Gerhard Besier will sie mit einer großen Studie retten
Morgen versucht sich das Dresdner Hannah-Arendt-Institut in der schwierigen Disziplin, einen gordischen Knoten zu durchschlagen: Institutsleiter Gerhard Besier muss sich vor dem Kuratorium für seinen Auftritt beim Brüsseler „Zentrum für Religionsfreiheit“ verantworten.
Mitte September hatte Besier bei der Eröffnung des von Scientology betriebenen Zentrums erklärt, die umstrittene Organisation führe „einen Kampf für Toleranz, der jedem nutzt.“ Sie streite „für die Akzeptanz religiöser Vielfalt“. Den Sturm der Entrüstung, den seine Rede im sächsischen Innenministerium auslöste, konterte Besier elegant.
„Spontan“, wie er nun einmal sei, und rein als Privatmensch habe er zugesagt; natürlich gehöre er Scientology nicht an. Später versprach er, sich künftig „kontrollierter zu verhalten“. Nun aber wurde bekannt, dass Besier seit längerem in Scientology-Kreisen wohlgelitten ist. Die deutsche Filiale der Scientologen hat Besier eine seltene Ehre zuteil werden lassen. Man gestattete ihm den Zugriff auf die komplette Mitgliederdatei – die Namen und Adressen von rund 11.000 Personen, bisher ein streng gehütetes Geheimnis, liegen Besier für ein Buchprojekt vor. Der Kirchenhistoriker will auf 250 Seiten die „religionspolitische Ausgrenzung“ dieser „amerikanischen Religion“ schildern. Dem „Alarmismus der Bayerischen Staatsregierung und ihrer Konfidenten“ soll der Boden entzogen werden.
Dass Besier in einem Schreiben von Mitte August, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, ausgerechnet die bayerische Landesregierung kritisiert, ist kein Zufall. Im Dezember vergangenen Jahres stellten Wissenschaftler der Münchner Universität eine siebenhundert Seiten starke Untersuchung vor. Der Titel lautete „Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology“, Auftraggeber war die Staatsregierung. 250.000 Euro ließ sich diese das Projekt kosten. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass die Mitgliedschaft bei Scientology „Risiken für Gesundheit, Willensfreiheit und die rechtliche Integrität der Betroffenen birgt“. Jeder zweite Aussteiger müsse als psychisch abhängig beurteilt werden. Die Organisation biete Kurse an, die den „Betrugstatbestand“ erfüllten, und sie stehe als ganzes im „Widerspruch zur Werteordnung des Grundgesetzes“.
Parallel zur Studie präsentierte das bayerische Innenministerium einen Maßnahmenkatalog. Aussteigern soll geholfen werden, die Öffentlichkeitsarbeit will man verstärken, in München, Nürnberg, Augsburg stehen eigens geschulte Beamte bereit. Besier rechnet diese Maßnahmen offenbar jenem „Alarmismus“ zu, dem er in Buchform begegnen will. Als Hauptargument für sein Projekt dienen ihm die in der Tat bisher „völlig fehlenden empirischen Untersuchungen unter den aktiven Mitgliedern“. Dieser Mangel ist jedoch keineswegs einem fehlenden Interesse seitens der Forschung geschuldet. Vielmehr beklagen die Autoren der Münchner Studie ausdrücklich, ihr Versuch, aktive Scientologen zu befragen, sei „komplett gescheitert“. Für Besier und seine Co-Autorin, Ehefrau Renate-Maria, eine Psychotherapeutin, öffnete Scientology jetzt bereitwillig die Datenbank: Mit der Befragung von 500 bis 800 Personen hat das Ehepaar bereits begonnen.
Besier spricht im Werbeschreiben für sein Buchprojekt offen aus, dass Scientology „autoritäre Grundzüge trägt“. Sodann schließt er eine exkulpierende Formel an: „Das hat sie freilich mit anderen Religionsgemeinschaften, aber auch mit vielen Konzernen gemeinsam“. Der Vergleich ist durchgängig das bevorzugte Mittel, mit dem Besier die Selbsteinschätzung von Scientology als einer Religion unter vielen empirisch und theoretisch beglaubigen will. Er lobt deren „sozialkaritative Tätigkeiten“ in den USA und verweist auf das unproblematische Verhältnis der amerikanischen Öffentlichkeit zur, wie Besier sie stets nennt, „Church of Scientology“.
Besier hat sich große Verdienste erworben um die Geschichte der Kirche im „Dritten Reich“ und in der DDR. In seiner jüngsten Veröffentlichung – „Repression und Selbstbehauptung“ – erzählt er die Geschichte der von den Nationalsozialisten wie der SED drangsalierten Zeugen Jehovas als eine „Geschichte standhafter Verweigerung aus dem Glauben heraus“. Nach dem selben Muster will er nun offenbar Scientology würdigen: als mutige, verschworene Gemeinschaft wider den unbegründeten Zugriff des Staates. Wie immer man zu dem Vorhaben stehen mag – eine Studie mit dieser Zielrichtung aus der Feder eines Experten für Totalitarismusforschung käme einer quasi-offiziellen Unbedenklichkeitserklärung ziemlich nahe.
Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 21.10.2003