als ein Zeugenmissionar sie besuchte, der einen Diavortrag über sein Wirken in Israel halten wollte … Um die Einrichtung und die anderen Zeugen, die dort lebten, zu schützen, wies die Gesellschaft diesen Missionar an, sich als exzentrischen Millionär auszugeben, der ein Reinheitsfetischist sei, und jedem Fragesteller zu sagen, dies sei sein eigenes Haus, das er gebaut habe. Diese Geschichte wurde erfunden, um den wahren Zweck des Gebäudes zu vertuschen – den einer Wachtturm-Fabrik mit Schlafzimmern und Spülbecken darin, um die Fabrikarbeiter zu beherbergen. Dieser Vorfall war ein weiteres Beispiel für theokratische Kriegsstrategie (Wilson, 2002, Seite 249).

Jehovas Zeugen lügen nicht immer direkt, sie lügen oft gemäß der Definition vor Gericht, sie sagen nicht „die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit“, was heißt, dass das Gericht die ganze Geschichte einfordert, nicht Halbwahrheit oder Täuschung. Die Wachtturm-Gesellschaft behauptet, sie verurteile das Lügen, aber nur das Lügen, wie sie es definiert, nämlich „eine Falschaussage gegenüber einer Person ein, die berechtigt ist, die Wahrheit zu wissen, mit der Absicht, sie oder jemand anders zu täuschen oder ihr bzw. dem anderen zu schaden“ (Franz, Band 2, deutsch 1992, Seite 236, Hervorhebung von mir). Der Zweck des Eides ist, jemanden davon abzuhalten, der Wahrheit auszuweichen, indem er nur in einer engen Weise wahrhaftig ist. In einer bekannten Diskussion, die das Lügen gegenüber dem Laienpublikum definieren soll, erklärt Savant, wenn Zeugen vor Gericht gebeten werden, „die Wahrheit“ zu sagen, dann bedeute das, dass sie nicht lügen dürfen und auch, dass sie...

... „die ganze Wahrheit“ sagen [müssen] … Wenn beispielsweise ein Regent sagt, „in meinem Staat haben wir 17.000 Personen aus der Wohlfahrt in Arbeit gebracht“, und nicht hinzufügt, dass in seinem Staat zur selben Zeit 25.000 andere Leute arbeitslos wurden und in die Wohlfahrt kamen, dann hat er „die Wahrheit“ gesagt, aber nicht „die ganze Wahrheit“. Das heißt, die Nettowirkung war, dass 8.000 weitere Personen der Wohlfahrt anheim fielen, nicht 17.000 weniger ... Drittens werden Zeugen gebeten, „nichts als die Wahrheit“ zu sagen. Das ist noch eine andere Vorstellung. Wenn jemand zum Beispiel in Beantwortung einer Frage die Wahrheit sagt und dann eine Lüge hinzufügt, dann hat er „die Wahrheit“ gesagt, aber nicht „nichts als die Wahrheit“. Und obwohl nichts von alledem wirklich unehrliche Leute aufhalten wird, liefert es und doch zumindest gute Munition, um sie wegen Meineides anzuklagen. (Savant, 1996, Seite 12)

Mit den Worten von Raines bedeutet theokratische Kriegsführung in der Praxis, den „Feind“ mit unwahren oder irreführenden Informationen zu „täuschen“ oder irrezuführen, um die Interessen des „Volkes Gottes“ und seiner „Organisation“ zu schützen und zu fördern (1996, Seite 20). Magnani fügte hinzu, dass die Wachtturm-Gesellschaft eine besondere Politik gegenüber Außenstehenden verfolgt. Wer ihre Lehren anzweifelt, wird als „Gegner“ angesehen und in besonderer Weise behandelt. Die Wachtturm-Gesellschaft lehrt tatsächlich die Zeugen Jehovas, bestimmte Tatsachen zu vertuschen oder in Bezug auf sie zu LÜGEN. Diese Taktik nennt sich THEOKRATISCHE KRIEGSSTRATEGIE. (1979, Seite 1, Hervorhebung vom Autor).

