Sie kamen aus Kleve, Köln, Düsseldorf, Duisburg, Hannover, München, Haßfurt, der Zwickauer Gegend, Dresden dem Hamburger und dem Wiener Umland. Große Vorfreude, ein bisschen Spannung - "na, wie wird das werden, vor allem mit den Unbekannten" - und etwas "Abenteuerlust" waren ihre Reisebegleiter.

"Schöne Seelen" sind sich begegnet, nette, höfliche, respektvolle Menschen, die alle eines gemeinsam haben: Die Erfahrung nämlich, aus einer totalitären Glaubensgemeinschaft herausgefunden zu haben.

Und sie waren gekommen, um zu reden. Reden hilft bei der eigenen Verarbeitung dessen, was in der Vergangenheit war, mag diese Vergangenheit auch gerade mal einige wenige Monate zurückliegen.

Es sind Geschichten, die unter die Haut gehen, Berichte über Kindheit und Jugend in einer Familie, die einer Sekte gehorcht und deren rigidem, starren Regelwerk unterworfen ist. Da werden Jungen und Mädchen konsequent an der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit gehindert, man bricht ihren Willen, weil "Jehova es so will".

Bereits deformierte Eltern geben die Deformation der eigenen Psyche unreflektiert an ihre Kinder weiter - eine neue deformierte Generation, wenn nicht...

Ja, wenn diese Kinder den Teufelskreis des "Dramas des begabten Kindes" nicht energisch und unter Aufbietung manchmal der letzten Kraftreserven durchbrochen hätten.

Dann gehen sie ihren Weg, einen Weg der Emanzipation, der Selbstentfaltung, des Selbstbewusstseins und der Selbstverwirklichung. Freiheit steht als Zielmarke dieses Weges, Freiheit, die eigenen Interessen, Sehnsüchte, Wünsche, Leidenschaften wahrzunehmen, ihnen nicht länger zu misstrauen, sondern sie als Gefährten des eigenen Selbst zu begreifen, sie zu bejahen und sich ihnen anzuvertrauen. Nun haben nicht mehr "Jehova und seine Organisation" das Sagen über den eigenen Lebensentwurf, nicht die Spalten des "Wachtturm" sind Wegleitung oder geben Orientierung, sondern allein die eigenen Wahrnehmungen, Empfindungen, die individuelle Intuition, der man nun trauen darf, weil sie so schlecht nicht ist.

Wer nie in einer Sekte war, wird das beinah kindliche Staunen von Menschen, denen gewissermaßen dies "zweite Leben" geschenkt wurde, nicht begreifen können. Wer sich von Kindesbeinen an, durch liebevolle, offenherzige Eltern behütet, natürlich entfalten konnte, wird sich schwertun, zu verstehen, wie sehr ein ehemals eingesperrtes Kind als Erwachsener die Freiheit auskostet.

Darüber zu erzählen, sich gegenseitig immer wieder zu versichern, dass man es nun "geschafft" habe, dazu waren die Besucher Kößnachs hierher gereist. Man kennt sich schon, ist sich bei Facebook und im Forum begegnet, allerdings nur virtuell. "Es geht nichts über die Begegnung mit dem echten Menschen", bringt es eine Teilnehmerin auf den Punkt.

"Nur in der persönlichen Anschauung von Seele zu Seele kann ich mein Gegenüber wirklich verstehen, kann mit ihm mitfühlen und da, wo nötig, auch mitleiden. Und nur in der persönlichen Begegnung kann ich Linderung verschaffen oder empfangen." Und die ist nötig, denn zu sehr haben einige Aussteiger an ihrer Sektenvergangenheit zu tragen.

Dennoch kann man den Entschluss aller mit Händen greifen, in der "Opferrolle" keinesfalls verharren zu wollen. "Jetzt bin ich frei und jetzt erst fängt mein Leben an", so hört man es immer wieder. Und die Fortschritte der Aussteiger sind von Mal zu Mal deutlicher zu erkennen. Dann sprudelt der Lebensmut einfach nur so aus ihnen heraus, ihr Unternehmergeist kennt kaum Grenzen, sie möchten das Leben voll auskosten, denn sie wissen: Ich habe nur dieses eine.

Mag die Religionsgemeinschaft auch noch so sehr die Angst vor dem Ausstieg schüren, allein es ficht diejenigen nicht mehr an, die diese Angst erst überwunden und den ersten, mutigen Schritt in die Freiheit gewagt haben.

Mehr als 20 dieser mutigen Kämpfer waren am vergangenen Wochenende im "Alten Peter" in Kößnach beisammen.