"Und diese gute Botschaft vom Königreich wird auf der ganzen bewohnten Erde gepredigt werden, allen Nationen zu einem Zeugnis; und dann wird das Ende kommen." - Matthäus 24:14

Wird dieses von Jesus angegebene Merkmal denn nicht nur und ausschließlich von Jehovas Zeugen erfüllt?

Viele Zeugen sehen gerade in ihrer Tätigkeit einen Beweis für die ‘Richtigkeit’ ihrer Religion. Andererseits sind nicht wenige Kommentatoren und Ausleger der Auffassung, dass sich die in Matthäus 24:6-14 genannten Ereignisse schon vom ersten Jahrhundert an anfingen zu erfüllen. Das ist auch die Lehre der WTG, wenigstens was die Zeit bis zur Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 betrifft. Man lese im Wachtturm vom 15.02.1994 nach. Dort findet man auf S.10, Abs.9 und auf S.12, Abs.20 die entsprechende Anwendung von Matthäus 24:14, ebenso auf S.14, oberhalb der ersten gestrichelten Linie:

[...]Wie verhielt es sich mit dem Königreichspredigtwerk? Um das Jahr 60 oder 61 u. Z., als der Brief an die Kolosser geschrieben wurde, war die "Hoffnung dieser guten Botschaft" in Afrika, Asien und Europa weit und breit gehört worden (Kolosser 1:23). [...] Was sollten wir also aus der Antwort Jesu auf die Frage seiner Apostel schließen? In seiner Prophezeiung wurden genau die Dinge vorausgesagt, die vor der Zerstörung Jerusalems eintraten und damit zusammenhingen, und auch einiges, was nach 70 u. Z. geschehen sollte. [...] Die Drangsal im Jahre 70 u. Z. war die größte Drangsal, die jemals über Jerusalem und das jüdische System gekommen ist."

Allerdings wird dann in dem Artikel von einer ‘zweiten Erfüllung’ in unseren Tagen gesprochen, während nicht wenige die Meinung vertreten, dass auch nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 die gute Botschaft weiterhin gepredigt wurde, denn im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurden viele Gebiete und Menschen dem Christentum zugeführt, bis die Christenversammlung zur Staatskirche wurde, und auch dann gab es nach den Worten Jesu immer Nachfolger, die sein Wort verkündeten (Matth. 28:20). Aber wie steht es mit der Verkündigung in der heutigen Zeit?

Jehovas Zeugen sind bekannt als die wohl einzige Gruppe, deren Anhänger in der für sie typischen Weise ‘von Haus zu Haus und von Tür zu Tür’ gehen. Sie sprechen auch beständig von der ‘guten Botschaft vom Königreich’, während andere Gruppen, wie auch die Kirchen, von der ‘guten Botschaft über Jesus Christus’ sprechen.

Ich möchte hier vorausschicken, dass ich keine Einwendungen erhebe gegen den Predigtdienst von Haus zu Haus oder in irgendeiner anderen Form. Man mag in unserer Zeit, in unserer Zivilisation diese Art des Predigens für sinnvoll halten. Andere Gruppen benutzen mehr die modernen Medien und predigen mehr ‘informell’, auf persönlicher, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher Basis. Nach Ansicht vieler Zeugen ist aber ihre Methode die biblische Methode, vorgegeben durch das Wort Gottes, doch trifft das zu? Und ist der Ausdruck ‘die gute Botschaft vom Königreich’ der einzig mögliche und zutreffende? Wie gebraucht die Bibel den Ausdruck?