Die Wachturm-Gesellschaft versucht, ihre Haltung zu erklären, indem sie hinzufügt:

Bösartiges Lügen wird zwar in der Bibel deutlich verurteilt, aber das bedeutet nicht, dass man verpflichtet ist, jemandem wahrheitsgemäß irgendwelche Informationen zu geben, die zu erhalten er kein Recht hat. Jesus Christus gab den Rat: „Gebt das Heilige nicht Hunden, noch werft eure Perlen Schweinen vor, damit sie sie nicht etwa mit ihren Füßen zertreten und sich umwenden und euch zerreißen“ (Mat 7:6). Deshalb hielt sich Jesus bei gewissen Gelegenheiten zurück, eine vollständige Auskunft zu geben oder gewisse Fragen direkt zu beantworten, wenn er dadurch unnötigen Schaden angerichtet hätte (Mat 15:1-6; 21:23-27; Joh 7:3-10). Zweifellos muss die Art und Weise, wie Abraham, Isaak, Rahab und Elisa handelten, als sie Personen, die keine Anbeter Jehovas waren, irreführten oder ihnen gewisse Tatsachen verschwiegen, ebenso beurteilt werden (1Mo 12:10-19; Kap. 20; 26:1-10; Jos 2:1-6; Jak 2:25; 2Kö 6:11-23). (Franz, 1971, Seite 245).

Reed erklärt wie folgt, wie diese Lehre tatsächlich angewandt wird:

Wenn ein Zeuge an einer Tür klopft, ein kurzes Verkaufsgespräch führt und ein kleines Buch für einen Dollar verkauft, mag das am Ort geltende Gesetz von ihm fordern, Umsatzsteuer zu kassieren. (Ein Kreditbericht über die Wachtturm-Gesellschaft in New York, Inc. enthüllte für das Jahr 1991 eine Verkaufszahl von 1,25 Milliarden Dollar für die Körperschaft, von etwas über 1 Milliarde Dollar im Jahre 1990). Um dieser Verpflichtung zu entgehen, weist die Organisation die Zeugen an, zu sagen, sie hätten die Bücher nicht verkauft, sondern abgegeben. Sie hätten den Dollar nicht als Bezahlung erhalten; vielmehr hätten sie das Geld als nicht damit im Zusammenhang stehende Spende zufällig erhalten. Eine weitere illegale Tätigkeit, die durch verhüllende Erklärungen verdeckt wird, bezieht sich auf die Verletzung der Jugendschutzgesetze und das Ignorieren von gerichtlichen Anordnungen in Bezug auf ärztliche Behandlung. Wenn sie solche drastischen Schritte unternehmen, um eine Bluttransfusion für kranke oder verletzte Kinder zu verhindern, bezeichnen die Zeugen Jehovas diese Aktionen gewöhnlich als Einhalten der Lauterkeit oder Gott an die erste Stelle setzen … Verhüllende Erklärungen [mit] verdunkelnden Wörtern … um Informationen vor Außenstehenden zu verbergen, die nicht mit der Sekte vertraut sind. Die Zeugen nehmen zu solchen Listen Zuflucht, wenn Anweisungen der Organisation von ihnen fordern, Steuergesetze zu verletzen, die Einberufung zur Armee abzulehnen, Jugendschutzgesetzen auszuweichen usw. Verfälschungen dieser Dinge werden nicht als Lügen angesehen, sondern als theokratische Kriegsstrategie (1997, Seiten 22, 28).

Noch eine weitere Bewertung dieser Lehre durch einen langjährigen, früher einmal hochrangigen Zeugen:

Sie [die Wachtturm-Gesellschaft] lehrt verbissen, dass es in Ordnung sei, „die Wahrheit vor seinen Feinden zu verbergen“, da man sich in einem „theokratischen Krieg“ befinde, der als Erlaubnis zum Lügen genommen wird. Und wer sind ihre Feinde? Alle außer ihnen selbst ... Lügen ist in ihrer Literatur als zulässig bezeichnet worden, besonders gegenüber den „Feinden“ (und das ist jeder außer der elitären leitenden Körperschaft). Es hängt davon ab, wen man anlügt. Man gibt ihnen das Beispiel des Abraham, der in einer lebensbedrohlichen Situation den Status seiner Frau falsch darstellte und sie als seine Schwester statt als seine Frau bezeichnete. Also, argumentieren sie, ist es für uns ein Geringes, die „anderen Schafe“ zu belügen, ihnen zu sagen, sie seien „Christen“ und könnten predigen, der heilige Geist beschütze sie, usw.? Was macht das schon wirklich aus? (Ford, 1996, Seiten 7, 84)

Die Wachtturm-Gesellschaft lehrt, „Gottes Feinde“ zu belügen sei kein wirkliches Lügen, sondern theokratische „Kriegsstrategie“, und:

Gottes Wort gebietet: „Jeder von euch rede mit seinem Nächsten Wahrheit“ (Eph. 4:25). Dieses Gebot bedeutet jedoch nicht, dass wir jedem, der uns fragt, alles erzählen sollten, was er wissen will. Wir müssen dem die Wahrheit sagen, der berechtigt ist, sie zu wissen, aber wenn jemand nicht berechtigt ist, mögen wir ausweichend antworten. (Watchtower, 1. Juni 1960, Seiten 351-352)

Der Watchtower fügt sodann hinzu, „wir mögen nicht eine Unwahrheit sagen“, aber auch das bezieht sich wieder auf ihre Definition von Unwahrheit. Dieser Watchtower (1960, Seite 352) erklärt auch, wenn ein Wachtturm-Anhänger vor Gericht in den Zeugenstand gehe und schwöre, „die Wahrheit zu sagen, dann muss er, wenn er überhaupt etwas sagt, die Wahrheit äußern.“ Diese „Wahrheit“ ist jedoch das, was das Gericht als Wahrheit definiert, es ist allerdings überschattet davon, dass im Mittelpunkt steht, „die Wahrheit“ vor Gottes Feinden zu „verbergen“. Andere Artikel und die tatsächliche Praxis der Zeugen zeigen beide, dass dieser letzte Rat nicht streng befolgt wird. Zum Beispiel fügt der Watchtower vom 1. Mai 1957 hinzu:

Lügen sind Unwahrheiten, die aus selbstsüchtigen Gründen erzählt werden und anderen Schaden zufügen. Satan erzählte Eva eine Lüge, die ihr und der Menschenrasse großen Schaden zufügte. Ananias und Sapphira erzählten Lügen aus selbstsüchtigen Gründen. Aber das Verbergen der Wahrheit vor einem Feind, der nicht berechtigt ist, sie zu kennen, fügt diesem Feind keinen Schaden zu, besonders wenn er diese Informationen benutzen will, um andere Unschuldige zu schädigen … Es ist also in Zeiten geistigen Krieges angebracht, den Feind irrezuführen, indem man die Wahrheit verbirgt. Es geschieht aus selbstlosen Gründen; es fügt niemandem Schaden zu; im Gegenteil, es bewirkt viel Gutes. (Seiten 284-285).

Wie William Blake einmal sagte: „Eine mit böser Absicht erzählte Lüge schlägt alle Lügen, die man erfinden kann.“ Die Lehre wird am besten zusammengefasst in Die Maßnahme, einem Spiel von Bertolt Brecht:

Wer immer für den Kommunismus kämpft, der muss bereit sein, zu kämpfen oder nicht zu kämpfen, die Wahrheit zu sagen oder nicht die Wahrheit zu sagen, Dienste zu leisten oder sich zu weigern, das zu tun, erkannt zu werden oder sich zu verstellen. Wer für den Kommunismus kämpft, hat nur eine einzige Tugend, nämlich die, dass er für den Kommunismus kämpft (Zitiert in Perutz, 1989, Seite 139).

Wilson gibt ein Beispiel an, wie diese Lehre heute angewandt wird:

Die Ältesten baten diesen jungen Mann, unsere Tochter anzurufen und irgendeinen Grund zu erfinden, damit sie herüber ins Haus kommt. Unter dem Vorwand der „theokratischen Kriegsführung“ war das Lügen annehmbar, wenn es dem Bedürfnis der Organisation diente. Folglich war der Wahrheitsgehalt des Grundes, den er ihr angab, damit sie zustimmte, ihn in dem Haus zu treffen, unbedeutend. Er täuschte Hilflosigkeit über einen Aspekt, sich um die Dinge im Haus zu kümmern, vor und bat sie, sich dort mit ihm zu einer bestimmten Zeit zu treffen, so dass sie ihn helfen könnte. In dem Vertrauen, dass er sie nie verraten würde, stimmte sie zu (2000, p. 118).