Fangen wir mit der letzten Frage an! Wenn wir die Konkordanz der WTG aufschlagen – oder irgend eine andere -, werden wir finden, dass der Ausdruck ‘die gute Botschaft vom Königreich’ nur 6x vorkommt, und zwar dreimal bei Matthäus (4:23; 9:35; 24:14), zweimal bei Lukas (4:43; 8:1) und noch einmal in Apostelgeschichte 8:12. Natürlich spricht die Bibel generell von der ‘guten Botschaft’, von der ‘guten Botschaft Gottes’, der ‘Botschaft guter Dinge’, der ‘guten Botschaft des Friedens’ usw., und man kann diese ganze ‘Statistik’ als bedeutungslos abtun, weil all diese Ausdrücke ja Synonyme sind und die gleiche Botschaft bezeichnen. Aber es ist doch interessant, dass die Apostel, die ja durchaus auch vom Reich Gottes sprachen, dennoch die Botschaft nach Pfingsten immer wieder – nämlich laut Konkordanz der WTG 15x - als die ‘gute Botschaft über den Christus’ (oder über Jesus oder vom Herrn Jesus oder über den Sohn) bezeichneten. Das war auch richtig! Jesus konnte, so lange er auf Erden seinen Lauf noch nicht vollendet hatte, nicht gut von der guten Botschaft über den Christus sprechen, er redete von der guten Botschaft vom Königreich. Aber nach seinem Tod war die Erlösung von Sünden, die Rechtfertigung und damit auch das Königreich unmittelbar mit ihm verbunden, von ihm abhängig, daher bezeichneten die Apostel jetzt die gute Botschaft nach ihm. Das zeigt auch die Konkordanz der WTG ganz deutlich. Ich habe mich oft gefragt, warum man unter Jehovas Zeugen – im Gegensatz zu den Briefen der Apostel – den Ausdruck ‘gute Botschaft über den Christus’ kaum hört. Ich kann mich nicht an solche Fälle erinnern, außer wenn zufällig einmal in den Schriften der Gesellschaft oder in einem Vortrag ein Bibelvers zitiert wurde, in dem der Ausdruck vorkam. Wenn es aber in der Schrift so ist, wie es auch diese Konkordanz zeigt, dann kann ich nicht sagen, dass andere Gruppen, die von der guten Botschaft über den Christus sprechen, das Königreich nicht verkündigen würden, denn das Königreich gehört zu Christus. Man könnte ja dann auch umgekehrt sagen, dass Jehovas Zeugen zwar die Botschaft vom Königreich (Jehovas) verkündigen, aber von einer guten Botschaft über den Christus nichts wissen und das würden sie ja sicher vehement abstreiten. Demnach also sprechen viele christliche Gruppierungen, welche die gute Botschaft von Christus verkünden, auch vom Königreich und verkündigen es.

Sicher werden nicht alle Glieder anderer Gemeinschaften so zum Predigen ‘ermuntert’ wie Jehovas Zeugen. Letzthin sagte eine Zeugin: "Ohne diese Ermunterungen würden wir es sicher nicht tun, denn schließlich macht es ja keinen Spaß"! Wie dem auch sei, ganz gewiss gehört das Bekennen seines Glaubens zum Leben eines Christen, und wer zu Christus gefunden hat, möchte dies sogar tun. Missionsgeist war unter Christen stets vorhanden, das Mitteilen der Gnade Gottes und das teilhaben Lassen an der Freude des Heils und der erfahrenen Rettung ist eine starke Motivation, wie die Berichte in der Apostelgeschichte deutlich zeigen (Apg. 8:4). Es geht hier also mehr um die Frage der Methode und um die Frage – wie manche zu glauben scheinen –, ob davon die Rettung abhängt.

Die letztere Frage läßt sich kurz verneinen. Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass Rettung kein Verdienst ist (Eph. 2:8 ), und wenn wir mit dem ‘Weinstock Jesu’ verbunden bleiben, brauchen wir uns nicht zum ‘Tragen von Frucht’ zu zwingen.

Zur Predigtmethode

Es ist verständlich, dass die WTG sehr für die Methode ‘von Haus zu Haus’ eintritt, schließlich besitzt sie einen Druckereiverbund, der zu den größten in der Welt zählt, und man kann am besten auf diese Art des Predigens Druckerzeugnisse verbreiten. Aber das heißt nicht, dass andere Methoden nicht ebenso sinnvoll und wirkungsvoll oder noch wirkungsvoller sein können. Es gibt Gemeinschaften, die in der Zeit der Existenz der WTG und der Bibelforscher oder Zeugen Jehovas an Zahl mehr zugenommen haben als diese. Es wird auch von der WTG nicht mehr behauptet, dass sie die am schnellsten wachsende Religionsgemeinschaft sei, und es wird auch nicht mehr so sehr auf die Zahl der Kirchenaustritte verwiesen, weil man in den Jahresberichten nachrechnen kann, wie viele auch die Gemeinschaft der WTG verlassen, wie hoch auch hier der Prozentsatz ist...