Dass die Wachtturm-Gesellschaft ihre Anhänger ausdrücklich lehrt, zu lügen, wie dieses Wort im Deutschen normalerweise gebraucht wird, wird veranschaulicht durch ihre Erörterung, wie Abraham Sarah sagte, die solle „die Tatsache verbergen“, dass sie seine Frau war (Watchtower, 1. Februar 1956, Seite 78). Der Watchtower merkt an, Jahre später, als Abraham in dem Philisterland Gerar war, habe er die Lüge über Sarah wiederholt und dreist behauptet, seine Frau sei „meine Schwester“. Die Wachtturm-Gesellschaft kommt zu dem Schluss, dies sei keine Lüge, weil Abraham Sarah aus einem lobenswerten Grund als seine Schwester ausgab, nämlich...

... um eine gewalttätige Auseinandersetzung über seine Frau zu verhindern. Sarah erkannte Abraham als ihren Herrn an und war mit der Vereinbarung einverstanden und bereit, die Folgen zu tragen … Sie war bereit, ihren Teil dazu beizutragen, das Leben des Propheten Jehovas zu bewahren … Doch Kritiker ... sehen Abraham als Lügner an, als Ausflüchte machenden, schwächlichen Feigling. (1. Februar 1956, Seite 79)

Ironischerweise war dieses Beispiel, das die Wachtturm-Gesellschaft verwendet, um das Lügen zu rechtfertigen, eben wegen des Lügens ein Schuss, der nach hinten losging. Der Pharao, der dachte, Sarah sei Abrahams unverheiratete Schwester, nahm sie zur Frau und verursachte so eine Plage über „Pharao und sein Haus“. Als der Pharao herausfand, dass Abraham gelogen hatte und ihm seine Frau zurückgab, protestierte er gegen Abraham und erklärte, was geschehen sei, hätte verhindert werden können, wenn Abraham nur die Wahrheit gesagt hätte (1. Mose 12:10-20). Anstatt also ein Beispiel zu sein, das das Lügen rechtfertigt, verurteilt diese Bibelstelle das Lügen, indem sie zeigt, das es nach hinten losgehen kann. Abraham log auch gegenüber Abimelech in Bezug auf seine Frau und löste damit fast eine Katastrophe aus (1. Mose 20). Die neueste Erörterung erschien in Awake! vom 8. Februar 2000, wo es unter der Überschrift „Vorsichtig wie Schlangen“ heißt:

Ehrlich zu sein bedeutet natürlich nicht, dass wir verpflichtet sind, jemandem, der uns danach fragt, alle Informationen preiszugeben. „Gebt das Heilige nicht Hunden, noch werft eure Perlen Schweinen vor, damit sie [sich] nicht etwa ... umwenden und euch zerreißen“, warnte Jesus in Matthäus 7:6. So mögen zum Beispiel Personen mit bösen Absichten kein Recht haben, bestimmte Dinge zu wissen. Christen verstehen, dass sie in einer feindlichen Welt leben. Daher wies Jesus seine Jünger an, „vorsichtig wie Schlangen“ und doch „unschuldig wie Tauben“ zu sein (Matthäus 10:16; Johannes 15:19). Jesus enthüllte nicht immer die volle Wahrheit, besonders wenn das Enthüllen aller Tatsachen ihm und den Jüngern unnötigen Schaden hätte bringen können. Und doch log er auch dann nicht. Statt dessen sagte er nichts oder lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. – Matthäus 15:1-6; 21:23-27; John 7:3-10 (8. Februar 2000, Seite 21, Übersetzung aus dem Englischen).

Die Wachtturm-Gesellschaft behauptet, sie verurteile das direkte Lügen und befürworte nur, die Wahrheit zu verbergen. Aber wenn sie den Fall Abraham als ein Beispiel benutzt, ihm in Situationen nachzueifern, wo dies die Wachtturm-Gesellschaft schützen kann, dann zeigt sie damit an, dass sie in der Tat direktes Lügen befürwortet. Reed bemerkt zu dieser Lehre:

Wenn die Wachtturm-Gesellschaft Zeugenkinder anweist, bei einer Aussage vor Gericht das Gegenteil von dem zu sagen, was zu glauben sie gelehrt wurden, dann fordert sie von ihnen, eine Art von Doppelsprech zu verwenden, das die meisten Menschen als Lügen ansehen würden. Und wenn ihr Gewissen den Kindern auch nicht sagt, dass sie Lügner sind, dann müssen sie auch Doppeldenk benutzen, die geistige Verrenkung, die George Orwell in seinem Roman beschreibt … wo die Menschen durch eine totalitäre Gesellschaft gezwungen werden, sich völlig der Wahrheit bewusst zu sein und doch sorgfältig konstruierte Lügen zu verbreiten. (1996, Seiten 230-231)

Noch ein weiteres Beispiel zeigt, dass mit der Anwendung der Lehre offenes Lügen verbunden ist:

Während ich diese Nachforschungen anstellte ... traf ich eine Frau, die mir eine Narbe auf ihrem Oberarm zeigte, von der sie sagte, sie rühre von einer Verätzung mit einer Säure her. Sie erklärte, das Bestechen eines Arztes, damit er auf dem Arm eines Kindes eine Narbe verursache, die die Narbe nachahmte, die eine Pockenimpfung hinterlässt, und dann eine Impfbescheinigung ausstelle [in der bescheinigt wird, dass das Kind geimpft wurde], damit das Kind zur Schule gehen könne, war in den Jahren, in denen die Gesellschaft das Impfen verboten hatte, übliche Praxis unter den Zeugen. Man kann sich nur vorstellen, wie viele Zeugen oder ihre Kinder aufgrund dieser Praxis der theokratischen Kriegsführung, Impfungen zu vermeiden, an Pocken starben (Wilson, 2002, Seite 180).

Eine ausführliche Diskussion der Lehre, und wie sie angewandt wird, findet sich in der Zeugenaussage im Fall Gouvitsa gegen Gouvitsa, in dem der vereidigte Sachverständige auf die Frage „Was ist die theokratische Kriegsstrategie bei den Zeugen Jehovas?“ sagte:

Die theokratische Kriegsstrategie ist unter den Zeugen Jehovas weit verbreitet. Es gibt sie auf unterschiedlichen Niveaus … Zuerst muss man die Definition von Lüge verstehen. Und weil das so wichtig ist, möchte ich es gerne vorlesen ... In ihrem Lexikon „Aid to Bible Understanding“ heißt es: „Lügen beinhaltet im Allgemeinen, jemandem, der berechtigt ist, die Wahrheit zu kennen, etwas Verkehrtes zu sagen.“

... Ich betone das Wort „berechtigt“ deshalb so sehr, weil die Zeugen … die Welt als mit zwei Arten von Menschen bevölkert ansehen ... die Schafe und die Böcke ... die Zeugen Jehovas und die Nichtchristen als den Rest der Welt ... Gottes Volk und Satans Volk ... Die einzigen Menschen, die zu 100% immer berechtigt sind, die Wahrheit zu kennen, sind die Zeugen Jehovas. Die Menschen, die dem Worte Gottes widerstehen, so sagen die Zeugen Jehovas, sind diejenigen in der Christenheit …Sie sind im Widerstand, folglich sind sie auch nicht immer berechtigt, die Wahrheit zu kennen … Wir haben bei unserer Arbeit Menschen angetroffen und von vielen Fällen gehört; woran ich mich gerade erinnere, das ist ein Mann, der ein Pamphlet geschrieben hatte, in dem er die Wachtturm-Organisation als Sekte bloßstellte. Und er traf sich mit einem Zeugen Jehovas. Und irgendwie kamen sie gerade über dieses Pamphlet ins Gespräch ... Und der Zeuge Jehovas machte das Pamphlet nieder, es ei völlig falsch, und er behauptete nicht nur, den Schreiber des Pamphletes zu kennen, sondern auch, dass der Schreiber unmoralisch und von den Zeugen Jehovas hinausgeworfen sei, ein Abtrünniger sei usw., und dem Inhalt des Pamphletes könne man nicht trauen.

Dann erzählte dieser Mann dem Zeugen Jehovas, dass er selbst der Schreiber des Pamphletes sei ... Das ist ein Beispiel für die so genannte theokratische Kriegsstrategie. Mit anderen Worten, der Zeuge Jehovas [meinte] ... es sei wichtig, den Inhalt herunterzumachen, damit die Organisation besser aussehe. Theokratische Kriegsstrategie ist grundsätzlich eine Methode, die in sehr vielen unterschiedlichen Weisen angewandt wird. Nicht nur direktes Lügen, sondern manchmal ein Ausweichen vor der WAhrheit, manchmal ein Erzählen von Halbwahrheiten … die Organisation benutzt sie [die theokratische Kriegsstrategie] nicht nur gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber den Zeugen Jehovas (Joy Hutton Gouvitsa Arnold, Kläger, gegen Gus Konstantine Gouvitsa, Zeugenaussage Duane Magnani, Seiten 109-113).