Aber ist nicht der Dienst von Haus zu Haus schriftgemäß (Apg. 20:20)? Gründet er nicht auf biblischem Vorbild? Wie gesagt, wenn man zu dem Schluss kommt, diese Art des Dienstes sei zweckmäßig, dann ist das eine Sache, aber ist sie in der Weise in der Schrift begründet, wie das die WTG behauptet? Und ist die Wiedergabe des griechischen Wortes kat’oikous mit ‘von Haus zu Haus’ eindeutig? Die meisten Bibelübersetzungen geben das Wort wieder mit ‘in den Häusern’, andere mit ‘in euren Hausgemeinden’ oder ähnlich. Genau so wird auch Apostelgeschichte 5:42 übersetzt. Das gleiche griechische Wort erscheint ferner in Apostelgeschichte 2:46, doch dort übersetzt es die WTG mit ‘in Privathäusern’ (man kann schließlich nicht gut ‘von Haus zu Haus’ essen!), während alle anderen Übersetzungen hier zu Recht keinen Unterschied machen müssen. Warum aber macht die WTG solche Unterschiede? Soll die Wiedergabe ‘von Haus zu Haus’ die moralische Verpflichtung der Gläubigen bestärken? In ihrer Studienbibel hat die WTG jedenfalls bei Apostelgeschichte 20:20 die Fußnote angebracht: ‘oder: "und in Privathäusern", wörtlich: "und je Häuser"’, das entspricht den Wiedergaben der anderen Übersetzungen und gibt keine Begründung für die heutige Art der Tätigkeit von Jehovas Zeugen.

Niemand wird bestreiten wollen, dass die frühen Christen auch in Häusern gepredigt haben, es waren ja auch ihre ersten Stätten der Zusammenkunft. Aber gingen sie von Haus zu Haus? Das lässt sich aus der Schrift nicht ableiten! Ich persönlich bezweifle sogar die – soziale – Möglichkeit eines Dienstes ‘von Haus zu Haus’ in damaliger Zeit. Eine Frau, die derartiges getan hätte, wäre sehr schnell in sehr schlechten Ruf gekommen, ein Mann hätte ein Haus nicht ohne Einladung betreten dürfen, ohne Schwierigkeiten zu bekommen. Man betrachte einmal, wie Paulus gepredigt hatte: Wenn möglich, ging er zuerst in die Synagoge zu den Juden, luden diese ihn privat ein, ging er auch in ihre Häuser, eingeladen! Bei den Nichtjuden ging er zuerst an öffentliche Versammlungsorte, Marktplätze, Gebetsstätten usw., und dann, wenn er eingeladen wurde, auch in die Häuser. Eine dem heutigen Dienst von Haus zu Haus vergleichbare Aktivität wäre meines Erachtens damals im dortigen Kulturbereich nicht möglich gewesen.

Wenn wir in einer Konkordanz alle Texte nachschlagen, in denen im Zusammenhang mit der Predigttätigkeit Jesu oder der Apostel von Häusern die Rede ist, werden wir feststellen, dass sich 21 Fälle auf Häuser beziehen, in denen sie Unterkunft hatten oder zum Essen eingeladen waren (Häuser von Martha, Maria und Lazarus, von Zachäus, Simon dem Gerber, Kornelius, Lydia usw.). 7 Fälle beziehen sich auf nicht näher bestimmte Häuser, aber der Zusammenhang zeigt, dass es entweder Unterkünfte oder auch Versammlungsorte waren. Kein Fall von einer Predigttätigkeit von Haus zu Haus wird berichtet oder dass sie von einem Haus ins nächste gingen. Dass Menschen in Privathäusern besucht wurden, habe ich oben schon erwähnt und das steht auch fest, dass man aber von Tür zu Tür ging, steht ganz und gar nicht fest, selbst wenn man es noch so sehr behauptet.

Leider wird von vielen Zeugen der Tür-zu-Tür-Predigtdienst als Maßstab für den Glauben genommen, ob jemand geistig gesinnt ist und Gott liebt. Wie schon gesagt: Wer diesen Dienst verrichten möchte, soll dies tun; aber man soll die Bibel nicht missbrauchen, um Menschen Schuldgefühle einzuflößen und ihnen das Gefühl zu geben, von der Teilnahme an solcher Tätigkeit hinge ihr Heil und Leben ab, noch sollte man sie be- oder gar verurteilen im Hinblick auf ihre Teilnahme an diesem Dienst...

Schließlich möchte ich nur noch hinzufügen, dass man sich hüten sollte, andere zu verurteilen, welche den Christus verkünden, aber nicht in einer Weise, für die Jehovas Zeugen bekannt sind. Paulus, der ein treuer Zeuge für Christus war, sagte einmal: "Wird doch auf jede Weise ... Christus verkündigt, und darüber freue ich mich" (Philip. 1:18 ). Christus ist der, der beurteilt, Selbstüberhebung hat ihm nie gefallen.